Einem Freunde
Du siehst, wie gar so bettelarm
Du früherhin gewesen,
Hält dich voll Liebe treu und warm
Umarmt ein holdes Wesen.
Kann eine größre Seligkeit
Das Erdendasein geben?
Drum schütz als Mann zu jeder Zeit
Der holden Blume Leben.
Wenn sich im Sturme graus und wild
Des Schicksals Wogen türmen,
Muß deine Hand als fester Schild
Die Teuere beschirmen.
Daß dich voll wahrer Innigkeit
Ein andres Sein umranke,
Ist deinem Herzen jeder Zeit
Ein göttlicher Gedanke. —
Vielleicht nach Jahren wird dir einst
Die bange Stunde kommen,
Daß du an ihrem Lager weinst,
Die dir der Tod genommen.
Unglücklich bist du wohl, da sie
Die dich geliebt, enteilet;
Unglücklicher ist doch, der nie
Im Paradies geweilet.
Verschwunden
Die Totenkreuze, alle sind sie fort
Von diesem einst so einsam stillen Ort;
Wo ich vor Jahren einen Friedhof sah,
Ist nun ein freundlich lieber Garten da.
Und auch zu Grund die alte Mauer ging,
Die das La Trappe des Todes einst umfing;
Sie nahm mit sich des Schweigens düstres Graun;
Wo sie einst war, steht ein lebendiger Zaun.
Und drinnen spielen auf der Wiese Grün
Jetzt Kinder, deren Wangen rosig glühn;
Sie hüpfen singend in der Sonne Glanz
Wie Blumen, die gelernt Gesang und Tanz.
Auf grünem Dach vom stillen Moderhaus,
Da stellen Lenz und Kindheit Blüten aus;
Nicht ahnen es im Taumel Blum und Kind,
Daß sie so nah des Todes Klause sind.
Erst wenn dem Kind die erste Trauer naht,
Wenn seine Mutter geht den dunklen Pfad,
Ihr Auge nicht mehr schaut, ihr Mund nicht küßt,
Dann weiß es, was ein Gottesacker ist
Der Gottesacker ist ihm nur ein Grab,
Das die verhüllt, die ihm das Leben gab;
Noch ist er seinen Augen eng und klein:
Die Jahre fliehn, bald wird er größer sein.
Der Ort der Ruh, er dehnt sich weiter aus,
Was uns geliebt, flieht in des Todes Haus;
Und wenn das Alter uns im Arme hält,
Ist uns ein großes Grab die ganze Welt.
Ein Kriegerpferd
Du Roß, das in der Schlacht den Krieger trug,
Du gehst gebeugten Hauptes vor dem Pflug;
Gerettet hast du deinen Herrn vom Tod,
Schweißtriefend nun verdienst du dir dein Brot.
Dein Herr, umlagert von der Freunde Zahl,
Berichtet oft Erzähltes — noch einmal;
Ob auch den Hörern Alles schon bekannt,
Ist doch ihr Aug an seinen Mund gebannt.
Die Kriegsmusik ertönt, die Trommel ruft,
Kanonenkugeln sausen durch die Luft.
Jetzt wird Tokaier auf den Tisch gebracht;
Voll sind die Becher; neu beginnt die Schlacht.
Wie Pulverdampf ballt sich Tabakrauch dicht,
Ein brennend Dorf erscheint der Kerze Licht,
Dazwischen tönt, als käm der Feind von fern,
Der Zapfenstreich vom Hofe der Kasern.
Indes des Nachts dein Herr schwelgt im Genuß,
Schwankt täglich über Schollen hin dein Fuß;
Dein Wiehern, daß die weite Welt durchdringt,
Mir ists ein Lied, das laut von Undank singt.
Vorfrühling
Waldbachsturz, des Gebirgsschnees wilder Leichnam,
Braust hinab in der Schlucht mit lautem Tosen,
Nimmt mit fort ohn Erbarmen Bäume, die vom
Frühlinge träumten.
Schonungslos der Vernichtung Schritte wandelnd,
Reißt vom Strand er die Blumenkeime, die noch
Keinen Lenz auf der Erd erlebten, sein nicht
Blühend sich freuten.
Vieles muß, in des Todes Arme fallend,
Seinen Zoll der Verwüstung Kron entrichten,
Soll ein Lenz sich, ein neuer nahn, die ganze
Erde beglückend.
Schuld
Ob dem Grab erst wird es dir klar und deutlich,
Das im Schoß den Freund dir, den teuren, einhüllt.
Was in ihm du einst, der dahin, besessen,
Was du verloren.
Und du denkst der Lieb, die der Freund gegeben,
Rufst die Zeit hervor dir, erinnrungbrütend,
Damit dir er noch in den Fluren ging, ein
Froher Begleiter.
Trauernd sieht dein Aug in die Friedhofsebne,
Du erblickst das Sein im Kristall der Tränen
Als ein Bild, das ganz in ein Nichts verschwimmt, ein
Dämmerig Nachtstück.
Wehmut füllt dein Herz, da die Liebe nicht mehr,
Die der Freund dir gab, du allhier nie zahlen
Kannst, drum, was du ihm, dem Verstorbnen schuldest
Zahle dem Leben.
An ein Kind
Du greifst nach Mond und Sternen, kleines Kind,
Du meinst wohl, daß sie dir nahe sind.
Nun du gewahrst, die Hand erreicht sie nicht,
Glänzt eine Träne dir im Angesicht.
Und hast du erst, mein Kind, gelernt das Gehn,
Dann wirst du nach den Sternen nicht mehr sehn,
Nicht in der Ferne suchen dir die Freude,
Dann ist der Garten dir dein Weltgebäude.
Und wirst nach Jahren du ein Jüngling sein,
Lullt dich der Liebe süßer Schlummer ein,
Blickst wieder dann du nach den Sternen hin;
Wohl schmücktest gern du deine Königin
Mit ihrem Glanz, mit ihrem ewigen Licht,
Doch ach dein Erdenarm erreicht sie nicht.
Die Träume fliehn, die Jahre sind verronnen
Im Lebensschwall, so auch die nächtigen Sonnen.
Und Schmerzen, Trauer, die du nie geglaubt,
Geahnt, sie überfluten dir dein Haupt.
Es naht dein Herbst, das trübe Wort Verlust
Es widerhallt in deiner bangen Brust.
Die Zeit entflieht im Sturm, und ach wie bald
Hält dich umarmt der Winter bleich und kalt;
Die Kindheit naht aus weiten, grauen Fernen,
Und wieder blickst du aufwärts nach den Sternen.
Die entschwundne Jugend
Einst sang ich Lieder, so freudevoll,
Als der Busen von Hoffnungen überquoll!
Ich fühle mich blüten- und blätterleer,
Wo nähm ich heitere Lieder her?
Ich seh es genau, so bestimmt und klar,
Was kommen muß, was in und was war.
O Zeit, als mein Blick noch übertrug
Auf die Welt, für was der Puls mir schlug!
O welche Wonne, o welche Lust!
Als das Leben ein Bild noch vom Innern der Brust,
Als mir noch erschien, von Träumen geschwellt,
Die Welt als mein Herz, mein Herz als die Welt.
Mein Aug, o blick nicht trauernd zurück,
Dereinstens ersteht dein versunknes Glück,
Wenn der Winter kommt mit der Flockennacht,
Und im Innern die Kindheit, die Jugend, erwacht.
An Paul Fr. Walther
Am Ufer stehend, blick ich hinaus ins Meer
Und seh ein Eiland, blühend, oasengleich;
Ein Garten in der weiten Wüste
Ragt es empor wie ein Land der Märchen.
Und ob der Insel schweben wie Demantglanz,
Im Regenbogen leuchtend, die Worte klar:
Sturm, Blitz und Herbst weicht vor dem Garten,
Welcher von Liebe beherrscht und Eintracht.
Da kommt, Marien führend am Arm, mein Paul
Zum Strand herab, ich drück ihm die Freundeshand,
Zeig mit der Linken auf die Schrift und
Sage; Vergesset im Glück den Freund nicht.
Und beide treten über die Brück aufs Schiff,
Das trägt sie fort; im Busen, da ist mirs klar,
Daß jedes Glück, für das wir fühlen,
Unsere eigene Brust bereichert.
An Elise Boechini
Was dir die Dichtung nur als Ahnungstraum gezeigt,
Hat freudeatmend sich zu dir herabgeneigt.
Zukunft, Vergangenheit, durchdrungen lebenswarm,
Ruhn im Vereine nun in deinem Mutterarm.
Von der Vergangenheit schreibt sich dein Leben her,
Jetzt reicht es weit hinaus in später Zukunft Meer.
Euch beide mög Natur mit Segen reich umwehn,
Dein Aug einst dieses Kind in Kraft und Blüte sehn;
Damit im Alter noch die Wahrheit vor dir schwebt,
Die einst als Dichtung dich, als Blitz dein Herz durchbebt.
Wolken!
Wenn rings der Tag die Farben alle weckt,
Von hellem Blau die Sterne sind umfangen,
Da lieb den Himmel ich nicht unbedeckt,
Es möge da und dort ein Wölklein hangen.
Am Firmament, wenn es verödet, leer,
Als Meer die Welt, ein Eiland, hält umzogen,
Schwankt unser Blick so haltlos hin und her,
Ein schwaches Schiff auf Ozeanes Wogen.
Drum lieb ich auch, so lang die Sonne wach,
Den Himmel von Gewölken nicht verlassen,
Des Menschen irdisch Aug, es ist zu schwach,
Um hier schon die Unendlichkeit zu fassen.
Nach der Natur
Seht dort, wie lieblich doch das Kind
Sich spielet mit dem Greis;
Des Kleinen Haupt noch blasses Gold
Des Alten — silberweiß.
Nun, da den halbverjüngten Mann,
Umarmend, küßt das Kind,
Weiß ich kaum, wo des Einen — wo
Des Andern Locken sind.
Wie wird die Wange doch dem Greis
Rot bei des Kindes Kuß,
So rötet Morgens sich der Mond
Beim letzten Sonnengruß.
Wie leuchtet doch sein nasser Blick,
Indem er Freude trinkt,
So strahlt im Doppelglanz ein Stern,
Eh er im Meer versinkt.
Ist darum jetzt des Alten Herz
So ganz von Liebe voll,
Weil es ihm ahnet, daß es bald
Das Kind verlassen soll?
Das Kind umklammert ahnungslos
Den Greis in freudigem Wahn:
Dem alterschwachen Winter schließt
Ein neuer Lenz sich an.
Gewitter
Wolken, die gewitterschwer
Um bedeckten Himmel hangen,
Halten grausam ringsumher
Meinen schwanken Blick gefangen.
Fernes Wetterlicht erhellt
Mir mein düsteres Verhängnis,
Zeigt mit deutlich, daß die Welt
Mich umschließt ein schwarz Gefängnis.
Näher ziehn die Wolken all, —
Gleich dem Erderschüttrungsrollen,
Bebt mit lautem Widerhall
Rund um mich des Donners Grollen.
Euer zackig Schlangenlicht
Zeigt den Ausweg mir, ihr Blitze;
Ist von euch denn Jeder nicht
Eine helle Felsenritze?
Der wandernde Frühling
Nun wandelt mit mir der Frühling einher,
Die Bäume stehn so blütenschwer,
Und Alles lacht vor Freude.
Doch send in die Fern ich meinen Blick,
Vor mir hinaus und weit zurück
Ist alles öde Heide.
Nun wandelt der Frühling weit vor mir her,
Und wo ich jetzt wandel, ist Alles leer
Von Lenzesgaben und Freude;
Ich wende mich um, ich schau zurück,
Ringsum gewahrt mein suchender Blick
Nur öde fahle Heide.
Nun seh ich zurück in die Ferne hin
Auf die Gegend, die ich durchwandert bin,
Da blüht der Lenz und die Freude,
Und wo ich wandel, ist Alles leer,
Da wo ich geh und vor mir her,
Rings alles öde Heide.
Hat zweifach ein Schmerz die bange Brust
Ob sterbender Freud, ob toter Lust
Mit Trauerflor mir umhangen,
Da hält mich voll Trost, voll Seligkeit
Bald Zukunft und bald Vergangenheit,
Bald Gegenwart umfangen.
Sonett
Ob deinem Haupte seh ich Vögel schweben,
Sie heißen Wonnen, Freuden, Seligkeiten,
Die als Gefährten treulich dich begleiten
Auf deinem Pilgergange durch das Leben.
Magst du auch schnell die flüchtigen Füße heben
Und magst du sacht und langsam vorwärts schreiten,
Stets wird ein Wildschütz folgen dir vom Weiten;
Ihm ward der kurze Name Tod gegeben.
Er ladet sein Gewehr; es wird zuweilen
Sein Schuß die frohe lustige Schar ereilen,
Da sinkt ein Flattrer sterbend zu dir nieder.
Und die Erschrocknen werden sich zerstreuen;
Wird dann den Schuß der Schütze nicht erneuen
Dann kehren sie nach bangem Zaudern wieder.
Lebensbilder
1.
Es fiel der Nebel, der den Dom
Des Firmaments umflossen;
Des Blumenhauches erster Strom
Hat ringsum sich ergossen.
Das Herz es ist den Blumen gleich; —
In seinem Morgenrote
Beherrschest du es als dein Reich,
O Lenz, du Götterbote.
Die ersten Worte, die im Drang
Das Kind voll Freude lallet,
Das ist der Lerche erster Sang,
Der auf zum Himmel wallet.
Die Lerche sie verkündet laut,
Lenz will es jetzo werden,
Schon ist der Tempel auferbaut
Voll Herrlichkeit auf Erden.
Das Kind an jedem Orte weilt.
Es sucht auf allen Wegen
Märzveilchen auf und hüpft und eilt
Dem nahen Lenz entgegen.
Und an des Kindes frohem Sinn
Ziehn Jahre leicht wie Stunden
Im flüchtigen Hauch der Zeit dahin,
Kaum da, sind sie entschwunden
Der holde Frühling zog heran,
Er rief aus ihren Grüften
Die Blumen all auf weiter Bahn
An Farben reich und Düften,
Der Jüngling wandert durch das Sein
Mit raschem, schnellem Tritte,
Blickt fröhlich in die Welt hinein.
Tief in des Maien Mitte.
Er zieht mit lautem Liederschall
Auf seiner Wandrung Straßen;
Er möchte wohl das ganze All
Mit seinem Blick umfassen.
Er stürmt voran in vollem Lauf,
Umstrahlt vom schönsten Morgen;
Ihm wachen Seligkeiten auf,
Die längst die Brust verborgen.
Sein Lied erzählt dem dunklen Hain
Von seinen süßen Banden;
Die ganze Erde nennt er sein,
Als sei sie ihm entstanden.
Der blaue Äther ist ein Meer
Der Wellen Freud und Wonne;
Und Strahlen sendet ringsumher
Der Liebe goldne Sonne,
Und nirgends sieht ein Wölklein Schmerz
Das Aug am Himmel hangen,
Es ist in Trunkenheit sein Herz
Vom Arm der Luft umfangen.
Und diese reich beseelte Zeit,
Voll Hoffen, Drang und Streben,
Sie ist die Zeit der Seligkeit,
Der schöne Lenz im Leben.
2.
Der Frühling floh, es schweigen nah
Und fern die Nachtigallen;
Sein Zauber schwand, kein Auge sah
Sein leis Vorüberwallen.
Und was noch irgend blüht und lacht,
Was noch im Haine singet,
Ein Nachhall ist es seiner Macht,
Der nach und nach verklinget.
Es prangt der Wiese Grün dort nicht
So frisch dem Aug entgegen;
Doch auf den Feldern pranget dicht
Der Ähren goldner Segen.
Und Schnitter seh ich weit und breit,
Und Sensen hör ich klingen;
Sie mühen sich, zur rechten Zeit
Die Garben heimzubringen.
Im Sommer ist der Mensch bedacht,
Scheut weder Müh noch Plage,
Wünscht seinen Vorrat eingebracht
Für seine Wintertage. —
Die Sonne sinkt; der Tag ist aus,
Sein Rauschen halb verklungen;
Dort tritt ein Weib aus ihrem Haus,
Von Kindern froh umsprungen.
Die Mutter, reich an seliger Lust,
Setzt auf die Bank sich nieder,
Und singt den Säugling an der Brust
Der Liebe Zauberlieder
Und vor das Aug hält sie die Hand
Vorm Abendsonnenstrahle;
Ihr Blick, den sie hinaus gesandt,
Sucht ihren Mann im Tale.
Sie sieht ihn schon, wie fern er geht,
Verdoppelnd seine Schritte;
Er eilet schnell herbei, nun steht
Er in der Seinen Mitte.
Die Kleinen jubeln laut und schrein,
Und hüpfen ihm entgegen;
Sie klettern mit den Händchen klein,
Als reichster Himmelssegen,
Auf ihn, er küßt sie liebend warm
Auf ihre roten Wangen;
Der Glückliche! es hält sein Arm
Ein klein Peru umfangen.
Mög Jedem doch sein Lebensjahr
Solch einen Sommer bringen;
Solch ein Akkord so rein und klar
Einmal sein Herz umschlingen.
3.
Der Herbst beherrscht das ganze Land
Und zieht durch alle Räume,
Beraubt mit unsichtbarer Hand
Der Blätter all die Bäume.
Schon ist der Sonne heißer Strahl
Verglimmet und verglühet;
Nur da und dort in dem Tal
Sternblümlein einsam blühet.
Der Wandrer sieht mit trübem Blick
Des Herbstes Jagd, die wilde,
Ruft Lenz und Sommer sich zurück,
Belebt sich die Gefilde,
Der Herbst der Fluren und der Brust
Ist von Erinnerungen
An Frühlingsblüten toter Lust
Im Geisterhauch umschlungen.
Dort weilt im stillen Kämmerlein
Ein Mann von grauen Haaren
Ihm sitzt im Schoß ein Knabe fein,
Ein Kind von wenig Jahren.
Dem Mann ist auf der Lebensflur
Allein von seinen Lieben
Als eine Herbstesblume nur
Der kleine Knab geblieben.
Der holde Enkel blieb ihm noch
Als treues Angebinde:
Tot sind die Kinder, oder doch
Zerstreut in alle Winde.
Von seinem Lebensbaume sind
Die Blätter all gefallen;
Drauf pranget ganz allein das Kind
Von seinen Blüten allen.
Auf seinem Antlitz ist der Pflug
Des Grames hingegangen,
Ließ manchen schmerzlich trüben Zug
An seinen Schläfen hangen.
Des Knaben kindlich frohe Lust,
Das Lied aus heitrer Kehle,
Umhüllt das Grab in seiner Brust
Den Schmerz in seiner Seele.
Und wie er nun auf seinem Knie
Den lieben Kleinen schaukelt,
Seh ich des Mannes Phantasie
Von Freuden bunt umgaukelt,
Sein Herz wird wieder frisch und jung
Wie einst an schönen Tagen;
Der Schleier der Erinnerung
Ist drüber hergeschlagen.
Und im Genusse seines Glücks,
Das er im Herbst gefunden,
Sind auf der Stirn ihm augenblicks
Die Furchen all entschwunden.
Ihm ist ein helles Sonnenlicht,
Dran sich sein Auge labe,
Das durch die Herbstesnebel bricht,
Der vielgeliebte Knabe.
Es ranken sich an seiner Brust,
Herbstlich in seinem Leben,
Des Kleinen Wonne, Freud und Lust
An ihm empor wie Reben.
Und diese Blätter sind um ihn
Als Mantel hergeschlagen;
Sie bilden nun das letzte Grün
In seines Herbstes Tagen.
4.
Die Welt in eine Wüstenei,
Des Winters Macht verfallen;
Ein trübes, düstres Einerlei
Herrscht auf den Feldern allen.
Kein Flügelschlag ertönt; es ruht
Das Tal, kein Leben zeigend;
Der Schnee, er bildet eine Flut,
Sie steigt, doch immer schweigend.
Kein Vöglein flattert drüber her,
Die leise Luft bewegend;
Es ist ein stilles totes Meer
Die ganze weite Gegend. —
In seiner Wohnung weilt der Greis,
Sein Antlitz von dem hellen
Gelocke, bleich und silberweiß,
Umspület wie von Wellen.
Durchs Fenster hat er noch einmal
Den Blick hinausgewendet;
Das ist der Abendsonne Strahl,
Den sie zuletzt versendet;
Noch einmal sieht er still hinaus
Auf die verschneiten Matten,
In der Natur verödet Haus,
Drin weder Licht noch Schatten.
Kein Luftbewohner singet mild
Die Lieder seiner Kehle,
Es ist die Flur dem Greis ein Bild,
Ein treues, seiner Seele.
Er sah der Wonnen Blütenkranz
Dem Blick vorüberwallen;
Es sind auf seiner Blumen Kranz
Schneeflocken hergefallen.
Die letzte Lust, die das Geschick
Dem Greis noch zugewogen,
Der Enkel, schwand aus seinem Blick,
Ist in den Krieg gezogen.
Als er den Jüngling traurig bang
Zum letzten Mal umschlungen,
War auch der letzte schöne Klang
In seinem Ohr verklungen.
Der greise Mann, er sitzet da,
In alte Zeit versunken,
Er sieht, was einst sein Auge sah,
Was einst sein Herz getrunken;
Die alten Wonnen nahen ihm,
Die einst die Brust erfüllet,
Es hat ihm leis ein Seraphim
Die Gegenwart verhüllet.
Ihm ruft Erinnerung zurück
Sein Wirken, seine Taten,
Die stehn vor seinem heitern Blick
Als winterliche Saaten,
Er ist versenkt in selige Ruh,
Befreit von allem Kummer
Und schließet froh die Augen zu,
Berührt vom letzten Schlummer.
Wie strahlt im Schlaf sein Angesicht,
Verklärt von heiligem Frieden!
Ihm ward bei hellem Sonnenlicht
Ein neuer Lenz beschieden.
Der Erde Winter ist verweh,
Er sieht den Frühling prangen,
Die Saat, die seine Hand gesät,
Ist ihm nun aufgegangen.
Irrung
Oft meinen wir, umgeben von der Nacht,
Hüllt noch der Schlaf in seinen Flor uns ein,
Als sei vom Schlummer unser Aug erwacht,
Als dring auf uns die Wirklichkeit herein.
Flieht wirklich dann der Schlaf beim Dämmergrau,
Da fühlen wir die Sinne halb verwirrt,
Und völlig wach, erkennen wir genau,
Daß träumend wir in Träumen uns verirrt.
Wenn Leben fliehend unser Auge bricht,
Und uns verläßt der Erde Traum und Nacht,
Meint auch vielleicht bei hellerm Traumeslicht
Der Blick, er sei zur Wirklichkeit erwacht.
Aus dem Walde
Im Wald das einsame Försterhaus
Umbraust der Nachtwind wild und graus;
Es ist umwogt von seiner Wut
Wie eine Insel von brausender Flut.
Im Hause, da ächzet und stöhnt es so bang;
Und Lichter ziehn die Fenster entlang.
Ein Schrei durchdringt des Sturmes Gebraus
Und kündet, ein Menschenleben sei aus.
Da tritt aus dem nächtigen Wald heran
Zu des Hauses Tür ein gebeugter Mann;
Er geht durch die Pforte still und leis —
Nun steht er in der Trauernden Kreis.
Sie erkennen nicht die gedrückte Gestalt,
Deren Stirn von Haaren wild umwallt;
Den früher Verstoßenen kennen sie nicht,
Der Schleier der Tränen trübt ihr Gesicht.
Er spricht: "Laßt mich zu der Toten hinein,
Ich will der Wächter der Leiche sein."
Sie weichen und beben schaudernd zurück
Vor seinem unsteten, brennenden Blick.
Sie öffnen ihm schweigend das Kämmerlein
Er entflieht und schwankt in das Zimmer hinein;
Er stürzt auf die Leiche er küßt sie heiß
Auf Wang und Stirne, die kalt wie Eis.
So liegt er lange mit Wahnsinns Lust
An der toten, erstorbnen, treuen Brust;
Er hebt sich empor, verhüllt sein Gesicht
Vor der Lampe zitterndem Flackerlicht.
"So mußt ich betreten dies einsame Haus,
Da du es verlassen, gezogen hinaus.
Als Bettler haben sie mich verbannt,
Dein Herz, dein brechendes, nimmer erkannt.
Wenn ich Nächte an deinem Hause durchwacht,
Da hast du treulich an mich gedacht,
Da glaubtest du mich so fern von dir
Und hast gesungen manch Lied von mir.
Da hast du gesandt manch fromm Gebet
Zu Gott empor und für mich gefleht. —
Du wurdest krank, und selten erklang
Durch die Abendlüfte dein milder Gesang.
Und stiller ward es in deinem Gemach,
Dein Lied, es schwieg, dein Herz, es brach.
Du siehst mich nicht an, was ist dir geschehn.
Sonst gabst du die Hand beim Wiedersehn?"
Drauf schwieg der Mann in seinem Schmerz
Und beugte sein Haupt an ihr kaltes Herz.
Als die Morgensonne die Nebel durchbrach,
Fand man zwei Leichen im stillen Gemach.
Ein Nachtstück
Schon eilte vorüber die Mitternacht
An den Träumenden all; nur der Müller wacht,
Zu besorgen die Mühl, er sitzt allein
Bei düsterer Ampel schwachem Schein.
Es schläft sein Weib, sein Sohn ist fern
In der Stadt als Lehrling bei einem Herrn,
Einem Meister in der Goldbildnerei,
Noch braucht er zwei Jahre, dann wird er frei.
Dem Müller sinken im trüben Sinn
Die matten Blicke zu Boden hin,
Nun springt er auf und blickt hinaus
In der Nacht vom Schatten erfülltes Haus.
Da schweift sein Geist durch Stunden zurück
Zu vergangnem Schmerz, zu entschwundenem Glück
Da erblickt er voll heißer Seligkeit
Die Tage, da er sein Weib gefreit.
Was schaut er auf einmal so finster umher,
Als wenn einem Feind er nahe wär?
Des wilden Försters er wohl gedenkt,
Den er als Mitbewerber verdrängt.
Oft hatt er mit Zweifeln die Braut gequält,
Ob sie aus Liebe wohl ihn erwählt,
Ob nimmer des Herzens schwankender Sinn
Sie ziehe zum früher Geliebten hin.
Nie sprach mit dem Förster er je ein Wort,
Und trafen sie sich an einem Ort,
So gingen sie stumm und ohne Gruß
An einander vorbei mit flüchtigem Fuß.
Auch die Blicke begegneten sich so scheu
Und fuhren schnell an einander vorbei,
Der eine hin, der andere her
Wie zwei jagende Wellen auf stürmischem Meer.
Und der Müller, er blickt in die Nacht hinaus.
In der dunklen Gewölke schwarzes Haus;
Ein düstrer Gedanke sein Herz umfängt,
Daß sein Weib noch immer des Försters gedenkt.
Auflodert die glimmende Leidenschaft
Und hält ihn umfaßt mit Tigerkraft;
Laut pocht sein Herz in der Brust mit Macht,
Er blickt rollenden Auges hinaus in die Nacht.
Da hört er ganz heimlich den leisen Tritt
Eines Mannes, der schreitet mit sachtem Schritt
Jetzt über des Mühlbachs schmalen Steg
Und nimmt nach dem Hause seinen Weg.
Schon hat er die Klinke der Türe berührt,
Die nach der Kammer des Meisters führt;
Der ballt die Faust, und zornig bang
Ruft er zu sich: "Das ist sein Gang."
Die fremde Gestalt verschwand im Haus;
Der Meister tritt zur Mühle heraus,
Verbirgt sich am Bach in einem Strauch,
Nach Rache dürstet sein heißer Hauch.
Er blickt verwirrt in die Nacht hinaus,
Minuten dehnen zu Stunden sich aus;
Er sehnt sich den nächtigen Schleicher herbei,
Den Mann zu sehen, wer es sei.
Nun öffnet sich still des Hauses Tür,
Der fremde Mann tritt schleichend herfür;
Ein Tritt auf den Steg — ein Schrei — ein Fall —
Aufspritzt des Mühlbachs gischender Schwall.
Was drehn sich die Räder der Mühle so sacht?
Sahn sie die Tat der finstern Nacht?
Sie gehn so langsam, sie sahn mit an
Die Tat, die der Herre der Meister getan.
Der Müller voll Glut mit zitterndem Leib
Geht nach der Tür, zu suchen sein Weib,
Tritt schwirrendes Blicks in die Kammer ein,
Bebt scheu zurück vor der Lampe Schein.
Da ruht sie mit friedlichem Angesicht,
Nur schwach bestrahlt vom matten Licht;
Schlaft wohl mit so ruhigen Wimpern ein Weib,
Das der Schande hingeworfen den Leib?
Da liegt ein Brief an des Pfühles Rand,
Den öffnet er hastig mit bebender Hand;
Da sind ihm zwei Ringe aus lautrem Gold
Sogleich aus dem Brief entgegengerollt.
Er liest die Zeilen mit schwachem Ton:
"Den teuren Eltern von ihrem Sohn,
Was ich mir verdient seit einem Jahr,
O nehmt es am Tag, der mich gebar!" —
Da schwankt der Müller zur Türe hinaus,
Sucht Schutz in der Nacht so dunklem Haus.
Ein Tritt auf den Steg — ein dumpfer Fall —
Und den Meister umschlingt des Wassers Schwall.
Es drehn sich die Stein an einander vorbei,
Mit eilender Hast, von Körnern frei.
Die Steine, schon glühn sie, aus ihrer Glut
Das Feuer entspringt als lodernde Flut.
Die Flut umzüngelt das Haus umher,
Wie den einsamen Fels das steigende Meer.
Hoch flackert die Flamm in die Nacht hinaus
Und sinkt zu Boden erst mit dem Haus.
Als die Sonn aufging an der Berge Rand,
War Asch und Schutt, wo die Mühle stand;
Zwei Leichen lagen am Ufer schon,
Das war der Müller, das war sein Sohn.
Zwei Beduinen
Der Beduine Nabek
Besaß das schönste Pferd,
Die herrlichste der Stuten,
Wohl viel des Goldes wert.
Das Tier war seine Freude,
Sein Leben, seine Lust,
Die Wonne seines Auges,
Der Stolz in seiner Brust.
In Dahers tiefstem Busen
War längst der Wunsch erwacht,
Die Stute zu besitzen;
Er träumte Tag und Nacht
Vom leicht gebauten Rosse
Voll Schönheit und voll Kraft;
Bald war sein Wunsch gestiegen
Zu wilder Leidenschaft.
Sein Blick ist eine Flamme,
Und Glut sein Angesicht,
Als er gejagt von Sehnsucht
Zu Nabek kommt und spricht:
"All meine Pferd und Schafe,
Kamele geb ich hin,
Wenn ich dafür, o Nabek
Herr deines Pferdes bin."
Darauf erwidert Nabek,
Voll Freude über sein Tier:
"Mein bleibt das Roß, und bietest
Du noch Zehnfaches mir.
Und was auch deine Zunge
Für einen Preis verspricht
Mein schönes Pferd, mein teures,
Ich laß es dennoch nicht." —
Und Daher schwieg, kaum daß er
Den innern Groll verbarg,
Daß er von süßer Hoffnung
Sich täuschen ließ so arg.
Doch seinen gepreßten Lippen
Enteilt kein Wort, kein Ton;
Es jagt der Beduine
Auf flüchtigem Roß davon.
Nicht lange darauf ritt Nabek
Im Abendschein nach Haus,
Im Dämmerlichte nahm er
Fern einen Bettler aus.
Und näher gekommen sieht er
Das kranke Angesicht.
Es steigert sich sein Mitleid,
Als drauf der Arme spricht:
"Schon drei der Tage schlichen
Langsam an mir vorbei;
Von jedem glaubt und hofft ich,
Daß es mein letzter sei.
Du Wandrer sei mein Retter,
Hilf mir aus meiner Not,
Drei lange Tage hatt ich
Kein Wasser und kein Brot." —
Der Bettler hats gesprochen,
Der Beduine drauf:
"Ich will dich mit mir nehmen,
Schwing dich zu mir hinauf." —
Doch sehend, daß der Kranke
Dazu der Kraft entbehrt,
Springt er vom Pferd herunter
Und hebt ihn auf das Pferd.
Der Bettler sitzt im Sattel,
Er setzt die Sporen ein,
Hin galoppierend ruft er
Zurück: "Das Roß ist mein!
Ja Nabek, ich heiße Daher
Ich überglücklicher Mann,
Da ich die schöne Stute
Gar listig mir gewann." —
Doch Nabek ruft von ferne
Den Sohn der Wüste zurück
Und spricht: "Gott gab dir die Stute,
Sei froh in deinem Glück;
Nur hab ich an dich die Bitte,
O Bruder, gewähre sie mir,
Sag keinem einzigen Menschen,
Wie du gewonnen das Tier.
Du sollst es Niemand sagen,
Weil sonst von dieser Zeit
Aufhörte alles Mitleid
Und alle Barmherzigkeit;
Man ließe manchen Bettler
Elend zu Grunde gehn,
Aus Furcht, betrogen zu werden,
So wie es mir geschehn." —
Und Nabeks Worte dringen
In Dahers Brust, er schweigt,
Er sinnet eine Weile
Darüber nach und steigt
Herab vom schönsten Pferde,
Dem herrlichsten Tier im Land,
Schlägt über den Kopf die Zügel
Und gibt sie in Nabeks Hand.
Drauf wandern beide zu Fuße
Nach Nabeks wirtlichem Haus
Und ruhen da vom Gange
Gar traulich plaudernd aus.
Und Daher, liebreich behandelt,
Als hochgeehrter Gast,
Zieht als ein Freund von dannen
Nach dreier Tage Rast.
Drei Schützen
Der Däne ward geschlagen,
Gewonnen ist die Schlacht;
Blutrot versinkt die Sonne,
Dem Ost entsteigt die Nacht.
Der König weilt, umjubelt
Von Becherklang und Tanz,
In seinem Fürstensaale,
Beleuchtet von Fackelglanz.
Was ist es, was auf einmal
Den Ton der Freude durchbricht?
Herr Ure, Oberrichter
Tritt vor den König und spricht:
"Mein König, ich muß dir künden,
Daß eben Sigurd starb,
Der tapfere kühne Feldherr,
Der heute den Sieg erwarb.
Drei junge Krieger empfingen
Den Segen von dem Greis,
Der sprach mit brechender Stimme
Die wenigen Worte leis:
""Lebt wohl, ihr meine Teuren,
Warl, Harald, Erichton,
Euch liebt ich wie ein Vater,
Doch Einer ist nur mein Sohn.
Und dem vermach ich als Erbe
Mein hohes Schloß am Meer."" —
Und hier versagt ihm die Stimme,
Er sprach kein Wörtlein mehr.
"Die jungen Krieger bitten,
Du mögest Richter sein." —
Es sei, erwidert der König,
Bring sie zu mir herein.
"Holt eures Vaters Leiche,
Warl, Harald, Erichton,
Damit ich kann entscheiden,
Wer des Entschlafnen Sohn."
Der König erhebt sich vom Throne
Läßt enden Gesang und Tanz;
Er schreitet in den Garten,
Umgeben von Fackelglanz.
"Nun traget Sigurds Leiche
Jenseits der Wiese Raum,
Und lehnt das Haupt, das bleiche,
An den geweihten Baum.
Nehmt in die Hand den Bogen,
Warl, Harald, Erichton;
Wer Sigurds Herz getroffen,
Ist des Entschlafnen Sohn." —
Der König hats befohlen;
Warl nimmt den Bogen zur Hand,
Er spannt die Sehn und zielet,
Schon ist der Pfeil entsandt.
Und Ure geht zum Leichnam
Und kehrt zurück und spricht:
"Es ward das Herz des Toten
Vom Pfeil getroffen nicht."
Drauf nimmt den gestreckten Bogen
Harald in seine Hand;
Der Pfeil hat die Luft durchzogen,
Kaum daß die Sehne gespannt.
Und Ure geht zum Leichnam
Und kehrt zurück und spricht:
"Es ward das Herz des Toten
Vom Pfeile getroffen nicht."
Jetzt hat der dritte Krieger
Die Bogensehne gespannt;
Was hält er doch so lange,
Den Pfeil in bebender Hand?
Sein Blick ruht wie bezaubert
Am teuren Angesicht
Des vielgeliebten Helden,
Das rot vom Fackellicht.
Sein Aug ist nach dem Toten
Stier schauend hingewandt;
Es scheint in seine Rechte
Der spitze Pfeil gebannt.
Auf einmal wirft er heftig
Das wilde Geschoß von sich,
Und sagt: "Nein, teurer Vater,
Ich schieße nicht auf dich."
Dies sieht und hört der König
Und spricht zu Erichton:
"Du bist des Helden Erbe,
Du bist des Helden Sohn!"
Zu spät!
Ein Räuber lag im Spittel,
Dem Sterben nah;
Nur glühnde Fieberträume
Sein Auge sah.
Jetzt wacht er auf vom Schlummer;
Mit einem Mal
Ist ihm entflohn des Fiebers
So heiße Qual.
Wohl floh vorbei das Fieber;
Ein neuer Schmerz
Benagt jetzt wie ein Geier
Sein krankes Herz;
Er sieht das kummervolle,
Das graue Haupt
Des Mannes, der einst ihm Vater,
Den er beraubt.
Der hatt ihn aufgenommen
Mit Vatershand;
Er wurde da empfangen
Wie blutsverwandt;
Es haben All und Jeder
An Liebe gleich
Das fremde Kind behandelt,
Die selbst nicht reich.
Drauf ward, gereift zum Jüngling,
Er Räuber dann,
Und hat mit den Gefährten
Beraubt den Mann.
Noch ärger als das Fieber
Quält ihn der Schmerz,
Und nach dem Trost des Priesters
Verlangt sein Herz.
Der Priester kommt und neiget
Sein Angesicht
Herab, und nach der Beichte,
Er leise spricht:
"Erst wenn zurückgegeben
Du Alles hast,
Sei von dir weggenommen
Der Sünden Last." —
Der Kranke ruft vom Wärter
Den Sohn zu sich
Und spricht mit schwacher Stimme:
"Ich bitte dich,
Geh vor die Stadt mir eilig,
Ins Dorf hinaus,
Gleich rechts auf einem Hügel
Da steht ein Haus!
Tritt ein und gib dem Vater
Den Beutel hier;
Erfülle meine Bitte,
Versprich es mir!" —
Der Knabe hats versprochen,
Des Wärters Sohn;
Er nahm zu sich den Beutel
Und ging davon.
Mit stetem Blick der Kranke
Zur Türe sah;
Nach einer Stund ist wieder
Der Knabe da,
Legt auf das Bett den Beutel
Und leis er spricht:
"Den Mann, den ich gesuchet,
Ich fand ihn nicht.
Das Haus war ganz verlassen,
So öd und leer;
Da ging ich denn nachfragend
Im Dorf umher.
Da sagten mir die Leute,
Der Mann sei tot,
Im Schuldenturm gestorben
In banger Not."
""Nimm nochmals mit den Beutel"" —
Der Räuber drauf,
Such die verlaßne Witwe
Des Toten auf!"" —
Mit Sehnsuchtsblick der Kranke
Zur Türe sah, —
Nochmals steht mit dem Beutel
Der Knabe da.
"Ich fand des Mannes Witwe
Im Armenhaus;
Man trug den Leichnam eben
Im Sarg hinaus."
""Nimm nochmals mit den Beutel,""
Der Räuber drauf,
""Such die verlaßnen Kinder
Des Toten auf!""
Mit zitternd bangem Blicke
Zur Tür er sah, —
Nochmals steht mit dem Beutel
Der Knabe da,
Spricht in das Ohr dem Kranken
Die Worte leis:
"Die Kinder gingen betteln
In Schnee und Eis.
Sie blieben auf den Straßen
In ihrer Not,
Der Hunger und die Kälte,
Das war ihr Tod." —
Verzweifelnd blickt der Räuber
Jetzt himmelwärts;
Das letzte Wort des Knaben
Das brach sein Herz.
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