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Quelle:
Neue Gedichte
Marie von Najmájer
Stuttgart 1891
Verlag von Adolf Bonz & Comp.
Es gehören eine seltene Spannkraft des Geistes,
eine nie getrübte Grazie und eine wunderbare
Leichtigkeit dazu, um über den Sumpf der Alltäglichkeit
fleckenlos dahinzuschreiten gleich jener Camilla, der
Amazone Virgils, welche über die tauigen Halme
schwebend hüpfte, ohne sie zu knicken oder den Fuß
zu benetzen.
Eduard Hanslik.
I. Aus vergangenen Tagen
Camilla Gedenkblätter
Begegnung
Warum?
Komm zu mir!Scheiden
Stromaufwärts
UnverlorenEin Osterfest
Nachruf
Begegnung
Enge hält des Hauses Terrasse Menschen,
Fremd und vielverschied'nen Gemüt's vereinigt;
Eng auch scheint ihr Sinn, die des Zufalls Laune
Führte zusammen,
Und sie brachten Anderes kaum mit sich, als
Nur den Alltag, thronend auf allen Mienen.
Ach! wie bang wird bald mir zu Mut, gleichviel, ob
Stetig sie plaudern.
Solches, was von selbst sich versteht, und solches,
Was sie leider selbst nicht verstehen, oder
Ob sie kalt — neugierige Blicke ringsum
Schweigend entsenden.
Mächtig drängt mein Herz mich hinaus, zur Freiheit,
Wo das Hochland ladet zu weiter Aussicht.
Hellweiß ziehen über den dunklen Waldgrund
Scheidende Nebel,
Und die Sonne lächelt auf Römergräber,
Wo behaglich weiden die braunen Kühe;
Lebensfreudig tummeln sich frei die Rosse
Über die Wiese,
Auf dem Berghang, dessen uraltes Felswerk
Spuren allwärts trägt von antiken Rädern,
Wo einst machtvoll rollten der Römer Wagen,
Klettern die Ziegen. —
Einsam bist allhier du und frei, und dennoch
Unbefriedigt, wogendes Herz, noch immer!
Denn hier atmest du nur allein, kein lebend
Sein, das dich anspricht.
Berge, habt ihr keine Erinn'rung? wär' sie
Fern und traumhaft auch, wie des Wölkchens Schatten
Flüchtig gleitend über den Fels, wie dort, gleich
Einer Erscheinung —
Ist dies wirklich eine Gestalt? wie schwebt sie,
Wie so zwanglos wallt ihr Gewand, als hätten
Schönheit nur, Gesittung und Maß geherrschet
Immer auf Erden!
Leichten Ganges, königlich edler Haltung
Wie ein holder Traum der Antike, kommt sie
Näher über felsige Höhn herab, voll
Blumen die Hände.
Wen'ge blüh'n hier, aber sie fand sie alle;
Disteln, Gräser ordnete sie zu Zierrat,
Und es ist, als lächelten sie bei ihrer
Hände Berührung.
Ja, sie ist es, die mit der Stimme Wohlklang,
Süß und machtvoll, früher schon mich bestrickte.
Kam dies Weltkind her in die halbe Wildnis,
Freiheit zu atmen?
Nicht vermocht' der glatteste Schliff zu hemmen,
Was ursprünglich eigen ist diesem Wesen!
Immer herzerquickend in seiner Ganzheit
Ist es geblieben.
Spiegel ewig wechselnden Seins, du Antlitz
Schalkhaft freundlich, königlich stolz und wild und
Lieblich, warm und kalt — ach, wie Vieles gibst du
Mir zu enträtseln!
Sieh! schon kommt sie nahe; weshalb denn lächelnd
Bleibt vor mir sie stehen? errät sie, was ich
Fühle — weiß sie, was ich ja selbst nicht wußte —
Daß ich suchte?
Warum?
Warum du vermagst, mich zu zügeln
Mit leichter, mutwilliger Hand,
Warum deinen gaukelnden Flügeln
Mein träumender Sinn sich verband,
Und wie mir durch dich ist geschehen,
Und was uns're Herzen verflicht —
Ach! könnt' ich es fassen, verstehen,
So wär' es ein Zauber ja nicht!
Komm zu mir!
O wende nicht dich ab von mir
Mit Augen tränenschwer!
Zog schöne Freude mich zu dir,
So tut's das Leid noch mehr.
Nicht frag' ich, was die süße Lust,
Der Stimme Klang dir nimmt:
Es ist die reiche Menschenbrust
Am leichtesten verstimmt.
O schweig' nur still! doch wenn ein Bann
Dich ungewohnt bezwingt,
Wenn, was dich sonst erfreuen kann
Mit holdem Schein, versinkt,
Wenn unter einer Seelenlast
Dein froher Mut entwich —
So komm zu mir zu stiller Rast
Denn sieh — ich liebe dich.
Scheiden
Stille Luft läßt wunderklar
Alle Fernen sehen,
Schöner als es jemals war,
Will das Land erstehen.
Hörbar ist der fernste Laut,
Alle Winde schweigen,
Weit Getrenntes will sich traut
Zu einander neigen.
Wo die Sonne ging zu Tal,
Schwarze Wolken hangen,
Fernhin zuckt ein Blitzestrahl —
Rings Gewitterbangen.
Also sind, wie nie, wir warm
Herz an Herz gedrungen,
Halten uns in stillem Harm
Schweigend lang umschlungen.
Und jedweder Seelenlast
Einigt sich uns Beiden
Süß und bang und schmerzlich traut —
Denn wir müssen scheiden.
Nimmer werd' ich, holdgesinnt,
So dich wiedersehen,
Nimmer wirst du, Elfenkind,
Dieses Herz verstehen,
Wenn sein ungestümer Schlag
Nicht mehr dir erzählet,
Was es selber leiden mag,
Wenn es And're quälet.
Wie ins Haar ein Röselein,
Das du hier gefunden,
Flichst Erinnerung du ein
An verfloss'ne Stunden.
Doch in meinem schweren Sinn
Wird sie Wurzel schlagen,
Und ich werd' durchs Leben hin
Dein Gedenken tragen.
Stromaufwärts
Die Wolken ziehn zum Tale,
Es eilt dahin die Flut,
Von wo im Morgenstrahle
Ich schied mit trübem Mut.
Mit Wolken möcht' ich fliehen
Und mit des Stromes Lauf —
Und muß doch vorwärts ziehen,
Den steilen Berg hinauf.
Die Lüfte treibt's, die Wogen
Nach einem Ziel allein,
Und ew'ge Mächte zogen
Die Bahnen ihrem Sein.
Ach! g e g e n sein Verlangen
Und g e g e n Strom und Wind,
Das Herz voll Sehnsuchtsplagen,
Zieht nur das Menschenkind!
Unverloren
Ein Ahnen geht durch Herbstesklagen: Aufersteh'n!
Es muß, was diese Welt getragen, auferstehn,
Und wär's begraben noch so tief im Erdengrunde.
Wie Geister, einst im Kampf geschlagen, auferstehn,
Wenn ihre Zeit erscheint und ihre große Stunde,
Wie Gläubige in wenig Tagen auferstehn
Den Herrn der Liebe sahn mit seiner Seitenwunde,
Wie tausend Frühlingsstimmen sagen: "Auferstehn!"
Zu Baum und Strauch und Halmen in der Runde —
So fühlst auch du mit Lust und Zagen: auferstehn,
Mein Herz! wird auch dein Lieben, deine Frühlingskunde,
Was je du tief in dir getragen — auferstehn!
Ein Osterfest
Der starre Winter wich dem Sonnenkuß,
Im Hauch des Lenzes knospte Blüt' um Blüte,
Da sandtest du mir einen Ostergruß
Aus mild versöhntem, freundlichen Gemüte.
"Wie alles blühend jetzt entsproßt dem Grund,
Was stumm die Erde tief in sich getragen,
So werde meine Liebe neu dir kund
Im Frühling, in den hellen Ostertagen.
In deinem Sinne will ich auferstehn,
Denn immer schlägt mein Herz dir warm entgegen,
Und bis wir einst uns freudig wiedersehn,
Sei Gott mit dir auf allen deinen Wegen!"
—Und an des Osterfestes Morgenrot,
Als feierlich die ersten Glocken klangen,
Und deine Botschaft kam — — — da warst du tot!
Ich hatte deinen letzten Gruß empfangen.
Nachruf
Gramvoll, tief verdüsterten Herzens wandl' ich
Trauernd hin; es blüht mir umsonst die Erde,
Die sich jüngst als Grab über Teures, ach! für
Immer geschlossen.
Ein Empfinden bleib mir zurück, nur eines:
Daß du spurlos gingst, daß die Flamme jählings
Dich dem Sein entriß, daß ich nie mehr, nie mehr
Nie mehr dich sehe!
Ach! nicht Worte spiegeln von dir, nicht Taten
Wieder, was dein Eigenstes war! kein Sommer,
Reich an Frucht, ein ewiger Frühling warst du,
Ewig verloren!
Leise wiegt belebender Hauch des Morgens
Rings um mich die blühenden Fliedersträucher;
Und mir ist, als schwebtest du aus den Büschen
Hold mir entgegen.
Lächelnd nahst du, Blumen in deinen Händen,
Wie ich einst auf Bergen dich sah; dann fassest
Du mein Haupt und richtest es auf und blickst mir
Ernst in die Augen.
"Also denkst du," sprichst du mit sanftem Vorwurf,
"Meiner Wünsche, wie ich für dich sie hegte?
Freude, sagst du, gab ich dir einst! ich will sie
Immer dir geben.
Nicht in dumpfer Trauer gedenke meiner!
Wie! daß, ungebeugt von der Last des Alters
Noch das Haupt, ich schwand aus des Lebens Mitte,
Willst du beklagen?!
Nachempfunden, was ich gelitten willst du?
Klagt' ich denn? und hab' ich nicht überwunden?
Nicht so klein gedenke des Sinns, der endlich
Frieden gefunden!
Was da blüht, es künde dir meine Liebe
Immer neu, so lange du lebst! denn siehe,
Liebesgrüße sendend an dich, im Frühling
Bin ich geschieden!"
Mich ermannend, blick' ich empor; der Flieder
Rauscht nur leise rings um mich her und schmerzlich
Fühl' ich mich allein — ach! dem Geist nur warst du
Mahnend erschienen.
Doch ein Lichtstrahl bleibt mir zurück: erstarken
Soll durch dich die leidende Seele! anders
Soll mein Herz dein teures Gedächtnis künftig,
Würdiger feiern!
Wenn der Freude wieder mein Sinn sich aufschließt,
Mögen deine Züge aus ihr mir lächeln!
Deine Stimme klinge aus jedem holden
Ton mir entgegen!
Was da schön ist, rufe mir vor das Auge
Deines Wesens königlich freie Anmut,
Daß durchs Leben wandelnd ich immer, immer,
Immer dich schaue!