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Motto:

Würd' ich altersblind
Wollt' ich Luft und Wind
Und der Sonne Lust
Saugen, wie ein Kind
Saugt an Mutterbrust.

   
Friedrich Rückert.

Nur wo Wärme und Licht ist eins
Wird nicht der Schein entbehren des Seins
Und das Sein nicht des holden Scheins.

   
Friedrich Rückert.
 

Gedichte 1
 

Blätterrauschen
Das Vöglein
Der Tau
Wie viel braucht es für ein Gedicht
Einsame Wege
Schmetterlinge
Morgennebel
Versäumter Sonnenaufgang
Morgentau
Der Gang nach dem Friedhofe
Auf einer Gartenbank

 
Gesang der Gräser
Sonnenuntergang
Abendstimmung
Abendtau
Falscher Weg

 

Blätterrauschen

Millionen grüner Blätter,
Milliarden und noch mehr
Wehen sanft bei jedem Lufthauch
Holde Grüße her zu mir.

Und es steht des Wunderschönen,
Ach, auf jedem Blatt so viel,
Daß ich's nicht zu Ende lese
Bis an meines Ende Ziel.

Und mir ist, als wär' der Buchenwald
Eine große Bücherei,
Wo ich, Gründliches zu lernen,
Auf Besuch bekommen sei.

Und ich blättre, blättre, blättre
Unermüdlich fort und fort,
Und die Sonnenampel leuchtet
Freundlich mir zu jedem Wort.

Selbst die Lösung manches Rätsels
Wird mir flüsternd anvertraut,
Ein Geheimnis nach dem andern
Wird hier meiner Seele laut.

Vieles zwar ist unergründlich,
Wie's wohl auch für Andre bleibt,
Die der Zufall oder Wille
Hier in diese Räume treibt.

Doch mich reizt's von Blick zu Blicke,
Täglich forschend nachzusehn,
Und was heut ich nicht verstanden
Hoff' ich morgen zu verstehn.

Wenn ich morgen, übermorgen,
Wenn auch dann nicht, und wenn nie —
Dankbar bleib' ich stets der Stunde,
Die mir Eintritt hier verlieh.

Von den Blättern und den Zweigen,
Von den Zweigen zu dem Ast,
Von dem Aste zu dem Stamme,
Der hier Wurzel hat gefaßt —

Von der Wurzel zu dem Samen,
Der vom schwanken Zweige fällt,
Und hier keimen wird als Nachwuchs,
Schwach dem Stärkern zugestellt —

Von dem Laube, das sich schützend
Auf die neue Hoffnung legt,
Bis zu dem, das die Erfüllung
Einst in grüner Krone trägt —

Von den Bäumen, die ich sehe,
Bis zum Walde künft'ger Zeit,
Steigt mein Seherblick der Seele
Tief hinab und aufwärts weit.

Das Entstehn, das Sein, das Werden
Spricht mich aus den Blättern an,
Und die große, große Frage,
Ist der Baum gefällt, was dann?

Flammt er einst für traute Kreise
Lieblich knisternd im Kamin,
Bringt als Mast er kühne Schiffer
Einst nach fernen Ländern hin?

Aber noch manch bange Frage
Stürzt blitzähnlich auf mich her,
Und das Staunen beim Betrachten
Faßt mich immer mehr und mehr.

Welch ein Reichtum in der Armut,
In der Fülle welch ein Glanz,
Diese Blätter, so verschieden
Und sich doch so ähnlich ganz.

Diese Kraft im kleinen Samen
Daß aus einer einz'gen Nuß
Sich ein Baum, und aus dem Baume
Sich ein Wald entwickeln muß —

Dies Gebundensein in Freiheit,
Diese Freiheit selbst im Zwang,
Fest der Boden, hoch der Himmel,
Frei des Wachstums Trieb und Drang —

Dieser Blätter sanftes Zittern
Und der Stamm so unbewegt,
Fest die Wurzel in der Erde,
Während sich der Wipfel regt —

Dieses zarte Grün des Laubes
In der Sonne goldig fast,
Das in seinem kleinen Raume
Allen Schmuck des Lichtes faßt —

Diese Rinde, glatt und zierlich,
Die des Baumes Kern beschützt,
Und die selbst durch ihre Risse
Ihn zur Lebenszufuhr nützt.

Und darüber hoch am Himmel
Sie, die täglich wiederkehrt,
Nachts den Mond mit ihren Strahlen
Und mit Tau die Erde nährt —

Sie, die Sonne, die durch's Waldlaub
Wie durch Gitterfenster bricht,
Und so warm zu meiner Seele
Wie hier zu den Pflanzen spricht.

Ach, Gefühle kommen, wechseln
In der Brust so hold bewegt,
Wie sich hier bei jedem Lufthauch
Blatt um Blatt am Baume regt;

Und Gedanken kommen, wechseln,
Jeder schön und jeder groß,
Jeder wie die kleine Buchnuß
Eine Welt in seinem Schoß. —

So erhabene Gedanken,
Daß mich Schauer fassen muß;
Mein Genuß wird gänzlich Andacht
Und die Andacht zum Genuß.

Segnend geht ein Hauch der Allmacht
Über mein Empfinden hin,
Weiht mein Auge, meine Seele,
Und begeistert Herz und Sinn.

Dankbar seh' ich nun und lieb' ich,
Was des Schönen mir sich beut,
"Einst" und "dann" sind Wahn und Träume,
Froh genieß' ich nur mein Heut,

Wie den Duft des Alpenveilchens,
Das zu meinen Füßen blüht
Und vielleicht nur eben heut noch
Seinen Wohlgeruch versprüht.

Das Vöglein

Ein Vöglein geht spazieren
Im grünen stillen Raum;
Bald badet sich's im Sande,
Bald wiegt sich's auf dem Baum.

Ist's fleißig, ist es müßig,
Sucht's Futter für sein Nest?
Erwartet's gute Freunde
Harrt's auf ein Liebesfest?

Der lauschenden Fremden
Wird's lang nicht bewußt,
Singt's Jedem sein Liedlein
Gar hell aus der Brust;
Und schmettert dann lustig
Hinein in den Wald,
Wie kaum die Trompete
Des Jubels erschallt.

Wir aber im Schatten,
Wir horchen ihm zu,
Und denken: "Wie glücklich,
O Vöglein bist du."

Es pickt an Blatt und Beere
Nach altgewohnter Art,
Bis zu des Stammes Füßen
Es lauschend uns gewahrt.

Zorn ist's und Mißbehagen,
Wovon sein Aug' erglüht,
Und Schreck und scheues Staunen
Erfassen sein Gemüt.

Da breitet es plötzlich
Die Flügelchen aus
Und flattert vom Walde
In's Freie hinaus,
Und fliegt immer weiter
Auf sonniger Bahn,
Die Wolken vorüber
Den Himmel hinan.
Und heitere Sehnsucht
Nach oben wird wach,
Und neidende Blicke
Die folgen ihm nach.

Der Tau

Ich weiß eine Diamantenau
Voll herrlicher blitzender Steine,
Gelb funkelnd und rot und grün und blau,
Mit wechselndem Strahlenscheine.

So schimmern die hellsten Sterne nicht,
Die leuchtend am Himmel wallen,
So nicht bei flammender Kerze Licht
Der glänzende Kranz von Kristallen.

Und doch zieht niemand nach ihnen aus,
Und sammelnd danach zu greifen,
Und keiner nimmt sie mit nach Haus,
Sich Schätze daraus zu schleifen.

Wer immer diese Juwelen schaut,
Den wird ihr Anblick entzücken,
Und preisen wird er, still oder laut,
Wie schön sie die Fluren schmücken.

O Tau, du bist wie die Poesie,
Der Alltag wird dich verachten,
Doch was dir an Glanz die Natur verlieh,
Wird Andacht bewundernd betrachten.

Wie viel braucht es für ein Gedicht?

Stamm an Stamm und Ast an Ast,
Drüber eine Blätterlast,
Und durch Lücken, wie durch Scheiben,
Blauer Himmel, goldnes Licht,
Und ein Bänkchen, das zur Rast
Ein mich ladet, hier zu bleiben —
Braucht es mehr für ein Gedicht?

Dicht vor mir ein Eichenriese,
Denn ein Maler sich erkiese,
Wenn, sein Album in der Hand,
Forschend er durchstreift das Land;
Und ein Waldpfad, der bequem
Zu des Berges Höhe lenket,
Oder sanft und angenehm
Sich zum Grün der Tiefe senket,
Schönheit dort wie hier in Sicht —
Braucht es mehr für ein Gedicht?

Schmetterlinge die sich gaukelnd
Auf den Rand der Blumen setzen,
Vöglein, im Gezweig sich schaukelnd,
Kätzchen, die mit raschem Schwunge
Durch der Bäume Laubwerk hetzen,
Wanderpaare, alte, junge,
Die von all dem Reiz entzückt,
Der wie uns auch sie beglückt,
Langsam in verschiednen Zeiten
Stumm an uns vorüberschreiten — —
Kann es süßern Frieden geben,
Als dies stillbewegte Leben,
Das kein Mißklang unterbricht —
Braucht es mehr für ein Gedicht?

Dort ist die Seligkeit zu finden,
Wo wir Seligkeit empfinden;
Stündlich wird sie neu geboren
Wenn die Seele sie genießt,
Sonst ist jedes Glück verloren
Wenn es noch so reichlich fließt.
Ach, nach ihm als ihrem Ziele
Jagen stürmisch nur zu Viele,
Ahnungslos, daß alle Gaben,
Die dem Schicksal abzuringen,
Glück nicht, bloß Triumphe bringen,
Ahnungslos, daß sie ja haben,
Was mit Stöhnen, was mit Fluchen
Durch die ganze Welt sie suchen.

Und so weiß ich dieser Bank
Weiß es diesem Plätzchen Dank,
Denn in meiner tiefsten Brust
Werd' ich hier mir glückbewußt,
Oder ist's kein Glück, zu sehen?
Ach wie Viele sehen nicht,
Die mit offnen Augen gehen!
Fühlen nicht den goldnen Frieden,
Der zu jedem Herzen spricht,
Und was braucht es wohl hienieden
Mehr für Leben und Gedicht?

Einsame Wege

Einsame Wege, in den Wald hinein,
Will mir selber der Führer sein,
Ferne der Andern Geschwätz und Gerede,
Keinem zu Willen, mit Keinem in Fehde.

Was mir der eigene Trieb nicht sagt,
Das wird niemals von Fremden erfragt.
Soll ich denn büßen für solche Taten,
Die mir ein Anderer angeraten?

Fort darum den Weg entlang,
Führt an ein Ziel doch jeder Gang
Und an's rechte kann der nur gelangen
Der auch zu Zeiten irre gegangen.

Ja, vielleicht wie Saul aus dem Haus
Geht er nach der Eselin aus,
Findet nicht sie, und erhält zum Lohne
Eine für ihn bestimmte Krone.

Schmetterlinge

Schwebend und schaukelnd nach ihrer Weise
Flattern vor mir viel Schmetterlinge
Lustig und leise;
Heben sich hoch mit bunter Schwinge
Oder umgaukeln die Blumen im Kreise
Lustig und leise.

Liebliche längst vergangene Zeiten
Kommen mir wieder ins treue Gedächtnis,
Lustig und leise,
Wollen als holdes Jugendvermächtnis
Mir die Jugend von neuem bereiten,
Lustig und leise.

Freundliches Hoffen, seliges Ahnen
Nahen wie glückverheißene Träume,
Lustig und leise;
Und "Ja" sagen die Gräser, die Bäume,
Wo ich nur wandle, auf allen Bahnen
Lustig und leise.

Wie sie flattern die Schmetterlinge,
Schwebend und schaukelnd nach ihrer Weise
Lustig und leise!
Wie sie die Blumen umgaukeln im Kreise
Oder sie heben mit bunter Schwinge,
Lustig und leise!

Morgennebel

Tiefverschleiert sind die Berge,
Dichtverhüllt ist noch das Tal,
Und der Nebel schimmert seltsam,
Wie beleuchteter Opal.

In durchsichtigem Geheimnis
Tritt der Tag auf seine Bahn,
Wo verborgene Orchester
Jubilierend ihn empfah'n.

Alle Wipfel, weh'n verneigend,
Ihm mit ihren Zweigen zu,
Lustrot auf der Felsenstirne
Steht: Willkommen mir bist du.

Doch der Mensch blickt wie ein Höfling
Forschend nach der Höh' und spricht:
Wüßt' ich nur, ob heut der Herrscher
Gütig sein wird oder nicht.

Versäumter Sonnenaufgang

Früh wollt' ich heut mein Bett verlassen,
Den Sonnenaufgang abzupassen:
Ich hab' ihn versäumt.
Die Sonne war mit hellstem Prangen
Bereits schon herrlich aufgegangen:
Ich hab' es verträumt.

So vieles Andre sonst im Leben,
Bei meinem wie bei Andrer Streben:
Ich hab' es versäumt.
Wie manch Erfüllen von Begehren,
Wie manches tröstende Gewähren:
Ich hab' es verträumt.

Ich lebte oft als wie im Schlafe,
Des Nichtstuns und Bequemseins Sklave:
Viel hab' ich versäumt.
Statt zu versuchen, statt zu wagen,
Mußt allzuspät ich nun mir sagen:
Viel hab' ich verträumt.

Wir dummen Menschen zögern, zaudern,
Indes bei unserm Zeitverplaudern,
Die rechte vergeht.
Du aber, goldnes Licht des Lebens,
Du kommst doch stets und nie vergebens
Und niemals zu spät.

Du hältst die vorbestimmte Stunde
Genau und bis auf die Sekunde,
Bist immer bereit.
Doch wir sind's nie, und wir versäumen
Mit Sinnen, Denken, Zaudern, Träumen,
Meist unsre Zeit.

Morgentau

Hängt am Grase, das dort sprießt,
Heller Tau, der bald zerfließt,
Oder wie an grünem Band
Perl', Rubin und Diamant?

Ist es Stärkungswein vielleicht,
Den dem Gau der Morgen reicht,
Daß er dann den ganzen Tag
Um so heitrer blühen mag?

Ist's Kristall, worin das Licht
Sich in tausend Farben bricht,
Bleibt's als neuer Schmuck zum Fest,
Das der Hausherr geben läßt?

Ist's ein Naß, worin vereint
Rührung und Genuß erscheint,
Trän' um Trän', wie unbewußt
Glück sie weint und höchste Lust?

Sind es Tropfen, rein und hell
Draus dem reichen Wunderquell,
Wo der Dichter Leben trinkt,
Wenn ihm seine Muse winkt?

Der Gang nach dem Friedhofe

"Es ist bisweilen gut,
Sich Ernstem hinzugeben,
Nicht bloß, mit leichtem Blut
Vergnügt dahinzuleben."
So sagt' ich heute vor mich hin —
Ich pflege manchmal laut zu denken —
Und ging, mit ernstem Sinn,
Den Schritt zum Friedhof hinzulenken.

Der Tag war hell und heiß,
Die Straße ohne Schatten,
Bald fühlt' ich wie ein Greis
Die Kräfte mir ermatten;
Bald wie es nur ein Jüngling kann,
Zwang ich den Fuß nach meinem Willen,
Schritt weiter, schritt bergan,
Halb seufzend, treibend halb im Stillen.

Der Weg war lang und steil,
Die Sonne brannte blendend,
Die Strahlen, Pfeil um Pfeil,
Voll Glut und Licht versendend.
Ich, sonst ihr Freund, verwünschte sie,
Doch rief ich: "Rüstig fortgegangen."
Schmerzt mich auch Fuß und Knie,
Und triefen auch von Schweiß die Wangen.

So kam ich mit Geschnauf
Und pustend ziemlich wacker,
Den stein'gen Pfad hinauf
Bis in den Gottesacker.
Da sah ich manches alte Grab,
Verwildert oder eingesunken,
Und feuchtes Grasicht gab
Das Lager her für plumpe Unken.

An frischen Gräsern auch
War Schönes nicht zu sehen:
Verdorrt sprach mancher Strauch:
"Es lohnt nicht, hier zu stehen;
Geborsten manch ein Leichenstein:
Gib's auf, die Inschrift noch zu lesen."
Ein offnes Grab rief drein:
"Ich bin schon oft gefüllt gewesen."

Ich ging. Da plötzlich stand
Vor mir ein Frauenname;
Und wie aus Zauberhand
Verstreut ein Blumensame
In raschem Aufgehn rasch gedeiht,
So wuchs in meinem tiefsten Innern
An eine schöne Zeit
Ein warmes, seliges Erinnern.

Und immer mehr und mehr
Entschwebten aus den Tiefen
Gestalten um mich her,
Die längst schon ruhig schliefen.
Sie sammelten sich da wie wach,
In immer reicherem Gedränge,
Sie wurden allgemach
Aus wen'gen Schatten eine Menge.

Sie stammten nicht von hier,
Die ich von Alters kannte,
Sie alle waren mir
Geists- oder Blutsverwandte.
Die Mutter kam, der Vater kam,
Die Freundschaft meiner Kinderjahre;
Die je der Tod mir nahm,
Ich sah sie, und — nicht auf der Bahre.

Sie lebten, und ihr Hauch
Berührte meine Wange;
Ich stand vor Grab und Strauch
Der fremden Toten lange.
Nicht diese, die ich nie gekannt,
Nicht diese stiegen auf, die andern,
Wie nicht von hier verbannt,
Sie durften wieder zu mir wandern.

Ich sah sie, demantklar,
So leuchtend wie die Sonne,
Und rein und himmlisch war
Im Herzen meine Wonne.
Denn fleckenlos erschienen sie,
Die ich einst treu und heiß verehrte,
Mir denen ich, wie nie
Bei ihrem Leben, innig jetzt verkehrte.

Ein Taumel faßte mich
Und hielt mich wie in Banden,
Zu Tale blickte ich
Bis mir die Sinne schwanden.
Und als das Aug' mir überquoll
Vor Seligkeit und vor Entzücken,
Da fühlt' ich freudenvoll,
Daß auch die Wehmut kann beglücken.

Des Mutternamens Wort
Wirkt wie der Sonne Schimmer
Durch alle Zeiten fort,
Und überall und immer.
Und wo auf einem Leichenstein
Ich diesen Namen wieder finde,
Stellt sich die Mutter ein,
Und werd' ich wiederum zum Kinde.

Auf einer Gartenbank

Auf die Bank dahin gestreckt
Und in Träumen froh verloren,
Dann zur rechten Zeit geweckt
Wieder aufstehn, neugeboren —

Oder auch in fremdem Land
Mit dem fremden Träumer weilen.
Ihm, wenn er als Freund erkannt,
Froh im Geist entgegen eilen —

Oder wie ein Schalksnarr nur
Was vorhergeht, betrachten,
Jede komische Figur
Als Verjüngungszauber achten —

Oder auch gedankenlos
Dem Behagen sich ergeben,
Ruhend wie in Abrams Schoß,
Selig wie im ew'gen Leben —

Ach es ist ein Stündchen wert,
Dieses Müßigsein im Freien,
Das uns neue Lust beschert,
Neue Kraft der Welt zu weihen.

Drum sich auf die Bank gestreckt
Und in Träume froh verloren,
Doch zu rechter Zeit geweckt
Wieder aufstehn, neugeboren!

Gesang der Gräser

Achtlos, wie ich manchmal bin,
Ging ich an den Wiesen hin,
Und voll Hochmut rief ich aus:
"All die Arten grünes Gras
Und auch Heu, was soll mir das?
Gibt's auch manchmal einen Strauß,
Den man stellen mag ins Glas,
Wenn ihn eine weiße Hand
Klug mit Blumen auch verband. —
All die schöne Herrlichkeit
Dauert doch nicht lange Zeit,
Und ist dann bei Mäh und Muh
Futter nur für Schaf und Kuh.
Obstbaum! Hochwald! d a s ist was,
Aber Gras, gemeines Gras!"
Und ich schritt mit stumpfem Sinn
Weiter an den Wiesen hin.

Wer das Kleine nicht ehrt,
Ist des Großen nicht wert."
Tönt's zu mir.
Was ist das?
Wer singt hier?
Singt das Gras?

In der Tat, die Spitzen kräuseln
Sich bei linder Lüfte Säuseln,
Und aus manchem schlanken Rohr,
Während alle andern schweigen,
Quillt ein heller Ton hervor,
Und auf einmal fällt der Reigen
Unter Nicken, unter Neigen,
Rauschend ein in vollem Chor:

"Stolzer Wandrer! Blöder Tor!
Jedes Jahr erneuern wir
Unser grünes Wachstum hier.
Jedes Jahr bei Mäh und Muh
Frißt uns freilich Schaf und Kuh;
Du jedoch und deines Gleichen,
Ihr auch seid ein gefräßig Volk
Und ein grausames dazu.
Eure Hand macht die zu Leichen,
Die sie lange tüchtig molk,
Die sie lange tüchtig schor.
Aber, — hör' die Offenbarung —
Ohne uns als täglich Futter
Gäb' die Kuh nicht Milch und Butter
Wär' sie nicht des Ochsen Mutter,
Dessen Fleisch zur Leibesnahrung
Sich dein frech Geschlecht erkor.
Ohne uns erhielte sich
Nicht das kleinste Lamm beim Leben

Das es einzig muß für dich
Unter's Beil des Schlächters geben,
Ohne uns und unsre Schwaden,
Die zu Gast so duftig laden,
Lieferte kein Schaf sein Vlies,
Das nach Säkular — Erfahrung
Bloß zu guter Hautverwahrung
Dein Geschlecht veredeln ließ.

Unsre Dolden, unsre Kelche,
Halme, Rispen, Bänder, welche
Du mit Hohn in allen Mienen
Jetzt, indem du sie betrachtest
Als gering von Wert verachtest,
Die sind's eben, die dir dienen,
Und von denen deine Welt,
Deine Zeit, wie schon vor Jahren
Nichts als Wohltat hat erfahren,
Alles, was sie braucht erhält.

Was dich nährt, und dein Geschlecht
Bringt ins kommende Jahrhundert
Sei mit Dank von dir bewundert;
Du bewunderst nur mit Recht.
Wir, die Gräser grün und hell,
Wir sind deines Lebens Quell.

Was dich schützt, weil es dich kleidet,
Was als Hülle, was als Zier,
Von dem unbewußten Tier
Dich als Menschen unterscheidet.
Keimt in uns, den Gräsern hier.
Wohl hat Unschuld ihre Hoheit,
Aber Schönheit hat auch Scham,
Und sie flieht den Blick der Roheit,
Der aus frechem Auge kam.
Darum wächst aus unsrer Mitte
Aller Zeiten Zucht und Sitte.
Also in des Kleinen Schoß
Keimt das Edle, keimt das Große.
Und wer das Kleine nicht ehrt,
Ist auch des Großen nicht wert."

So erklang,
Und so drang
Voller Weihe
Aus der dichten Reihe
Grüner Gräser hier
Der Gesang
Her zu mir
Und mit tiefbeschämtem Sinn
Zog ich fürder an den Wiesen hin.

Sonnenuntergang

So oft die Sonn' auch untergehen mag,
Geht mir die Freude auf, die auf den nächsten Tag.
Ich weiß es, daß der Sonne warmer Kuß
Wie der, der Liebe mich des Morgens wecken muß,
Und sollt' ich früher schon ermuntert sein,
Dann harrt ich sehnsuchtsvoll auf meinen Sonnenschein,
Den herzenswarmen treuen Liebesblick,
Dran täglich sich erneut mein seliges Geschick.
O komme nie der Tag, an dem ich Kuß
Und Blick, die ich gewohnt, auf immer missen muß!

Abendstimmung

Um mein heißes Antlitz wehen
Leicht und kühl die Abendlüfte;
Würziger als morgens
Hauchen rings die Düfte;
Hell und leuchtend schimmert weithin
"Angeglänzt vom letzten Strahl",
Jetzt der blaue Himmel
Über Berg und Tal.

Kaum noch zwitschern ein paar Vögel,
Zirpt im Grase noch die Grille,
Es wird einsam, ruhig
Um mich her und stille.
Vor mir fliegt, nun ganz verspätet,
Ein Johanniskäferlein,
Schwärmerfalter flattern
Durch den Dämmerschein.

Geist und Herz hat dieser Tag mich
Überreich mit Glück beladen,
Fast erdrückt, empfind' ich
Mich von so viel Gnaden.
Mir erschlaffen fast die Sinne,
Meine Augen fallen zu,
Und nach all den Freuden
Sehn' ich mich nach Ruh'.

Abendtau

Die schöne Sonne sinkt, versinkt, versank,
Und an den Blumen hangen Abschiedszähren;
Jetzt fühlen sie, daß ihre Mutter schied,
Und seufzen: "Ach, sie wird nicht wiederkehren!"

Am Morgen, wie begrüßten sie so froh
Das holde Angesicht, die warmen Blicke,
Tags über klagten sie und murrten oft,
Daß solche Glut ihr Wohlergehn ersticke.

Da ließen sie die Köpfchen hängen all',
Verzweifelt schauten sie zur Erde nieder,
Die ja ihr altes Stamm- und Wohnhaus ist,
Und Unbehagen floß durch ihre Glieder.

"Wir gehn zu Grund', das halten wir nicht aus,
Ach wären wir doch nie, niemals geboren!"
So hauchte Halm zu Halm, so Kelch zu Kelch,
Und Mittagsstille brachte mir's zu Ohren.

Doch nun beim abendlichen Schweigen klingt
Es anders zu mir her: "O, uns Entrückte,
Die uns mit ihrer Liebesglut genährt,
Und unser Sein mit hellen Farben schmückte."

Froh Tag für Tag kommt Mutter Sonne her,
So hell und warm wie immer sie gewesen,
Und täglich wieder ist der Blumen Glück
In ihrer frischen Farbenpracht zu lesen.

Die Mutter aber, die dem Menschen starb,
Die kommt nicht wieder, mag er noch so flehen.
Die Sonne scheint, die Blume blüht, und er —
Kann weinend nur am Grabe der Mutter stehen!

Falscher Weg

Es gibt an's Ziel
Der Wege viel,
Allein woran
Erkenn' ich
Die rechte Bahn?

Von hier, von dort
Winkt's her, winkt's fort,
Unausgesetzt
Zur Höhe
Werd' ich gehetzt.

Die Wangen heiß,
Die Stirn voll Schweiß,
Das Herz voll Zorn,
So renn' ich
Durch Busch und Dorn.

Nach langer Qual
Mit einem Mal
Gelang' ich so
Zum Gipfel
Doch irgendwo.

Zum Gipfel! Ja!
Doch seh' ich da
Erstaunt, verwirrt,
Ich habe
Mich arg verirrt.

Wohl ist es schön
Auf allen Höh'n,
Auf dieser auch
Bei Blumen-
Und Zephierhauch.

Noch bin zur Zeit
Vom Ziel ich weit —
Das dorten lacht,
Dort drüben,
In Sommerpracht.

Ich, der hier steh',
Erreich' ich's je?
Welch trübe Rast!
Die Sehnsucht
Verzehrt mich fast.

Wohlan, mein Blut,
Faß' frischen Mut!
Zum neuen Lauf,
Hier abwärts,
Und dort hinauf!

Bei jedem Schritt,
Hoffnung, geh' mit,
Und halt' ich an,
Und zag' ich,
So geh' voran.

Du aber, Licht,
Licht, äff' mich nicht!
Zeig' mir den Weg,
Beleuchte
Den rechten Steg.

Dort angelangt,
Sei dir gedankt,
Dann ist mir leicht;
Ich habe
Mein Ziel erreicht.