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Gedichte 2
 

Verlassene Pfade
Eingeschnittene Namen
Das Spinnennetz
Die verdorrte Pappel
Vor der "schönen Buche"
Beleuchtete Wolken
Waldszene
Ermahnung
Das friedliche Tal
Blauer Himmel
Trüber Tag

 
Der Rosenbaum
Begegnung
Blick von der Höhe
Dankgebet
Vor dem Vogelnest

 

Verlassene Pfade

Durch dichte Waldung führte mich mein Weg.
Die Bäume waren jung. Nur hier und da
Trug einer schon der Jahresringe viel
Und eine hohe Krone, die den Baum
Weit in die Runde hin beschattete.
Bisweilen kam ein abgehau'ner Stumpf
Mir zu Gesichte, den das grünste Moos
Bedeckte, wie ein wohlgepflegtes Grab
Den Sarg verhüllt, der unsre Toten birgt,
Ein Grab, wo Treue nicht vergebens ruft,
Damit Gestalten wieder auferstehn
In Fülle der Gesundheit und der Kraft,
Mit all dem Zauber ihrer Wesenheit,
Wie wir sie kannten, wie wir sie geliebt,
Vielleicht noch herrlicher, als sie zur Zeit
Der schönsten Blüte uns erschienen sind.
Und dann vielleicht am allerglänzendsten,
Wenn wir sie nie mit einem Blick geschaut,
Wenn nur ein treuer Mund von ihnen sprach
Und sie als hohe Wunder schilderte,
Die niemals wiederkehren; doch gewiß
Dann am entzückendsten für Geist und Herz,
Wenn eine Sage von Jahrhunderten
Den finstern Schleier schnöder Wirklichkeit
Herabreißt vor der Wahrheit edlem Licht
Und jene Sonne der Vergangenheit
Vor uns ohn' jeden Flecken schimmernd läßt.
Ach, ein Jahrzehend schon genügt, was war,
Was schön war, mehr noch zu verklären, mehr
Zu schätzen als voreinst. Kurzsicht'ger Mensch!
Und oft auch blinder, dem erst der Verlust
Den Wert von dem, was er besessen, zeigt!

So dacht ich denn gar oft im kühlen Wald
Der Stämme, die des Försters Axt gefällt,
Und trauerte, wie heiter auch und hell
Ringsum der frische Nachwuchs mich umgab.

Voll Kummer suchend nach den wenigen.
Die noch geblieben stark und stramm und hoch,
Und denen, welche schon gebeugt und morsch
Den andern freundlich aber wehmutsvoll,
Zum baldigen Abschied oder zum Willkomm
Zunickten, fiel mein tränentrüber Blick
Vom Pfade, den ich eben selber ging,
Um auf des Berges Höh' zu kommen, jetzt
Auf alte, jahrelang verlassene.

Noch deutlich zu erkennen waren Spur
Und Richtung; sie auch führten schön empor,
Vielleicht beschwerlicher, doch führten sie.
Und auch auf ihnen ward das Ziel erreicht:
Die Kuppe mit der Rundschau weit umher
Und mit dem Überblick von Tal zu Tal.
Laub deckte sie, verwelkt dahingestreut
Von leisen Lüften, oder gar vom Sturm
Samt ihrem dürren Ast herabgepeitscht;
Gras wuchs auf ihnen, Schwamm und Farrenkraut,
Der Fuß versank, sobald er sie betrat.
Und unter lockern Steinen quoll's hervor,
Bald nasser Grund, bald Wasseräderchen,
Und wie von Schutt und Moder drang Geruch
Verfaulter Blätter und gestockten Sumpfs
Betäubend widrig mir ins Angesicht.
An manchen Stellen aber blühte hold
Ein duftiges Zyklamen, und es lag
Der glatte Boden glänzend vor mir da.
Denn helle Sonnenstäubchen tanzten dort
Und wirbelten gleich einem Mückenschwarm,
Nur, daß sie blitzten, strahlten, leuchteten.
Ein Falter schwebte oft darüber hin,
Der seine Schwingen prüfte, lichtberauscht,
Ein Käfer, eine Fliege, manchmal selbst
Ein Vöglein, das vom nächsten Baume kam
Und Futter suchte und dann weiterflog —
Bisweilen fiel ein neues dürres Blatt
Herunter zu den alten, löste sich
Ein trocknes Zweiglein raschelnd ab, und dann
War's wieder, wie auf einem Friedhof still,
Wo von den Toten nur ein toter Stein,
Nur eine halbverwischte Inschrift spricht,
Wo bei Familiengrüften Name sich
An Name, ein Geschlecht an's andre knüpft,
Wie an den heut'gen hier der alte Weg,
Wie an den alten dort der heutige.
Und wer vermag zu sagen, was noch wird?

Die Sonne sah das Vormals, sieht das Heut,
Sie wird das Morgen, wird die Zukunft sehen.
Dann ist der Weg, der jetzt zur Höhe führt
Wie jene andren ein verlassener,
Und der, den einstens Späterlebende
Sich wählen werden, der wird ebenfalls
Zur Höhe führen, wie denn jede Zeit
Emporstrebt, nur auf neuen Pfaden stets.

Wer kann entscheiden, wie es besser sei?
Wenn jede Zeit sich selbst die beste dünkt,
Dann hat auch sie zur Höh' den besten Weg,
Und also lächelt heller Sonnenschein
Auf jeden Pfad in jeder Zeit hinein.

Eingeschnittene Namen

Rings her in den Rinden
Von Buchen und Eichen
Gar häufig zu finden
Sind Namen und Zeichen.

Wer hat sie geschnitten!

Die einst hier geschritten
Und solches getan,
Was wollten für sich
Damit sie erreichen?
Vielleicht an ihr Ich
Die Ewigkeit binden?

O töricht Wahn
Der Herren und Damen,
Mit Messern zu schreiben
Viel Zeichen und Namen,
Die dennoch nicht bleiben.
O närrisches Treiben,
Beinahe Vermessenheit,
Sie sind doch bei allen
Der sichern Vergessenheit
Von Anfang verfallen.

Selbst wer noch die Schrift
In späteren Tagen
Ganz leserlich trifft,
Wie ich eben heute,
Wird lächeln und fragen?
Wer waren die Leute,
Die all dies geschrieben,
Wo sind sie geblieben"

Der Baum will's nicht sagen,
Zu wessen Gedächtnis
Die Rinde getragen
Das frohe Vermächtnis
Aus glücklichen Tagen.
Er kann es nur zeigen,
Doch den, von dem's kommt,
Wie den, dem es frommt,
Den muß er verschweigen.

Und schnell wie im Traum
Verwachsen die Rinden
Am wachsenden Baum.
Was einstens zu lesen
So deutlich gewesen,
Ist nimmer zu finden,
In kürzester Zeit
Gewahren wir's kaum.

Das Jahr ist nicht weit,
Dann schlägt man den Wald,
Der Stamm wird zum Scheit
Und bricht, ach wie bald,
In prasselnden Flammen
Zu Asche zusammen.

Wer weiß dann von Zeichen
Und Stämmen der Eichen,
Die nicht mehr zu finden,
Wer wird in der Buchen
Verkohlenden Rinden
Je Namen noch suchen?

Ein flackerndes Sprühen,
Dann stilles Verglühen
Ein rötlicher Schimmer
Im schwarzen Kamin
Und endlich für immer
Ist alles dahin.

Das Spinnennetz

In dem grünen Buchenwald
Pflegt' ich oft mich zu ergehen;
Jüngst, der Höhe nah schon bald
Blieb ich plötzlich stehen.

Denn gespannt von Baum zu Baum
Hing ein Netz im Licht der Sonne,
Fein wie Haare, weiß wie Schaum,
Über Nacht gesponnen.

Meine Seele überschlich
Rasch ein abergläubisch Ahnen:
Soll die Schranke, fragt ich mich,
Ab vom Wege mahnen?

Und ich sann, und sann, und sann,
Doch ermannte ich mich wieder,
Eh' der Augenblick verrann,
Riß das Netz ich nieder.

Frei nun lag der Pfad vor mir
Und ich ging ihn muntern Schrittes;
Aufgeschreckt ward manch ein Tier
Durch den Schall des Trittes.

Kätzchen sprang von Ast zu Ast,
Eidechs huschte in die Schlüfte,
Amsel flog davon in Hast
Falter in die Lüfte.

Nur ein zürnendes Insekt,
Das sich sonst im Netz gefangen,
Hat mich lange arg geneckt,
Stach mich in die Wangen.

Ich darob, in gleichem Zorn,
Suchte das Insekt zu töten,
Schlug nach hinten, schlug nach vorn
Wie es war vonnöten.

Und so hab' ich mir die Schar
Rachelust'ger Kameraden,
Bis ich wund und blutig war,
Auf den Hals geladen.

Alles Wehren half mir nicht,
Und kein Wehen mit dem Tuche,
Büßen mußte mein Gesicht
Alle Mordversuche.

Toll vor Ingrimm rannt' ich fort,
Von der Sonne Glanz geblendet,
Die auf jene Stelle dort
Strahl auf Strahl entsendet.

Darum sah den Weg ich kaum,
Wo es doch der Vorsicht brauchte,
Wie ich denn an einem Baum
Hand und Fuß verstauchte.

Hinkend mußt' ich weitergehn,
Weil die Warnung ich verlachte.
Mir ist nach Verdienst geschehn,
Wenn ich's recht betrachte.

Leise warnt das Schicksal meist,
Um nicht allzusehr zu stören,
Wir jedoch, zur Unzeit dreist,
Wollen es nicht hören.

Die verdorrte Pappel

Inmitten hier auf grünem Anger
Steht eine Pappel ganz verdorrt,
Das einzige leblose Wesen
Am lebensfrischesten Ort.

Sie weist mit todesstarrem Finger
Anklagend nach des Himmels Blau
Und wirft einen langen Schatten
Weit hinter sich in die Au.

Hoch über ihr die goldne Sonne
Lacht heiter in das heitre Tal,
Und freundlich lächelnd erwidert
Das Bächlein ihren Strahl.

Ein Wandrer im Vorüberziehen
Sieht ganz erstaunt den Gegensatz.
"Hat mitten in Lust und Freude
Auch Tod und Trauer Platz?"

Ein andrer bleibt, und schaut, und sinnet,
Ein Rätsel scheint auch ihm der Raum.
"Wie kannst du so lustig grünen
Rings um den verdorrten Baum?"

Ein dritter aber fragt die Beiden:
"Wie wird's im nächsten Sommer sein?
Es ging bis dahin wohl Vieles
Gleich dieser Pappel ein."

Vor der "schönen Buche"

Auf diesem Pfade war's vor vielen Jahren,
Daß ich, der Jugend Kranz noch in den Haaren,
Mich froh erging,
Mich froh erging.

Wohl hat mein Herz
Gar manchen Schmerz
Seitdem erfahren
Und Trauer nicht gering,
Und Trauer nicht gering.

Wohl Vieles durft' ich nicht bewahren
Woran die Seele glühend hing,
Und meinem schon an Gram so reichen Leben
Ward Qual und Leid noch mehr gegeben,
Ich zählt' es kaum,
Ich zählt' es kaum.

Nun kam ich durch denselben Raum,
Denselben schönen Weg zu wandern.
Da flüstert's hier:
"Dir ging's, wie vielen Andern,
Dir ging's, wie vielen Andern."

Von Strauch zu Strauch,
Von Baum zu Baum,
Dringt's leise wie ein Hauch,
Man hört es kaum,
Mir bis in's Herz hinein,
Mir bis in's Herz hinein.

Im Schatten spricht es,
Es spricht im Glanz des Lichtes,
In jeglicher Erinn'rung Pein:
"Ist dir wie Schaum
Dein Glück zerflossen,
Je nun, du hast es doch gelebt, genossen,
Es war kein Traum,
Es war kein Traum.

Wohl hast du manches Weh getragen,
Doch nimm es mit gelass'nem Sinn
Als dein Verhängnis hin,
Anstatt darob zu klagen,
Anstatt darob zu klagen.

Nicht dessen denke, was dich einst entzückt,
Und was du ohne deine Schuld verloren,
Empfinde was dich jetzt beglückt,
Empfinde was dich jetzt beglückt.

Fühl' dich, wie neugeboren,
Dich, wie geheilt, zu neuem Heil erkoren,
Das dauern mag
Noch manchen Tag,
Noch manchen Tag!"

Beleuchtete Wolken

Seltsam! Nie hab' ich's beachtet!
Nur erst heute fiel mir's auf,
Als ich einen Wolkenhauch
Fast gedankenlos betrachtet.

Erdendünste, die gestiegen
Bis ins reinste Blau empor,
Ließen düster Flor um Flor
Dort als Trauerfahnen fliegen.

Aber aus des Himmels Räumen
Drang der Abendsonne Schein,
Faßte Flor um Flor dann ein
Mit den schönsten goldnen Säumen.

Und sogar des Mondes Strahlen
Nahten sich mit Silberpracht,
In die dunkle Wolkennacht
Helle Punkte hinzumalen.

Denken mußt' ich meines Lebens.
Sei's bewölkt auch noch so sehr,
Freundlich Licht von irgendher
Kommt ihm doch, und nicht vergebens!

Waldszene

Ringsum Bäume, Stamm an Stamm,
Hochgewachsen, schlank und stramm,
Über mir ein Stückchen Himmel
Und der Wolken dicht Gewimmel,
Oder eines Vögleins Flucht,
Das vor Geiern Rettung sucht.

Stauden dienen, Gras und Moos
Bald als Decke, bald als Schoß,
Und mit traulichem Geriesel
Rauscht ein Bächlein über Kiesel,
Und wo seine Welle bricht
Schimmert's wie Kristall im Licht.

Klafterweis ist Holz gehäuft,
Daß von flüss'gem Harz noch träuft,
Umgefall'ne Schäfte, Knorren,
Spreu und Reisig zum Verdorren.
Manchmal auch im Schonungsraum
Einsam steht ein Sonnenbaum.

Furchen und manch tiefes Loch
Zeigen Räderspuren noch
Steine, Wurzeln, Rindenstücke
Leiten drüber hin als Brücke,
Und es schwankt wohl jeder Fuß,
Welcher sie betreten muß.

Aber mutig! Er kommt fort,
Und mich mahnt's an diesem Ort,
Daß der Wald des Lebens Bildnis.
Hier auch führt durch jede Wildnis
Durch die rauh'ste selbst ein Weg,
Über Klüfte noch ein Steg.

Ermahnung

Ach, es zieht mir manch Erlebtes,
Manch Verlornes durch den Sinn,
Und ich wandle trüben Herzens
Heut die schönen Pfade hin.

Ganz verstört von tiefer Wehmut
Geh' ich heut dieselbe Bahn,
Und ich seh' mit nassen Augen
Mir dieselbe Gegend an.

Zwar dieselben Bäume finden
An den Lieblingsstellen sich,
Doch verändert scheint mir Alles,
Oder bin's vielleicht nur ich?

Ist das eines Traumes Wirkung,
Einer schlummerlosen Nacht,
Ist es Krankheit, ist es Laune,
Das mich heut so traurig macht?

Du bist töricht meine Seele,
Daß du alten Schmerz erneust,
Und in Wunden, die du öffnest,
Bittres Salz noch ätzend streust.

Sieh hinauf zum blauen Himmel,
Wo die Sonne golden strahlt
Und mit ihrer heitern Helle
Selbst die Wolken golden malt.

Siehe, das Gewölk verschwindet,
Es verweht wie leichter Flor,
Und des Himmels reinste Bläue
Glänzt so herrlich wie zuvor.

Und so denk' auch du nicht wieder
An vergangnes Leid zurück,
Nicht an's Gestern denk', o Seele,
Nur an's Heute und sein Glück.

Das friedliche Tal

Herzerfreuend reizumflossen
Liegt das Tal im Sonnenlicht,
Wie ein lieblich Angesicht,
Das nie Tränen hat vergossen.

Und die schützend es umstehen,
All' die Berg' und Hügelreih'n
Schauen so verklärt hinein,
Wie auf's Kindlein Eltern sehen.

Teures Fleckchen! Niemals störe
Dich des Lebens wilder Streit,
Bleibe ruhig alle Zeit,
Wie sie sonst sich auch empöre.

Schön wie dieses Tales Frieden,
Dieses heitre Sonnenlicht,
Welche Seele wünschte nicht:
Wär' dies aller Welt beschieden!

Blauer Himmel

Blauer Himmel über mir
Geh' ich durch's Gehege,
Und es rauscht bei jedem Schritt,
Auf dem Waldeswege.

Raschle, raschle, dürres Laub
Unter meinen Füßen,
Hör' ich doch das vor'ge Jahr
Mich durch dich begrüßen.

Du erinnerst mein Gemüt
An die schönen Stunden,
Die in deinem frischen Grün
Damals ich gefunden.

Und du prophezeist mir auch
Künft'ger Freude Leben,
Brauch' ich doch, zu glauben dran,
Nur den Blick zu heben.

Jeder Zweig ist neubegrünt,
Welchem du entfallen,
Und von jedem frischen Blatt
Hör' ich's zu mir schallen:

"Bald zu meinen Brüdern hin
Sink' auch ich danieder;
Neue bringt ein neues Jahr
Meinem Baume wieder."

Recht, ganz recht! Je mehr ich Laub
Dort wie hier erblicke,
Seh' ich vor wie nach erfüllt
Liebliche Geschicke.

Hier erquickt Erinnerung,
Dort sichres Hoffen,
Und der Himmel, so wie so,
Über mir bleibt offen.

Trüber Tag

Trüb ist der Tag, und der Himmel grau,
Sonneverlassen liegt die Au',
Ich nur gehe mit sonnigem Sinn
Alle die lieben Wege hin.

Bäume nicken mir freundlich zu,
Daß ich selber ein Gleiches tu',
Knorrige Wurzeln über dem Pfad
Sagen mir: "Grüß Gott, Kamerad!"

Hie und da wird ein Rascheln laut,
Dürre Blätter tun gar vertraut,
Selbst die Stille ruft mir zu:
"Alter Kerl, wie glücklich bist du!"

Der Rosenbaum

Leb' ich in des Ostens Lüften?
Mich umweht's mit Rosendüften,
Und der Sonne hellster Schein
Dringt mit vollem Märchenzauber
Warm und golden auf mich ein.

Alles Laub, ob licht ob dunkel,
Schimmert wie Smaragdgefunkel
Und an jedes Blattes Rand
Glitzern noch die Morgenperlen
Aus verschwenderischer Hand.

Auf den Knospen sitzen Käfer,
Schmeichelnd wie verliebte Schäfer,
Schmetterlinge nahen sich,
Einen flücht'gen Kuß zu naschen,
Und mit ihnen nah auch ich.

Eine Rose will ich brechen,
Ohne mich am Dorn zu stechen,
Aber kaum berühr' ich sie,
So verschwindet all der Zauber,
Plötzlich fort, als war er nie.

Licht läuft wie ein Fischlein munter
Schnell den ganzen Stamm hinunter,
Von den Blättern fällt der Tau,
Und die Schmetterling', die Käfer
Fliegen fliehend durch die Au.

Doch, die früher schon entzückte,
Als noch Tau und Licht sie schmückte,
Und der Falter bunte Schar
Stellt in eigner keuscher Schönheit
Nun viel reizender sich dar.

Denn sie selbst auf ihrem Baume
Bleibt als Schönstes hier im Raume,
Und mit ihres Purpurs Duft
Füllt sie rings den ganzen Garten
Und die reine Sommerluft.

Ihr in allen Freudenreichen
Ist das Glück nur zu vergleichen,
Das die Seele selig stimmt,
Weil es schon durch sein Erscheinen
Geist und Herz gefangen nimmt.

Begegnung

Beim scheidenden Sonnenstrahl
Beschau' ich mir noch Berg und Tal,
Die Blicke verwend' ich nimmer.
Wie liegt doch so herrlich da
Die ganze Gegend, fern und nah
Im goldigsten Purpurschimmer.

Die Liebste, die bei mir steht,
Sie faltet die Hände, wie beim Gebet,
Sie mir auf die Schulter zu legen.
Ihr warmer Atem streicht
Durch meine Haare zephirleicht,
Die sich, wie geküßt, bewegen.

Und wir, Eine Seele, Ein Herz,
Wir blicken auf- und niederwärts,
Wohl auch in das Aug' mitunter,
Und unsrer Freuden Kranz
Wird bei so reicher Schönheit Glanz
Nur immer voller und bunter.

Indes hat des Hügels Grat
Ein zweites Pärchen sich genaht
Und schaut, wie wir in die Weite.
Und eine Gesellschaft gemach
Folgt fröhlich schwatzend bald ihm nach,
Und stellt sich an seine Seite.

Doch plötzlich werden sie stumm
Und sehn sich voll Entzücken um
An diesem bezaubernden Orte.
Nur Einer, fernrohrbewehrt,
Streckt seinen Arm aus und erklärt,
Und wir vernehmen die Worte.

Nun hören wir allzumal
Die Namen rings von Berg und Tal,
Von Dörfern, Schlössern, Kapellen,
Und was wir schon längst gewußt,
Erlauschen wir mit neuer Lust
Bei allen geliebten Stellen.

Uns wird der Redner vertraut,
Er rühmt so warm, er rühmt so laut,
Was wir selber so oft gepriesen.
Wir kennen ihn beide nicht
Und müssen ihn, während er spricht,
Beinah' schon zum Freund uns erkiesen.

Es kann nicht anders geschehn,
Als daß beim Hin- und Wiedersehn
Die Blicke sich manchmal begegnen,
Und wohl verstehn sich geschwind,
Die sich im Leben Fremde sind,
Weil alle das Leben segnen.

Es gibt ein geheimer Bund
Bei jedem flücht'gen Blick sich kund
Und wird stets weiter und weiter.
Bald fliegen ihrer mehr,
Auch Worte freundlich hin und her,
Es reden mit uns die Begleiter.

Wir heben zum Scheiden den Fuß,
Sie nicken zu mit feinem Gruß,
Wie gute alte Bekannte.
Wir geben den gleichen Zoll,
Denn sie auch fühlen ganz und voll
Den Zauber, der uns bannte.

Und trennen uns alle auch
In Zukunft Raum und Stand und Brauch,
Eins hat uns vereinigt auf immer:
Der Seele gemeinsamer Schwung.
Als wir geschaut mit Begeisterung
In den purpurnen Abendschimmer.

Blick von der Höhe

Vor mir grüne Hügel und Wälder,
Unter mir das grüne Tal,
Und das Alles so heiter und goldig
Überglänzt vom Sonnenstrahl —

Fernerhin die wachsenden Berge
Duftig und schimmernd in wechselndem Blau,
Erdentstammt den Himmel bringend,
Diese Kuppel zu ihrem Bau —

Welch ein Ausblick! So schön! so herrlich!
Trunkenes Auge! Wie blickst du so weit!
Aber ich frage mich in der Seele,
Wirkt wohl der Zauber zu jeder Zeit?

Atmete ich auf jenen Hügeln
Auch so köstlich frei, wie hier?
Schlöß' im Tal die brennende Sonne
Nicht die schmerzenden Augen mir?

Drückten mich dort nicht nieder die Berge,
Daß ich hinunter mich sehnte, und fort?
Hielte, was hier mich reizet und locket
Wenn ich, beglückt, es erreichte, Wort?

Ach, ich bescheide mich, und genieße.
Sehn, und sich freuen, ist auch ein Glück;
Sicherer gewiß, als erwerben und haben,
Selbst schon verloren kommt es zurück.

Täglich erfüllen mit neuem Entzücken
Dort mich die Hügel und hier das Tal,
Wenn sie alle so heiter, so goldig
Überglänzt sind vom Sonnenstrahl.

Und — Phantasie, bist nicht du die Sonne,
Die von der Welt die Nacht vertreibt,
Bist nicht du es, die immerdar machtvoll,
Immerdar zauberkräftig uns bleibt?

Dankgebet

Du gabst mir vieles,
Ewige Macht;
Du hast noch mehr
Mir gnädig versagt.

Oft hab' ich gemurrt,
Noch öfter geklagt,
Doch immer wieder,
Und immer von Neuem,
Seh' ich es ein,
Wie gütig du warst
In deiner Härte.

Wünschen und Hoffen,
Bitten und Harren
Und immer vergebens
Und immer umsonst,
In glühender Sehnsucht,
In heller Verzweiflung
Die Tage durchweinen,
Die Nächte durchwachen,
Welch jammervoll Schicksal,
Welch schreckliches Los!

Doch selbst das Träumen
Von einem Glück,
Das niemals kommt,
Ist schon ein Glück,
Wenn's auch nur als Schatten,
Als körperloser,
Unendlich beseligt.

Verwirklicht wär' es
Vielleicht kein Glück mehr.
Und dieses zu denken,
Damit sich zu trösten,
Ist wieder ein Glück.

So gabst du mir Vieles,
Indem du gewährtest,
Und gibst mir doppelt,
Indem du versagst.

Drum werd' ich ewig
In Dank und in Demut
Dich liebend verehren,
Ewige Macht!

Vor dem Vogelnest

Zwischen Zweigen hier im Strauche
Liegt ein kleines Vogelnest.
Wenn den Blick hinab ich tauche,
Hält es ihn bezaubernd fest.
     Lächelnd gewahr' ich die zärtliche Mutter,
     Wie sie die Brut liebkoset und hegt,
     Und, im Schnäblein das nährende Futter,
     Tätig immer die Flügel bewegt.

Hoch, nun zwitschert es im Neste,
Und der Jungen flügge Brut
Wagt sich auf die nahen Äste
Unter mütterlicher Hut.
     Wagt sich bisweilen weiter, und weiter
     Freut sich, wenn der Versuch gelingt,
     Der wie die Sprossen einer Leiter
     Immer höher und höher bringt.

Da erfüllt mich süßes Gedenken
An die Längstvergangenheit,
Und ich muß mich tief versenken
In die eigne Kinderzeit.
     Da ergreift mir die heiligste Rührung
     So das Herz wie die Phantasie.
     Meine Mutter und ihre Führung,
     Ihre Liebe vergeß' ich nie.

Ihrem Preise sei erkoren
Dieses Lied und manches noch.
Sie, die Frau, die mich geboren,
Und ihr Name lebe hoch!
     Hin auf des Lebens lachende Schwelle
     Hat sie mich einst beglückend gesetzt,
     Hat mich an jeder gefährlichen Stelle
     Immer mit warnenden Tränen benetzt.

Meine Mutter hielt umfangen
Mich getreu mit weichem Arm;
Schon von meiner Kindheit Wangen
Küßte weg sie jeden Harm.
     Freundlich hat sie beim ersten Gehen
     Schon mich vor Stolpern und Fallen bewahrt
     Mich gelehret, zu hören, zu sehen,
     Alles in eigentümlicher Art.

Sie nur war's, die mich geleitet,
Mich gelenkt und mich geführt,
Schirmend hat sie mich begleitet,
Mir die Pfade ausgekürt.
     Hat mich beim Scheiden warnend gesegnet,
     Als ich verließ das Heimathaus,
     Ist mir verbietend oft begegnet,
     Wenn es mich lockte zu Saus und Braus.

Sie nur war's, die mich zu Tugend
Antrieb mit Begeisterung,
Alles Edle meiner Jugend
Setzte sie allein in Schwung.
     Freundschaft lehrte sie mich empfinden,
     Gab mir Gefühl für die Schönheit der Kunst,
     Lehrte den höchsten Genuß mich finden
     Im Besitze der Musengunst.

Sie nur war's an deren Munde
Ich mit meinen Küssen hing
Und in mancher warmen Stunde
Süßer Zukunft Bild empfing.
     Denn bei dem Dank der treuesten Hände
     Und bei der Stimme weichem Klang
     War's, als ob ich den Himmel empfände,
     Und nach Seligkeit strebte mein Drang.

Sie nur diente zum Vergleiche,
Lockte mich ein weiblich Herz;
Ob die Holde sie erreiche,
War mein erster Zweifelschmerz.
     Also grüßt' ich und forschte, und wählte,
     Immer vor mir der Mutter Bild,
     Bis ich mich jener Liebsten vermählte,
     Die so treu ist wie sie, und — mild.

Wohl denn! Alle, die geboren,
Unsre Mütter, leben hoch.
Ihrem Preise sei erkoren
Dieses Lied, und manches noch.
     Auf des Lebens wechselnden Pfaden
     Leuchten als Sonnen die Mütter uns vor,
     Und als Botinnen göttlicher Gnaden
     Lenken sie mild uns zum Himmel empor.