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Allmählich teilen sich der Knospen Hüllen,
Und staunend schauen sie die weite Welt;
Ganz will die Freude ihre Herzen füllen —
Doch einer Träne Tau dazwischen fällt.
 


Zweites Sträußchen
 

Morgenrot
Auf der Ruine Wildenstein
Jugendtraum
Eine Sommernacht
Wär' ich ein Mann!
In den Bergen
Die Cyclame

 
Eichhörnchen
Ein welkendes Blatt
Abendrot

 

Morgenrot


Der Himmel glüht, die Erde prangt,
Am Grün der Tau lichtschimmernd hangt,
Und mit des jungen Tages Pracht
Ist neues Hoffen auferwacht.

Wie freudenvoll in Himmelsweiten
Erscheint das schöne Morgenlicht!
Wie lieblich läßt's der Hoffnung deuten
Den schönen Tag, den's ihr verspricht!

Und wenn der Mittagssonne Strahl
Uns drückend scheinen will zumal,
Gewitterschwül auf unser'm Haupt —
War so der Tag, wie wir's geglaubt?

Ach! nur der schöne helle Morgen
Mit seiner roten Feuerglut
Zeigt ohne Schwüle, ohne Sorgen
Das Leben uns mit frischem Mut.

So sieht vom Hoffnungsglanz erhellt
O holde Kindheit, dich die Welt!
Und du, mit deinem Aug' allein
Siehst sie im vollem Zauberschein.

Ist auch das spät're, reife Leben
Erst deiner Frühlingsblüte Frucht,
Der tieferer Gehalt gegeben —
Wie mannigfach ist's heimgesucht!

Man sagt: ist heller Strahlen Flut
Nicht mehr denn erste Morgenglut?
Beherrschet der Erkenntnis Licht
Die unbewußte Einfalt nicht?

Gewiß! doch wenn sie ganz entfalten
Die Blumen, und allein dann steh'n,
O, was ersetzt die Traumgestalten
Die ihre Knospenzeit umweh'n?

Auf der Ruine Wildenstein

Verfallen, öde ist die Mauer,
Ein wüst' Gerölle altersgrau,
Es ragt der Turm in stiller Trauer
Empor in's tiefe Himmelsblau.

Er träumt vom Schloß und seinen Räumen,
Das hier in Pracht und Stolz einst stand,
Wo jetzt, umrungen hoch von Bäumen
Steht eine düst're, graue Wand.

Dies Schloß hat manch' Geschlecht bewohnet,
In Streit und Liebe, Freud' und Schmerz;
Denn Freud' und Leid hat nie verschonet
Ein fühlend warmes Menschenherz.

Wohl manche Träne, bitter, schmerzlich,
In diesen kalten Mauern floß!
Wohl mancher Freude, rein und herzlich,
Sich eine Seele hier erschloß!

Doch das Geschlecht, das einst hier lebte,
Es ist verdorrt im Lauf der Zeit,
Und Alles, was den Ort belebte
Ist tot und in Vergessenheit.

Und während Tod, Verwesung schauen
Aus dunkler Fensterhöhlen Spur,
So schmücken stets noch diese Gauen
Die selben Reize der Natur!

Noch strecken stolz die Alpenriesen
Die Felsenhäupter himmelan,
Noch schmiegt das lichte Grün der Wiesen
Sich lieblich dunkeln Wäldern an.

Der Strahl der Morgensonne funkelt
Wie rote Kronen auf den Höh'n,
Noch ist, wenn sanft der Abend dunkelt,
Das Alpenglüh'n wie einst, so schön.

Die Augen, die in alten Zeiten
Dies hohe Schauspiel hier erblickt,
Wie wir, sich seiner Schönheit freuten
— Wie lange sind sie zugedrückt!

So wird nach kurzen Lebenstagen
Der jäh'n Vergänglichkeit zum Raub
Der Mensch, des' Geister überragen
So mächtig allen Erdenstaub?

Allvater, Gott der ew'gen Güte!
Dein Ebenbild soll untergeh'n,
Verwelken, schwinden, wie die Blüte,
Wenn diese Berge hoch noch steh'n?!

Es kann nicht sein, daß dies dein Wille!
Nicht dazu gabst uns Geist und Herz!
In Staub zurück sinkt uns're Hülle,
Die Seele schwingt sich himmelwärts!

Sie geht in weite Geisterreiche
Die reiner sind als uns're Welt,
Sie geht, daß sie das Licht erreiche,
Das Licht, das uns auf Erden fehlt.

Und während hier die selbe Sonne
Noch strahlet auf den selben Höh'n,
Sind jene schon in sel'ger Wonne!
Wir werden einst zu ihnen geh'n!

Jugendtraum

Bestrahlt vom ersten Sonnenschein
Ein kleines Blümchen blühte,
Daran von Tau ein Tröpfelein
Im Morgenlichte glühte.

Die Blume schloß den Tropfen ein
Mit seinem schönen Schimmer:
"Ich liebe deinen holden Schein!
Ich wahre dich für immer!"

Und wie in Freude wonniglich
Das Blumenauge strahlte,
Ein Lüftchen da vorüberstrich,
Das flüsternd es umwallte.

"Was lächelst du, o Blümchen klein,
In Jugendwahn befangen?
Den Tropfen schließ im Kelch nicht ein,
Laß nicht an dir ihn hangen.

Ein Tropfen Wasser nur ist Tau,
Ganz wertlos ohne Strahlen,
Wie du sie siehst im Bächlein, schau!
Zu millionenmalen."

"O nein!" so spricht die Blume schnell,
"Mein Schönstes ist's hienieden,
S'ist meine Perle klar und hell,
Vom Himmel mir beschieden.

So reich wie ihrer Farben Schein,
So strahlend und so linde,
Und wie ihr schöner Glanz, so rein,
Ist auch was ich empfinde.

Du Lüftchen, zweifle nicht, und geh!
Das Schöne such' nie wieder
Zu zieh'n aus seiner klaren Höh'
In's Alltagsleben nieder. —

Ich bin so töricht nicht, wie du!
Von einem Ort zum andern"
So saust das Lüftchen laut ihr zu —
"Muß flüchtig stets ich wandern.

Es macht das wahre offenbar
Stets meines Hauches Wehen;
Wenn du nicht glauben willst, was wahr,
So wirst du bald es sehen."

Und höhnisch weht's die Blume an
Und ach! der Tropfen zittert —
Rasch fällt er auf die Erde dann —
Weh! schon ist er verwittert.

Das Blümlein neigt sein Köpfchen still,
Und äußert keine Klagen;
Sein Herz es ganz bezwingen will,
Doch kann's das Leid kaum tragen.

Das Lüftchen saust, eh's fort sich stahl:
"Laß dir kein Leid d'raus werden;
Was brauchst du, Blümchen, Himmelsstrahl?
Bleib' ruhig hier auf Erden,

Zufrieden, wie die Andern sind,
Wenn Erde dich ernähret,
Und Sonne, Regen, Luft und Wind
Dir was du brauchst, gewähret." —

"Weh mir! ein solch alltäglich Sein
Genüge meiner Jugend?
Nie höherer Bestimmung Schein
Mich leit' zu höh'rer Tugend?

Nie soll ich sehen Himmelsglanz,
Und nie nach Schön'rem streben?
Mir soll's genügen immer ganz
Zu fristen nur mein Leben?"

So sinnt das Blümlein vor sich hin
In bitt'rer Täuschung Qualen;
Auf seinem leeren Kelche glüh'n
Der Mittagssonne Strahlen.

Wohl sieht es Blumen and'rer Art
In Sonnengluten stehen,
Doch neigt es seine Blättchen zart,
Als müsse es vergehen.

Doch als bei Sonnenuntergang
Das Blümchen freier blickte,
Ein Hauch aus tiefer Erde drang,
Der's wunderbar erquickte.

Und sieh! ein neues Tröpfelein
Von Tau an sich fühlt's hangen,
Und sieht's beim Morgensonnenschein
In schönen Farben prangen.

Wie fühlt es Leid und Seligkeit,
Weint Schmerz- und Freudentränen!
Wie sieht's den Himmel offen weit —
Und doch ist's eitles Wähnen!

Als wieder Morgenlüftchen strich
Um's Blümchen, still verkläret:
"Dir dank' ich Lüftchen, daß Du mich"
— So sprach es, "hast belehret. —

Doch da ich weiß nun, s'ist ein Wahn
Der glänzet und entschwindet,
Es mit Ergebung tragen kann
Wenn er sich mir entwindet, —

So laß mich, weil ich's mir bewußt,
Mich in der Jugend träumen.
Sind Träume doch der Jugend Lust!
O Lüftchen laß mich träumen!"

Eine Sommernacht

Ich fühl' des Lüftchens Hauch, den leisen,
Und doch regt sich kein Blatt im Tal;
Mein Herz bewegen Klänge, Weisen,
Und doch erschallt kein Laut im All.

Und Alles lebt für sich und stille,
Und doch herrscht ew'ge Harmonie;
Verschied'ne Schönheit, Macht und Fülle
Der Wesen, stört den Einklang nie.

Wie hoch der Mond von Himmelszelten
Bestrahlt dies Tal mit seinem Schein,
So schwebt beim Busch in feinen Welten
Ein schlicht Johanniskäferlein.

Zum Einen schau'n wir tief hernieder,
Das And're ist so groß und hoch,
Und Beide sind der Schöpfung Glieder,
Und wunderbar sind Beide doch.

Sie folgen, schön und uns zur Freude,
Geleitet stets von Gottes Hand,
Nach ewigen Gesetzen Beide
Den ew'gen Kreislauf unverwandt.

Ich sehe tief bewegt Dich schweben
O ew'ge Allmacht, wunderbar
Ob deiner Schöpfung und dem Leben
Mit heil'gen Walten immerdar.

O Vater, der Du alle Welten
Erschufst, und leitest ihre Bahn,
Du thronst in jenen Himmelszelten
Die enden nie, nie fangen an,

In welchen in ein Nichts verschwindet
Der uns so weite Erdenkreis —
Du bist's, den Alles mir verkündet,
Den doch ich mir am nächsten weiß.

Und unter Milliarden Leben
Die weit in alten Welten sind,
Will Deine Huld auch mich umschweben,
Du siehst, Du kennst Dein schwaches Kind.

Du führst auch mich auf meinen Wegen
Die väterlich Du angebahnt,
Es ist auch Deines Blickes Segen
Auf Dein gering Geschöpf gewandt.

Und der Du leit'st den Lauf der Sterne,
Du zähl'st auch meines Hauptes Haar!
Du wirst mir unausdenkbar ferne,
In nächster Nähe offenbar.

Zu Dir erheb' ich meine Hände
Mit vollem, freudigem Vertrau'n!
Ich kann, wohin ich mich auch wende,
Ja Dich und Deine Liebe schau'n!

Wär' ich ein Mann!

Wie wollt' ich frei nach meiner Überzeugung handeln,
Und unerschüttert die gerade Bahn,
Die selbstgeschaff'ne, bis zum hohen Ziele wandeln,
Mit Kraft und edlem Mut, wär' ich ein Mann!

Wie wollt' ich, ohne Sklave stets zu sein der Sitte,
Im Herzen wahren echte Sittlichkeit,
Und herzhaft kämpfen in des Truges Mitte
Für's Recht, für's Wahre, Gute allezeit!

Wie wollt' ich nach Erkenntnis, tiefem Wissen streben,
Betrachten ernst, mit tiefem Forscherblick
Die hehre Schöpfung und das ganze Menschenleben,
In Tätigkeit erfüllen mein Geschick!

Und die Natur wollt' frei ich allerseits durchspähen,
— Auch diese Berge stieg' ich hoch hinan,
Und bliebe dort, wo einsam freie Lüfte wehen
Erhaben ob der Welt — wär' ich ein Mann!

Doch könnt' ich dem bunten, tollen Weltgewühle,
In das Beruf und Pflicht mich rissen hin,
Und in des freiern Lebens wechselvollem Spiele
Bewahren auch den kindlich reinen Sinn?

Könnt' ich die stille Welt in meinem Innern tragen,
Wenn rauschend sich an mich die äuß're drängt,
Die herbe, wahre Lebenskenntnis ganz ertragen,
Die Zartgefühl oft tötet oder kränkt?

Könnt' ich Empfindung, meines Lebens schönste Blüte,
Den Duft, der mild mein ganzes Sein beseelt,
Das tausendfache Leben tief mir im Gemüte
Bewahren unversehrt in rauher Welt?

Wohl könnt' ich nach der Kenntnis alles Schönen streben,
Wohl wäre freier, mächt'ger meine Bahn,
Doch wär' Empfänglichkeit; die selbe, mir gegeben,
Säh' mit demselben Aug' ich Alles an?

O nein! mein Sinn müßt' ändern sich, mein Herz erkalten,
Mein Leben würd' sich hundertfach entzwei'n,
Mein ganzes Fühlen würde anders sich gestalten —
So will ich lieber ganz ein Mädchen sein!

In den Bergen

In Bergen zu weilen,
In blühender Welt,
Den rauschenden Strömen
Der Alpen gesellt,

Mit Kühnheit erklimmen
Die stolzesten Höh'n,
Von welchen die Erde
Scheint doppelt so schön.

Die Täler zu schauen
Im lächelnden Grün,
Im Strahle der Sonne
Die Felsen erglüh'n,

Den Schöpfer zu preisen
Aus innerster Brust,
Welch' lautere Freude,
Welch' innige Lust!

Die Cyclame

O Zierde ohne Gleichen
Der grünen Waldesnacht,
Die uns aus ihren Reichen
So lieb entgegen lacht,

Wie seh' ich hold dich stehen
Gesenkt dein rosig Haupt,
Als wär' dich ganz zu sehen
Dem Wand'rer nicht erlaubt!

Dein Duft ist dir zum Bilde
Wie süßer Waldeshauch,
So freundlich hell und milde
Ist deine Farbe auch.

Von Blättern los' umgeben
Sich hebt dein zarter Schaft,
Der Höhe zuzustreben
Mit seiner vollen Kraft.

Und standhaft ist sein Wille,
Sein Stolz ist nie gebeugt!
Doch hat das Köpfchen stille
In Demut sich geneigt.

Und such' ich zu ergründen
Was scheu du birgst der Welt,
In deinem Kelch zu finden
Was wohl dein Herz enthält,

So seh' ich fein gesponnen
Aus Fädchen zart gefügt,
Die lieblichste der Kronen
An deine Brust geschmiegt.

O zarte Waldesblume,
Wie ist dein Herz so reich!
In seinem Heiligtume
Bewahrt's ein Königreich.

Eichhörnchen

Wie schwebst du leicht mit flücht'ger Hast,
Wie blitzesschnell von Ast zu Ast
Mit deiner zierlichen Gestalt,
So munter in dem grünen Wald.

Die klaren Äuglein glänzen hell,
Die raschen Füßchen klettern schnell,
Es schwebt des Schweifs leichter Flaum
Im kühnen Schwung von Baum zu Baum.

Es dehnt sich weit die kleine Brust
Voll heit'rer, zügelloser Lust,
Es pocht das Herz, es wallt das Blut
In Freiheit und in kühnem Mut.

Die Blätter rauschen, leicht bewegt,
Und Vöglein flattern, aufgeschreckt,
Es ist in stiller Waldesnacht
Ein munt'res Leben angefacht.

O liebe freie Einsamkeit,
Wie dich das Weltkind flieht und scheut!
Wie träge oft die Seele bleibt,
Vom Weltgetümmel übertäubt!

Du harmlos Wesen, dir bewußt
Der innern frohen Lebenslust,
Belebst die stille Einsamkeit
Mit deiner eig'nen Fröhlichkeit.

Ein welkendes Blatt

O, wie dich der Wandel der Zeiten
So herrlich gerötet hat,
Dich strahlend und schön zu bereiten
Zum Scheiden, du welkes Blatt!

Du glühest in freudigen Farben,
Und fühlst es ja, das hinab
Wirst folgen den Ander'n, die starben,
Und sanken in's kühle Grab.

Wie hast du gegrünet im Maie,
Und lange im Sommer dann,
Wie warst du mit inniger Treue
Dem Baume stets zugetan!

Du gabest erquickenden Schatten
Dem Wand'rer; im Vogelnest
Die Jungen ein Dach an dir hatten,
Gewieget vom sanften West.

Nun schwindet allmählich dein Leben
Nach redlich erfüllter Zeit;
Du scheidest nicht still nur ergeben,
Du scheidest mit Freudigkeit!

Mit seligem, reinem Gewissen,
O sage mir, ist's so schön,
Die Erde noch lächelnd zu grüßen,
Und friedlich dann heimzugeh'n?

Abendrot

Dunkler wird's, es hat der Tag geendet,
Und des Abendhimmels lichter Höh',
Wo allein nunmehr ich Leben seh',
Ist mein Auge sinnend zugewendet.

Rosenhauch und tiefes Feuerglühen
Strahlend eingefaßt mit gold'nem Saum,
Zarte Farben, duftig wie ein Traum,
Leuchtend ober meinem Haupte ziehen.

So erscheinen manche Traumgestalten
Herrlich wie der Himmel, meinem Sinn,
Und sie zieh'n mein Herz so mächtig hin,
Daß sie scheinbar Höchstes mir enthalten.

Täuschung ist es, und sie wird entschwinden,
Scheiden wie der letzte Sonnenstrahl —
Und nach solchem Glanz — wie traurig fahl
Werden sich die schönen Wolken finden!

Wenn mein Herz am eitlen Dunst gehangen,
Wenn darob den Himmel ich vergaß,
Ach! umsonst zurück ersehne, was
Nimmermehr ich wieder kann erlangen,

Seh' ich ober mir des Himmels Bläue
In der dunklen Nacht, bei Sternenschein
Wie im Sonnenstrahle, ganz allein
Immer leuchten mir in gleicher Treue.

Ew'ger Gott, der hoch im Himmel thronet,
Vater, leite Du dein Kind allzeit,
Nicht zu suchen auf der Erde weit
Was bei Dir allein nur ewig wohnet!