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Ein kleines Lied — wie geht's nur an,
Daß man so lieb es haben kann,
Was liegt darin? Erzähle!

Es liegt darin ein wenig Klang
Ein wenig Wohllaut und Gesang
Und eine ganze Seele.

   
Marie von Ebner-Eschenbach
 

Lieder
 

Morgengang
Am Wasserfalle
Bäumchen der Heide
Muse, hör' ich deinen Schritt?
Wiederkehr
Maria
Bergauf
Gesang der Inselgeister
Einer Griechin
Seelieder
Scirocco
Genesung

Morgengang


Vorüber ist die Wetternacht
In schwerem Flug gezogen,
Der Tag erwacht in junger Pracht
Und Morgenlüfte wogen.

Die Wolken fliehn im Windeslauf,
Die Nebel — sie zerrannen —
Zum wunderblauen Himmel auf
Wie ragen stolz die Tannen!

An ihrer Zweige dunklem Grün
Viel tausend Tropfen hangen
Und gleich Demanten funkelnd glühn —
Die feuchten Gräser prangen.

Wie ein beglücktes Menschenkind
Nach schwer empfundnem Grame
Sich mählich auf die Lust besinnt,
Die neue, wundersame —

So schaut, vom Tränenglanz verschönt,
Den jungen Tag die Erde,
Als wär‘ von neuem ihr ertönt
Das Schöpfungswort: "Es werde!"

Am Wasserfalle

Entstürze dem Felsen in stürmender Lust,
Durchbrich all die hemmenden Schranken,
Wie sieghaft sich ringen aus menschlicher Brust
Die mächtigen, kühnen Gedanken!

Erwecke die Erde, befruchte das Land,
Laß lächelnde Blumen erstehen,
Umschling als ein Segen verbreitendes Band
Die Welt, um im All zu vergehen!

Ein Hoch dir, du klares, du herrliches Naß,
Gegrüßt sei dein freudiges Rauschen!
Enteile in schimmernden Wellen und laß
Mein Herz und die Bäume dir lauschen.

Bäumchen der Heide

Du Bäumchen, entsprossen
Dem Felsengestein,
So fern den Genossen
Im grünenden Hain,

Wie magst du entfalten
Die Blättlein so lind,
So schutzlos im kalten,
Hinbrausenden Wind?

Er hat dir die Zweige
Gekrümmt und entlaubt,
Daß dornig sich neige
Dein leidendes Haupt,

Daß selber sich schütze
Dein wehrloses Sein
So schwach, sonder Stütze,
Verlassen, allein!

Du Bäumchen der Heide,
Ich möchte dich sehn,
Wenn fern auf der Weide
Die Blumen erstehn,

Wenn wach küßt die Auen
Der Lenzsonnenschein
Und öd' ist zu schauen
Dies Steinfeld allein!

Da prangst du in zarten,
Weißblühendem Flor
Aus düsterem, harten
Gesteine hervor,

Ein Lenzgruß der Heide,
Der einzig sie schmückt,
Ein Lächeln im Leide,
Ein Traum, der beglückt!

Muse, hör' ich deinen Schritt?

Muse, hör' ich deinen Schritt
Durch des Waldes Rauschen?
Teilst du mir ein Rätsel mit,
Darf ich es erlauschen?

Ja, du bist's! es gibt dich kund
Mir ein süßes Beben —
Doch ich seh' dich auf den Mund
Deinen Finger heben.

Leis' berührt mich dein Gewand
Im Vorüberschweifen
Und ich fühle deine Hand
Übers Haupt mir streifen.

Und ich bin zu dieser Stund'
Stillbeglückt dein eigen,
Kann auch lächeln nur mein Mund,
Lächeln nur — und schweigen.

Wiederkehr

Hier ist's, am waldigen Felsenhang,
Die kühle, moosige Schlucht entlang,
Wo halb verschleiert von Zweigen
Noch schöner die Lande sich zeigen —

Hier war's, wo in lieblicher Einsamkeit
Die Stunden mir in entschwundener Zeit
Im duftigen Dämmer der Tannen,
In Sinnen und Schaffen verrannen.

O seid mir gegrüßt, Gesträuch und Gestein!
Will wieder von euch umfangen sein,
Sollt' freundlich den Blick beschränken,
Zurück in das Herz ihn lenken.

Schon flüstert und winkt von Baum zu Baum
Hernieder auf mich der einstige Traum
Und läßt unterbrochne Gedanken
Empor an den Zweigen sich ranken,

Schon spielt das irrende Sonnengold
Mit Schattengebilden heimlich und hold,
Ich sehe geträumte Gestalten
Sich still zum Werden entfalten.

Maria

Wie du, tief in Sehnsucht schmachtend
Nach Vollendung, nach dem Licht,
Deinen eignen Wert nicht achtend
Rührend bist — du weißt es nicht.

Steh' ich doch wie auf der Schwelle
Festgehalten fromm und traut
Einer stillen Waldkapelle,
Seit ich dir ins Herz geschaut.

Wie die Jungfrau in dem Drange
Ehrfurchtvoller Zärtlichkeit
Vor das milde, schwermutbange
Bild Madonnas Blumen streut —

Also ward mein Sinn zu eigen
Deinem Wesen hold und licht,
Muß sich vor der Hoheit neigen,
Die aus deiner Demut spricht.

Bergauf

Mit wagendem Mut
Entgegen der Flut,
Bekämpfend allein
Geröll und Gestein,
Nach flüchtiger Rast
Mit freudiger Hast
Die jährliche Bahn
Hinauf, hinan!

Die Hoffnung bewegt
Das Herz, das sie hegt
An jeglichem Tag
Mit kühnerem Schlag
Des Zieles bewußt,
Entsagend mit Lust,
An Allem vorbei,
Wie hold es sei!

Die Seele wie weit,
Wie sieghaft im Streit!
Die Zukunft wie schön
Auf leuchtenden Höhn!
Unsägliche Lust,
Hochatmende Brust!
Die Schranke, sie weicht —
Erreicht! erreich! — —

Wie still! wie dir bangt,
Zum Ziele gelangt,
In schweigendem Harm
So wunschlos, so arm —
Zu sehnlichem Drang,
Zu Hoffen und Sang,
Zur Freude, zum Schmerz
Geschaffenes Herz!

Gesang der Inselgeister

Willst du in der Stille lauschen,
Was des Flusses Wellen rauschen,
Ruhend auf dem Wiesenhang,
Über dir der Vogelsang,
Unter alten Lindenzweigen,
Die sich duftend niederneigen —
Stoß vom Strande, folg dem Wind,
Komm herüber, Menschenkind!

Laß dir lind die Schläfen kühlen,
Finstere Gedanken spülen
Losgelöst von dir hinan
In das tiefe Wassergrab.
Hold' Erinnern, süßes Sinnen
Helfen wir dir weiter spinnen,
Doch am Strande hinter dir
Laß auch jegliche Begier.

In dich selbst zurückgezogen,
Eingesungen von den Wogen,
Abgetrennt durch unsern Arm
Von des Lebens Drang und Harm,
Fühlst du Liebe dich umfächeln,
Frieden auf dich niederlächeln,
Wachst in sel'ger Traumesluft,
Träumst, des Daseins klar bewußt.

Einer Griechin

Du kommst heran mit leichten, scheuen Tritten,
Ein Blütenblatt, vom Süden hergeweht,
Und blickst so schwermutsvoll umher, inmitten
Des Volks, das deine Sprache nicht versteht.

Ich kenn' sie nicht; doch auf dem Lebensgange
Empfind ich oft mich einsam, fremd wie du:
Mir ist bei deiner Stimme weichem Klange,
Als rief ein Herz den Schwestergruß mir zu.

Seelieder

I.
Aus Wassern stiegen die Lande
Einst jungfräulich empor;
Es keimt' am feuchten Strande
Der erste Blumenflor.

Auf Wassern kam gezogen
Der große Todestag,
Da unter entfesselten Wogen
Die Welt begraben lag.

Zu Wassern zieht's zu den Wellen
Mit Macht das Menschenkind;
Es sieht sie schwinden und schwellen,
Weiß kaum, worüber es sinnt.

Was ist sein Empfinden und Wähnen?
Ein neuer Werdedrang?
Ein tiefgeheimes Sehnen
Nach stillem Untergang?

II.
Wie fern ein Ruderschlag
Unzähl'ge Wellenkreise
Vom Wasserspiegel leise
Ans Ufer treiben mag,

Wie alle Flut gelind
Der Regung sich verbündet
Und weiter sie verkündet,
So du auch, Menschenkind.

So flutet durch dein Sein
Des ganzen All's Bewegung,
Und du, in stolzer Regung,
Du wähnst, du sei'st allein!

III.

Wohin? wohin? zu eng der Raum
Den wild empörten Gewalten!
Aus Schlünden hebt sich der weiße Schaum
Gleich drohenden Geistergestalten.

Sie jagen dahin wie ein Fieberwahn,
In bitterem Leid entstanden
Auf grausig zerklüfteter Wasserbahn
Zum Land, wo sie stöhnend branden.

Wie drängt, wie stürmt sie himmelwärts,
Die Flut mit Titanengebärden!
Es weichen die Schranken: ist der Schmerz
Die höchste Gewalt auf Erden?

IV.
Frieden! von dem Himmelsrande
Weicht das letzte Abendrot
Und es ruhn die stillen Lande
Schlafend, traumlos — fast wie tot.

Nur das Wasser teilt den dunkeln,
Tiefen Schlag der Erde nicht,
Spiegelt, wenn die Sterne funkeln,
Hehr des Himmels Angesicht.

Scirocco

Die Erde ruht im Nebelgewand
Erstarrt im herbstlichen Schauer,
Da kommt ein Hauch aus südlichem Land
Und weckt sie aus dumpfer Trauer.

Den Schleier, der längst ihr Antlitz deckt,
Versucht er, kosend zu heben,
Auf ihren erblaßten Zügen weckt
Sein Kuß das fliehende Leben.

Sein glühender Atem löst den Tau,
Er löst die erstarrten Tränen,
Es heben die letzten Blumen der Au
Ihr Haupt in süßem Sehnen.

Die Nebel zerrinnen — in Abendglut
Errötend in herrlichem Prangen,
Wie lächelt die Erde mit frohem Mut,
Von schmeichelnden Lüften umfangen!

Mit leisem Gruß versäuselt der Wind,
Sie schließt die Augenlider
Zu lieblichem Traum; die Nacht verrinnt,
Da schüttelt ihr Frost die Glieder . . .

Wie naht der Morgen so grau und kalt!
Zerrissene Nebel steigen
Empor im stummen, entlaubten Wald,
Die Lüfte schauern und schweigen.

Die Erde hat nicht Tränen mehr,
Es strich sie der Wind von den Auen;
Nun starrt sie trockenen Blicks umher,
Den eigenen Tod zu schauen.

Vorbei! es waren am Todessaum
Aufflackernde Lebensflammen,
Und Hoffen und Sehnen und Blütentraum —
Sie stürzen in nichts zusammen!

Genesung

Mit dem frischen Drange
Tief erneuter Kraft
Lösest du die bange,
Durchgelitt'ne Hast,
Füllest nach dem Leide
Höher mir die Brust,
Holde Daseinsfreude,
Süße Lebenslust!

Neu mit mir dem Quelle
Alles Seins enttaucht,
Scheint die Welt von Helle,
Schönheit mir durchhaucht,
Und verjüngten Blickes
Seh' ich ringsumher
Freundlichen Geschickes
Lächelnde Gewähr.

Schweigend harrt die Erde
Noch im Schneegewand,
Daß ein leises "Werde!"
Töne durch das Land,
Immer lauter klingend
Himmelan, zum Grund,
Alles Sein durchdringend,
Jedem hold und kund.

Was da lebt, gibt offen,
Wie des Menschen Sinn,
Sich dem süßen Hoffen
Neuen Frühlings hin,
Jedes Jahr enthüllend,
Was er uns verhieß,
Niemals  g a n z  erfüllend,
Was er ahnen ließ!