VIII.
In der Einsamkeit
I.
O Einsamkeit, hier ist des Waldes Nacht,
Im leisen Rauschen ernster, dunkler Föhren,
Sei huldigend mein Lied dir dargebracht,
Mag keines Menschen Ohr es jemals hören.
O Einsamkeit, bei deinem Namen quillt es
Wie süße Labung durch mein ganzes Sein,
Du nimmst mich liebend auf und in mir schwillt es
Wie neue Kraft — dein bin ich, ewig dein! —
Erschauernd naht' ich dir, da ich voll Wunden
Geflüchtet aus dem wüsten Lärm der Welt,
Bang frug ich mich: Wie willst du noch gesunden?
Sink' unter! denn dein Leben ist zerschellt.
Soll dich die grauenvolle Stille trösten,
Die nur dein tiefes Weh zu sinnen scheint?
Da alle Herzen kalt von dir sich lösten,
Was hoffst du noch? Du bleibst der Qual vereint.
Die flinke Klugheit sprang dir stets voraus,
Wo du nach einem Ziele heiß getrachtet,
Sie trug ihr reiches Teil sich rasch nach Haus,
Indessen du gedarbt, verkannt, mißachtet.
Und jetzt? und jetzt? Hier kannst du dich nur sammeln,
Erst ganz zu fühlen, was dir stahl die Welt,
Hier kannst dem Wind du deine Klagen stammeln;
Sink' unter! denn dein Leben ist zerschellt. —
Und doch — du, Einsamkeit, erhobst mich wieder,
Du gossest Kühlung in die Seele mir;
Stark blick' ich auf mein einst'ges Ringen nieder,
Und was ich bin und kann, ich dank' es dir.
Gebrochen, an den Himmelsmächten irre,
Fand ich mich neu in deinem milden Schoß;
Du reiftest in mir, was im Weltgewirre
Schon fast verkümmert wäre früchtelos.
Und deine Macht erkenn' ich jetzt so ganz:
Was immer sich als Schmuck ins Sein uns schlingt,
Was immer Schönes wird und strahlt im Glanz,
Ich weiß, daß es aus dir allein entspringt.
Nicht nur des Künstlers Werk in Farben, Reimen,
Du nährst den Keim auch jeder großen Tat;
Auf dich zurück weist alles im Geheimen,
Ob noch so laut es in das Leben trat.
Du hebst die Kraft, daß Schweres sie vollende,
Du hebst das Herz trotz jedem bangen Schlag,
Du mahnst, daß sich der Blick nach innen wende
Und prüfe, was er da wohl finden mag.
So wirst du, erst gefürchtet, noch Asyl,
So ist zuletzt bei dir nur Trost zu finden;
Was gilt denn mehr — ob nah, ob fern dem Ziel —
Als, ernst gesammelt, voll sein Selbst empfinden?
Du mächt'ge Schöpferin, du Quell des Lichts,
O welchen Segen bringst du, nicht zu sagen!
Und du, was forderst du dagegen? Nichts
Als: "Sei ein Mensch und könne mich ertragen!"
II.
So floh ich aus dem treibenden Gewühle
Begier'ger Menschen, die im Kampf ums Kleine
Ihr bestes Teil vergessen, o ich fühle,
Dort kann nichts schön gedeihn, in voller Reine!
Bei Gott, ich halte hoch des Menschen Kraft;
Allein nicht dies Gewimmel, wo die Meisten
Das Bild entweihn, das sich mein Geist erschafft,
Und doch des ersten Worts sich stets erdreisten. —
Wohl wird auch meine Scheu vielleicht zur Schuld,
Wohl war zu rasch mein Fliehen, mein Verzicht,
Und dem gebührt der Preis, der mit Geduld
Und weiser Kraft der Andern Torheit bricht.
Wie wär's nur möglich, grad ans Ziel zu kommen?
Wo jedes faßbar, muß es selbst uns lehren,
Und gilt's des Bösen Tod, der Welt zum Frommen,
So müssen traulich wir mit ihm verkehren.
Jedoch ich kann es nicht, kann nicht bedächtig
Aus allem, was ich Widerliches finde,
Mir eine Waffe schmieden, scharf und mächtig,
Mit der ich's klug berechnend überwinde.
Ich will nichts mehr erfahren, will nichts lernen,
Was mir die Welt umflort, das Herz zerdrückt;
So kämpf' ich nimmer und den ew'gen Sternen
Vertrau' ich, was mich Schönes je beglückt.
Drum will ich, fern den schwülen Menschenwogen,
Mich hier ergehn in frischer Waldesluft;
Ein sanfter Hauch kommt säuselnd hergezogen
Und bringt aus allen Weiten würz'gen Duft.
Hier at'm ich auf und gerne mag ich lassen,
Was mich noch reizt, wo ich so lang gewohnt;
Auf neuem Boden will ich Wurzel fassen,
Und überreichlich bin ich einst belohnt,
Wenn mir auch nichts die neue Stätte gab,
Als nur in ihrem Frieden, weich und lind,
Für mich ein stilles, waldumkränztes Grab
Und eine heitre Heimat für mein Kind!
III.
Ihr, die ihr bang bedrückt von Weh — doch nein!
Die ihr beklommen nur vom Lärm der Welt,
O eilt zu mir! hier sind wir ganz allein,
Die gleichen Herzen, liebevoll gesellt.
Allein in der Natur; hier trifft kein Schall
Zu laut an unser Ohr, nur Blätterrauschen,
Nur höchstens eines jähen Baches Fall
Und leichtbeschwingter Vögel Liedertauschen.
Hier wollen wir uns sammeln und nicht hassen
Das ferne Treiben, laut und wechselvoll;
Ob wir's gemieden auch, wir können's fassen
Und tragen's im Gedächtnis ohne Groll.
Nicht wahr, sein Recht wir lassen's jedem gern?
Welch fröhliches Gedränge dort im Kreise!
Nur zu! es folge jeder seinem Stern;
Wir regen uns ja auch in unsrer Weise.
Ob auch entflohn den Andern, ob verschollen,
Wir halten fest am Ganzen allezeit;
Mit vollem Herzen leben wir im Vollen,
Ob unsre Lebensluft die Einsamkeit.
So lugen wir zuweilen nur hervor
Dem Reigen nach, der fern von uns sich schlingt,
Und aus der Stille lausche unser Ohr
Dem Stimmenschwall, der leis herüberklingt.
Die Welt ist reich! o laßt es uns bekennen;
Wen schelten wir, daß er in ihren Ketten?
Schön ist's, von ihren Freuden zu entbrennen,
Doch menschenwert auch, sich daraus zu retten.
IV.
Weltflüchtling sein heißt nicht die Welt auch hassen;
Das ist nur ein geheimer Sehnsuchtsdrang,
Als könnt' ich erst das Ganze voll umfassen,
Da ich dem Nächsten flüchtend mich entrang.
Als gält' es, weltfern still sich einzuspinnen,
Zu sammeln sich in sanft bewegter Glut,
Die Welt mit allem Reichtum zu gewinnen,
Der unerkannt in ihren Tiefen ruht.
Weltflüchtig sein heißt nicht sich kalt verschließen;
Nur in der Stille, in der Einsamkeit
Erquicken mich die Quellen, die rings fließen,
Und ich bin, zu empfangen, recht bereit.
Kein Ohr vernimmt im hastenden Gedränge
Den tief verborg'nen Puls des weiten Alls;
Kein Ohr vernimmt im Lärm die Sphärenklänge,
Die von den Sternen grüßen leisen Schalls;
Weltflüchtig sein heißt recht die Welt genießen;
Da blüht sie um mich auf voll Pracht und Glanz,
Da seh' ich's wunderherrlich ringsum sprießen,
Und Stund' um Stunde flicht mir Kranz um Kranz.
Ein Holdes winkt mir zu, wohin ich spähe,
Und Liebesfäden knüpf' ich ohne Zahl
An das Entfernte, das mit seiner Nähe
Mir schier das Herz zerdrückte tausend Mal.
V.
O lerne bei den Menschen nichts zu suchen,
So findest du sie gut; was stürmst du fort
Und willst den harten Sinn der Welt verfluchen?
Begehre nichts! das ist dein einz'ger Hort.
Laß ab, laß ab von deinen goldnen Träumen,
Und dem Entsagenden ist nichts zu arm;
Bezwinge stark, wie sie sich immer bäumen,
In deiner Brust der Wünsche lauten Schwarm.
Du mußt den ungestümen eisern wehren,
Laß nimmer, hoffend, sie zum Flug hinaus;
Sie pochen rings vergebens an und kehren
Mit lahmen Schwingen dir gar bald nach Haus.
Dann drücken sie in der Enttäuschung Schmerzen
Das Herz dir ab, du aber klage nicht,
Daß es zerschellt an fremden Kieselherzen:
Die eigne Sehnsucht ist's, an der es bricht.
VI.
Das Eigne zu erkennen an den Dingen,
Sei dir das Höchste stets; du darfst nicht fragen,
Was sie dem Trachten deines Herzens bringen,
Ob sel'gen Jubel oder bange Klagen.
Ist dir das Morgenrot ein Freudenschimmer,
Und stößt die schwarze Wolke dich zurück?
Suchst du nur glänzend lichte Farben immer,
Und findest so allein im Schauen Glück?
Nicht doch! Erfasse wie der Künstler alles,
Dem Licht und Schatten gleich im Schaffen gilt;
Er malt gleich treu die Schauer des Zerfalles,
So wie die goldne Frucht, die reifend schwillt.
Es weben, ewig wechselnd, Tod und Leben
Die weite Welt, reich und gestaltenvoll;
So lerne selbst aus Lust und Schmerzen weben
Die Harmonie, die dich erfüllen soll.
VII.
Ich stelle mich voll Demut zu der Welt
Und rechte nimmermehr mit dem Geschicke,
Ob Hoffen auch um Hoffen mir zerschellt
Und ob ich vor mir nur Nacht und Graun erblicke.
Tust du mir Unrecht, wär's auch mit Bedacht,
Ich zucke nicht und will kein Wörtlein sagen;
Tat ich's doch andern selbst oft, zornentfacht,
Das gleicht sich aus und nimmer darf ich klagen.
Ich sündigte genug, von Wahn berückt,
Ich schritt genug auf bösen Irrsals Pfaden,
Um jedes Kreuz, das mich zu Boden drückt,
Freiwillig auf die Schulter mir zu laden.
VIII.
Sprich nicht vom Schmerz! Gleichst du den Andern allen,
Die kommen, leben und dann ohne Spur
Nach kurzem Treiben in das Nichts zerfallen,
So trag' es still! Was bist du der Natur,
Die Millionen fort und fort erneut?
Was liegt an dir, du Stäubchen ohne Wert,
Wie jeder Tag sie achtlos rings verstreut?
Was soll dein Schrei, der Schonung heiß begehrt? —
Doch bist du mehr und willst du dich von jenen
Als auserwählt und gottbegnadet scheiden,
So schäme dich der Klagen und der Tränen:
Dein Vorzug sei's und dein Besitz, zu leiden.
IX.
O glaube nur mit liebendem Vertrauen!
O glaube nur, wo die Erkenntnis endet!
Damit dein Glaube, kannst du nicht mehr schauen,
Dich weiter führt und dir die Welt vollendet.
Fehlt dir an einem Bild zur vollen Schöne
Nur noch ein Zug, so glaub', er sei versteckt;
Fehlt dir ein Klang im holden Spiel der Töne,
So glaube, daß nur du ihn nicht entdeckt;
Bleibt dir am Freund noch manche Rätselfrage,
So glaube, daß die Lösung dir verborgen;
Verfehlst du heut dein Ziel, was soll die Klage?
Verloren ist dir's nicht, glaubst du an morgen.
Du sehnst nach Liebe dich, nach Einklang, Treue —
Wo wären alle, glaubtest du sie nicht?
So fürchte keine Täuschung, keine Reue;
Du strebst nach Licht, so glaub' auch an das Licht.
Laß nichts die Hoffnung auf den Tag dir rauben,
Wo du mit allem, was du suchst, dich einst,
Und böte nichts Gewähr für deinen Glauben
Als nur die Sehnsuchtsträne, die du weinst.
X.
Ist dir's nicht oft auf deinem Gang durchs Sein,
Wie dir's vor langen Jahren war als Kind,
Wenn plötzlich du des Nachts erwacht allein?
Am Abend vorher sang die Mutter lind
In Schlaf dich ein, du hieltest ihre Hand
Und lauschtest, lauschtest, noch vom letzten Schein
Des Tags umspielt, bis dein Bewußtsein schwand.
Nun wachst du auf — rings Nacht, du bist allein.
Die Mutter ist schon lange fortgeschlichen,
Und nur ein dämmerhaft Erinnern fliegt
Dir durch die Seele; alles ist verblichen,
Was dich so wunderhold in Schlaf gewiegt,
Wie ein verlornes Eden liegt es weit,
Weit hinter dir — da schrickst du auf im Grauen,
Das dich umgibt, es schlägt voll Bangigkeit
Dein Herz, du wagst es kaum, um dich zu schauen,
Und deiner Brust will sich ein Schrei entringen;
Doch schläfst du, dich verhüllend, wieder ein.
So sei getrost! und will dein Herz zerspringen
Im Wachen hier: du schläfst schon wieder ein.
XI.
O Kinderzeit, du Morgentraum des Lebens,
Wie blick' ich oft bewegt nach dir zurück
Aus diesen Tagen bangen, irren Strebens!
O Kinderzeit, du einzig volles Glück!
Wie sich der Vogel fühlt in freier Luft,
Das schnelle Reh, durch schatt'ge Wälder jagend,
Du lehrst es uns. Und welcher farb'ger Duft
Umspielt dich erst, wenn müd und schon verzagend,
Dein Bild wir schaun nach schwerer Jahre Lauf!
Da können, was du bist, erst ganz wir fassen,
Da steigst du doppelt herrlich vor uns auf,
Und unser Sinnen will dich nimmer lassen. —
Ich sehe noch das Haus im fernen Süden,
Umpflanzt von Gruppen hoher, schatt'ger Bäume,
Wo ich umhergetollt oft ohn' Ermüden;
Wie grüßen mich so rührend alle Räume!
Und Vater, Mutter, die Geschwister alle,
Sie stehn vor meinem Blick. Wie faßt mich tief
Der Mutter Wort mit dem vertrauten Schalle,
Wenn nach dem wilden Kind besorgt sie rief!
Und zog ins Haus ein Kummer, schaut' ich nur
Betroffen all die trüben Mienen an,
Und singend ging's dann wieder in die Flur,
Und jedes Weh wie schnell war's abgetan!
Allein ich wuchs und wuchs — die Jahre fliehn —
Und immer mehr versank die sel'ge Zeit;
Da mußt' ich endlich in die Fremde ziehn,
Und ihr, Geliebte, wart mir alle weit.
Doch rankt' ich immer noch mit allem Denken
Zu euch zurück, und über jeden Raum
Gabt ihr die Hand, mich liebevoll zu lenken,
Euch sagt' ich jede Hoffnung, jeden Traum,
Ihr wart mein Hort, wenn aller Mut mir wich,
Ich wußte, daß ich nicht verlassen sei,
Und welch ein Jubel, konnt' ich flüchtig mich
In eure Arme stürzen — Ach, vorbei!
Was ließt ihr meine Hand so frühe los?
Nun seid ihr alle tot! Ich blieb allein.
Nun schlaft ihr alle in des Ew'gen Schoß,
Und einsam muß ich stehn in diesem Sein.
Jetzt heißt es: wurzle selbst und suche nicht,
Was dich behüten und dich stärken mag;
Nun wachse ohne Stütze in das Licht
Und unerschüttert kämpfe Tag um Tag.
Versuch' es, nun ein Stamm mit reifen Säften,
Dich auszubreiten und dich frisch zu regen;
Streb' auf, streb' auf im Sturm aus eignen Kräften,
Und wenn du kannst, sei andern jetzt ein Segen!
XII.
Was ist's, das uns so wundersam ergreift,
Wenn wir dem regen Frühlingstreiben lauschen,
Wenn unser Auge durch die Weiten schweift
Und tausend Stimmen unser Ohr umrauschen?
Da geht ein heil'ges Flüstern durch die Bäume,
Als küßte sie ein Hauch der Ewigkeit,
Ein Summen, Weben füllt die sonn'gen Räume,
Und bunte Vögel singen weit und breit;
Sie singen sorglos, singen lustdurchglüht,
Als blieb es ewig Frühling, ewig licht,
Als bliebe stets die Erde überblüht
Vom Schmuck, der rings aus allen Knospen bricht.
Und wir — wir jauchzten gerne mit dem Chor,
In uns auch lebt, was hell da draußen schallt,
Es wogt in uns und schwillt und drängt hervor,
Unwiderstehlich, heiß, mit Allgewalt,
Als streb' es ohne Schranken in den Himmel:
Wie schlägt das Herz, entzückt dahingegeben,
Ganz Eins mit all dem fröhlichen Gewimmel!
Es kennt nur Lust und ew'ges, volles Leben —
Doch ach! darüber brütet unser Geist,
Und Tod ist und Vernichtung, was er sinnt;
Er sieht, daß alles nur auf Gräber weis't,
Und Wehmut faßt uns und die Träne rinnt.
XIII.
Die Seele liebt am Fernen still zu hangen,
Darein sie ihre Träume legen kann;
Wird uns denn nicht erst schön, was hingegangen?
Da fängt es erst ein höh'res Dasein an.
Die Helden, welche unser Aug' entzücken,
Sie irrten auch in Sünden durch das Sein;
Doch spätre Tage kamen, sie zu schmücken,
Und groß und herrlich ward, was menschlich klein.
O Wunderwerk der liebenden Gedanken!
O sehnend Herz, wie dichtest du so gern!
Aus trüben Nebeln, welche qualmend schwanken,
Ersteht ein strahlend heller, fester Stern.
Die Gegenwart hat garst'ge, rauhe Züge,
Bis sie auch einst zu schönerm Sein erblüht,
Bis längst begraben Drang und Not und Lüge
Und der Erinnrung Zauber sie umglüht,
Was stündlich um uns wogt auf unsern Bahnen,
Daß wir's erschauten, wie's die Zukunft krönt!
Doch läßt es unser Auge still uns ahnen,
Das, rückwärts schauend, Totes so verschönt.
Drum rasten wir am liebsten beim Vergangnen
Und träumen uns dazu, was erst noch sprießt,
Indes, wie eitel Schaum, dem Weltbefangnen
Sein Alles mit dem Augenblick zerfließt.
XIV.
Mein Auge hat den sichern Quell gefunden,
Der stets dich tränkt und wundersam erquickt:
Sieh, lieben mußt du, warm in allen Stunden,
Was immer dich verwirrend auch umstrickt.
Daß du nur lieben kannst! Und warte nicht,
Bis dich durch seine Macht ein Anblick zwingt;
Was selbst dir lodernd aus der Seele bricht,
Ist erst das Feuer, welches Segen bringt.
In deiner Armut sage dir: Wer weiß
Woran sich mein verlangend Herz noch hängt!
Das heg' ich dann und kos' es liebeheiß,
Das wird mein Trost, wie vieles mich bedrängt!
Dein Herzensschlag ist deiner Freuden Maß,
Nur was du liebend halten kannst, ist dein;
Was klagst du, daß der Himmel dich vergaß?
Er zieht in keine kalten Seelen ein.
Beflügle deinen Puls, und wankst du schier,
Ein volles Herz bewältigt jede Last:
O welche Kraft zum Glücke ruht in dir,
Wofern du nur die Kraft, zu lieben, hast!
XV.
Was Schönes eines Menschen Sinn erschuf,
O heg' es stets und nenn' es liebend dein!
Bedeutsam spricht's — vernimm nur seinen Ruf! —
Erquickend spricht's von einem höhern Sein.
Derweil erglüht daran geformt der Meister,
Was zog nicht alles ihm daneben hin!
Verdruß und Not und alle bösen Geister;
Doch nichts von allem findest du darin.
Nichts wob er ein von all dem Ungemache,
Mit dem er oft gekämpft in schwerem Drang;
Er gab dem Holden nur Gestalt und Sprache,
Und selbst erstaunt er, was ihm da gelang.
Ein zweites Leben ist's, das er gelebt,
Da ihn mit seinem Tand beherrscht der Tag;
Ein Freudenhymnus, da er bang gebebt,
Ein Siegesaufschrei, da er unterlag.
Was Schönes eines Menschen Sinn erschuf,
O heg' es stets und nenn' es liebend dein!
Bedeutsam spricht's — vernimm nur seinen Ruf! —
Erquickend spricht's von einem höhern Sein.
XVI.
Es treibt um mich die Welt sich vielgeschäftig,
Ein Jeder schaut um sich mit wachem Sinn
Und mehrt sein eignes Gut, beherzt und kräftig,
Und regt sich auch den Andern zum Gewinn.
Ich seh's und neide jedem fast die Gabe,
Mit der er rüstig schafft und vorwärts dringt;
Denn ich — ich mehre nicht die eigne Habe
Und schaffe nicht, was andern Nutzen bringt.
Wie günstig sich mir oft die Stunde beut,
Ich wandle, nur von meinen Träumen voll;
Die Blume pflanz' ich, die mein Aug' erfreut,
Und nicht die Frucht, die mich ernähren soll.
Ich zeige meinem Kind den Glanz der Sterne,
Den Saum des Morgenrots nach dunkler Nacht;
Daß es zuerst das Nächste fassen lerne,
Wie wenig bin ich stets darauf bedacht!
Und selbst die Kunst, der ich geweiht mein Sein,
Wenn ich für einen Zweck sie üben wollte,
Ich fände keinen Laut und hielte ein,
Ohnmächtig wär' ich, ob ich selbst mir grollte.
So frag' ich mich, warum ich lebe, ringe,
Was bin ich und wozu der Drang der Brust:
Erweckt nicht, was ich nutzlos stille singe,
Den andern doch ein Zucken flücht'ger Lust?
XVII.
Ihr armen Träumer, voll von Sehnsuchtsdrang,
Die von der Zukunft ihr das Werk erharrt,
Das nimmer der Vergangenheit gelang,
Ihr Träumer, stets vertrauend, stets genarrt;
Mühselig tragt die Körnlein ihr herbei
Zum schönen Bau, der endlich ragen soll
Und jeglichen umfangen, wer er sei,
In Frieden, Eintracht, reichen Segens voll.
Ach, was ihr schafft im Schweiße langer Jahre,
Es hat ein kurzes Sein; wer sieht es nur?
Wo ist die Hand, die schirmend es bewahre?
Ein Schlag der Macht und hin ist's ohne Spur!
Ja, die Gewalt nur lebt, die jeder fühlt
Und fühlen muß, ob er sich knirschend bäume,
Nur die Gewalt, die ihren Pfad sich wühlt,
Nicht achtend, ob Vernichtung ihn umsäume.
Sie herrscht und nimmer euer Menschentum;
Sie hat das Recht, wie rauh sie euch verhöhnt,
Weil sie sich's nimmt, und seht! sie hat den Ruhm,
Weil sie sich keck und furchtlos selber krönt.
XVIII.
Was du ersehnst, genieß' es vor im Traum,
Gestalt' es aus, wie's einst vielleicht dir lacht,
Und drück' es, überfliegend Zeit und Raum,
An deine Brust trotz jeder Feindesmacht.
Erwarte nicht die Früchte deines Mühens,
Du wartetest zu lang, und warte nicht,
Bis dir das Wiederleuchten deines Glühens
Als Dank aus treu verwandten Seelen bricht.
O lern' es, in die Zukunft dich zu spinnen,
Und wäre sie auch Täuschung — träume fort;
Den Himmel schaffe dir im stillen Sinnen,
Du neigst dich ja zu bald nur, welk, verdorrt.
So lang noch frisches Blut in deinen Adern
Und dich die kleinste Gabe schon entzückte,
Wirst du vergebens mit dem Schicksal hadern;
Es bleibt dir taub, ob dich der Gram zerdrückte.
Nichts reicht es dir, um dich empor zu halten,
Als wies' es dich auf deine eigne Kraft;
Du findest hart und gnadenlos sein Walten —
Auf! träume, fliege! eh dein Mut erschlafft.
Und wächst auch immer mächt'ger, was du baust,
Und will das Glück dir endlich Rosen streuen;
Vielleicht, daß deinen Sieg du noch erschaust,
Doch ach! zu spät: er kann dich nicht mehr freuen.
XIX.
Laß jede Täuschung, Herz: wohin du schweifst,
Was immer rings dich lockt mit süßem Schall,
Und wähnst du schon voll Jubel, daß du's greifst:
Du findest doch dich selbst nur überall.
Es spricht dir milden Trost des Freundes Mund,
Du nennst ihn deinen Schirm und deinen Hort;
Du schwärmst entzückt im heißen Liebesbund,
Die Liebste reißt dich zu den Sternen fort:
Und doch — das ist dein eigner Pulsschlag nur.
Und ach! wie leicht verstößt dich deine Welt,
Wie schnell dahin ist all des Hohen Spur,
Das du so laut gepriesen, lustgeschwellt!
Du siehst so viel vor dir im Glutverlangen,
Und schaffst es doch nur selbst, wie du dich regst;
Du willst beschenkt sein, willst beglückt empfangen,
Und hast doch nur, was du in andre legst.
XX.
O heil'ges Schweigen, dir erschallt mein Preis!
Du wirkst gleichwie durch einen Zauberbann,
Ob auch unmerklich nur, ob noch so leis,
Mit größrer Macht als je ein Wort es kann.
Seh' ich im Geiste des Erlösers Bild
Und will ich ihn am schönsten mir verklären,
So seh' ich ihn, die Züge licht und mild,
Im tiefsten Weh noch stumm und ohne Zähren.
Mein Herz, was immer dich bedrängen mag,
O schweige, schweige! nie verrate dich;
Ob bang gepreßt, ob stürmisch laut dein Schlag,
O schweige stets und nur durch Taten sprich!
Bist du verkannt, verfolgt von garst'gem Neide,
Und erntest du für Liebe schnöde Tücke,
Kreuzt böse Mißgunst deinen Pfad, so leide,
Doch schweige, schweige, wie dein Weh dich drücke!
Und auch die Lust des Augenblicks verschweige,
Auf die zu baun du leicht zu schnell bereit;
Gib acht, daß sie dich befangen zeige
Von nicht'gem Wahn und kleiner Eitelkeit.
Drängt deine Fülle noch so stark hervor,
Und hoffst mit deinem Worte du zu zünden,
Und lauscht dir manches hold geneigte Ohr —
Sei still und wolle nicht dein Tiefstes künden!
Nicht fühllos, doch verschlossen dulde, trage;
Und magst du deinem Feinde nichts entgegnen,
Und hast du keinen Zornruf, keine Klage —
O sei getrost, dich wird der Himmel segnen!
Ein milder Genius, für dich bestellt
Zum treuen Anwalt und zum Schützer, wacht;
Er schwebt auf leichten Flügeln durch die Welt
Und rührt an jedes gute Herz mit Macht,
Das eins dir nach dem andern grüßend winkt;
Du staunst — woher nur kommen dir so viele?
Du siehst, dein Schicksal reift, die Sonne blinkt,
Bis dein der Sieg und glorreich du am Ziele.
XXI.
Laß wachsen, wachsen nur die Schuld der Welt,
Die lieblos in das tiefste Herz dir schnitt;
Wie rauh dein Pfad, wie trüb und unerhellt,
Wie schwer bedrängt du wankst bei jedem Schritt.
Und ob du noch so bange Seufzer stammelst
In all dem Leide, das du tragen mußt;
Wenn du nur ausharrst und zuletzt dich sammelst,
Gib Acht, dir schwillt die Kraft in tiefster Brust!
Und jede Unbill, jeder harte Druck
Wird dir zum Schatz für ferne Zukunftstage,
Und jede Wunde wird dir noch zum Schmuck
Und zum Akkorde jede schrille Klage.
Einst reift auch dir ein schönes, volles Glück,
Einst kommt auch dir ein Morgen, licht und rein,
Und jeden Schmerz nimmt dir die Welt zurück,
Und um so reicher wird die Sühne sein.
XXII.
O ewige Vernichtung, ew'ges Werden!
Gesetz, das unablässig alles zwingt
In allen Himmelsfernen wie auf Erden,
Erdrückst du nicht die Brust, die hoffend ringt?
Endloser Streit! Der Vogel hascht die Mücke,
Die klaglos ihm verfällt, und hoch im Blauen
Schwebt schon der Geier mit geheimer Tücke,
Der bald ihn selber mordet ohne Grauen.
Ein Jedes muß; es muß, nur weil es lebt.
Und wird da nicht der Mensch, so viel er schafft,
So stolz er als der Schöpfung Krone strebt,
Gar plötzlich still mit aller seiner Kraft?
Wo stürmt er hin? was nennt er dauernd sein?
Schrumpft nicht in all dem drohenden Verderben
Sein kühner Drang zum stillen Sehnen ein,
Nur unbelästigt aus sich selbst zu sterben?
XXIII.
Wie heißen Drangs, wie wundersam verschlungen
Du, Mensch, empor nach einem Höchsten ringst!
Die niedere Natur, der du entsprungen,
Sei nicht mehr deine, da du sie bezwingst.
Und fast schon greifst du als der zweite Meister
Mit deinen Werken in der Schöpfung Lauf;
Ins dumpfe Sein bringst du die Welt der Geister
Und richtest schaffend Wundermale auf.
Der Weise schaut das Tiefste in den Dingen,
Dem Edlen ist, sich opfern, ein Gebot,
Der Liebende, beglückt, hat Götterschwingen
Und härmt, gekränkt, sich um sein Lieb zu Tod.
Das kannst nur du und fühlst, wie dich's erhebt;
Dein eig'ner Pfad ist's, den dein Fuß beschreitet,
Indessen alles, was da sprießt und lebt,
Am festen Bande die Natur stets leitet.
Und doch, und doch — dir frommt kein Himmelstürmen,
Nicht einen Preis wird das Geschick dir gönnen,
Und magst du noch so hoch Gewalt'ges türmen,
Stets unter deinem Trachten bleibt dein Können.
So sieh, ob dir nicht dennoch die Natur
Das Höchste, was du suchst, zuletzt enthülle;
Es trennt den Weisesten — begreif' es nur! —
Bloß Eins von all der andern Wesen Fülle:
Den Schatz, der jenen als Geschenk gegeben,
Erring' ihn dir bewußt? Soll ich ihn sagen?
Die zugemess'ne Stunde heiter leben
Und stumm gefaßt den Untergang ertragen.
XXIV.
Was ringsum herrscht, wohin die Blicke spähn,
So wahllos niedertreffend hier und dort,
Du möchtest es den blinden Zufall schmähn,
Und dennoch ziemt dir nimmermehr dies Wort.
Wer ist's, der stolz sein eig'nes Los verlangt?
Den drückt ein Leid, den schwellt ein holdes Glück;
Der stirbt im Wachsen, jener reift und prangt;
Jedoch von keinem bleibt die Spur zurück.
Erst über unserm Dasein wird es klar
Das höh're Walten eines ew'gen Lichts;
Nur das Gesetz ist groß, unwandelbar,
Das Einzelschicksal ein verlor'nes Nichts.
Was tut es auch? Ob hier wir Blüten schaun
Und dort den Staub und Moder des Zerfalls;
Hier farbenprächt'gen Tag, dort nächt'ges Graun —
Das gibt doch stets das eine Bild des Alls.
Und jener Geist, der über allem schwebt,
Was ziemt ihm sonst, als ruhig lächelnd sehn,
Wie bald die Woge sinkt und bald sich hebt,
Und Herzen jubeln und in Qual vergehn?
XXV.
Jüngst fiel mir ein Gebetbuch in die Hand,
Ich schlug es auf und las; gar dürftig klang,
Was drinnen ich auf jeder Seite fand,
Nur ein Gefühl, das bang nach Worten rang;
Es scholl die gleiche Weise immer fort,
Als Frühgebet, als Stärkung für die Nacht:
"Herr, ewig bist du, bist an jedem Ort,
Bist gütig, groß und dein ist alle Macht,
Ich aber wälze mich, ein Nichts, im Staube;
In Sünden blick' ich auf zu deinem Thron,
Und mich erlösen kann allein mein Glaube!"
So schlug ans Ohr mir stets der derselbe Ton,
Und doch — wie's da mit Macht mich überkam!
Der ich den eignen Himmel mir gebaut,
Fortstürmend stolz, ich fühlte wundersam
Im Innern plötzlich den verwandten Laut.
Ja, gibt es ein Gebet, so ist's nur dies,
Das uns geziemt und Stärkung bringen mag
In Sünd' und Not, wenn alles uns verließ;
So rufen wir nur immer Tag um Tag:
Ein Bessres gibt's als wir, die wir ja stündlich
Dem Feind in uns und außer uns zum Raube;
Ein Ew'ges lebt, das groß und unergründlich,
Doch wir sind nichts und wälzen uns im Staube!
XXVI.
Ruhloser Mensch, du weißt nicht, was du willst,
Da du das Ew'ge zu ergründen trachtest;
Dein Heil ist's, daß du diesen Drang nie stillst,
Ob du im Dunkel auch voll Sehnsucht schmachtest.
Du sinnst dem Dasein nach, du strebst nach Licht,
Doch das Geheimnis trägt das Weltenganze,
Und das ersehnte Licht ertrügst du nicht,
Du wärst erstarrt vor seinem kalten Glanze.
So bleibt doch nur das Dunkel stets dein Reich,
Darin nur atmest du bei allem Leiden;
Das Sein durchschauen hieße ja zugleich,
Es in der tiefsten Wurzel auch durchschneiden.
Ein Rätsel ist die Welt, nie aufgespürt,
Ein Rätsel dein Geschick, das du nicht wendest;
Du weißt nicht, was dich bis hierher geführt,
Wohl dir, du weißt auch nicht, wie du einst endest.
Rückschauen magst du, aus verklung'ner Zeit
Herüberspinnen der Erinn'rung Faden
Und immer neu aus der Vergangenheit
Dir ohne Zahl die bunt'sten Gäste laden.
Das ist vorbei! schön wird jetzt auch die Not;
Ob einmal du gejauchzt in freud'gem Mute,
Ob einmal du gebangt, von Qual bedroht:
Auf allem, was einst war, ruht die Minute.
Doch forsche nicht und laß es nur verhüllt,
Was dir die ew'gen Mächte erst bereiten;
Du bist nur stark, von Hoffnungsglut erfüllt,
Vermagst du blinden Auges kühn zu streiten.
Bedenk's: wie ungestüm dein Wesen strebt,
Sähst du voraus mit allen deinen Flammen,
Was dir vielleicht die nächste Stunde webt,
Du stürztest, schreckgelähmt, im Nu zusammen.
XXVII.
Geh unter in des Augenblickes Fülle
Und gib nur immer voll den Augenblick!
Was dir entschwand, was rückwärts liegt, verhülle;
Was erst noch kommt, webt dunkel das Geschick.
Die Rose blüht — o schöne Himmelsspende!
Nur dein Gedanke, daß ein Hauch sie pflückt,
Dein stilles Bangen um ihr nahes Ende
Beraubt sie der Vollendung, die sie schmückt.
Dir blitzt ein Auge, das dir süß und teuer,
Dich küßt ein Mund, ein Arm umschlingt dich weich —
Begehrst du unverlöschlich dieses Feuer?
Genug, es flammt und macht dich überreich.
Laß nicht die Blicke in der Runde schweifen,
Zu schaun den Wandel mit der Flucht der Zeit;
Du mußt zutiefst den Augenblick ergreifen,
So fassest du ihm die Ewigkeit.
Und lebe selbst nur, ohne bang zu sinnen,
Stets flammend aus, was dir ein Gott erweckt,
Mag auch dein Sein Vergessen überspinnen,
Bevor dein frisches Grab noch Gras bedeckt.
XXVIII.
O Mensch, o Mensch, und wär' es doch nicht so,
Daß du gemacht, den Moder zu besiegen?
Und strebtest du vergebens, leicht und froh,
Fort über die Zerstörung rings zu fliegen?
Vermagst du mehr, als kurz den Staub beleuchten,
Als schaun, wie sich der Todesreigen dreht,
Bis deine Augen schreckensbang sich feuchten
Und all dein schönes Licht in Nacht vergeht?
Halb stehst du herrschend über der Natur
Und bist doch wieder ganz in ihrem Bann;
Du ahnst die Gottheit, ach! du ahnst sie nur
Und wirst zum Toren, strebst du himmelan.
Dein Blick er sieht zuletzt nur deine Blöße;
Nichts bleibt von allem, was du träumend spannst,
Und was zuletzt dein Ruhm? was deine Größe?
Daß deine Nichtigkeit du fühlen kannst.
XXIX.
Woher der Drang, das Letzte zu ergründen,
Das ewig doch bedeckt mit tiefer Nacht?
Kein Gott aus Wolken wird es dir verkünden
Und nicht der Geist in dir, der lauschend wacht.
O, um sich zu schaun mit einem Ahnungsschimmer,
Und dennoch blind sein, festgebannt im Leben,
Das Raum nur für die Sehnsucht hat, doch nimmer
Für die Erfüllung — streben, stets nur streben!
Vergebens rüttelst du am Käfig Welt,
O Mensch, in deinem glühenden Verlangen;
Du kannst doch nie hinaus und tot zerschellt,
Bleibst du sogar als Moder noch gefangen.
Gefangen und verdammt, in ew'ger Fron
Durchs All zu kreisen wie vom Urbeginn;
Doch dir ist's Ruhe und Erlösung schon,
Daß du nicht länger fragst: woher? wohin?
XXX.
Das ist dein Fluch, mein Herz; du willst zu viel!
Du fügst dich schlecht der Forderung des Lebens,
Du willst geraden Weges an das Ziel,
Und alle Klugheit rät dir stets vergebens.
Du willst beim guten Recht auch stets die Macht,
Für reichgeschenkte Liebe willst du Treue;
Du willst den Sünder, eh' er noch vollbracht,
Was frevelnd er ersann, gelähmt von Reue.
Du willst die Harmonie im Erdenrund
Und jeden schrillen Mißton draus verbannt;
Du willst die Geister rings im schönen Bund
Nur für das Hocherhabne rein entbrannt.
Das alles willst du: nun, so leide, trage,
Du töricht Herz, mit deinem zarten Gluten!
Kannst du nicht anders sein? So laß die Klage
Und lern' an deinem Wahne still verbluten!
XXXI.
Du bist allein! Erkenn's, wie schwer dir's fällt.
Allein zu leben unter tausend andern,
Von denen jeder seine eigne Welt,
Allein den schweren Pfad zum Grab zu wandern,
Ist aller Los! Da gibt es keinen Trost.
Ob traulich dir der Freund die Hand ergreift,
Ob süße Liebe dich umschlingend kos't —
Das ist ein Hauch, der dich nur außen streift.
Ein Jeder lebt, dem fernsten Sterne gleich,
Dir unerkannt, und was dich selbst erfüllt,
Wär's manchem auch an holdem Segen reich,
Du trägst es durch das Dasein unenthüllt.
Von dir zum Nächsten gibt es keine Brücke,
Und was betrübt dich mehr: daß keine Brust
Sich dir eröffnen kann zu sel'gem Glücke?
Daß selber du verschlossen bleiben mußt?
XXXII.
Schweift gern dein Blick und hat er rasche Flügel,
Du magst ihn immer frei entfliegen lassen;
Jedoch dein Wollen halte stets im Zügel,
Denn nicht so viel vermag dein Herz zu fassen.
Nur wenig liebe, doch dies Wen'ge recht,
Und wär's mit Blindheit, dennoch wird's dich schmücken;
Im engen Kreis nur lebst du voll und echt,
Nicht alles rings kannst an die Brust du drücken.
Warum ist dir dein Heimatland so teuer?
Weil es das Schönste? Weil's dein Heimatland!
Drum hängst du dran mit innig tiefem Feuer,
Und ewig unzerreißbar bleibt dies Band.
Was liebst du diesen Menschen so vor allen?
Weil er der beste? Weil er treu gewacht
An deiner Wiege und belauscht dein Lallen;
Das bindet dich und das ist seine Macht.
Um mit dem Auge forschend auszuschauen,
Da wird dir bald die weite Welt zu klein;
Doch nur aufs Nächste kannst dein Los du bauen
Und lieben kannst du ewig nur, was dein.
XXXIII.
Ach, ungestraft soll keiner glücklich sein! —
Ich saß in stillem Sinnen, froh erglüht,
Und schaute in die junge Welt hinein,
Die hell in bunter Pracht vor mir geblüht.
Ein süßer Traum glitt leis durch meine Seele,
Ein Traum vom Anbruch neuer goldner Tage,
Und wie ich ihre Gaben überzähle,
Pocht mir das Herz mit immer froherm Schlage.
"Auch du", so klang's in meinem Innern laut,
"Auch du hast Teil an jeder Lust der Erde;
Wonach so lang du sehnend ausgeschaut,
Bald nennst du's dein, daß dir Erquickung werde.
Was du gehegt, es soll sich reich entfalten,
So wie die Blüten, die sich vor dir wiegen,
Dein Los es reift; laß nur die Götter walten!
Lang trugst du schwer, doch endlich sollst du fliegen!" —
Und jetzt? Was ist mir nur? Muß ich nicht zittern?
Die schöne Welt sie wankt, sie will versinken;
Dumpf hallend grollt's um mich wie ein Gewittern,
Und düst're Schatten seh' ich mahnend winken.
Was ist mir? da ich noch zu jubeln wähne,
Erfaßt mich plötzlich ahnungsvolle Pein,
Und schwillt mir nicht im Auge eine Träne? —
Ach, ungestraft soll keiner glücklich sein!
XXXIV.
Der Kampf ums Dasein! ja, er herrscht im Kreise,
Und werden, wachsen heißt die Kraft erproben;
Doch wer stimmt Hymnen an zu seinem Preise?
Wer will ihn als erhabne Weisheit loben?
Der Kampf ums Dasein! ja, was leben mag,
Verdrängt das Nächste, selbst sich Raum zu schaffen;
Es gilt, sich ohne Mitleid Tag um Tag
Sein Teil mit starken Händen zu erraffen.
O grauser Weg zur endlichen Vollendung!
Und wohnt der Wert auch immer bei der Stärke?
Vollbringt der Mensch auch immer seine Sendung,
Der Wunder offenbart im Geisteswerke?
Der Beste weiß ja meist sich schlecht zu wehren,
Ein harmlos Kind mit seinem reichen Schatz,
Und sieh! der Schurke stiehlt im Recht und Ehren
Und stellt sich frechen Sinns auf seinen Platz.
Verleugnet sich denn hier die Ordnung nicht,
Die, ob auf Trümmern auch, stets Höh'res zeugt?
Nein! nein! nur daß sie hier verhüllter spricht,
Und glühst du wahr und tief, bleib ungebeugt!
Wo sich der Geist zu offenbaren strebt,
Gilt ihm das Werkzeug nichts, ihm gilt das Ziel;
Ob du im Kampfe sinkst und ausgelebt,
Wenn nur, was du vollbracht, nicht mit dir fiel!
Und so nur fassest du die Wahrheit ganz:
Ja, was da werden will, wird nur durch Krieg;
Doch nicht den Helden kündet stets der Kranz,
Und auch im Untergang liegt oft ein Sieg.
XXXV.
Unsterblich sein — o herrlichster der Preise!
Und höhnt ihr: Diese Herrlichkeit ist Trug?
Was frommt nach all der Qual der Lebensweise
Ein laut beklatschter, stolzer Schattenflug?
Begreift ihr's nicht, daß jeder, der die Kraft
Zu Großem in sich fühlt, nur Eins erstrebt:
In seine Werke, die er liebend schafft,
Sich zu verwandeln; wie er sonst gelebt,
Ob von der laun'schen Göttin hold geküßt,
Ob bang in Mühsal seiner Sendung treu,
Was kann es gelten? Wenn sein Werk euch grüßt,
Euch lebenatmend anspricht ewig neu,
So ist's ja er! O seliges Geschick,
Im Lied von süßen Lippen zu erschallen,
Zu sprechen traut aus eines Bildes Blick;
Hier Liebenden, die, übervoll, nur lallen,
Das Wort zu leihn, das ihren Himmel kündet;
Dort in verzagte, matt erschlaffte Ringer
Den Blitz zu senden, der sie neu entzündet;
Erfreuen, trösten, stets ein Segenbringer:
Heißt das nicht göttlich thronen in der Welt?
Und mancher hastet und genießt zerstreut
Und merkt es nicht, wie, hold im beigesellt,
Ein längst Geschiedner ihm sein Bestes beut.
Was je wir Schönes, Wertes um uns sehn,
Ist nur das ew'ge Dasein all der Hohen,
Die einst erschienen und nun strahlend stehn,
Entrückt den Mächten, die dem Ird'schen drohen.
Erkennt sie nur im Zauber ihres Lichts!
Sie sind hineingesunken, nicht entschwebt,
Und außer ihnen gilt im Kreise nichts:
Nur wer unsterblich ist, der hat gelebt.
XXXVI.
Wie fänd' ich diese Welt nicht schön und gut?
Ich muß! ich muß! Warum? Sieh, weil ich lebe!
Die schöne Welt schafft mir mein Lebensmut,
Ob ich dazwischen zweifle, klage, bebe.
Schilt du nur alles eitel, Lug und Trug —
Wer glaubt dir, da doch nicht dein Herz gebrochen?
Du widerlegst mit jedem Atemzug
Den Fluch, den rasch dein Mund hinausgesprochen.
Du selber zeugst, wie alles rings im Kreis,
Für diese Welt, und nennst du sie auch schlecht;
Ein jedes Dasein ist der Schöpfung Preis,
Wie sich's nur regt, und sieh! es bleibt im Recht.
Ernst ist die Weisheit, doch sie kann nicht viel,
Was immer wohlgesetzt sie aufgeschrieben;
Doch wir beweisen's leicht im heitern Spiel:
Die Welt ist schön! wir leben, küssen, lieben.
XXXVII.
O Frühling, bring' ein Ölblatt dieser Welt! —
Rings Jubel, Farbenprangen, Blütenduft!
Und Schwäne ziehn, im langen Schwarm gesellt,
Hin, durch die klare, sonnengoldne Luft.
O heller Frühlingsstrahl, o mildes Wehen,
Bleibt ewig, weichet nie der rauhen Nacht!
O schönes, wehmutsüßes Auferstehen,
Laß ewig grünen, was du hold gebracht!
Wie gäb' es Raum für Moder neben Blüten!
Lenzodem, wundersame Tröster du,
Was du mir sprichst, ich will es tief behüten,
Und gläubig fliegt dir meine Seele zu.
Es blüht, es leuchtet und es wogt von Tönen —
Ist mir da segnend nicht genug enthüllt?
Das Schöne grüßt mich und vor jedem Schönen
Zerrinnt, was Häßliches die Welt erfüllt.
XXXVIII.
Hin über Stoppeln braust ein rauher Sturm
Und fegt herab den letzten Schmuck der Bäume;
In banger Flucht verkriecht sich jeder Wurm,
Und trüb, verödet starren alle Räume.
Mein Auge forscht umher, es forscht empor —
Ach, Trauer überall, wohin ich sehe!
Da rauscht mir diese Weise um das Ohr,
Ich weiß nicht, ob zum Troste, ob zum Wehe:
Sieh, nichts ist tot und auch unsterblich nichts!
Was ist, das rollt bald in das Schattenreich,
Bald hebt sich's wieder in den Strahl des Lichts;
Ob da, ob dort du eintrittst, das ist gleich.
Und so ist beides wahr: es war nur Staub,
Die Blüte, die du selig jüngst gepflückt,
Und eine Ernte ist das welke Laub,
Das niederrieselnd dich so bang bedrückt.
XXXIX.
Vermächtnis
Ich habe Sonnentage froh gelebt!
Ob viele, wenige — wer fragte bang?
Unmeßbar bleibt, was, flüchtend, still verschwebt
In die Vergangenheit; da ist nichts lang,
Nichts kurz: es war! dies Wort verkündet alles.
Ich habe Sonnentage froh gelebt!
Ist das kein Trost, trotz jeglichen Zerfalles,
Vor dem die Seele tiefgeängstigt bebt?
Und mehr: ich lebe! lebe, lichtumflossen,
Die Gegenwart; es liegt vor mir die Welt,
Rings wallt und wogt es, tausend Triebe sprossen,
Und wie die Brust mir stiller Jubel schwellt,
Dünkt dieses Feuer mir der Lebensfunken,
Der alles nährt, und wie ich, angefacht
Von innen, in der Runde Bild versunken,
Strahlt alles Hell in bunter Farbenpracht.
Und du bist mir geschenkt! Das schönste Band
Verknüpft uns fest zu seligstem Entzücken,
Und was ich je Beglückendes empfand,
Es will durch dich mich doppelt tief beglücken.
Ich hange süß erglüht an deinem Munde
Und fühle ganz die Lust: ich bin bei dir!
Gib einen Kuß für tausend, eine Stunde
Der Seligkeit gib für Äonen mir!
Und müßt' ich morgen sterben, weine nicht!
Erfülle einen Augenblick nur ganz:
Das ist die Ewigkeit! Mein Auge bricht,
Doch du bewahr' in deinem seinen Glanz,
Du spiegle fort das goldne Licht der Sonne,
Du trage weiter, was in mir entschlief,
Und hüte treu im Herzen all die Wonne,
Die ich mit dir gefühlt so voll, so tief!
Wenn ich dann war, so denke nicht, wie lang,
Und daß ich allzufrüh geschieden — nein!
Du weißt, ich lebte, voll von Himmelsdrang,
An Stunden reich, die schon ein ganzes Sein.
Am schönsten feierst du mein Angedenken,
Da, lächelnd du, wie sonst, die Welt entzückst,
Und selber, was dir hold die Götter schenken,
Mit sanfter Rührung an den Busen drückst.
XL.
Grabschrift
Auf Wiedersehn? so wag ich nicht zu rufen,
Da kein Erinnern bleibt an diese Tage,
An unsre Werke, die wir ringend schufen,
An all die Erdenlust und Erdenplage.
Auf Wiedersehen? Nein! doch ruf' ich fest:
Auf Wiederfinden! Forderst du noch mehr?
Auf Wiederfinden, wenn der laue West
Die Blumen küßt, wenn aus dem Äther her
Die Sterne in entzückte Herzen leuchten,
Wenn sich zwei Augenpaare selig grüßen
Und sanft im ersten Drang der Liebe feuchten.
Wir finden uns in allem Holden, Süßen,
In allem Schönen, was die Runde weis't;
Das halte fest und nenn's nicht arm und hohl,
Es sei dein Trost, wenn unser Band zerreißt;
So denn: Auf Wiederfinden — fahre wohl!