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Quelle:

Meißner Alfred
Gedichte

Leipzig 1846
Friedrich Ludwig Herbig

I.
Frühling

 

Frei und heilig
Auferstehung
Kommt fort mit mir
Frühlingsabend
Falscher Frühling
Abschied
An meine Rose
Wunsch
Nachtwache der Liebe

 
Nachtgesang des Wanderers
Nur einmal noch!
Einsamkeit
Geständnis

 

Frei und heilig


Wie ein Märchen spinnt die Lust
Mich in ihre goldnen Fäden —
Stürze warm an meine Brust,
Du mein Traum aus fernem Eden!

Du bist mein, und daß du's bist,
Ahnt kein Herz im Weltgetriebe,
Ohne Schwur und Fessel ist
Frei und heilig unsre Liebe!

Frei und heilig! wunderbar
Küßt dies Wort die Seele offen
So hat einst das erste Paar
Sich im Paradies getroffen.

Ohne Schwur und Fessel mein,
Mein nur durch der Geister Walten,
Und so mein' ich, daß ich rein
Dich aus Gottes Hand erhalten.


Auferstehung

Vom Gram gekreuzigt war ich tot und lag
Im dunklen Sarge ohne Puls und Leben,
Da hat dein Aug' — ein heller Ostertag,
Glorreiche Auferstehung mir gegeben.

Nun zieh' ich freudig, doch erinn'rungsstumm,
Durch meines Leidens liebgewordne Tale,
Mit meinen alten Freunden geh' ich um,
Und zeige freudig meine Wundenmale.

Im Frühlingsgarten mir entgegen kam
Die Poesie, die bleiche Magdalene,
Sie kannte mich nicht mehr in ihrem Gram,
Doch ihr im Auge blitzte eine Träne.

Ich weiß, solch' Leben ist nur Gnadenzeit,
Eh' ich für immer von der Erde scheide,
Doch fühl' ich, da dies Herz dem Tod geweiht,
Es liege hohe Lust im tiefen Leide.


Kommt fort mit mir

Komm fort mit mir und werde mein,
Ich weiß ein fernes stilles Tal,
Dort sarge deine Toten ein,
Dort ruhe aus von deiner Qual.

Steh' auf in deines Bahrtuchs Zier,
Steh' auf in deiner Todesruh',
Steh' auf, sei stark und folge mir,
Ich küss dir deine Wunden zu.

Du bist erstarrt — ich habe Glut,
Du bist ein Kind — ich bin ein Mann,
Du trägst nur Dornen, feucht von Blut:
Nimm meine jungen Rosen an!

Verschmähst du mich, du Heil'genbild,
So welkst du hin in Frost und Nacht,
Ich aber falle ohne Schild,
Mit Zorn und Fluch in wilder Schlacht.


Du brauchst den Arm, im Kampfe fest,
Den Mund mit heißlebend'gem Hauch,
Die Brust, an der sich's schlummern läßt,
Und ich, mein Kind, bedarf dein auch.

Sei du der Geist, der für mich sieht,
Mein Sinn ist finster — sei mein Licht,
Ich bin nicht fromm — sei mein Gebet
Ich schwiege gern — sei mein Gedicht!


Frühlingsabend

Es ist so herb, bei Andrer Leid und Pein
Im Haus der einz'ge Glückliche zu sein,
Und ist so süß bei allgemeiner Lust
Ein sanftes Weh zu hegen in der Brust.

Was ist's doch in des Frühlings lichter Pracht
Das mich so traurig-trauerselig macht?
Im Abendrote wandl' ich stumm und still
Und meine: daß das Herz mir brechen will.

Wie bist du Zeit des Lenzes, Zeit der Lust
Doch fremd geartet unsrer Menschenbrust,
Wenn sie in ihrem Kummer stillverzagt
Zu deinem Glanz kaum aufzublicken wagt!

Ich kann dem Frühling nicht in's Auge sehn,
Ohn' auch zu denken an mein früh Vergehn,
Und muß, wenn freudig rings die Erde loht,
Tiefinnerst traurig denken an den Tod.

O bleicher Tod, o wolle mir nicht nahn
Eh' ich für mein Geschlecht etwas getan,
Ich bete auf zu meinem Gott und Herrn:
Für eine schöne Sache stürb' ich gern.


Für's Recht der Armen, für die neue Zeit
Wie war' es schön zu fallen in dem Streit,
Bei dem gebrochnen Erz der Tyrannei
Wie stürb' es sich im Felde froh und frei!

O läg' ich dann wie heut in sel'ger Pein
Auf einem grünen Bühl im Abendschein,
Und dürfte sprechen, auf der Brust die Hand:
Du kennst dein Kind, mein schönes Vaterland!

Falscher Frühling

Mein Frühling hat nicht Wort gehalten
Er ließ mich arm und kalt zurück
Und brach, kaum knospend im Entfalten
Die blaue Blume mir: mein Glück.

Ein müder Falter kehrt mein Glaube
In's Herz zurück, das krank und matt
Und stirbt dahin — bei welkem Laube,
Selbst wie ein welkes, dürres Blatt.

Zu kühn, zu freudig war dein Hoffen
Zerrissnes Herz, gebrochner Baum,
Seit dich der böse Blitz getroffen
Bleibt dir der Lenz ein schöner Traum.

Kein Jahr mehr wird dich überreden,
Daß Glück nicht längst für dich vorbei
Und daß der Lenz — der Blick in's Eden
Mehr als glücksel'ge Täuschung sei.


Abschied

Gebrochnes Herz, zerrissnes Leben,
Gefallner Engel, stumm und blaß,
Dem ich an Rosen wollte geben,
Was eine junge Brust besaß;
Geliebtes Unglück schöner Tage,
Geknickte Lilie, irrer Geist,
Der heute ohne Wort der Klage
Sich von dem treu'sten Herzen reißt —

Ich hab' kein Recht, mit dir zu grollen,
Und hab' für dich kein zürnend Wort,
Trugst du der Brust, der stürmevollen,
Auch ihren letzten Frieden fort.
Du hast's gewollt! Wohlan, wir scheiden,
Ich hab' für dich noch ein Gebet —
Ein Wort nennt alle unsre Leiden:
Wir fanden uns zu spät, zu spät!

Daß ich dich damals nicht getroffen,
Als sie vom Frost noch nichts gewußt,
Die keinen zweiten Lenz darf hoffen,
Die Blume: Herz der Menschenbrust;
Daß dich ich damals nicht gefunden
Im Märchenwald der Poesie,
Als du noch rein und ohne Wunden,
Verzeih' ich meinem Schicksal nie.


So aber war vom Wetterschlage
Zu früh dein schönes Herz geknickt,
Und nichts, als herbstlich-kurze Tage
Hat unsre Liebe uns geschickt.
Wie heiß auch meine Sonnen lohten,
Sie weckten späte Rosen nur,
Von deinem Lenz, dem kurzen, toten,
Sind sie die letzte blut'ge Spur.

Auf deiner Stirne mußt' ich's lesen,
Als du mir stumm im Arm geruht,
Daß all' dein Lieben nichts gewesen,
Als Wiederschein von meiner Glut.
Erwacht beim jungen Morgenrote,
Fand ich dich kalt und abgehärmt,
Und sah, daß ich nur eine Tote
Für kurze Zeit an mir erwärmt.

Dem Flüchtling gleich, dem Mann des Wehes,
Der, müd' gehetzt, mit wundem Fuß,
Sein schönes Kind im Reich des Schnee's
Halb Leiche schon verlassen muß —
So lass auch ich auf meinem Gange
Dich qualvoll, mit gebrochnem Blick,
Erstarrend und mit bleicher Wange,
Unrettbar hier dem Frost zurück.

Leb' wohl! Du warst mein ganzes Leben,
Den besten Segen auf dein Haupt!
Mag dir der Himmel mild vergeben,
Daß du an Liebe noch geglaubt.
Ich sag' in dir mit tausend Schmerzen
Der Zukunft und der Seligkeit
Und dem Vertrau'n auf Menschenherzen
Ein Lebewohl für alle Zeit.

An meine Rose

Du, meine schöne junge Rose,
Die mir an's Herz das Schicksal warf,
Daß nun das Herz, das hoffnungslose,
Nicht mehr in sich verzagen darf,

Du bringst mir meinen Frühling wieder,
In frische Purpurglut getaucht,
Es ist dein Duft, der diese Lieder
Mit neuer Ahnung süß durchhaucht.

Daß leuchtend meine Stirne werde,
Blickst du mich an, du milder Trost
Dein Lächeln ist ein Kind der Erde,
Das mit den Engeln Gottes kos"t!

Daß ich in's große Loblied stimme,
Hebt mich dein Wort an's Licht empor
Wie an der Blume hängt die Imme,
An deinen Lippen hängt mein Ohr.

Mit deinem blühenden Gewinde
O deck' mein wundes Herze zu,
Daß sich's in Rosenglut entzünde,
So jung und schön, so rein wie du!

Wunsch

O könnte doch an deinen Blicken,
Der Welt entrückt und ungesehn,
Des Dichters Seele in Entzücken
Wie ein Phantom der Nacht vergehn!

Und könnt' dies Herz mit seinen Gluten,
Mit seiner Qual und seinem Wahn,
Sich still und heiß in dir verbluten,
Wie dort die Sonn' im Ozean!

Nachtwache der Liebe

Nachtwache der Liebe, du Sabbat im Herzen,
Du singende, herzenverjüngende Zeit,
Du Weihnacht bei duftigen, luftigen Kerzen,
Sei ewig und ewig gebenedeit!

Ein Wandeln im Schatten wildrauschender Palmen,
Ein Schaukeln im Kahne in träumender Ruh,
Ein Beten im Dome bei hallenden Psalmen,
Nachtwache des liebenden Herzens, bist du!

Sie schloß mich an sich mit den blühenden Armen,
Sie haucht' mir in's Ohr ein unsterbliches Wort —
Ich kniete und flehte: o habe Erbarmen,
Und küss' mir die zagende Seele nicht fort!

Nun wandt' ich im Dämmerlicht blühender Bäume,
Ich fasse der Nachtigall Jubel und Schmerz,
Ich zähle die Sterne, ich wache und träume —
Ein schwebender Stern ist mein seliges Herz.

Nachtwache der Liebe, du Hoffen und Wähnen,
Du Sabbat im Herzen, du heilige Zeit,
Du Seligkeit nächtig verrinnender Tränen,
Sei ewig und ewig gebenedeit!

Nachtgesang des Wanderers

Du wilder Strom, du dunkles Tal,
Ihr weckt auf's Neu
In meiner Brust die alte Qual,
Die alte Reu!

Wie hier der Strom mit Donnergang
Durch Felsenhaft,
Braust durch die Brust der wilde Drang
Der Leidenschaft.

Wie hier auf nacktem Felsenhorst
Ein Geier schreit,
Klagt in des Herzens ödem Forst
Uraltes Leid.

O trage deines Schicksals Schluß,
Nichts hoffe mehr
Von eines künft'gen Lenzes Gruß
Und Wiederkehr!

Hast dich ja selber wahnbetört
Von ihr verbannt,
In ihrem Herzen dir zerstört
Dein Vaterland.

Nun ruft dem Schmerz sie nicht zurück
Und mit ihr schied
In deiner Brust das letzte Glück,
Das letzte Lied.

O wilder Strom, o dunkles Tal,
Ihr weckt auf's Neu
In meiner Brust uralte Qual,
Uralte Reu!

Nur einmal noch!

O nicht zu nennen und zu tragen
Ist dieses Meiden und Entsagen
In jeder Stunde Qual und Beben,
Nicht sterben können und nicht leben!

Nur einmal noch möcht' ich sie sehen
Und dann für ewig untergehen,
Nur einmal noch an's Herz sie pressen,
Dann aber taumeln in's Vergessen.

Das braune Haar, die bleichen Wangen
Die Hände, die so sanft umfangen,
Die Stirn voll Wehmut und Entzücken
An meine Brust noch einmal drücken.

Nur einmal noch möcht' ich es hören
Ihr heißes Flehn und Liebeschwören,
Nur einmal noch in sel'gen Peinen
An ihrem schönen Herzen weinen.

Armselig Herz, voll Blut und Wunden
Am harten Flammenpfahl gebunden.
O fleh den Herrn: auf deinen Steigen
Sie nur noch einmal dir zu zeigen.

Ob auch im Traum! Auf neuen Schwingen
Wird sich hinan die Seele ringen
Wie Märtyrer beim Palmenfächeln
Noch im Verscheiden wirst du lächeln.

Einsamkeit

Daß ich dein auf ewig bliebe,
Tiefes, felsumschlossnes Tal,
Traurig-schön wie unsrer Liebe
Tiefe hoffnungslose Qual!

Tannen schauern an den Wänden,
In der Schlucht der Bergstrom tost,
Winkt, als wie mit weißen Hinden:
Komm, o komm und trinke Trost!

Und ich schleiche um die Föhren,
Horche auf der Wasser Gang,
Glaube immer noch zu hören
Deinen schmerzlichen Gesang.

Jenes Lied voll Qual und Beben,
Das die Seele mir umspann,
Von dem Herzen, das nicht leben,
Ach, und doch nicht sterben kann!

Rausche fort, du wild Gewässer,
Überschrei' des Herzens Not —
Nie geboren wäre besser,
Aber gut auch wär' der Tod!

Geständnis

In dieser bittren, bösen Stunde,
Wo dich die kalte Welt vergißt,
Gesteh's, mein Herz, aus bleichem Munde,
Daß du unsäglich elend bist!
Gesteh's, daß du im Stillen leidest,
Gesteh's, daß du in deiner Nacht
Den Bettler um sein Stroh beneidest,
An dessen Saum kein Mahner wacht.

Der Heimat hast du dich entschlagen
Und dich, mein Herz, der Welt geweiht,
Allein, vermagst du, sie zu tragen,
Die Größe dieser Einsamkeit?
Ein stilles Los war dir beschieden,
Du stolzes Herz, du hast's verschmäht,
Nun ist der Kampf, der Kampf dein Frieden,
Ein wilder Aufschrei dein Gebet.

Sieh dort den Strom im Abendglühen
Sich stürzen in der Klüfte Schoß:
So nutzlos in der Luft versprühen,
Du reiche Kraft, das war dein Los.
Sieh auf verzweifelt offnen Schwingen
Den Geier kreisen ohne Ruh,
Bis Nacht und Wolken ihn verschlingen —
Der Geier dort, mein Herz, bist du!

Die neue Liebe lockt und flüstert:
Siehst du den off'nen Himmel nicht?
Ich aber senke, gramumdüstert,
In graues Moos mein Angesicht.
Du Wunderbild aus Märchentagen,
Wie faßtest du mein dunkles Weh,
Wie traf es dich, mein Los zu tragen,
Du heil'ge Stirn von Licht und Schnee!

Sieh! so verarmt bin ich in Schmerzen,
Ein Baum, der welk ward über Nacht,
Daß selbst das edelste der Herzen
Mich nur noch tiefer elend macht.
Der heil'gen Schönheit gegenüber
Fühl' ich nur tief und tief're Pein,
Der Seele Strom klagt trüb' und trüber
Wärst du wie sie so rein, so rein!

Die Glut der Jugend will erkalten,
Des Busens beste Kraft entschwand,
Nur Eines kann mich aufrecht halten —
Das Eisen einer Männerhand!
Du treuer Freund, die starke Rechte,
In meine Nacht streck' sie hinein;
Im Gletschereis, im Grau'n der Nächte,
Du treuer Arm, bedarf ich dein.

Auf dieser Erde stillen Auen
Laß uns enttäuscht und ungeliebt
Den tiefumwölkten Himmel bauen,
Wie ihn der Herr uns Menschen gibt.
Ich hoffe unten auszuringen,
Die Sterne hab' ich laut verflucht,
Die uns dem Gott nicht näher bringen,
Den wir so heiß, so heiß gesucht!