zum Index

zurück

Quelle:

Alfred Meißner
Vermischte Gedichte II.

Dichterbuch aus Österreich
Herausgegeben von Emil Kuh

Wien 1863
Carl Gerold's Sohn

X.
Xenien

(Blue-devils)
 


Der Rock sitzt mir nicht recht, nicht recht,
Das Mittagessen war schlecht, war schlecht;
Der Stiefel drückt mich — es ist kein Zweifel,
Mich plagen die bösen blauen Teufel!

Die Luft ist mir zu flau, zu flau,
Der Tag ist mir zu grau, zu grau —
Der ganze Himmel schneidet Gesichter,
Zuwider ist mir das Menschengelichter.

Das Menschenleben so kahl und fahl,
Journal und Theater so schal, so schal;
Das ganze liebe Publikum
So zahm, so zahm — so deutsch, so dumm!

◊◊◊

Was sind Menschen? Tiere, welche w i s s e n,
Daß sie sterben müssen!

◊◊◊

O, diese Welt voll Fratzen und Affen!
Ich sag' es Euch unverhohlen:
Gott hat die Welt geschaffen,
Der Teufel mag sie holen!

◊◊◊

"Im Anfang war das Wort!" —
Das geht so bis zum Ende fort.

◊◊◊

"Persönlicher Gott!" —
Das klingt wie Spott!
Der Geist, der über den Wassern schwebt,
Durch den das Lebende einzig lebt,
Und der in den ewigen Sternen webt,
Die immer kreisend sich nie erreichen —
Der soll wohl Kunz und Hinze gleichen?

◊◊◊

Ich sag's mit wahrer Wehmut:
Den Frommen fehlt die Demut!
Meint Jeder, daß er besser wär'
Als Goethe, Spinoza oder Voltaire.

◊◊◊

Ich sehe die Seligen gähnen,
Sich nach dem "Diesseits" sehnen!

◊◊◊

Malt ihr nach Rafael, nach Dürer,
Ihr Antiquare, Kunst-Aufspürer?

◊◊◊

Wir leben unter and'rer Sonne,
Der Heilige dort und die Madonne
Sie leiten dich auf falsche Spur —
A n a c h r o n i s m e n sind es nur!

◊◊◊

"Persönliche Fortdauer!" — Geht! —
Ihr lieben Menschlein müßt, versteht,
Euch nach der Mutter E r d e richten,
Die aus dem Chaos kam, in's Chaos einst verweht —
Und fällt in Stücken der P l a n e t,
W o h i n das neue Dasein flüchten?

◊◊◊

Ich lieg' im engen Haus,
Im schauerlichen Grabes-Ort;
Der Pantheist macht sich nichts d'raus —
Die Würmer setzen sein All-Leben fort!

◊◊◊

Das zahme Schaf hält sich zur Herde,
So die wilden Esel, die wilden Pferde;
Gemeinsam flattern die Vögel
Nach einer stillen Regel —
So geht's auch in der Gesellschaft hier,
Und e x c l u s i v ist Mensch wie Tier!

◊◊◊

Gott schuf die Löwen wie die Affen,
Die Ungleichheit ward mit der Welt erschaffen;

◊◊◊

Schön oder häßlich, g'rad oder krumm,
Und dick oder dünn, klug oder dumm —
Damit ist die Frage erledigt!
Was hilft's, daß Ihr G l e i c h h e i t predigt?

◊◊◊

Nebst der geschriebenen Geschichte
Ist noch ein frisches, geschichtliches Weben:
Der Geist, die Wahrheit im Gedichte,
Das echte Dasein, neben
Dem Alltags- und Zeitungs-Leben!

◊◊◊

Neu-Bauten gilt's geschmackvoll zu betreiben!
Die Menschen wandeln, die Häuser b l e i b e n.

◊◊◊

Das unvernünft'ge Tier bringt nie sich selber um —
Selbstmord ist M e n s c h e n-Privilegium!

◊◊◊

Der große Mann geht seiner Zeit voraus,
Der Kluge geht mit ihr auf allen Wegen,
Der Schlaukopf beutet sie gehörig aus,
Der Dummkopf stellt sich ihr entgegen.

◊◊◊

Jedes Ding wirft seinen Schatten,
Jede Frau hat ihren Gatten.

◊◊◊

Ein Dummkopf war's, ich hab' ihn oft geneckt;
Jetzt ist er tot — ich hab' vor ihm Respekt!