An einem Frühlingsmorgen
Mir hat die Nacht nicht Schlummer,
Erquickung nicht gebracht!
Allein mit meinem Kummer
Hab' ich sie still durchwacht.
Gottlob! nun seh' ich blinken
Des Morgens dämmernd Grau,
Und alle Blumen trinken
Den milden Segenstau.
Es wenden meine Blicke
Sich hoffend himmelwärts —
Mit deinem Tau erquicke,
O Herr! auch dieses Herz.
Ein Sommerabend
Der Vögel süße Lieder fluten
Aus blühn'der Bäume Wipfelkranz,
Die Rosen scheinen zu verbluten,
Die Lilien streuen duft'gen Glanz.
Ringsum von Schönheit und von Wonne
Ein unergründlich tiefes Meer;
Am Abendhimmel weilt die Sonne
Als fiele ihr das Scheiden schwer.
Noch einen letzten Schimmer sprühend
Ringt sie sich bange zögernd los,
Und sinkt, in tief'rem Rot erglühend
In ihres Wolkengrabes Schoß.
Doch wie Erinnerung, die milde,
Treu ausharrt bei versunk'nem Glück,
Bleibt lang noch auf dem Nachtgefilde
Ein stiller Dämmerschein zurück.
Im Herbst
Durch Novemberlüfte schauernd
Strömen Regengüsse nieder;
Da verstummen, scheu und trauernd,
In der Seele mir die Lieder.
Vögeln gleich, die in so kalten
Regentagen, statt zu singen,
Fröstelnd die durchnäßten Schwingen
Lang und stumm zusammenfalten.
Im Winter
Wiesengrund und Bergeshöh'
Liegen wie begraben,
Auf dem schimmernd weißen Schnee
Tummeln sich die Raben.
Mag die Sonne auch ihr Licht
Fernehin entsenden,
Es erquickt und wärmet nicht,
Kann nur schmerzlich blenden.
Dicht vor meinem Fenster steht
Eine schlanke Linde,
Mit Demanten übersä't
Stöhnet sie im Winde.
An die Scheiben pocht sie leis',
Leis' wie Glöcklein läuten;
Was sie sagen will, ich weiß
Mir es wohl zu deuten.
Arme Linde! Tag und Nacht
Scheinst du mir zu klagen:
"Dürft ich doch, statt toter Pracht,
Wieder Blüten tragen!"
Vor Ingre's Bild
Francesca da Rimini
O Dante! Dante! hoher Meister
Wie du so tief das Herz verstandst,
Als die um Lieb' verfluchten Geister,
Du in der Hölle noch verbandst!
Zum Schmerzenpfuhl, zu ew'gen Flammen
Kann Gottes furchtbar Strafgericht,
Zu tiefstem Elend sie verdammen,
Allein sie trennen kann er nicht.
Und in der Qualen Nachtgewimmel,
Dahin der Richter sie verstieß,
Ward nicht die Hölle selbst zum Himmel,
Wo Seele nicht von Seele ließ?
Einer schönen Frau
Dein Aug' ist kein dunkler Demant,
Verborg'ne Vulkane verkündend,
Und flammender Leidenschaft Brand
In andern Gemütern entzündend.
Noch seh ich sein wahrhaftig Bild
Im friedlichen Äther sich malen,
Aus dessen Azurgrund so mild
Die Sterne, die tröstenden, strahlen.
Noch gleicht es dem Auge des Reh's,
Das bittende Tränen befeuchten,
Ach, Tränen der Angst und des Weh,
Wenn weithin die Jäger es scheuchen.
Dein Aug' gleicht der See nur allein,
Der rastlos sich wandelnden Welle,
Die je nach dem wechselnden Schein
Jetzt dunkel und jetzt wieder helle.
Vom farbigen Strahle geküßt,
Wie leuchten und schimmern die Wogen,
Wie fahl und wie grau und wie wüst,
Wenn wieder der Strahl dann verflogen.
Ja, wahrlich! der Meeresflut bloß
Weiß ich dieses Aug' zu vergleichen;
An Schätzen zwar reich ist ihr Schoß,
Doch reicher an Trümmern und Leichen.
Zensor und Setzer
Stoßseufzer
beim Erscheinen meiner "neuen Gedichte"
Ein Zensor, ja, ich geb' es zu,
Er war ein arger, großer Sünder!
Erbarmungsvoll würgt' er im Nu
Des Geistes hoffnungsvollste Kinder.
Ein blutiger Herodes schier
Trat er an der Gedanken Wiege,
Argwöhnisch spähend, ob in ihr
Nicht etwa ein Messias liege.
Wie Schemen vor dem Morgenrot
Sah ihn die neue Zeit zerrinnen,
Doch meine Pein und meine Not,
Die schwanden nicht mit ihm von hinnen.
Ach! meine Leidenskette riß
Mit seinem Scheiden nicht und Sterben.
In meinem Setzer hinterließ
Er seines Geistes treuen Erben.
Den Erben? Nein! so grausam nie
Sah man dich, armer Zensor! walten,
Zu ihrer eig'nen Parodie
Nicht die Gedanken umgestalten.
Dein Rotstift traf, ein rascher Stahl;
Die Toten gingen ein zum Frieden.
Nicht der Verstümm'lung Schmach und Qual
Hast deinen Opfern du beschieden.
Doch er, der mir am Marke zehrt,
Und mir das Leben tränkt mit Galle;
O was zerfleischet und versehrt
Er nicht mit seiner Geierkralle.
Wo "Hebe" klar geschrieben steht
Verwandelt er es flugs in "Hexe,"
Auf jede Seite streut und sä't
Er gräuelhaften Irrtums Klexe.
O Zensor! leichter war dein Joch;
Fast drängt es mich, dir abzubitten.
Mit deiner Schere hast du doch
Nur hie und da gestutzt, beschnitten,
Er aber haus't auf meiner Flur
Verschüttend wie der Hauch der Chamsin's,
Nicht mehr den Wahnsinn der Zensur,
Er übet die Zensur des Wahnsinns.
Zu lang ertrug ich mit Geduld
Des Wütrichs unheilvolles Schalten;
Erschöpft ist nun der Born der Huld,
Und nur Gerechtigkeit soll walten.
Entsagen will ich länger nicht
Der Rache, der ersehnten, süßen,
Und darum soll er dies Gedicht
Mit eig'nen Händen setzen müssen.
Ruhe
Ruhe ist das Gut der Güter!
Aber jener Ruhe nicht,
Die erschöpfter, abgemühter
Herzen dumpfes Grabeslicht.
Jene nicht, die trüb und finster,
Lähmend das Gemüt umfängt,
Nie des Haidebodens Ginster
Jeden Blütenkeim verdrängt.
Jene Ruhe ist nur Schwäche,
Müden Geistes Bann und Haft;
Aber die, von der ich spreche,
Ist des Geist's verklärte Kraft!
Wie der Herbst in heit'rer Klarheit
Sturm und Glut darnieder hält.
Während uns sein Hauch in Wahrheit
Reb' und Frucht mit Segen schwellt:
So wird deine Seele walten,
Wenn im Kampf sie nicht mehr ringt,
Und im freudiden Entfalten
Keim zu Keim zur Reife bringt.
Tagesspuk
An M. —
Als Kind vernahm ich oft die Märchenkunde,
Die ich mit kind'schem Grauen nachgelallet:
Sobald vom Turm die zwölfte Stunde schallet
Beginnet der Gespenster Lebensstunde.
Da halten sie die schauerliche Runde
Von ihrem weißen Sterbekleid umwallet,
Bis licht Gewölk, das sich im Osten ballet,
Zurück sie scheucht zum dunkeln Kirchhofsgrunde.
Doch Manche sind wohl nicht so fest gebunden
An dieser Vorschrift strenge Observanz,
Und dürfen wandeln zu belieb'gen Stunden.
Und so ward dir's, dem armen Menschenwracke,
Beschieden bei des Mittags hellem Glanz,
Herumzuirren, ein Gespenst im Fracke.
Den Proselytenmachern
Es warnen mich streng gläub'ge Aposteln:
"Noch ist das Leben dir ein Festgelage;
Wie aber einst, wenn deines Sommers Tage
Dahin geschwebt auf allzu flücht'gen Sohlen?
Wenn deine Flammen einst zu toten Kohlen
Geworden, deine Kraft zur eiteln Sage?
Wenn dir vermeintlich schon gelöste Frage
Dich neu bestürmt, wo willst du Trost dir holen?"
Vielleicht bei Euch! wer weiß es anzugeben
Auf welche Krücke seine Wahl wird fallen,
Wenn seinem Geiste Mut und Kraft entschweben?
D'rum ist es auch mein liebster Wunsch von allen,
Zu enden ein sich selbst getreues Leben
So lang noch dunkel meine Locken wallen!
Schatten
Du kannst, wohin du auch magst ziehen,
Dem eig'nen Schatten nicht entfliehen,
Er folgt dir durch die weite Welt;
Und also wirst mit allem Sinnen
Dem Zweifel nimmer du entrinnen,
Der dir als Schatten beigesellt.
Soll er, dem wir uns schmerzlich beugen,
Von unsichtbaren Sonnen zeugen?
Ist er der Bürge fernen Lichts?
Wie? Oder soll mit seinen stillen
Grabflören schonend er verhüllen
Das öde, leere, grause Nichts? —
Grabgeläute
Nur langsam, zögernd wich die Nacht
Dem Wintermorgen, fahl und grau;
Sie haben dich zur Ruh'gebracht,
Du edle, du vielteure Frau!
Und durch den trüben Nebelflor,
Der qualmend durch die Lüfte zieht,
Hallt nun, ein schmerzenvoller Chor,
Der Glocken klagend Sterbelied.
Es ist der letzte, letzte Laut,
Der hier auf Erden dir erklingt,
Die letzte Stimme, die dir traut
Von uns'rer Liebe Kunde bringt.
Und schwächer, immer schwächer hallt
Der Glocken wehmutsvoller Klang;
O wie so bald, o wie so bald
Verrauscht, vertönt ihr Grabgesang!
O kalter, finst'rer, starrer Hohn!
Nicht lang, und des Vergessens Hauch
Verschlinget, wie die Luft den Ton,
Das trauernde Gedenken auch. —
An T*
Mit dem dritten
Band meiner Gedichte
Vordem, wenn an der Tiber Borden
Dem Sklaven Freiheit war geworden,
Nahm er zum Tempel rasch den Lauf,
Und dort, an der geweihten Stätte,
Hing seiner Knechtschaft Mal, die Kette,
Er unter Dankgebeten auf.
Errettend hast du ausgesprochen
Das Wort, von dem der Bann gebrochen,
Der mich den Sklaven angereiht.
Vom dunklen Wahn, der mich getrieben,
Von einem schuldbelad'nen Lieben
Hast du erlöst mich und befreit.
Daß höh'res Sein sich mir enthülle,
Hast du, aus deines Reichtums Fülle,
Mich losgekauft von Schmerz und Schmach.
So laß mich nun, als Dank und Segen,
Zu deinen Füßen niederlegen
Die Ketten, die dein Geist zerbrach.
Bestimmung
Mit leisen Schauern fass' ich deine Hand,
Zu traulichem Geleit nicht für dies Leben,
Nein! als ein köstlich teu'res Unterpfand,
Das Gott mir gab, um Höchstes zu erstreben.
In meine Seele soll dein Auge nicht
Der Freude rasch verglüh'nde Fackel werfen:
Mich läutern soll sein ernstes Zauberlicht,
Den Durst nach Ewigem in mir verschärfen.
Es soll mir deiner Liebe Geistergruß
Die Seligkeit der Erde nicht gewähren,
Nein! wie des Todesengels Weihekuß
Soll er des Staubes Teil an mir verzehren!
Unbewußtes
Aus deiner Stimme weichem Laut
Tönt mir ein Gruß entgegen,
So geisterhaft verwandt, so traut,
Wie ein geheimer Segen.
Einsaugt den Ton mein dürstend Herz
Und fragt sich, froh beklommen,
Ob es ihn nicht schon anderwärts,
Nicht früher schon vernommen?
Wann lauscht' ich, ach! wann lauscht' ich doch
Zuerst so süßem Troste?
War's, als ein harmlos Kind, ich noch
Im Traum mit Engeln kos'te
War's als mir einst der Musa Hand
Erschloß das Reich der Mythen?
War's als wir Beid' im Lichtgewand
Am Throne Gottes knieten?
Frage
Kein Schmerz ist, den ich nicht verschuldet,
Kein Trost, den du mir nicht gewährt;
Kein Jammer, den ich nicht erduldet,
Kein Leid, das du mir nicht verklärt!
Du Hoher! Milder! heilig Reiner!
Den meine Dankeszähre preis't,
Bist du der Staubgebornen Einer?
Bist du der ew'gen Liebe Geist? —
Dein Auge
Alte Märchensagen haben
Oftmals Kunde mir gegeben,
Daß, wo Schätze eingegraben,
Myst'sche Flammen d'rüber schweben.
Licht vom gleichen Geisterstamme,
Strahl, vom gleichen Hauch entzündet
Dünkt mich deines Auges Flamme,
Die der Seele Hort verkündet.
Gelöbnis
In dem Blick ein tief Erbarmen
Reichtest still du mir die Hand;
Ob ich ihren festen, warmen
Druck denn wohl auch recht verstand?
Ja, ich fühl's! er wollte sagen:
Wenn die eig'ne Kraft dir schwand,
Soll dich leiten, stützen, tragen,
Diese starke, treue Hand.
Ergänzung
Es gab der Gott, zu dem wir beten,
Dem Lenz der Blüten bunt Gewirr,
Den Sonnen gab er die Planeten
Und meine Seele gab er dir.
Er gab dem nachtbedeckten Meere
Des Mondenstrahles lichte Zier,
Dem dunkeln Grund die gold'ne Ähre,
Und deine Liebe gab er mir!
Liebesfrieden
Der rastlos irrend schweift
Und nimmer doch zu stillen,
Den dunkeln Eigenwillen,
Ich hab' ihn abgestreift!
Wie sanft mein Herz nun ruht
Fortan vor Gram und Sorgen
Gesichert und geborgen
In deiner treuen Hut!
Gleich gilt mir Berg und Tal,
Wenn deine Hand mich führet,
Und was dein Geist erkühret,
Das ist auch meine Wahl.
Was könnt' in meinem Sinn
Ich noch für mich verlangen,
Da unter ich gegangen
In deiner Seele bin?
Nun kann ich lächelnd seh'n
Auf Glück und auf Verderben,
Nach solchem süßen Sterben
Und süß'rem Aufersteh'n!
Dem Freunde
Mit meinen Wurzeln ranke
Ich fest in deinem Grund!
Was deiner Huld ich danke
Nur Gott allein ist's kund.
Dir tönet mein Gedanke,
Dir spricht mein stummer Mund:
Ob auch der Erdball wanke,
Fest stehet unser Bund!
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