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V.
Vermischte Gedichte 1

 

Arthur Schopenhauer
Den Gleichgesinnten
Was ist ein Dichterwort!
Unsere Hoffnung
Ein Weihnachtslied
Im Laboratorium
Zeit und Lied
Eine Antwort
Notwendigkeit
An ein armes Kind
Im Walde
Der Vesuv
Heiliges Leben
Kosmisches Genrebild
Auf dem Anstande
Birschgang
Aus der Urzeit
Am Meere
Die Geister des Waldes
Die Nacht
Die Schwalbe

Arthur Schopenhauer

Vor Jahren war's, als ich zum ersten Male
Begierig in mich sog dein tiefes Wort,
Da traf es mich gleich einem Sonnenstrahle
Und scheuchte all den alten Wahn mir fort;
Ich sann seitdem gar oft, wie ich's dir zahle,
Du meines bessern Seins erhabner Hort,
Doch dich zu preisen hatt' ich scheu gemieden
Und fand nur Tränen, da du hingeschieden.

Dann mußt' ich kämpfend andre Pfade schreiten,
Das Leben faßte mich und spann mich ein,
Du konntest mich nicht Schritt um Schritt begleiten,
Mich hielt die Welt voll Torheit und voll Schein;
Dein Bild entschwand mir immer mehr im Weiten,
Vergessen warst du schier — vergessen? Nein!
Denn ob dich auch mein Mund nicht laut bekannte,
Dein Funke war's, der mir im Tiefsten brannte.

Ich lauschte jetzt aufs neue deiner Stimme,
Nach deinem Wort verlangt's gewaltig mich;
Im Freien ist's, es schwärmt und summt die Imme,
In tausend Trieben regt das Leben sich.
O Lust! wie ich ins Wogen rings verschwimme,
Versenk' ich immer sel'ger mich in dich.
Rings rauschet die Natur in vollen Chören,
Da mag so recht die Seele dir gehören.

Und doppelt stark zu jubelndem Entzücken
Ergreift mich nun, was deine Weisheit spricht,
Einhaltend muß das Haupt ins Moos ich drücken,
Das unter mir kühl einen Teppich flicht;
Abgründe weißt du kühn zu überbrücken,
Das Tiefgeheimste zeigt dir sein Gesicht,
Und du enthüllst es hohen Ernstes allen,
Die mit erglühtem Sehnen zu dir wallen.

Und gibt es dennoch solche, die dich schelten?
Du malst den Schmerz — sie rufen: Keinen Schmerz!
Sie prassen in der besten aller Welten,
Dein Finger aber weist uns sternenwärts;
Nur wer's mit ihnen hält, der soll was gelten,
Du aber, sagen sie, du hast kein Herz.
Statt unter sie mitschwelgend dich zu mischen,
Störst du sie auf von wohlbesetzten Tischen.

Ja wohl, du zeigst den Schmerz in allem Leben,
Doch zeigst du herrlich auch, was ihn besiegt.
Die Wahrheit finden, muß uns schon erheben,
Ob sie uns wehtut oder schmeichelnd wiegt;
Doch blüht sie nicht, wo im gemeinen Streben
Der Schwarm sich um sein täglich Glück bekriegt.
Mir nach! so rufst du, schwingend deine Leuchte:
Und lächelt, ob sich auch das Aug' euch feuchte!

Das ist dein Bild. O jeden könnt' ich hassen,
Der dich verleugnet oder stumpf nicht hört!
Doch winkt dein Geist mir nieder, mich zu fassen.
Er spricht: die Welt bleibt ewig wahnbetört,
Mag sie vor Götzen knien, gottverlassen,
Die heut sie preist und morgen schon zerstört;
Du stehe treu zu mir und laß das Trauern:
So wahr ich echt, so wahr auch muß ich dauern!

Den Gleichgesinnten

Die ihr, zerstreut in weiter Runde,
Das Ew'ge hütet, festbewußt,
Trotz jedem Widerspruch der Stunde,
Euch allen Gruß aus voller Brust!
Die ihr, und wär's im Wüstenbrande,
Und zuckte noch so müd der Fuß,
Fortwallt nach dem gelobten Lande,
Euch allen, allen diesen Gruß!

Wir brauchen Zeichen nicht zu tauschen,
Es braucht des Druckes nicht der Hand,
Im Strahl des Lichts, im Waldesrauschen
Liegt, was uns sanft umschlingt als Band;
Uns eint, was wir als Leben achten,
Uns eint des tiefsten Herzens Schlag,
Das gleiche Fühlen, Hoffen, Trachten,
Wie nichts zu einen sonst vermag.

So mög' uns unser Schatz erquicken,
So lodre hell, was in uns brennt,
Und laßt uns nicht mit Hochmut blicken
Auf jene, die von uns getrennt;
Was ist's denn mehr als ein Almosen
Des Himmels, still, in sel'ger Glut,
Zu schauen jedes Lenzes Rosen,
Zu lieben treu, was schön und gut?

Wie sollten wir uns überheben,
Weil unserm Sehnen, ewig laut,
Ward der Erfüllung Traum gegeben,
Der Trost in unsre Herzen taut;
Weil über uns wir Götter spüren,
Die für ein andachtsvoll Gebet
Uns warm mit ihrem Hauch berühren,
Wenn um uns kalter Schauer weht?

Und wie sich alles rings verwirre,
Und scheint auch, was wir hegen, Wahn,
Empor den Blick! daß nichts uns irre,
Und ungebrochen fort die Bahn!
Wird uns auch nie der Tag geboren,
Wo wir erfüllt die Träume sehn,
Uns bleibt doch alles unverloren,
Wenn wir im Glauben untergehn.

Was ist ein Dichterwort!

Was ist ein Dichterwort! es kann nicht töten,
Es schmettert nichts in Staub und baut nichts auf;
Mag es nun donnern oder schmeichelnd flöten,
Es ändert nichts am großen Weltenlauf.

Rings herrschen rauh ganz andere Gewalten,
Da folgt dem Drohn der Schlag, dem Wunsch der Raub
Die Tat nur kann bewegen, umgestalten,
Für Liedesweisen ist die Menge taub.

Und dennoch — wie den Lenz der Sprosser kündet,
Das heil'ge Recht bewahrend der Natur,
Ob es die Menschen auch, zum Kampf entzündet,
Zertreten mit der Blumenpracht der Flur:

So muß der Dichter, mag im wilden Streiten
Auch Unrecht siegen rings, Gewalt und Trug,
Sein Lied als Trostruf senden durch die Zeiten,
Daß stets ein Herz doch für das Rechte schlug.

Unsere Hoffnung

Vorwärts! erschallt der Ruf; was lebt im Ringe,
Nur vorwärts strebt's in Ahnung bessrer Tage,
Ob uns auch keiner das Ersehnte bringe
Und nichts, was wir erbauen, dauernd rage.
O Wehmut! dünkt uns stets der Himmel offen,
Wie bang wir auf der Scholle stets gelitten?
O Wehmut! lassen wir nicht ab, zu hoffen,
Wie wenig wir uns auch bis jetzt erstritten?

Recht so! Mag eisern auch die Not uns würgen,
Das sag' uns: einstens blüht uns Glück und Frieden;
In unsrer Armut sehen wir den Bürgen,
Daß einstens reiche Schätze uns beschieden.
Wenn rings in wüstem Streit ein Heer von Sünden,
Wenn Haß und Neid und Scheelsucht sich bekriegen,
Das soll in unserm Schauder uns verkünden:
Die Tugend ist und muß einst glorreich siegen!

Noch nichts erreicht? so bleibt viel zu erreichen!
Noch nichts vollbracht? so bleibt viel zu vollbringen!
Auf denn! da gilt kein bang verzagtes Weichen,
Nur vorwärts! rufen wir in mut'gem Ringen.
Ach, aller Schmerz er darf uns nicht verwirren,
Nein! nein! beflügeln soll er unser Leben;
Wie wär's denn sonst: da wir in Nacht noch irren,
So muß es einen Pfad zum Lichte geben.

Ein Weihnachtslied

Wer hielte stets sich frei von Schuld und Fehle!
Wer irrte nie in all dem Kampf und Drang!
Tief innen tobt der Ungestüm der Seele
Und außen wogt die Welt, verwirrend bang.
Wie oft, ach! kränken wir, die heiß wir lieben,
Indes, zu segnen, wir so leicht versäumt;
Daß uns der Reue Tränen nur geblieben,
Wo wir von einem goldnen Glück geträumt.

Doch wehe dem, der nie gefühlt die Reue,
Der nie zur stillen Einkehr sich gewandt,
Zu knüpfen neu das Band gebrochner Treue,
Zu fassen neu die weggestoßne Hand!
Und könnt' es jemals besser uns gelingen,
Als bei dem Dämmern jener heil'gen Nacht,
Die uns auf ihren unsichtbaren Schwingen
Den göttlichen Erlöser einst gebracht?

Drum preis' ich sie und möchte jeden mahnen,
Wie mir das Herz in Andachtsglut entbrannt:
Besinne dich und laß die irren Bahnen,
Die dich von jenem Göttlichen getrennt!
Daß du, geläutert, Helle in den Blicken,
Mit deiner Kinder Unschuld, gut und rein,
Dich an der holden Feier magst erquicken,
Bei der das Bäumchen prangt im Lichterschein.

Den Dämon zwinge, dir zum schönsten Ruhme,
Der niederwärts durch Schuld und Qual dich führt,
Und öffne dich dem edlen Menschentume,
Vom Hauche dieser Stunde sanft berührt.
Erlösung! ist das Wort, das heute schalle.
O hoffe sie nicht bloß für deine Last,
Erlöse selbst auch, liebespendend, alle,
Die heimgesucht mit schwerem Weh du hast!

Im Laboratorium
Den Materialisten

Ihr glaubt an kein Geheimnis mehr?
Ihr faßt es nicht, was uns bekümmert?
Was soll der Glaube, seicht und leer!
Die Götter, ruft ihr, sind zertrümmert! —
Sie sind's, sie sind's, die falschen Götter;
Doch haltet an euch, rasche Spötter:
Ist auch der Drang gestillt,
Der Drang, das Letzte zu ergründen,
In welches alle Dinge münden,
Aus welchem alles quillt?

Hier ragen auf Gestellen rings
Maschinen, Tiegel und Retorten,
Ihr wägt das Wesen jedes Dings
Und lehrt uns viel davon — in Worten;
Doch müßt nicht ihr zuerst erkennen,
Daß das, wonach wir sehnend brennen,
Sich nimmermehr enthüllt?
Erschauert ihr nicht selber leise,
Da alles hier um euch im Kreise
Von Rätseln angefüllt?

Bringt diesen Stoff dem andern nah —
Und krachend schmelzen sie zusammen,
Berührt die erznen Platten da —
Und seht! sie sprühen helle Flammen;
Dies Naß, erhitzt, gibt gift'ge Dünste.
Was sagt ihr? sind das eure Künste?
Von Geistern um und um
Beginnt ein wundersames Treiben,
Ein Zucken, Glühn — und alle bleiben
Für eure Fragen stumm.

Ihr wähnt, ihr bringt das rechte Licht,
Und steht doch machtlos da gleich Kindern,
Nur nicht wie Kinder harmlos schlicht.
Hofft ihr den großen Schmerz zu lindern?
Wägt nur und meßt! viel mag es frommen,
Nur nichts dem Herzen, bang beklommen,
Dem Sehnen, das nie schweigt;
Was ihr erringt, euch emsig mühend,
Ist nur ein Blitz, vorübersprühend,
Der unsre Nacht uns zeigt.

Zeit und Lied

Rings nicht'ges Treiben, schrille Klänge,
Nur Götzen herrschen weit und breit,
Und fragend schallt's aus dem Gedränge:
Was soll das Lied in dieser Zeit?
O glaubt, ob Tand die Zeit entzündet,
Ob Toren jubelnd sie bekränzt,
O glaubt, was euch mein Mund verkündet:
Sie braucht das Lied, das sie ergänzt!

Die Zeit! sie folgt dem nächsten Zuge,
Ein Jeder hütet nur sein Haus,
Doch drüber spannt zum schönen Fluge
Das Lied die bunten Schwingen aus.
Die Zeit! sie fordert rüst'ges Streiten,
Sie ruft: Ergreift das ird'sche Teil!
Das Lied es schwärmt in sonn'ge Weiten
Und rettet uns das ew'ge Heil.

Und wenn die Zeit oft flammend stürmte,
Wenn jede Schranke sie vergaß
Und selbst sich das Verderben türmte,
Wies ihr das Lied das schöne Maß,
Und wenn die Zeit nach Flittern haschte,
Wie töricht Kinder tun im Spiel,
Bald dies, bald jenes flatternd naschte,
Wies ihr das Lied ein klares Ziel.

Versumpft die Zeit in trägem Gange,
Fliegt schnell das Lied voraus die Bahn;
Rollt jene fort in wildem Drange,
Hält dieses stille sinnend an;
Will jetzt das Lied zur Tat beflügeln,
Entflammt's die Kraft, den Todesmut;
Vermag's dann wieder sanft zu zügeln,
Beschwört den Sturm und dämpft die Glut.

Drum fragt nicht, was das Lied denn solle;
Je mehr die Zeit das Lied vergißt,
Je mehr sie's schmäht in blindem Grolle,
So lauter jubelt, daß es ist!
Uns läutern, das ist seine Sendung,
Stets fehlt uns eben, was es nennt,
Und wißt den Tag ihr der Vollendung?
Wenn Zeit und Lied nicht mehr getrennt.

Eine Antwort

"Die großen Dichter sind entschwunden,
Und unsre Zeit hat keine mehr!"
Ist dieser Ausruf bang empfunden
Und schmerzt euch der Verlust so sehr?
Mich dünkt, ihr könnt sie nur nicht sehen,
Weil ihr die großen Dichter haßt;
Ihr laßt sie nicht mehr auferstehen,
Weil's eurer Prosa paßt.

"Die großen Dichter sind entschwunden"
Sucht ihr sie denn? wie wißt ihr's nur?
Wer hat sie jemals noch gefunden
Auf eurer Alltagspfade Spur?
Versteht ihr auch die mächt'gen Töne,
Wenn ihre Seele schmerzvoll ringt
Und in dem Drang nach ew'ger Schöne
Ein Lied den Sternen singt?

Ich aber weiß, daß still verborgen
Noch mancher flammend Großes sinnt
Und unter Mühen, unter Sorgen
Der Menschheit Höchstes weiterspinnt.
O glaubt, daß unsre Zeit sich lichter
Einst späten Enkeln offenbart;
So war's und bleibt es: große Dichter
Hat keine Gegenwart!

Notwendigkeit

O hofft es nicht, ihr träumerischen Dichter,
Daß einst sich mindre dieses Lebens Not,
Daß einst den Menschen rosiger und lichter
Anbreche stillen Friedens Morgenrot.

Wie mühsam auch die Menschheit an sich feile,
Sie bringt es nimmer doch zur Harmonie,
In stetem Hader leben ihre Teile
Und stets das alte Lied zerwühlet sie.

Was sie auch tue, fern den Fluch zu halten,
Von sich zu schütteln ihre bange Last,
Sie drängt sie nur in andre Gestalten,
Und nimmer winkt ihr labungsvolle Rast.

Ja, schwände Mord und Krieg von dieser Erde,
Verfeinert würd' auch unsere Natur,
Wir bebten so vor einer Mahngebärde,
Wie jetzt vor derben Keulenschlägen nur.

Ihr blickt bewegt zurück in finstre Zeiten,
Ihr seht das Volk von Pfaffenwut gehetzt,
Seht drüberhin Despoten blutig schreiten,
Und dennoch litt es schwerer nicht als jetzt.

Vielleicht, daß Zeiten kommen, wo mit Schauern
Ein Geist vom Ringen unsrer Tage schreibt;
Bis dahin mag nicht Krieg, nicht Knechtschaft dauern,
Allein das alte Weltenelend bleibt.

An ein armes Kind

Du heilig Kinderantlitz, schön umflossen
Vom Strahl der Jugend, zart wie Blütenschnee,
So viel des Lichtes über dich ergossen,
Ich les' in dir ein tiefgeheimes Weh.

Mir ist, du sprichst zu mir in einem Zuge,
Der fast dein holdes Bild entstellen will:
Was webt mein Schicksal? Steig' ich auf im Fluge?
Wie? oder kaur' ich abseits, ängstlich still?

Ich werde wachsen, werde dürftig reifen,
Doch nimmer nenn' ich mein, was andern blüht;
Mit keinem Finger werd' ich selig streifen,
Wonach im Herzen mir die Sehnsucht glüht.

Denn ich bin arm, schon mit dem Fluch geboren,
Der harten Not geweiht zu sein als Raub;
Mir ist die Herrlichkeit der Welt verloren
Und freudlos sink' ich einst zurück zum Staub! —

Entwölke dich! Weh dir! o weh uns allen,
Wenn in ein solches Kinderauge schon
Die dunklen Schatten dieses Daseins fallen
Und deines Alters Friede dir entflohn!

Entwölke dich! Du darfst dich reicher achten
Als all die Andern, deren Glück nur Schein,
Die heiß mit allen ihren Schätzen schmachten:
Du bist ein Kind — der Himmel ist noch dein.

So spiegle denn sein Licht auch voll und heiter,
Ein Evangelium zum milden Trost
Dem müden Wandrer, der sich schmerzvoll weiter
Durchs Leben ringt, von Wettersturm umtost;

Der schon erkannt und schon bewußt gelitten,
Der dir den Pfad, so bang und unerhellt,
Drauf du ihm folgen magst, vorangeschritten:
Den Pfad zur Überwindung dieser Welt.

Im Walde

Du, Wald, mit deinem Dämmern, deinem Rauschen,
Oft meines müden Schritts erquickend Ziel,
Nicht will ich heute deinen Stimmen lauschen,
Nicht folgen deiner Lichter buntem Spiel;
Noch durchs Gezweige, das mich überlaubt,
Die Ewigkeit erspähn, die ferne webt:
Ich senke, mich verschließend, still das Haupt
Und sinne, was in dir verborgen lebt.
Auf weichem Grunde ausgestreckt zur Rast,
Vertief' ich mich ins Nächste um mich her:
Da liegt vor mir ein abgefallner Ast —
O ist, was er mir weist, nicht rätselschwer?
Ich heb' ihn auf: die Rinde dürr und faltig,
Umwuchert Moos und saugt den letzten Saft,
Indes ein Schwarm von Tierchen, vielgestaltig,
Darunter wohnt und froh sich regt und schafft.
Und jetzt — wie ich das Völkchen aufgescheucht
Mit einem Risse in die Pflanzenhülle,
Da schwillt es gar zum Knäuel; das jagt und fleucht!
Wer nennt ein jedes dieser Überfülle!
Allein was find' ich vollends noch zuletzt,
Als prüfend ich das Holz entzweigebrochen:
Von ausgehöhlten Gängen ist's durchsetzt,
Und mitten drinnen, in das Mark verkrochen,
Haust wohlversteckt der Meister, nur ein Käfer!
Hinausgedrängt urplötzlich an den Tag,
Der ihn so unwillkommen stört, den Schläfer,
Verschlüpft er eilig sich so gut er mag.
Solch eine Welt auf solchem engen Raum!
Und weiter — hier, wo dürres Laub geschichtet —
Darf ich mich regen noch? Ich wag' es kaum.
Wer weiß, was meines Leibes Druck vernichtet!
Wie viel umschließt nicht schon das Fleckchen Erde,
Das meine ausgespannte Hand bedeckt!
Was keimt da heimlich nicht, damit es werde!
Was pulst und lebt nicht schon, zum Sein erweckt! —
O Fülle, ausgestreut allüberall!
Mit jedem leisen Druck zerstör' ich Leben,
Ein jeder Fußtritt tötet einen Schwall
Begier'ger Keime, die ins Dasein streben.
Kein Punkt, der ruht, rings drängende Bewegung
In nimmermüder Kräfte buntem Spiel;
Es faßt mich eine wundersame Regung
Und rufen möcht' ich bang: Zu viel! zu viel!
Mir fängt zu wimmeln an das weite Rund,
Durchhaucht, belebt in jeglichem Atom;
Das sprudelt, taucht empor und sinkt zu Grund
Im reißend jähen, mächt'gen Werdestrom.
Zu reich und wahllos schleuderst du, Natur,
Was du erzeugst, aus in den Strahl des Lichts;
Denn dieser Reichtum er besagt ja nur,
Daß jedes Einzelwesen, ach! ein Nichts.

Der Vesuv

Du ragst, ums Haupt ein Wölkchen glüher Dämpfe,
Tief schlummernd in den hellen Lichtazur,
Als ernster Zeuge für der Urzeit Kämpfe
Inmitten der entzückungsvollsten Flur.
Ein abgelebter, altersschwacher Riese,
Dem schon der Feueratem ausgegangen,
So stehst du da in einem Paradiese,
Vom schönsten Leben quellend rings umfangen.
Was du auch manchmal zuckend wirfst zu Tage,
Verspätet scheint es, ohne Wucht und Kraft,
Es trifft nicht mit dem alten Wetterschlage
Und stört das Leben nicht, das um dich schafft.
Die Lava überspinnen holde Blüten,
Zur Nahrung wird dein flücht'ger Aschenregen,
Und meinst du, ein Zerstörer, wild zu wüten,
Du bringst am Ende wider Willen Segen.
Gib Acht, stets höher klettert dir die Rose
Bis an des halb erlosch'nen Kraters Rand,
Und lugt hinein, entschmeichelnd mit Gekose
Den letzten Blitzstrahl deiner müden Hand. —
Ja, deine Zeit ist um! Vorbei, vorbei
Der brausende Tumult, der Kampf der Massen!
Und wie die Erde grünt, der Stürme frei,
Magst du dem Menschen nun die Herrschaft lassen.
Rang sich das Sein doch schwer genug empor
Aus träger Schwere, düstrer, öder Nacht;
Jetzt aber drängt es schon mit Flügeln vor
Dem Lichte nach, das ihm verheißend lacht.
Jetzt will das warme Leben sich entfalten
Und Zartes spinnen, Schönes emsig baun;
Jetzt will der Geist, der seelenhafte, walten,
Ein Herz will lieben und ein Auge schaun.
Siehst du das Treiben dort am Meeresstrande?
Die Häuser, Türme, hoch erhab'nen Male?
Siehst du die zauberisch geschmückten Lande,
Voll goldner Früchte rings von Berg zu Tale?
Was wuchs da auf im endlos weiten Raume,
Drin, ewig gleich mit der Äonen Flucht,
Sich alles dumpf bewegt als wie im Traume
Und kalt sich abstößt, da sich's kaum gesucht?
Ist nicht ein zweites Sein da hold entsprossen,
An Fülle reich, schnellpulsend, mannigfalt?
Ein Wunder, herrlich vor dir ausgegossen
In ewig sich verjüngender Gestalt?
Sieh's ohne Grollen und die Donner alle,
Die du bereit noch hast, sie bleiben stumm;
Wie fremd du staunst ob all dem bunten Schwalle,
Entwölke dich, denn deine Zeit ist um! —

Was klingt da an mein Ohr? Ein dumpfes Dröhnen;
Es wächst, es schwillt zu donnernder Gewalt;
Die Erde wankt und birst mit lautem Stöhnen,
Und Angstgeschrei von Tausenden erschallt.
Da gähnt der weite Schlund der Bergesspitze,
Rauchwolken steigen aus den Schauertiefen,
Und neues Schüttern, Donnergrollen, Blitze;
Die Mächte rasen, welche erst noch schliefen.
O wilder Drang, der in empörtem Hadern
Sich plötzlich schmetternd zu entladen sucht!
Vesuv, was tobt mit Eins in deinen Adern,
Rings treffend mit entsetzensvoller Wucht?
Der Tag erlosch vor deines Atems Qualm —
Soll diese Nacht des Erdballs Ende künden?
Was ist, erschrickt, es zuckt ein jeder Halm.
Da willst du selber dir die Fackel zünden,
Zu überschauen, was dein Zorn vollbracht;
Weit klaffst du auf und aus der Spalte dringt
Ein Feuerstrom voll schaurig wilder Pracht,
Der in Kaskaden in die Tiefe springt.
Bang fleucht das Meer, daß seine Wogen brausen,
Und wie, zersprengt, in immer größerm Ringe
Der Erde Schale klafft, bäumt sich's mit Grausen,
Daß es der durst'ge Abgrund nicht verschlinge.
Jetzt hageln Steine, Aschenflocken fallen
Und neue Finsternis deckt die Zerstörung;
Du, trotz'ger Riese, hast im Überwallen
Für keinen bangen Angstruf die Erhörung.
Schrill ächzt das Weib, es bangt der kühnste Mann,
Keins will sich sterbend auf den Trümmern betten;
Der Weise, der die tiefsten Rätsel sann,
Denkt jetzt nur Eins: das nackte Sein zu retten.
Die Liebe schweigt in all der Angst und Pein,
Der grimme Haß auch wird gar plötzlich still;
Der stolze Mensch schrumpft zum Geschöpfchen ein,
Das, gleich dem winzigsten, nur leben will.
Das ist ein schreckensirres Jagen, Hasten!
Wohin? wer weiß, wo noch die Rettung winkt?
Wahnsinnig wälzt der Knäuel sich ohne Rasten,
Bis eines um das andre müde sinkt.
Und immer dichter, schwärzer wirbelt's nieder,
Begrabend alles, was da sterbend ringt;
Laut hallt die Runde von den Donnern wieder,
Daraus die zornesvolle Mahnung klingt:

Vermiß dich nicht, o Mensch, in deinem Können,
Vermiß dich kecklich nicht in dem, was dein!
Mag noch so vieles das Geschick dir gönnen;
Dich zwingt die Urkraft, so wie alles Sein.
Wohl kannst du viel; du strebst, du läuterst dich,
Du läuterst die Natur, die um dich her;
In immer reicherm Schmuck erneut sie sich
Und wird durch dich zum Eden, segensschwer.
Du schaffst das Schöne, das um dich erglüht,
Du hegst, was reifend jedes Jahr dir bringt;
Doch mir ist das nur Flitter, der verblüht,
Wie Blumen, die die Braut ins Haar sich schlingt.
Erkenne meine Macht zusammenschauernd,
Wähnst du dich stolzen Dranges auch beflügelt;
Denn das Gesetz allein ist ewig dauernd,
Das mich im Tiefsten spornt und wieder zügelt!

Heiliges Leben

O ungeheures Triebwerk der Natur,
Arbeitend nimmermüde, ohne Ende!
Hier bange Schrecken, der Verwüstung Spur,
Dort Sonnenglanz und duft'ge Blumenspende.

Unzähl'ge Leben werden fort und fort,
Unzähl'ge Leben schwinden und zerfallen;
Ob dieses, alterssiech, gemach verdorrt,
Ob jenes stirbt in eines Andern Krallen.

Hinab, was muß! das Sterben ist ja nichts,
Da aus dem Staub der ew'gen Mächte Walten
Stets neu das Leben baut im Strahl des Lichts —
Hinab, was muß! wer wollt' es klagend halten!

Und dennoch — schau' ich in den bunten Schwall,
In all die Werdelust, das frohe Regen,
Ist mir wie heilig, was nur lebt im All,
Und will mir wundersam das Herz bewegen.

Als hätte jedes Kleinste, das da sprießt,
Sein eignes Los bedeutsam zu erfüllen,
Und jeder Blütenkelch, der sich erschließt,
Sein eigenes Geheimnis zu enthüllen.

So daß ich zucken müßte bang in Weh,
Würgt stündlich auch der Tod die Wesenreihen,
Selbst nur mit eines Fingers Drucke je
Den zart'sten Lebenstrieb dem Staub zu weihen.

Kosmisches Genrebild

Was treffen da mein Ohr für wirre Klänge?
Was ist entbrannt hoch oben in der Luft?
Die Vogelwelt in Aufruhr — welch Gedränge!
Das schießt hinauf, hinab, das schreit und ruft.
Unzähl'ge Schwalben streun sich aus im Blauen,
Um dann zum dichten Knäuel sich zu ballen;
Ich forsche hin: da segelt, klar zu schauen,
Ein Habicht, eine Beute in den Krallen.

Verfolgt, gezaust vom aufgeregten Schwarm,
Draus er so manches Opfer schon erlegt,
So schwebt er weiter, ohne Arg und Harm,
Den Blick im Kreise wendend unbewegt.
Welch einen Blick! so klar und unschuldsrein,
Ob stets empörter ihn die Schar umkreischt —
Ich schaudre bis ins tiefste Herz hinein,
Wie ruhig die Natur sich selbst zerfleischt.

Auf dem Anstande

Das ist ein Tag zur Jagd! O Waidmannswonne!
Von oben blitzt stets lichter schon die Sonne,
Und aus der Frühe weißem Nebelmeer
Steigt jetzt die Welt, hell schimmernd, groß und hehr.
Noch hat der Herbst das Leben nicht getötet,
Und ob der Bäume Laub schon leis sich rötet,
Die jungen Saaten sprießen grün und wogen,
Als wäre kaum der Lenz ins Land gezogen.
O kräft'ger Hauch der ersten Herbstestage,
Du stählst das Herz und weckst noch keine Klage! —
Ich stehe mit der Büchs' am Waldessaume,
Mein Auge schwelgt im sonnengoldnen Raume,
Mein Ohr jedoch es hat des Wildes Acht,
Das hier hervor soll aus des Waldes Nacht.
Wie mächtig pocht mein Herz! Bei jedem Rauschen
Halt' ich den Atem an, um tief zu lauschen.
Ja, ja, das aufgescheuchte Reh es muß
Durch diesen Schlag anspringen meinem Schuß. —
Die Hunde regen sich, ein laut Gebell
Dringt an mein wachsam Ohr. Jetzt hurtig schnell —
Und gut gezielt! Da gibt es eine Beute! —
Nicht doch! in andrer Richtung jagt die Meute. —
Wie eigen! — sag' ich mir und senke wieder
Die schon zum Schuß erhobne Büchse nieder —
Wie kann es uns so helle Freude wecken,
Das freie Tier des Waldes hinzustrecken?
Ja, unsre Väter aus uralter Zeit
Sie taten's auch; sie aber zwang der Streit
Mit bitterm Mangel, mit des Lebens Not.
Da ward zur Nahrung, was die Runde bot,
Da galt es, gen den Ur, den Wolf, den Bären
Der eigen Haut sich starken Arms zu wehren;
Es war ein Muß, von harten Müh'n begleitet:
Wir haben uns daraus ein Fest bereitet. —
Was ist mir? der Gedanken müßig Schweifen
Wird Ernst; es will mich wundersam ergreifen
Und weiter frag' ich mich: So weich mein Sinn,
So leicht bewegt von fremdem Leid ich bin,
Wie kommt's? ich kann ein brechend Auge schauen
Und schau' es lusterglüht und ohne Grauen.
Dräut mir denn nicht sein letzter matter Strahl,
Als zuckte mitgetroffen bang in Qual
Das Herz des Alls, die tiefgeheime Kraft,
Die alles, was da sprießt und lebt, erschafft?
Weiß ich es selbst und hab' ich es ergründet
Wie ich fürs rauhe Waidwerk mich entzündet? —
Die Hälfte unsers Tuns ist nicht Natur,
Nachahmend tappen wir auf Andrer Spur,
Vernunft und Herz sie kommen schwer zu Wort,
Und jeder, wer es sei, schleppt fort und fort
Am Wahne, den der langen Zeiten Lauf
Allmählig riesengroß getürmt zu Hauf.
Zieht nicht der Mensch auch flammend in die Schlacht,
Der sorglich an des Kranken Lager wacht?
Und schleudert er mit nimmermüder Hand
In seiner Brüder Reihen Tod und Brand,
Und siegt er blutig, ist's der Jubel nicht,
Der ihm in Tränen aus dem Auge bricht,
In Dankestränen, die dem Herrn er weint,
Da er ein glorreich Werk vollendet meint? —
Unsel'ge Menschheit — Halt! was war das? hier!
Zehn Schritte kaum: ein Reh sprengt durchs Revier.
Vergebens schöß' ich noch — zu spät! vorbei!
Wer jagt, der grüble nicht! — So sei denn frei,
Du schlankes Tierlein! Lust sei dir beschieden
Und aller Welt verkünde Glück und Frieden!

Birschgang

Gern wandl' ich mit der Büchse ganz allein
Im Herbstesschauer durch den Buchenhain.
Jetzt ist es still, nur kaum ein Atemzug,
Vorüberschwirrend eines Vogels Flug;
Jetzt ächzt der Wind und rieselnd von den Bäumen
Fällt welkes Laub — ich wandle fort in Träumen.
Das wunderbare, tiefgeheime Leben,
Die Geister alle, welche ringsum weben,
Sie fassen mich, daß ich mich drein versenke,
Wie nach der Spur des Wilds den Schritt ich lenke.
Im Banne der Natur stehn die Gedanken,
Ich lausche, wie die Blätter niederschwanken
Und leise knisternd sich zu Grabe legen;
Das Kleinste will die Seele mir bewegen.
Auf Beute bin ich längst nicht mehr bedacht,
Nur was der Zufall mir vors Rohr gebracht,
Drauf leg' ich an und weiß nicht, daß ich's tue;
Erkracht mein Schuß dann durch die tiefe Ruhe,
Weck' ich mich selber mit dem jähen Knall,
Und lauschend bebt der Wald im Widerhall.
Was spielend ich mit leichtem Sinn begonnen,
Wird meiner Seele zum Erquickungsbronnen.

Aus der Urzeit

Zerrissen ragt aus weitgedehntem Meer
Das Inselland, um welches Dünste qualmen;
Hochstämm'ge Wälder rauschen drüber her
Von Nadelhölzern, Farrenkräuter, Palmen.
Erloschen ist der Erde quellend Feuer
Und alles ringt nun nach Gestalt und Leben;
Doch was da treibt und wird, ist ungeheuer
Im gier'gen Durst und ungeschlachten Streben.
Aufwuchert riesengroß die Pflanzenwelt
Und Riesentiere stehen auf im Kreis:
Der Fisch, der brausend durch die Wasser schnellt,
Das Krokodil, der Schleicher träg und leis,
Der grimme Drache in der Wälder Nacht,
Gewalt'ge Spinnen, auf der Lauer liegend,
Und, ob auch schlecht zum leichten Flug gemacht,
Eidechsen, seltsam durch die Lüfte fliegend.
Am Stoff sich übend in der jungen Zeit,
Tappt die Natur noch zu mit plumpem Schwanken,
Und in der schweren Massen rohem Streit
Hat noch nicht Raum der webende Gedanken.

Am Meere

                        I.

So bist du wirklich, Meer!
Mir war's vergönnt: ich steh' an deiner Küste,
Vor mir die ungeheure Wasserwüste,
Wie die Unendlichkeit, ernst, groß und hehr.
Du bist! ich schaue dich erbebend,
Ich schaure in deinem Bann;
Kaum wagt noch das Auge, vorwärtsstrebend,
Zu messen, wie weit es kann.
O fassen dich denn die Gedanken,
Wie oft dich auch die Sehnsucht nennt,
Eh' du zu schauen sonder Schranken,
Urew'ges Element?
Sieh, stets getragen vom festen Land,
Fortschreitend auf verschlung'nen Bahnen,
Um mich stets ragender Berge Wand,
Vermocht' ich dich auch nicht zu ahnen.
Doch jetzt — o Wandel! — die Blicke frei,
Als ob die Welt zerflossen sei,
Zerflossen in leichten Wellenschaum,
Und alles Andre wär' ein Traum.
Wie dehnst du dich, Meer, so endlos gleich,
Und doch am entzückendem Wechsel so reich!
Einst bist du, allumfassend groß,
Einförmig aber nicht,
Bald dunkel wogend mit dumpfem Getos,
Bald spiegeleben im schimmernden Licht.
Gleichwie der große Meister der Töne
Dieselbe Melodie
Entfaltet zu immer neuer Schöne
In wechselnder Harmonie:
So beutst du immer ein neues Bild,
Und bist doch immer du;
Und zwischen deinem Grollen, wild,
Und deiner unbewegten Ruh,
Was liegt da nicht!
Ein Strahl nur, der vorübersäuselt
Und leise deine Fläche kräuselt,
Verwandelt schon dein Angesicht.
Einförmig bist du nicht.
Ich schaue und schaue mit trunkenen Blicken,
Stets mächtiger willst du mich bestricken;
Die Seele dehnt sich,
Die Seele sehnt sich,
Die schillernde Fläche zu umspannen,
Sie fliegt mit dem schweifenden Augen von dannen,
Sie strebt, sie drängt, sie irrt,
Bis daß sie, selig verwirrt,
Von Schwindel ergriffen, erinnerungslos,
Zerrinnt in des Unendlichen Schoß.

                   II.

O wäre deine Tücke nicht!
Du liegst, als schliefst du, unbewegt
Vor mir im hellen Silberlicht,
Nicht eine Welle, die sich regt.
Da muß ich träumen, gar lieblich träumen,
Selbst eingelullt in süße Ruh;
Fort eil' ich nach nie geschauten Räumen
Und eile träumend immer zu.
So arglos wie du scheinst und still,
Du trügst gewiß mich gerne
Fort in die weite Ferne,
Wohin mein Sehnen immer will.
Wie schwämm' ich leicht dahin auf dir
Bis an den fernsten Strand!
Und sieh! das Schönste pflückt' ich mir
Mit freuderascher Hand.
Und wo mir's gefiele, da wollt' ich weilen
Und selig ruhn; dann wieder eilen,
Auf deiner stillen Fläche gleiten
Nach immer neuen lockenden Weiten.
Du trenntest? Bist du nicht eine Brücke?
So trage mich stets zu neuem Glücke!
Die Flut, die hier den Fuß mir berührt,
Sie ist's, die um den Erdball führt.
Wie das die Gedanken bestrickt!
Stets tiefer eingenickt,
Spinn' ich die Traumesfäden um die Welt
Und Bild taucht auf, dem Bild gesellt.
Hier zauberhaft ein Palmenland,
Umsäumt vom gelben Wüstensand;
Dort eine Stadt mit Turmesspitzen,
Die hell im Sonnenbrande blitzen.
Doch jetzt — wie gähnend schüttelst du dich,
Und jetzt — wie grollend rüttelst du mich;
Aufspring' ich, Gewölk verdunkelt das Licht —
O wäre deine Tücke nicht!

Die Geister des Waldes

Hast du die Geister des Waldes gesehen,
Hast du die Geister des Waldes vernommen,
Wenn du geruht in seinem Wehen,
Träumend, in stillen Gedanken erglommen?
Alles erregt dich,
Alles bewegt dich,
Jetzt ein Säuseln, ob noch so sacht,
Jetzt ein Gesang aus des Laubwerks Nacht;
Alles bewegt dich, ein fallendes Blatt,
Auch nur das Stäubchen einer Blüte,
Welche Gewalt da das Kleinste hat,
Widerklingend im tiefsten Gemüte! —
Sage, was denkst du?
Warum senkst du
Wie in Schwermut sinnend das Haupt?
Denkst du der Lieben, die längst dir geraubt?
Leise schüttelt die Zweige der Wind,
Nur ein Hauch ist's, flüchtig geschwind;
Aber du schauerst, wie nun das Licht
Zitternd das schwankende Laub durchbricht.
Dort aus den hüpfenden Schatten der Rüstern
Treten die Toten, an die du gedacht,
Und ein Atmen, ein heimliches Flüstern
Faßt dir die lauschende Seele mit Macht.
Jetzt entfleucht die Schar, wie die Äste
Wechselnd Licht und Schatten streun;
Doch stets neue luftige Gäste
Wollen dir wechselnd den Spuk erneun.
Kehrst du dich ab, was mag es dir frommen?
Mächt'ger nur wird es dich überkommen;
Drückst du die Hand auch vor das Gesicht,
Alles vergebens, es rettet dich nicht,
Allzu lebendig wird's im Kreise —
Was nur ist's? Hier — dort — ganz leise —
Welch ein verstohlenes Rascheln und Rauschen!
Immer und immer mußt du lauschen.
Jetzt — knapp hinter dir —
Zitternd meinst du schier,
Daß sich eine Hand dir still
Auf die Schulter legen will.
Schauernd siehst du dich um:
Niemand — alles stumm.
Und aufs neue beginnt das Walten,
Ringsum huschen die Schattengestalten,
Lispelnde Stimmen im leisen Chor
Singen dir, neckend, verwirrend, ins Ohr:
Freund, was sinnst du,
Freund, was spinnst du
Hier, wo gesteigert das tiefste Leben
In der Natur geheimstem Weben? —

Hast du die Geister des Waldes gesehen,
Hast du die Geister des Waldes vernommen,
Wenn du geruht in seinem Wehen,
Träumend, in stillen Gedanken erglommen?

Die Nacht

Die Welt im Schlafe, ausgelöscht die Lichter,
Was einzeln strebte, löst sich jetzt ins All;
Die Nacht umspinnt die Runde immer dichter
Und alles still, nicht einer Stimme Schall.

O wie ergreift mich dieser Stille Wehen!
Wie viel verkündend ist mir die Nacht!
Ich schaure und mir ist, ich müsse spähen,
Was in des Daseins Tiefen aufgewacht.

Es zieht die Nacht allmächtig meine Seele,
Sie zieht mein ganzes Selbst in ihren Bann;
Mir ist, wie viel ihr dunkler Schoß verhehle,
Daß doch nur sie die Leuchte bringen kann.

Das Leben, das am Tag vorbei mir rauschte,
Wie blendend es in seiner bunten Zier,
Wie viel beweglich Blick und Wort es tauschte,
Auf keine Frage gab es Antwort mir.

Das Licht, das über alles sich ergossen,
Erhellte mir doch nicht der Dinge Kern,
Die Rätsel alle ließ es unerschlossen,
Und ewig sah ihr Ziel die Sehnsucht fern.

Mehr sagt der Tod mit seinem starren Schweigen,
Was hinterm Leben tief verborgen liegt,
Als dieses selbst, wenn es ihm bunten Reigen
An unserm Auge rasch vorüberfliegt.

Mehr zeigt die Nacht in ihrem dunklen Schleier,
Als wie der Tag, des Schein nur irreführt;
Die Nacht, das ist die wundersame Feier,
Wo uns ein Hauch von jenseits sanft berührt.

Wie allgemach in Schlaf und Nacht versunken
Eins nach dem Andern, was im Kreise lebt,
Geht uns durchs Innre als ein flücht'ger Funken
Die Ahnung, was geheim der Weltgeist webt.

Die Schwalbe

Du muntre Schwalbe unter meinem Dach,
Aus fernem Süden mein geliebter Gast,
Schon mit dem Morgengrauen zwitschernd wach,
Und dann ins Luftmeer segelnd ohne Rast:

Du schießest fort — bist du es selber noch?
Ist's eine Andre, die dort oben schwebt?
Kaum folg' ich dir; allein ich weiß es doch,
Du kommst herab, wie weit du fortgestrebt.

Hätt' ich nur Flügel, Flügel so wie du,
Ich tät' es auch dir gleich, die Brust voll Glück;
Durch alle Fernen strebt' ich immer zu,
Doch riefe mich stets neu mein Heim zurück.

Ist mir's denn nicht, als zög' ich mit dir aus?
Du knüpfst mich an die weitgedehnte Welt,
Und mit dir such' ich wieder dann das Haus,
Das dich wie mich in festen Banden hält.

Und ob dein Fittig alle Höhn durchstrich,
Und fliegst du aus so weit der Himmel blaut:
Du bleibst mit treu und sieh, ich halte dich
An diesem Punkt, wo du dein Nest gebaut.