Der
Irdische
Ich bin ein Sohn der harten Irdischkeit.
Ich hungerte und fror, ich lag auf blanker Erde,
ich schrie als Beter mein Gebenedeit
und lästerte mit Fluch und Hohngebärde.
Dem Stein der Großstadtgasse eng verwandt
hab ich wie Staub der Städte Laster eingesogen
und in der Häuser grauen Riesenland
den Haß in meinem Herzen groß gezogen.
In der Fabriken Dunst, in Lärm und Glut
hör ich aus mir der Dinge Leid und Wehmut stöhnen.
In meinem Hirn prasselte Gram und Wut
und mochte sich mit nichts umher versöhnen.
Ich warf mich Sonntags in das ruhige Grün
der Felder, die sich horizontzu dehnten;
und nach vergangnem, schwerem Wochenmühn,
nach Sternenfreiheit sich die Muskeln sehnten.
Das Eisen, das ich antrieb, drang in mich,
der Trotz des Steins verhärtete mein weiches Leben,
und aus dem Holz, den Stoffen, Ölen wich
ihr Daseinsmut, um sich mir zu ergeben.
So steh ich hier, ganz Erde, ganz Gefühl,
aus Härte wieder nur in Härte einzugehen
und will deshalb nicht im sinnlosen Spiel
mich um die Frage nach der Gottheit drehen.
Blut
Blut meines Vaters, warum quälst Du mich?
Mein Wunsch ist, ganz in Stille Mensch zu sein.
Doch Du bist im Verlangen fürchterlich,
denn aller Zwang der Menschen engt Dich ein.
Ich bin nur eine Wiese, schmal und seicht,
du wühlst dich wie ein Strom in mich hinein.
Doch wenn auch hier und da dein Ufer weicht -
fest steht dahinter alter Sitte Stein.
Du schlägst mich wund mit deinem Wellenschlage;
oft stürmst du so verzweifelt in mir an,
daß ich vor Bangnis kaum zu atmen wage.
Und während wild dein Wille braust heran,
erstickt mein Schrei in einer stummen Klage
und in der bittren Mahnung: Sei ein Mann!
Die Menschlichkeit
Du öffentliches Auge, Du öffentliches Ohr,
hast Du je gesehen und gehört, was die Welt verlor?
Als das Eisen und der Stahl wurden Walze, Kessel, Rad
und das rote Kupfer Telegraphendraht?
Als vor harten Lippen und umflorten Sklavenblick
sich zum blauen Himmel hoben Kaufhaus und Fabrik?
Als in graue Ziegelbäuche nach gewaltigem Bedarf
man wie Kohle Männer, Frauen, Kinder warf?
Als aus allen Städten, Dörfern Menschlichkeit entwich,
in die Wüsten und die Wälder bangen Herzens schlich
und nun unter guten Bäumen, zwischen Hirsch und Reh
heiße Tränen muß vergießen, in das Gras, den Schnee
und in Nächten, wenn die Wildnis nun im Sturme wankt,
nach den Menschen in den Städten weh und wild verlangt?
Erlebnis
Es war im Herbst. Die funkelnden Laternchen
der Ebereschen glühten aus dem Laub,
und in der Luft umzitterten uns Sternchen
von gelbem Samen oder Blumenstaub.
Wir waren nach dem Mittag aufgebrochen,
und drei Uhr schlug es, als der gute Wald
uns zwei umgab. Wie hatten wir seit Wochen
uns diese Stunden selig ausgemalt!
Ob sie Maria hieß oder Hermine -
heut weiß ich es nicht mehr; doch stand das Kind
wie ich sechs Tage lang an der Maschine
im Öldunst, Räderlärm und Riemenwind.
Nun glühten ihre sonst so bleichen Wangen,
und zärtlich strich sie über manchen Baum,
indes mich Glücklichen die Vögel sangen
in einen, unser'm Schicksal fremden Traum.
Vor meinen Augen zitterten Fontänen
hoch über eines Parkes grünen Raum;
die Sonne warf den Kranichen und Schwänen
ihr Gold verschwendrisch auf den weißen Flaum
und brach sich in den hundert Fensterscheiben
des Schlosses - nennen wir es "Irgendwo" -
in dem ein Ballfest war, ähnlich dem Treiben
wie einst im Königschloß Fontainebleau.
Ich war dabei, als Prinz von Gottes Gnaden
in Seide, Gold und Sammet eingehüllt;
ein Degen schlenkerte mir an die Waden,
und meine Freunde waren neiderfüllt,
weil mich die Herzogin verliebten Blickes
zu ihrem Günstling für das Fest gemacht,
und ich im Ahnen kaum erhofften Glückes
entgegenlächelte der nahen Nacht.
Da streifte mich beim Menuett ganz flüchtig
ein Mädchenkörper einer Elfe gleich,
und alles wurde für mich schal und nichtig:
Tanz und Musik, die Frauen puderbleich.
Ich sah nicht mehr die heiße, mir geneigte
Stirne der Herzogin und fühlte nur,
wenn sich das Mädchen, wie ein Schatten zeigte;
daß es wie Sturm durch meine Seele fuhr.
Und eine Stunde später - Hirn, vergesse
doch meiner Phantasie geheimen Streich! -
ging eine junge süße Vikomtesse
an meiner Seite durch das Gartenreich.
Wir schritten tief hinein, bis auch die Rampe
des Schlosses hinter hohen Bäumen schwand,
und nur das Licht der goldnen Sonnenlampe
uns beide in der grünen Wildnis fand.
Dann - Seele lag an Seele, Lipp' an Lippe,
ein Frauenfrühling schenkte mir sein Blühn
mitten im Herbst, mein Herz schlug an die Rippe
und wollte schier aus Leidenschaft verglühn -
da mochte sich etwas im Walde regen -
ernüchtert sprang ich auf und hob den Blick -
es lag vor mir, dem Prinzen ohne Degen,
die Kameradin aus der Bandfabrik.
Von Abendrot und Scham war übergossen
ihr frühverhärmtes, schmales Angesicht,
und um das magere Figürchen flössen
die Dämmerschatten blau und seidendicht.
Da war sie wieder meine Vikomtesse
mit Reifrock und galantem Schäferstab,
der ich bis heute nicht das Glück vergesse,
das sie mir damals an dem Herbsttag gab.
Gang in die Stadt
Es strömt die Stadt mit lautem Lärm mir zu.
schon seh ich ihrer Essen Kapitale;
sie ragen in die horizontne Ruh,
wie die Pilaster rauchdurchschwelter Säle
eintauchen in die blaue Malerei,
die von dem Atem vieler Menschen dunkelt.
Auch dieser Himmel dort ist grau wie Blei,
in dem ein Blitzstab und ein Kirchkreuz funkelt.
Was birgt wohl heute dieses Pflaster dort
für meine neugiertiefe Wanderseele?
Ist's doch der Lust, des Leidens gleicher Ort,
wie einst der Leib der schlafenden Kybele.
Sehnsucht mit Furcht vermengt faßt mich sogleich
und will mir das Gehirn und Herz beengen,
bald tret ich in das steinerne Bereich,
darüber die betürmten Dächer hängen.
Noch schmiegt sich eine Wiese an den Fuß,
ein Weißdorn will mich leise flüsternd warnen:
Sieh' meinen Schnee, dort findest Du nur Ruß,
und mußt im Schmutze toter Dinge kamen!
Das letzte Rauschen eines Waldes läuft
mit mir den ganzen Weg noch eine Weile,
bis sich ihm kalt und hart entgegenhäuft
Werkhall aus einer gelben Häuserzeile.
Nun höre ich mit einem schrillen Ton
des Wanderstockes scharfe Eisenzwinge
Granit betasten, und ein Steinbalkon
wirft so wie eines Riesenvogels Schwinge
eiskalte Schatten drohend über mich.
Wo ist der Sommer meiner weichen Wiesen?
Fühlt Ihr denn Gott und Welt? So frage ich
die grauen Wände und verschmutzen Fliesen.
Auf meine fragende Nachdenklichkeit
stürzt unversehens sich ein wildes Toben.
In eine Straße, nicht sehr lang und breit
hat mich der Menge fester Druck geschoben.
Da kämpfen Wagen, Steine, Fuß und Huf,
Gebrülle rast aus teuflischen Grimassen.
Noch einmal höre ich des Schlehdorns Ruf -
und sinke unter in dem Lärm der Gassen.
Nacht über der Stadt
Ich stehe einsam auf dem Turm der Nacht
und bin ganz wach im unverrückten Lauschen:
Ich höre, wie ein Brunnen leise lacht,
und wie der Sterne Silberströme rauschen.
Tief unter mir schläft vieler Menschen Zorn,
atmet ihr Kummer trostentblößt und schwer.
Nur manchesmal tönt eines Traumes Horn
aus eines Herzens ruhiger Landschaft her.
Wie fern ist mir der alte Tag gerückt
mit seiner Fülle kleinlicher Gedanken!
Ich sehe ihn, noch zwergenhaft gebückt,
im Nebel der Erinnerungen wanken.
Was noch von ihm an dieser Stunde klebt,
Geruch des Schweißes, den er ausgepreßt,
den ungezählten Knechten - es entschwebt
und wird zum Duft, der Rosen ahnen läßt.
Nur ahnen? Nein! Sie blühn zu mir empor
in allen Wunderfarben, eng verschwistert,
aus jedem Dasein brechen sie hervor;
in jeder Rose eine Flamme knistert.
Wie es so blühend, glühend mich umdrängt,
mitten in Finsternis und Schlaf und Wahn,
ein seltnes Licht sich in mein Innres senkt
und tiefstem Wissen bin ich aufgetan.
Nichts stirbt im Opfergange durch den Tag,
was da mit Tatkraft, frohem Daseinswillen
die Seele voll, geheim noch tragen mag,
den Wunsch nach Glück, um ihn einmal zu stillen:
Es lebt, gestaltet sich, begrüßt die Nacht
und ferne Berge, Wiesen, Wald und Strom,
den Dichter, der in dieser Stunde wacht
gleich einem Priester im versperrten Dom.
Ein helles Schwert zerschlägt die Dunkelheit.
Die Stadt erscheint vor mir mit halbem Leibe,
als Sakrament der Lebensgläubigkeit
erglänzt des Morgensternes Silberscheibe.
Wo noch vorher ein Rosengürtel lag
zu meinen Füßen, raucht nun Schlot um Schlot.
Zu neuer Knechtschaft ruft der junge Tag
und brüllt die Sehnsucht in den Herzen tot.
Die Stadtwiese
Zwischen Kaserne und Wagenremise,
zwischen dem grauen Werkeltag,
glänzt eine kleine Sonntagswiese,
wie sie im Frühling nur glänzen mag.
Ganz voll Sonne und duftender Bläue,
wie ein samtner Untertan,
schmiegt sie sich in rührender Treue
an das verschmutzte Gerümpel an.
Rußig schauen die Mauern herunter
und eine splittrige Türe spricht:
O du heiliges Frühlingswunder,
schenk uns ein wenig von deinem Licht!
Die Fabriken
Wir sind der Erde andrer Teil.
Das Lächeln stirbt in unserm Kreis,
und Dunkelheiten stürzen steil
auf uns, die wir so dumpf und heiß
sechs Tage lang
voll Nebel sind und Rauch und Ruß
und bei der Räder Nachtgesang
vergessen jedes Lichtes Gruß.
Wir bergen eine Fülle Kraft,
die wird zerstückt und aufgeteilt,
von toten Dingen aufgerafft
ins Wesentliche eingekeilt,
sechs Tage lang
ist alles in uns taub und blind,
und aller Herzen Überschwang
zu einem trüben Gruß gerinnt.
Ein unerhörtes Maß an Groll
wächst zwischen unserm Holz und Stahl,
die Steine sind des Hasses voll
und alle Fliesen tritt die Qual.
Sechs Tage lang
beugt sich, was in uns Atem hat
im eisernen Maschinenzwang,
der Arbeit und des Lebens satt.
Wir sehen keiner Tänze Schwung
in unserm roten Essenwald.
Wer zu uns eintritt, frisch und jung,
wird schon nach Stunden müd und alt.
Sechs Tage lang
seht ihr bei uns ein Puppenspiel;
gar grausig ist der Szenen Gang
und ungeheuerlich der Stil.
Und ist ein Zweck in unserm Sinn?
O Frage, selbst von uns verneint,
denn nur zum irdischen Gewinn
für wen'ge sind wir aufgesteint.
Sechs Tage lang
füllt uns irrsinniges Gebraus,
und nur am siebten schwebt ein Klang
des Friedens auch bei uns hinaus.
Die Lais des Dorfes
Sie ist noch wie ein Kind; doch ihre Augen
sind schon vom Hauch der Sünde eingefaßt,
und an den zarten Brüsten läßt sie saugen
einen acht Wochen alten Erdengast.
Von wem sie diesen hat? Ach Gott, die Ferne
birgt so viel Männer, die voll Wünsche sind!
Sie brennen Nachts wie heiße Sommersterne,
um zu verschwinden mit dem Morgenwind.
Des Dorfes Weiber tuscheln an den Ecken,
geht sie vorbei, den Kopf etwas gesenkt.
An einem Wort die geilen Weiber lecken,
das so viel faules Holz an diesen hängt.
Die jungen Mädchen aber schaun verstohlen
dem schlanken Kinde nach, das lächelnd nickt,
indes ein Zittern brennt an ihren Sohlen
und alle Scham im dunklen Neid erstickt.
Der Bettler
Es splittert eisig in den Vorstadtgassen
der Wintermorgen seinen harten Geist.
Noch schlafumquollen heben sich die Massen
der Häuser aus der Nacht, die grau zerreißt.
Ein Wind steht auf und stürzt aus Wolkenhöhlen,
an manchen Fenstern torkelt Licht empor.
Dort schiebt sich schwer, mit einem leisen Gröhlen,
ein plumper Klotz aus einem niedern Tor.
Der alte Bettler muß sein Heim verlassen,
das er im Keller jenes Hauses fand.
Nun wankt er durch den Nebel vieler Gassen
und sagt sein Sprüchlein her, indes die Hand
in der Gewohnheit ungezählter Stunden
sich in die Kälte wie zur Bitte reckt -
doch wird sie nur von herrenlosen Hunden
in dem Gefühl der Bruderschaft geleckt.
Der Dorftrottel
Er ist bucklig, und die Beine
schleppt er in halber Lähmung nach.
Seine Augen sind tot wie Steine,
und die brüchige Stimme ist eine,
die ein Siechtum in Stücke brach.
Im Armenhause lebt er nicht,
dort sind die Stuben für ihn zu gut;
des Nachts sein armes Höhlengesicht
in Winkeln voll Dunkel und Unrat ruht.
Nicht einer sich zu dem Armen bekennt -
er scheint von einem Tiere geboren.
Wenn ihn ein Zufall beim Namen nennt,
so schleicht ein Ekel in alle Ohren.
Gefürchtet wird er wie ein kranker Hund.
Man sagt ihm Dinge nach, bösester Art;
ein Weinen zieht um jedes Kindes Mund,
das ihn vor sich auf seinem Weg gewahrt.
Vom Abfall, den ein Besen abseits schiebt,
und von den Beeren, die der Wald ihm gibt,
lebt er, und oftmals rauft er sich herum
mit Hunden um ein Bein, voll Gier und stumm.
Heut gab ich ihm ein Päckchen Rauchtabak.
Erst stand er starr vor mir, wie Knüppelholz,
dann griff er schnell in den zerlumpten Sack
und gab mir eine Rose .......
Er lächelte dazu gar seltsam schön und stolz.
Der Fanatiker
Seht, er ist einer von den ernsten,
aus deren Augen nie ein Lächeln schlägt,
seine Gedanken sind die allerfernsten,
die Gott aus seinem Himmel trägt.
Er ist nicht Gang und ist nicht Stufe,
kein Haus das sich erleuchtet zeigt.
An ihm verhallen alle Rufe,
stets nur ein Dunkles aus ihm schweigt.
Er redet nicht, wenn andre sprechen,
nur nachts, wenn jedes Licht zerschmolz,
da hörst du seine Worte brechen,
wie Rosse durch das Unterholz.
Sie brechen durch die Dunkelheiten
mit einer unerhörten Kraft,
und Gott siehst du den Mantel breiten
um dieses Menschen Leidenschaft.
Der Geiger
Mich zwingts aus innerstem Gefühle,
es meiner Geige gleichzutun
und über allem Tongewühle
auf einer Wolke auszuruhn.
Ich will das Leben nicht erfassen
im ungestümen Bogenstrich -
im ruhigen Sichgehenlassen
erobre diese Welt mein Ich.
Indes im Tanz der Notenglieder
sich meine Melodie befreit,
steige besänftigt auf und nieder
die eigene Empfindsamkeit.
Die Tänzerin
O Schlanke, dein Schicksal zu malen,
taucht in die Zukunft mein Blick,
da dreht sich in goldnen Spiralen
dein tanzendes Mädchengeschick.
Entstiegen der Armut Gehäuse,
erhebst du dich, strahlendes Kind,
und tanzest die uralte Weise,
getrieben vom klingenden Wind.
Im wirbelnden Fluge begibst du
dich jeglicher Schwerirdischkeit,
und nur die Brennenden liebst du,
die brennenden Männer der Zeit.
Im Seele-erlösenden Feuer
verspendest du glühend den Leib
und lachst, wenn die strohene Scheuer
des Lebens verbrennt vor dem Weib.
Und immer beschwingter und näher
dem Lichte entschwebst du der Nacht,
bis endlich dein treuester Späher
nur mehr deine Spur überwacht.
Dann trägt dich mit blitzendem Flügel
der Tod zu der Seligen Tanz.
Uns aber, uns bleibt nur ein Hügel
und deines Namens Glanz.
Die Unfruchtbare
Sie lag in Nacht gebettet und schlief nicht;
selbst in die Kissen bohrte sie das heiße
und immer sehnsuchtswache Angesicht,
mischte die Tränen mit dem bitt'ren Schweiße
und sah des Morgens Blüh'n mit hartem Mund.
Der Tag war ihr ein Durch-die-Menge-Schleichen,
sie, nur ein Leichnam unter andern Leichen,
in eines Riesenschachtes düsterm Grund.
Denn ihr war nicht des Weibes Kraft geschenkt,
aus seinem Schoße Ewigkeit zu heben.
Wohl war ihr Adams Same eingesenkt,
doch wurde nie aus ihm ein drittes Leben.
Was ihr des Mannes Leben stürmisch gab,
auf daß es sich von ihm gesegnet löse
zum frischen Wuchse einer neuen Größe,
versank in ihr, wie ein kühles Grab.
Sie kniete sich die Füße wund und schrie
Gebete über ihren Leib und suchte
verirrten Blicks die Gnade Gottes, die
sie gleich darauf mit lautem Gram verfluchte.
Dann war sie wieder viele Tage stumm
in einem steinernen Sichselbstbelauschen,
als ginge sie mit einem tiefen Rauschen
in ihrem eigenen Gehirne um.
Und es geschah auch, daß ein Kind sie nahm
und zitternd dessen Körperchen berührte,
indeß sie eine unerhörte Scham
in ihrem unfruchtbaren Leib verspürte.
Ein Ekel war in ihr, der sie voll Neid
die feile Straßendirne ließ betrachten.
O dumm die Welt, die diese hieß verachten -
wie rein vor ihrem war doch deren Kleid!
So gingen Jahre hin in dieser Schmach,
die Seele wurde leer und lebenstrüber,
und eines Tages in der Frühe brach
ihr Leib zusammen, langsam schritt er über
des Landes Grenze, das uns nimmer läßt.
Indeß die schon erstarrten Augen schielten
glasig auf die lebend'gen Dinge, hielten
die Hände noch ein Kinderhemdchen fest.
Um die Stunde des Mittags
Der Glanz uralter Kathedralen
liegt tausendfältig hingesprengt
auf allen staubigen Häusermalen,
wie gelber Wein aus Goldpokalen
von Engelshänden ausgeschwengt.
Zerbrausten Orgelfugen gleich
stürzt es gewaltig auf die Dächer,
tönt jählings auf, wird langsam schwächer,
wenn eine Türe in den Angeln geht.
Und alle Bösen, Wucherer und Schächer
würgt plötzlich eine arge Angst, und bleich
murmelt der Mund ein kindliches Gebet.
Da klirrt dann Gold auf einmal zittrig hin,
von gieriger Hand dem Ladentisch entnommen,
und die zum Scheine vor den Andren Frommen,
und die vor Gott mit tausend Lügen kommen,
und die der Armut Schatz mit Hohn bespeien
und ihrer Brust Hartherzigkeit verleihen,
und die dem Dieb aus Hunger nicht verzeihen -
sie fluchen stöhnend dieses Tags Beginn.
Und nur die Straßendirnen und die Knechte
wachen auf einmal auf und richten groß
die Augen, trüb vom Widerschein der Nächte
auf ein beglückenderes Menschenlos.
Sie brechen sich die Brüste auf und reichen
beschmutzte Herzen einem Glänzenden,
und ihre frühern Tage sind wie Leichen,
darüber die Vergessenheiten wehn.
Sie fragen nicht, was bei dem nächsten Schritte
der Zeit sie wieder niederzwingen wird -
sie treten in das Reich der Gottesmitte,
ein jeder wie ein aufgeruf'ner Hirt.
Und sehen ihn, den Einzigen und Einen,
sie spüren ihn an Händen und Gesicht
und küssen seinen Schatten auf den Steinen
und müssen grundlos wachen oder weinen
in dem gesangerfüllten Mittagslicht.
So war es nicht gedacht!
So war es nicht gedacht, daß Millionen Knechte
wenigen Herren dienstbar müssen sein,
auf einen Tag sich häufen tausend Nächte
mit einer Kerkerlampe trübem Schein,
daß reicher Felder Korn, der Wein tausender Berge
die Scheuern füllt, die Schloß und Riegel sperrt -
indes die Armen vom erloschnen Herd
sich qualvoll drängen in die Weichholzsärge.
Und daß sich Mauern heben aus dem Boden
zu vielen Häusern ohne Luft und Licht
in denen die Lebendigen den Toten
anneiden ihr verschüttetes Gesicht.
Und daß ein gelbes, ausgekühltes Feuer,
zu Stein erstarrt, als geile Gottheit thront,
die, wie Karthagos Götzenungeheuer,
beim Opferdienst die Kinder nicht verschont.
Und daß zuletzt ein jeder Menschenwille
sich wie ein Dolch nach Blut und Morde sehnt
und in der schwülen, giftdurchschwelten Stille
den Körper raubtiergleich zum Sprunge dehnt.
Die wunde Menschheit
Alle Menschen sind um mich verwundet,
Blut rauscht monotone Melodie.
Jedem ist der Tod nur kurz gestundet,
immer bleicher werdend, wanken sie
durch die Gassen, öffentlichen Räume,
durch die Armut und den reichen Prunk.
Aus der Stuben steinernem Gesäume
schlägt der Atem ihrer Eiterung.
Und ihr Spiel ist das von fiebrig-feuchten
Händen auf der Decke rauhem Flaum,
und ihr Tun ist das von aufgescheuchten
kranken Tieren zwischen Busch und Baum.
Viele brechen nieder und verenden
mitten in der Andern Angstgeschrei,
und verglaste Augenpaare schänden
dieser Erde schönes Vielerlei.
Die Schwärmenden
Wie liebe ich euch Mädchen und euch Knaben,
die ihr an Gott noch und die Sterne glaubt,
die ihr der Welt, so herrlich und erhaben,
nicht Majas Schleier vom Gesichte raubt,
die ihr das Wunder, das ich längst begraben,
an jedem Morgen neu mit Grün belaubt
und schwärmerisch, mit jubelndem Gelüste,
euch stürzt an dieses Lebens volle Brüste!
Euch glänzt noch Morgenlicht auf heitrer Stirne,
ihr wißt nicht, was es heißt: "Nur Abend sehn".
Ihr könnt noch auf die himmelnahen Firne
mit Rosen um die jungen Schläfen gehn;
ihr folgt dem Herzen noch, nicht dem Gehirne
mit einem zärtlich-innigen Verstehn,
und wo wir Alten zag und ängstlich sinnen,
da greift ihr zu, mit fröhlichem Beginnen.
Aus euren Mienen steigt mit holder Röte
noch einmal auf der Jugend reicher Tag,
wo ich mit meinem werthersanften Goethe,
das Herz voll Freude, lief durch Feld und Hag,
und ich im Walde bei dem Klang der Flöte
des Gottes Pan in süßen Träumen lag,
indes ich Nachts nicht schlief, wenn Mondgeflimmer
durch die Gardinen sickerte ins Zimmer.
Wo ich berauscht vom Duft und Klang der Erde
an jedem Morgen sang ihr großes Lob,
wenn auch mit ernster, drohender Gebärde
vor mir das Leben schon die Hand erhob,
und ich es ansprang, daß mir vor dem Pferde
der Phantasie die Angst wie Spuk zerstob,
und ich mit meinem unsichtbaren Degen
mir Bahn hieb auf den notverwachs'nen Wegen.
Wo ich so heiß und dennoch demutstille,
um Liebe warb bei Frauen, süß und schlank,
und all mein Tun und der gespannte Wille
in eine pagenhafte Inbrunst sank.
Wo ich im Ruderlärm und Werkgebrülle
ertönen hörte lieblichsten Gesang
und mit den rußgeschwärzten Fingern zierte
das Haus der Sehnsucht wie ein frommer Hirte.
Und wo ich schwärmte mit beglückter Seele
von einer Güte, die uns alle eint;
wo ich um fremdes Leid mit enger Kehle
und heißen Augen Stunden durchgeweint.
Wie lang ist alles, was ich hier erzähle,
schon abgetan, vermauert und umsteint,
und nur von eurem Lächeln noch beschienen
grüßt mich ein Bild mit schattenhaften Mienen.
An die jungen Menschen
Enthebt euch aus dem dunklen Schoß
beengter Menschenwissenschaft:
Das Leben selbst will stark und groß
euch zeigen seine höchste Kraft.
Die Mauern aus zerlesnen Büchern,
verschriebenen Heften, stürzt sie ein!
Enthüllt von tausend Leichentüchern
der Schönheit hellen Götterstein!
Vergeßt die Orgien der Zahl,
der Sprache blinde Tyrannei.
Der Tafel Logarithmenqual
soll brechen eure Faust entzwei.
Nun stürzt euch in das große Träumen
der ungeheuren Welt hinaus
und meßt euch in den Sternenräumen
die Länder für die Seele aus.
Die feile Phrase von dem Sinn
der übernommnen Tüchtigkeit,
werft sie zum ändern Trödel hin
und werdet Kinder eurer Zeit!
Reißt nur herab die altersgrauen
Perücken einer Mumienzunft,
die Brillen mit den nebelblauen
Nachtgläsern trockenster Vernunft.
Und tretet nackt aus euch ins Licht
des Tages, der euch wird geschenkt,
da ihr das junge Angesicht
nicht mehr in leere Schriften senkt.
Werft euch dem Leben an die Brüste
mit einem Schrei der Ungeduld
und laßt zurück die gelbe Wüste
jahrhundertalter Lebenschuld!
Die Erde ruft nach Griff und Tat,
Gelehrsamkeit ist ihr verhaßt,
Gehirne brauchen keine Saat,
die nie zum Reifen Boden faßt.
Und wollt ihr Gottes Reich erringen,
trog der Katheder schwarzem Fluch,
so laßt den Zwang den toten Dingen
und macht euch frei von Heft und Buch!
Das goldene Zeitalter
Einst war nichts als Liebe auf der Welt.
Alle Dinge freundlich sich vereinten,
wenn die Berge lachten oder weinten
taten gleiches Himmel, Wald und Feld.
Wolke winkte zärtlich in das Tal,
weil der Fluß ihr zusang, und die Erlen
spielten fröhlich mit den Wasserperlen
an der Wirbelstelle, tief und schmal.
Alle Wesen lebten fromm, gezähmt
auf den Wiesen, in dem dichten Dschungel,
dankbarst hingegeben Licht und Dunkel,
keines ward vom Blick der Gier gelähmt.
Nicht das kleinste Ding in Haß verdarb.
Im Gebrüll des Löwen war noch Güte,
und was Knospe war, das wurde Blüte -
bis der Mensch kam und die Liebe starb.
Im Mai
Ich liege selig unter Bäumen,
die rings um mich wie Mädchen stehn
und darf mit meinen jungen Träumen
im Garten Gottes spazieren gehn.
Die Sonne heißt Marie
und trägt ein goldnes Krönchen,
Prinzessin Tausendschönchen
ist nicht so schön wie sie.
Sie nimmt mich bei der Hand
und sagt: "Wir wolln versuchen,
zu machen einen Kuchen
aus blauem Himmelssand."
Wir sitzen Leib an Leib.
Zu unserm leisen Singen
die goldnen Schüßlein klingen.
O holder Zeitvertreib!
Ein Weiblein mild und grau,
in Tücher eingehuschelt,
steht neben uns und tuschelt
und flüstert heimlich: "Schau!"
Da seh' ich Jugendland
aufglänzen und die Tale,
wo ich die hundert Male
den Drachenkampf bestand.
Bin wieder Schiffkapitän,
Hauptmann der Räuberbrüder,
und Skalpe wollen wieder
an meinem Gürtel weh'n.
Du toter Kamerad,
der mir im Teich versunken,
sag', bist Du nicht ertrunken,
weil dort Dein Blondkopf naht?
Und Du, mein Annerle,
Verschollene der Gasse,
du Schüchterne und Blasse,
du armes Großstadtreh,
dein Atem weht mich an,
wie einst, als Du beim Spielen
vor allen andern Vielen
sagtest: "Du wirst mein Mann!"
Ihr alle seid bei mir,
ihr Mädchen und Kameraden,
die Gott zum Spiel geladen
im Armeleutquartier.
Da geht es durch den Busch
in alter Lust und Freude,
manch Loch sitzt schon im Kleide -
husch! - husch!!
Ein Vogel hat mit seinen leichten Schwingen
mich aus dem schönen Maitraum aufgeweckt.
Vorbei der goldnen Schüßlein helles Klingen,
das Spiel der Kinder, unser Rufen, Singen -
und nur das Weiblein mild und grau,
schon halb vom Dämmer zugedeckt,
winkt mir noch einmal zu im Abendblau.
Psalm
Kann einer von uns schwankenden Menschen
das Wesen der Liebe ergründen?
Ohnmacht im Denken und Wort
erfüllt uns alle vor ihr.
Sie reicht bis in die Seele Gottes
und ist die Flamme,
die ewig
aus seinem glühenden Herzen steigt.
Ihr Atem ist Lobgesang der Welten.
Wer ihm lauschen darf,
dem wird geschenkt
das Lächeln über den Tod.
Ich habe einmal die räudigen Schafe
des Elends gehütet
mit der Peitsche Haß,
umsprungen vom Hunde Hunger.
War arm wie Hiob
und einsam wie die greisen Adler
des Libanon.
Ich fluchte dem prahlenden Gold der Sonne
und Nachts drückt' ich zu Boden mein Gesicht,
um nicht die silbernen Sterne zu sehn.
Kamen die anderen Hirten des Tales
vor meine Hütte,
waren sie mir Gefäße, in die ich die Flut
meines giftigen Hasses
strömen ließ.
Ich trat mit Hohn die Feuer aus,
die sie zur Ehre ihrer großen Gesichte
anbrannten im dunklen Abend,
und Spott spie ich in ihre heiligen Kelche
und nannte sie Narren,
wenn sie von Liebe sprachen.
Dumpf sang ich der Finsternis Lob,
in der ich die ächzende Not verbarg,
bohrte den Blick in schwarze Erde
und war eine einzige Wunde,
vom Tage mit tausend Schmerzen beteilt.
Ich eiterte Wut aus
und spürte brennende Freude,
sah ich in Qual
einen Bruder stehn.
Doch eines Tages stand sie auf einmal vor mir,
die lange Verlästerte
und blutig gehaßte
Liebe!
Trat furchtlos in meine Nacht,
trieb mir aus dem Herzen mein feindliches Staunen
und nahm mir das fluchende Wort
vom Munde.
Sie ließ mich sehr
an meine tote Mutter denken,
bis mein Herz
ein büßendes Weinen verströmte,
das über das Feld meiner Seele flutete
gleich einem steigenden Meere,
in dem meine Bitternis ertrank,
und heraus stieg
die Freude des Lebens.
Und als ich rein war vom Haß
und der Zärtlichkeit zu allen Dingen voll,
gleich einem Morgen im Mai,
tönte in mir ein Klingen auf,
das mich zum Tanze über die Erde
hinriß.
Ich tanze noch
im Arme der Liebe,
voll des Rausches:
Ein Mensch zu sein.
Woher ich komme,
wohin ich schwebe -
ich Vielbeglückter
weiß es nicht.
Freiheit
Brüder, jetzt wird laut,
was wir lang verborgen!
Freie Menschen schaut:
Welch ein goldner Morgen!
Brüder, dies Geschick
lang geheim gehalten,
nun vor unserm Blick
darf es sich gestalten.
Einst von Ohr zu Ohr
voll Gefahr geflüstert,
steigt es nun empor
mit dem Licht verschwistert.
Ganz befreit zu sein
von dem Zwang der Mächte -
Brüder, Geist wird Wein
und berauscht die Nächte.
Und es darf das Wort
Tat und alles werden,
himmlischer Akkord
und ein Licht auf Erden.
Selig, wer da lebt
mit dem Wort im Munde!
Wie ein Adler schwebt
er ob dunklem Grunde.
Wenn das Wort sich senkt
in sein Herz hinunter,
sieht er dicht gedrängt
an die tausend Wunder.
Und sein Böses stirbt
in der alten Hülle,
und mit Jauchzen wirbt
er um Gottes Fülle.
Anklage
Weiß ich, ob nicht meine Verbrechen und Qualen
die Nächte der Armen blutig färben?
Wer weiß, wie viel Brüder es müssen bezahlen,
daß ich einst vielleicht darf in der Sonne sterben.
Es müssen bezahlen mit Kälte, Hunger und Kerker,
Haß zeugend hinter den Brüsten und Stirnen.
Wie wächst in mir immer stärker und stärker
dieses Gefühl der Schuld vor den Mördern und Dirnen.
In diesen Tagen, wo mich das Leben begnadet
mit Arbeit, Liebe und einem blühenden Kinde,
und Gott mich oft zu seinen Gastmählern ladet,
ich diese Schmach vor den Armen wie nie noch empfinde.
In den Wiesen und Wäldern, auf den gebirgigen Stegen
starren mir oft schmerztragende Augen entgegen,
raunt es mir zu aus dem Kreise der Bäume und Steine:
Glücklicher, büße! Fröhlicher, weine!
Revolution
Stürmt, Berge Horizonten! Stürmt, ihr Hügel!
Reißt euch vom morschen Erdensockel los!
Ihr Bäume, raubt euch breite Kondorflügel,
leistet Verzicht auf dunkles Wurzelschloß!
Ihr Häuser, stürzt euch in die schnellen Flüsse!
Ihr Türme raset in das Meer hinein!
Ihr festen Mauern löset euch in Güsse
und flutet hin, wie einst das Urgestein!
Befreit euch, Dinge, vom Gesetz der Tage,
denn das Erhabene ruht nicht in ihm!
Will er das Glück der göttlichen Gelage,
so wird zum Satan jeder Cherubim.
Ihr seid nur Sache, Form, die jeder meistert.
Zerbrecht den Bann und werdet Element,
daß von dem Sinn des Irdischen entgeistert
euch nichts mehr von der Höhe Gottes trennt.
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