zum Index

zurück
 

Wenn die Muse mir fern geblieben,
Hab ich Betrachtungen aufgeschrieben.

 

III.
Betrachtungen und Sprüche

 


1.

Grad wie in der Philosophie
Ist eben in der Poesie
Die ganze Sprach am Ende wohl,
Genau besehn, nur ein Symbol.

2.

Bedenkt, es ist ein jed Gedicht
Ein Bild vom innern Leben;
Und es gelingt uns ewig nicht,
Das Innre selbst zu geben.

3.

Im Frühling such ein Liebchen dir,
Im Sommer bade den Leib,
Im Herbst erfreu dich an Wein und Bier,
Im Winter nimm dir ein Weib.

4.

Poeten sind meist schlechte kritische Richter,
Wenn sie urteilen über einen Dichter,
Sie pflegen das nur Poesie zu nennen,
Was sie auch selber machen können.

5.

Die Kunst zu lavieren im Leben
Ist besonders den Frauen gegeben.

6.

Das Herz, mit dem dich Gott belehnt,
Ist eine Zitadelle;
Besetze mit Soldaten umher
Vor Feinden jegliche Stelle.

Der Feldherr, der mit seiner Schar
Umzingelt dich hält, heißt Leben;
Als treue Mannen sind ihm all
Die Leidenschaften ergeben.

Du würdest mehr als Ehr und Glanz,
Du würdest dich selbst verlieren,
Gedächtest du als Kommandant
Feig zu kapitulieren.

7.

Wer stets sich wiegt und immerdar
In der Gesellschaft Schoß,
Befindet sich in der Gefahr,
Zu werden charakterlos.

8.

Blick mit Sehnsucht nie zurück
Still mit leiser Klage,
Nach entschwundnem, fernem Glück
Auf entflohne Tage.

Sieh! leicht wird es in der Brust
Trüb und immer trüber,
Ungenossen manche Lust
Rauscht an dir vorüber.

Laß dir keinen alten Schmerz
In das Licht sich stellen;
Zweimal taucht kein Schwimmerherz
In dieselben Wellen;

Zweimal lockt dich keine Frucht,
Nimm, so lang sie weilet;
Freuden hat auf ihrer Flucht
Noch kein Mensch ereilet.

Trachte, wenn dich deckt die Nacht,
Daß du lieblich träumest,
Wenn die Sonne wieder lacht,
Daß du nichts versäumest.

9.

Im Moment der Leidenschaft
Glühn im Zorn dir deine Wangen
Sperre deines Willens Kraft,
Deine Rede halt gefangen.
Wenn der Sturm vorbeigezogen,
Fallen deiner Seele Wogen,
Ist der schnelle Puls vorbei,
Gib die Worte, des Gedankens
Kinder, gib sie wieder frei,
Und dem Willen reiß die Fesseln,
Daß er handle, schnell entzwei.
Doch bedenk, es gibt Momente,
Wo wir Stürmen sind zu eigen,
Wo es Feigheit ist zu schweigen,
Feigheit, tatenlos zu sein;
Sprich dann Worte, tiefbegeistert,
Und vom Augenblick bemeistert,
Handle, wie du mußt, und stürzt auch
Über dir ein Tempel ein.

10.

Mögt nicht mit dem Sänger hadern,
Daß nicht jede Dichtung gut,
Denkt, es ist aus seinen Adern
Jede doch ein Tropfen Blut.

11.

Wirst du dich in Wort und Tat
Als verständig zeigen,
Hat dein innerstes Gemüt
Stets gelernt zu schweigen,
Traun! dann wirst du im Respekt
Bei den Leuten steigen.

12.

Vom strengen Tagewerk eilst du in Ruh
Statt in die freie Luft, dem Spieltisch zu,
Dein Ich mit bunten Blättern zu verdecken.,
Dich feig vor seinem Anblick zu verstecken.

13.

Wenn von alten Herrn die Liebe
Längst schon ihren Abschied nahm,
Machen sie gern unter Frauen
Späße ohne Zucht und Scham;
Aber da die Frauen lieben
Können bis zur letzten Stund,
Scheuet sich vor solchen Scherzen
Auch ihr zahnentblößter Mund.

14.

Ich hör euch geduldig Scherze machen,
Wegen meiner Lieb lacht ihr mich aus:
Über den die Leute nicht mehr lachen,
Den trug man schon auf den Friedhof hinaus.

15.

Wir stehen im Kontrakt auf unbestimmte Zeit,
Zu spielen in des Lebens Schauspielhaus;
Aus mancher tüchtigen Verlegenheit
Hilft uns der Leichtsinn, der Souffleur, heraus.

16.

Es schaut gar mancher Knabe herab mit stolzem Blick
Auf Schüler der niederen Klasse und freut sich über sein Glück;
Die großen Leute sind nicht minder
Solche Kinder.

17.

So behandeln Dichter von einigem Namen,
Die schon stehn in des Drucks papiernem Rahmen,
Die Anfänger auf der Letternbühne
Mit einer gewissen Protektorsmiene.

18.

Ich halte mich in Gesellschaft
Gern an die zarteren Wesen
Und bin wohl gar von Männern
Zuweilen ganz entfernt:
Es reden auch das die Weiber,
Was sie just nicht gelesen,
Und was sie nicht aus Büchern
Mühselig auswendig gelernt.

19.

Das Faustrecht, sagt man, sei verschwunden,
Sei abgekommen zu unserem Glück?
In den neuesten Zeitungen hab ichs gefunden,
Nun nennt mans vernichtende Kritik.

20.

Die Goldmacherkunst sei ein Wahn, spricht die Welt;
Es kennt und übt sie im deutschen Land
Ein jeder Romanenfabrikant,
Doch freilich auch da wird Jemand geprellt.

21.

Bei meiner Ehre,
Nicht gliche die Welt einem Narrenhaus,
Wenn Jeder so gefällig wäre,
Bisweilen zu treten aus sich heraus.

22.

Jeder hat es wohl erlebet
Auf des Lebens Pilgerreise:
Häufig quält ein Gastfreund seinen
Gast mit seiner Lieblingsspeise;
Und durch Reden und durch Bitten
Sinket endlich das Gericht
In des Gastes edlen Magen,
Eher ruht der Hausherr nicht.
Öfter handeln teure Freunde
Ähnlich solchen guten Leuten
Wollen sie auf ihre Weise,
Eine Freude uns bereiten.

23.

Sieht einer durch Selbstbetrachtung
Sein Ich recht herzlich schlecht,
Gleich wird er mit Verachtung
Sprechen vom Menschengeschlecht.

24.

Ihr schmäht die Eh und meinet,
Zu gehn auf der Schöpfung Spur;
Dabei vergeßt ihr immer:
Vernunft ist des Menschen Natur.

25.

Wer die Weiber als Engel betrachtet,
Ist ein besserer Mensch, als der sie verachtet.

26.

Schon Mancher verglich die Romantik
Mit einer Sternennacht,
Im Gegensatz die Plastik
Mit eines Mittags Pracht.
Gar manchen Ästhetikus weiß ich,
Dem es zu glauben beliebt,
Daß es gar keinen Morgen
Und keinen Abend gibt.

27.

An irgend Etwas erfreut sich das Herz,
Auf kurze Zeit auch im tiefsten Schmerz
Wir sehn auch dann einen Regenbogen;
Wenn unser Auge von Tränen umzogen.

28.

Warum ein Denkmal in so großen Massen?
Es tuts auch ein kleiner Grabesstein;
Haut nur die wenigen Worte hinein:
"Auch den haben wir verhungern lassen!"

29.

Die Eltern lieben es oft gar sehr,
Durch unbesonnenes Handeln
Eine Liebschaft in einen Roman zu verwandeln,
Die sonst in der Langweil ertrunken wär.

30.

Wenn man immer tut, was den andern gefällt,
Pflichtmäßig belacht jeden albernen Scherz,
Sein Ich verleugnet, dann sagt die Welt,
Man hab ein gar gutes Herz.

31.

Wer die Natur erforscht
Und Gottes heilig Wehn
Nicht immer fühlt, der bleibt
Auf halbem Wege stehn.

32.

Vor Geistern wie Goethe, Schiller und Kant
Wollt ich eher würdig erscheinen,
Als vor Leuten, die was sie nicht selber erkannt,
Verhöhnen oder verneinen.

33.

Du hast dein Lebenlang in Büchern nur gesessen,
Hast drüber frevelnd gar dein eigen Ich vergessen.

34.

Wer verdient den Namen eines
Philosophen! frag ich euch? —
Jener, der auch selber sät und
Erntet im Gedankenreich;
Wer den Geist enthüllt, den nenn ich
Einen Philosophen schon,
Sei er keiner Schule Vater,
Und auch keiner Schule Sohn.

35.

Ein System, leer von Gedanken,
Schöpfst kein Leben du daraus,
Ist ein Dachstuhl in den Lüften,
Aber drunter steht kein Haus.

36.

Fern von der Menge lernst du die Menschheit achten
Im Gewühle versenkt, die Menschen verachten.

37.

Oft weinte wohl mein Aug, bang schlug das Herz,
Da hätt ich gern ein-trübes Lied gesungen,
Da sagt ich still: Behalte deinen Schmerz! —
Ich schloß mich ein und hatte mich bezwungen.

38.

Was Er gestern hat gesprochen,
Manch ein kräftig geistreich Wort,
Findest du als Aphorismen
Heut in dem Journale dort.

O daß solchen Mann der kleine,
Eitle Sinn hält bei dem Haar:
Heut muß schon die Welt es wissen,
Daß gescheit er gestern war.

39.

Sag, was ich mit dir doch reden soll,
Du überreicher Mann,
Da ich von Aktien, Börs und Bank
Und von Wechseln nicht reden kann;
Was mich begeistert, Kunst und Geist,
Geht wieder dich nichts an.

40.

Willst du fühlen freudiglich
Dieses Lebens Walten,
Daß dir klar und heiter sich
Zeigen die Gestalten,
Mußt vom Selbstvergessen dich
Immer ferne halten.

41.

Die Lebensbühne, sie ist fürwahr
Das beste Theater von allen,
Weil hier zuweilen doch Held und Person
In Eins zusammenfallen.

42.

Ganz tief in Vorurteilen ist
Dein schwacher Geist begraben,
Da du des stolzen Glaubens bist,
Kein Vorurteil zu haben.

43.

Gar Mancher mir schon unter kam,
Der sich nicht wollte vereinen
Mit seinem Feind, aus falscher Scham,
Um charakterfest zu scheinen.

44.

Die Konsequenz, nach der der eitle schwache Tor
In seinem Leben unverbrüchlich handelt,
Sie gleicht dem Gang des Pferdes, das sein Aug verlor,
Doch sicher auf dem Treppelwege wandelt.

45.

Schlage nach den lästigen Fliegen
Nicht im Zorn mit deiner Hand,
Denn du nährest ihre Bosheit
Immer mehr durch Widerstand.

Kämpfe nicht! Wenn mit den Schwachen
Sich der stärkere bekriegt,
Wird der Starke gar so häufig
Als ein Goliath besiegt.

Und wenn trübe düstre Bilder
Dich umschwärmen voll von Harm,
Dann behandle die Gedanken
So wie einen Fliegenschwarm.

46.

Bald werden wir, naht der Winter nur,
Der Geselligkeit uns weihn;
Im Sommer, da gab die freie Natur
Uns jedem ein Stelldichein.

47.

In der alten schwerbeladnen
Kutsche der Philosophie
Sitzt der Mann und schreibet fleißig
Mager vor Melancholie;
Seht er schildert seine Reise,
Doch er bleibet stets beim Alten,
Denn er läßt, um Ruh zu haben,
Seine Kutsche immer halten.

48.

Wenn ich auch im Leben wo
Wahre Bildung fand,
Ging sie stets mit Höflichkeit
Freundlich Hand in Hand.

49.

O dein Lächeln, ich versteh es,
Über die Philosophie,
Diese sei ein gar zu fernes
Ziel, und man erreicht es nie.
Freund! Du tadelst dieses Hoffen?
Ist denn nicht das ganze Leben
Nur ein unbefriedigt Wünschen
Und ein unerreichtes Streben?

50.

Mit dem Haupte darfst du wohl dich
Aufwärts heben zu den Sternen,
Aber mit den Füßen niemals
Von dem Boden dich entfernen.

51.

Was will die neuste Dichtkunst
Der Franken, sag mirs nur? —
's ist eine neue Auflag
Von Folter und Tortur.

52.

Der Teufel bekommt gar manchen Mann,
Der den Bocksfuß nicht leiden kann,
Auf sichere Weise in seine Gewalt,
Verkleidet in der Klugheit Gestalt.

53.

Wie viel werd ich dir noch danken
O du großer Logikmann,
Lehrest gründlich mich das Denken,
Wenn ich ohnedies es kann.

54.

Logiker, du weilst so gerne
In des Friedhofs engen Schranken,
Meinst das Leben zu erforschen,
An den Leichen der Gedanken.

55.

Traun! das tote Formendenken
Bringt dir keinen großen Lohn,
Willst du vorwärts kommen, üb dich
In der Vivisektion.

56.

Jeder Heuchler auf der gesamten Welt
Jeden Frommen für seines Gleichen hält.

57.

Nur wenn die Sonne durch die Wolken bricht,
Gewahrt der Blick den Schatten und das Licht;
Erschaff erst dann o Sänger ein Gedicht.

58.

Der Mann von Geist, er muß es öfter leiden,
Daß ihn der Pöbel nennet unbescheiden.

59.

Wenn die Muse fern von mir geblieben,
Da hab ich Betrachtungen aufgeschrieben.

60.

Du wirst mich die Philosophie
Wohl niemals können lehren,
Gab mir die Keime nicht hierzu
Die gütige Natur;
Ich muß sie aus mir selber, wie
Ein Weib das Kind, gebären,
Und seist du auch der größte Geist,
Bist doch Hebamme nur.

61.

Du jagst den Freuden nach, um zu umgarnen
Mit deinem Netz der Gemsen flüchtige Schar;
Laß ab von deinem Wahn, hör auf mein Warnen,
Der sie verfolgt, den fliehn sie immerdar.

Du hörst mich nicht und eilest von den Matten
Und klimmst am Fels empor mit blutiger Hand;
Schon glaubst du sie erreicht — es ist ihr Schatten —
Auch der flieht hin auf weißer Klippenwand.

Bleib stehn und blick herab vom steilen Riffe,
Hinunter auf die Wellen, auf das Meer:
Es jagt der Sturm im Wüten alle Schiffe,
Wie du des Lebens Freuden, vor dir her.

Sei du das Schiff, das leicht die Wellen schaukeln
Und blick zurück auf deiner Wellen Flucht;
Es werden als Delphine dich umgaukeln
Die Freuden, so dein Auge heiß gesucht.

62.

Gleich Wellen im Meer,
Im Wandern, im Jagen,
So werden die Menschen
Zusammen getragen;
Die Wellen, die Herzen,
Wenn Stürme sich nahn,
Sehn nimmer sich wieder,
Die einmal sich sahn.

Den Wellen gab Gott
Kein fühlendes Herz,
Die armen, sie kennen
Keine Lust, keinen Schmerz;
Doch verbündete Herzen
Nichts scheidet sie mehr,
Verbirgt auch Eines
Erd oder Meer.

63.

Ich besang schon Manches, was meine Brust
Noch nicht erquickt und gerühret;
Ich hab als Dichter auf manch Gefühl
Bei der Zukunft pränumerieret.

64.

Es nennt die Rezensentenschar
Euch alle Pianisten;
Ich seh die Sache logisch klar,
Für mich seit ihr Fortisten.

65.

Ihr glaubt wohl für die Künste zu entbrennen,
Spannt euch freiwillig vor der Sängrin Wagen,
Um stampfend laut die Gassen zu durchjagen —
Das heiß ich doch sich selbst genau erkennen.

66.

Auf der Weisheit Leiter sind
Viele tausend Sprossen,
Und der Mann von Tiefe sieht
Neben sich und über sich
Geistige Genossen.

67.

Wenn Einer fest zum ernsten Ziele geht,
Geleitet treu von gleichgestimmten Freunden,
Und kräftig wirkt und schafft,  sogleich entsteht
Genüber ihm ein Heer von Feinden.

68.

Machst du dir Feinde, erwirbst du auch
Dadurch sogleich dir Freunde,
Denn deine Feinde haben ja
Auch wieder ihre Feinde.

69.

Poesie, der Sonne gleich,
Deren Strahlen scheinen,
Sucht durch Licht im weiten Reich
Alles zu vereinen.

70.

Doch die Elemente will
Die Betrachtung kennen,
Darum ist auch ihr Geschäft
Lösen und Zertrennen.

71.

Es tritt zuletzt Philosophie
Der Poesie entgegen;
Doch früher sahen sie sich nie
Auf den entfernten Wegen.