Die Völkerflut
Wir sind gestaute Völkerflut vor Gott:
wir Europäer und Asiaten, wir Amerikaner, Neger und Malaien.
Wir schritten dahin im Trieb des Geistes nach Ferne,
die Köpfe gesenkt wie Büffel auf ihrer Wanderung,
schauten nicht links noch rechts, blickten immer nach vorne,
wo die Fahnen schwankten, die Standarten, Roßschweife,
eine Wolke von Farben, metallenem Funkeln, Sonnenkreisen
und lockenden Bildern gewaltiger Wünsche.
Wir überstiegen die Wälle von Jahrtausenden,
durchwateten die Meere der Urzeit,
und in den Busen unserer Wanderung
bauten wir, wie im Spiel und halb umfangen vom Traum der
Müdigkeit,
Tempel und Städte, die wir dann wieder zerstampften,
daß uns der Staub um die Schädel und bis zu den Sternen flog.
Uns hielt nichts auf, nicht der Ahnen Mumien und Moder,
nicht Sesostris, der Mazedonier Alexander, Kaiser Augustus,
Tamerlan, Napoleon,
nicht die thebanischen Heiligtümer, Jerusalems goldener
Tempel, der schwarze Stein der Kaaba in Mekka, Benares
diamantene Götterpaläste, die gotischen Münster,
nicht die Diana von Ephesus, Anguilotis Moses, Buddha,
Gautamos Rätselblick auf Ceylon, des Nazareners furchtbares
Kreuz,
nicht der Fetisch des Basutonegers, nicht der Talisman des
Südseeinsulaners.
Wir umkrampften die Lanze, das Beil, das Buch, den Pflug,
der Ochsen Hörner, das Vlies der Schafe und die Zügel der Pferde
und wanderten, den Blick in den undurchdringlichen Wald
der Standarten und Fahnen vor uns gehängt,
weiter und weiter über die Fläche der Zeit.
Und wir wuchsen gewaltig an Zahl wie Heuschreckenschwärme:
Arm rieb sich wund an Arm, der Atem verbrühte des Vormannes
Rücken,
Herz schlug gegen Herz und die Gehirne klebten sich zusammen.
Wohl fielen wir über die Schwächeren her,
würgten uns Raum, mordeten, daß es anfing, Blut zu regnen,
doch die Schöße unserer Frauen waren mächtiger als unsere
würgenden Hände.
Wir wuchsen und wuchsen,
bis daß unsere Scharen die verborgenste Insel bedeckten,
die Wüsten erfüllten
und die Letzten unserer Nachhut am eisigen Ende der Erde
standen.
Da ... ein unerhört gewaltiges Gebrüll braust aus uns, der Masse
Mensch -
wir können nicht mehr weiter -
und nicht ist es die Geste eines einzelnen,
nicht die dämonische Wut der Elemente,
nicht der von uns oft so gelobte Krieg,
nicht der aus Blut und Lehm geformte Leib eines neuen
Gottes oder einer neuen Göttin,
was uns hemmt im stampfenden Vorwärtsschreiten.
Wir stemmen nach vorne -
wir rasen tierhaft auf -
Dünste der Angst wölken auf -
Wutgebrülle, Wehegeheul, irrsinniges Lallen und Beten -
wir prallen zurück -
o grausam erhabener Anblick!
Unsere Standarten, Fahnen, all unsere bunten und metallisch
strahlenden Heerzeichen
sind zur Erde niedergeprasselt -
Und es sitzet gegen den Horizont gelehnt,
die schwarzbasaltenen Hände auf Sonne und Mond gestützt,
ein Steinlächeln im abgründigen Angesicht:
GOTT.
Gott duldet in mir
Tag und Nacht lauscht er in mir nach einem Ruf der Liebe
aus meinem Herzen,
umspäht meine Hände nach einer Handlung der Güte.
Mit dem grindigen Bettler steht er vor dem Tore,
taumelt an der Seite des Betrunkenen an mir vorbei.
In den Augen der syphilitischen Dirne
wacht angstvoll auf mein Tun sein Blick.
Denn mein Abscheu, mein Ekel und meine Verachtung
rollen aus meinem Blute in seines und dann durch alle Dinge und
Wesen. —
Meine bösen Worte der Abweisung, des Zornes und Schimpfes
sind Feuerpfeile in sein Herz;
doch wie von ihm selbst geschleudert.
Manchmal sehe ich ihn im Rahmen eines Traumes
vor mir stehn.
Wehevoll zittern seine Lippen
und aus den ehernen Falten seines Gesichtes
fallen blutige Tränen.
Dann braust im gewaltigen Schmerz die Welt um mich auf
und mein Herz schreit, schreit durch die Nacht:
Gott duldet in mir!
Gott leidet an mir
Gott leidet an mir!
Denn ich soll seine Sonne sein
und bin nur trüber Schatten irgendeines seiner Dinge.
Den Quell seines Herzens wollte er in mir sehen,
doch ich sickere als unreines Wasser über die Straße der Zeit.
Als brennenden Dornbusch, seine Allmacht verkündend,
dachte er mich in der Stunde meiner Zeugung,
doch wie Zittergras duck' ich mich feige
unter dem Speichel frevelnder Menschen.
Er legte in mich die Empörung seiner Himmel,
hieß mich lieben die Diebe und Mörder, die Huren, Säufer
und anderen Knechte der Nacht,
hieß mich verachten die Betrüger am Worte
und die Schänder des Geistes,
hieß mich dreimal töten die Propheten des Kampfes gegen
die Liebe.
Aber ich wurde ein Schwächling,
verschloß meine Türe vor den heilig Unseligen
und sitze zu Gast bei den Händlern der Leiber und Seelen,
atme die Stickluft ihres Hasses,
schreite mit ihrem Stolz als Stütze
über die Gasse Endlichkeit.
Mein Lachen ist Lüge,
mein Weinen Trug
und kalt und schamlos meine Gespräche
über Wesen und Dinge.
So leidet Gott an mir,
unendlich und qualvoll,
wie eine Mutter
vor dem siechen Leib ihres ersten Kindes.
Die Nacht
Die Tore schließen sich, denn niemand will die Nacht
in seinem Hause und den Stuben haben.
Strahlen ihre Sterne noch so hell,
hängt noch so voll des blitzenden Geschmeides ihre Brust
und leuchtet noch so klar der Mond als Diadem in ihren schwarzen
Haaren,
unsagbar kühl weht es von ihrem Leib die Menschen an und Grausen
weckt ihr Blick.
Denn sie verachtet dies Geschlecht der Diebe, Mörder und
Betrüger an sich selbst,
sie haßt dies Erdenvolk, das, allem Tier entlaufen,
nichts mehr gemein hat mit dem Sinn der Welt,
ihn stetig schändet, höhnt und groß sich tut mit seinem Wissen,
das nichts als einer Allmacht Märchen ist.
Ich aber liebe sie, die Strenge und Gelassene, die ihre Wildheit
zähmt und ihre Phantasie,
die gütig gegen alle stummen Dinge ist,
sie tröstend an sich drückend und ihren Schmerz verstehend,
wehrlos zu sein vor plumpem, rohem Menschengriff,
die alles Wunde liebt und es barmherzig schützt und pflegt,
das todeswunde Tier der Wälder, den armen durch den Tag
gehetzten Mörder,
den
Dieb und die bespiene Straßendirne;
die allen Bettlern ihre Nöte nimmt, die Kröte Demut in ihren
Herzen tötet
und sie aufrecken läßt zu Königen der Welt;
die durch die Säle der Museen schreitet, den Mumien die
Knochenstirne küßt,
die in die Räume der Fabriken das Märchenlicht der Sterne
strahlen läßt,
auf daß die stählernen Maschinen wie weihnachtstraumbefangne
Kinder lächeln;
die aus dem Kreis der Dichter und Gelehrten den ersten Lärm der
Tagestiere bannt
und Reife gab und gibt den größten Werken.
Ich liebe sie und alle Abend wandre
ich ihr entgegen wie einer einzig süßen Frau.
Dezemberabend
Wie das von eisgrauem Bartgewirr umbuschte Haupt
des einsamen Judengottes
reckt sich der Berg aus dunkel hingedämmerten Wäldern
in den enzianblauen Abendhimmel hinein.
Seine kurze, englische Pfeife im Munde,
den Dämon der Hasen, Rehe, Füchse, das Gewehr,
nachlässig über die breite Schulter gehängt,
geht ein Jäger über den harschigen Wiesenschnee;
sein Hund pendelt, klein wie eine Ratte anzusehen,
weit voraus den Horizont entlang.
Da --
hebt der Jäger den Doppellauf - -
ein Knall - -
und einem schwarzen Sterne gleich
stürzt eine Krähe
auf die fahle, weiße Scheibe
der Wiese.
Schellengeläute hängt in der Luft,
Gesang der Kälte.
Schuhuschu - ein Schlitten braust wie ein Stück Wind heran.
In seiner Tiefe dunkelt ein Ballen
reglos, wohl die Nacht selbst.
Aber im Lichtkegel der Straßenlaterne
löst er sich in zwei Gestalten
und blonde Frauenhaare glänzen blitzschnell auf.
Ich weiß es, der Schlitten
ist mit Küssen bis an den Rand gefüllt
und zwei Menschen saugen sich im Rücken der jagenden Pferde
die Seele aus.
Türen fallen ins Schloß,
Straßenschnee knirscht unter flinken Füßen
und hie und da schaukeln Handlaternen
wie leuchtende Englein über die Wege.
Jetzt ist die Stunde,
wo die Frauen und Mädchen die Abendmilch holen.
Und manche Magd, die im nüchternen Licht des Tages,
von Arbeit vielfältigster Art umgeben,
dem Blick des Mißtrauens und des Tratsches ausgesetzt,
auf das Dasein des kleinen roten Dinges in der Brust
vergessen mußte,
läßt es nun frei über die Gassen laufen
in die Winkel, hinter die Ecken und Tore
und trippelt ihm freudig nach,
bis zwei Männerarme die Milchholende umfangen,
trockene Lippen feucht werden von Küssen.
Heimliche Tänze wachen auf,
Jugend blüht berauschend
an Jugend empor
und es raunt allenthalben in die Nacht:
"Grüß dich Gott in Liebe!"
"Gute Nacht - - gute Nacht in Liebe!"
Ganz still ist es geworden in der Welt.
Da trete ich in den Garten hinaus,
beuge mich zu Boden, streichle das flimmernde Schneefell
der Erde
und flüstere:
Du schönes, wildes, merkwürdiges Tier, du!
Die Knechte
Brausend befruchtet das Wasser die harrende Erde,
läßt Schiffe auf seinen demütigen Wellen erbauen,
trägt im sichern Bewußtsein der Pflicht die kostbare Habe der
Menschen
sicher und ohne Dank die Ströme entlang und über gewaltige
Meere.
Die Räder unzähliger Werke treibt seine Kraft;
Brot und Eisen, Bretter zu Sarg und Wiege,
süße und herbe Gedanken läßt es entstehen,
Tag und Nacht in emsiger Arbeit.
Und sein Gesang dazu ist die ständig rauschende Strophe:
"Ich diene! Ich diene!"
"Götter, entlasset mich aus der Hürde der Sterne!"
So bat mit glühender Brust der gefangene Blitz.
"Seht, wie die Menschen in Dunkel und Kälte verweilen,
Götter, laßt mich zu ihnen hinuntereilen!"
Aufsprang das kristallene Tor
mit den Angeln aus Silber und der goldenen Klinke,
und in freudiger Wildheit stürzte der Blitz auf die Erde
und brachte den Menschen das Leuchten der Götteraugen,
das heilige Feuer.
Aufmerksam sitzt das Feuer im Dunkel unzähliger Essen,
sinnt wach und hellhörig dem Leben der Sonne nach;
springt knisternd auf, berührt eine menschliche Hand
seinen harrenden Leib,
und kocht mit fröhlichem Singen Tee oder Suppe
dem Arbeitsmann,
köstliche Braten und Trüffeln den Reichen der Erde,
wärmt, des lautersten Mitleides voll,
in den Obdachlosenasylen die erfrorenen Glieder
der Brüder und Schwestern Jesu
oder summt einem Dichter die Melodie einer Strophe vor.
In den gewaltigen Bäuchen der Hüttenwerke,
in den Hochöfen, den Schluchten neuzeitlicher Geister,
zerglüht sein Atem Gebirge nach kostbaren Erzen.
Geheimnisvoll raunt es unter den hohen Retorten
und chemischen Gläsern und Töpfen einsamer Gelehrter
und leuchtet im Lämpchen den Denkern
voll gläubiger Hoffnung.
Und immer sind Worte in seinem Fauchen und Knistern,
aus seiner lohenden Glut tönt's wie aus dem schüchternsten
Fünkchen:
"Ich diene! Ich diene!"
O
wie voll Inbrunst in Demut und Hingabe ist diese Erde
Tag und Nacht an dem Werke, vollkommene Dinge zu schaffen.
In Heimlichkeit webt sie am herrlichen Kleid der Natur,
zu unendlicher Vielheit gestaltet sie irdisches Leben.
Sie ist im Gehirn des Weisen sowie in den Händen des Mannes,
der auf der Straße Steine zerschellt,
im winzigsten Uhrgehäuse,
im Motor, der in der Brust eines mächtigen Baues
zehntausende Räder, Kolben, Walzen und Hämmer bewegt.
Sie ist des Lebens ewig sich regender Geist.
Und ob sie nun jauchzt mit den armen Hirten der Pampas
oder im düstern Maschinengewölbe, in einer Halle der Technik
donnernd den Rhythmus der Zeit angibt,
ihrer Strophe Beginn und Ausklang
lautet ekstatisch, demütig, begeistert und offenbarend:
"Ich diene!"
Werkleute
Werkleute laßt uns sein!
Werkleute, die den Hammer, den Spaten, das Beil und die Säge
lieben.
Die Welt braucht die Arbeit der Hände, um wieder leben zu
können,
um wieder Freude zu finden an Tanz und Gesang,
an der Liebe und der zeugenden Kraft des Geistes.
Werkleute laßt uns sein!
Ihr Dichter, Musiker, ihr Grübler über Bücher, Dinge und Wesen,
ihr Tänzer und Freunde der Masken, ihr Sänger, Athleten, Läufer,
Bezwinger der Berge,
ihr Suchenden auf der Straße des Geistes und den Gassen des
Wissens,
ihr Lauschenden auf der Erde, ihr Sehenden über die Gräber
hinaus,
ihr Priester und Magier, Maler, Bildhauer und Lehrer,
tretet an, ergreifet das Holz, den Stein, das Eisen,
beuget den Rücken und kettet euch fest an das begonnene Werk!
Tretet an!
Denn laßt uns Werkleute sein!
Werkleute an der gewaltigen Arche, die uns alle, alle aufnehmen
soll.
Bedenkt ihre Größe!
Es muß ihr Kiel die Feuer der Tiefe berühren
und ihre Segel müssen die Sterne beschatten,
von Pol zu Pol muß sie reichen und ihre mittlere Breite beinahe
die Erde sprengen.
Und laßt uns an Schlaf nicht denken, nicht an die Wollust der
Ruhe!
Denn die Wasser des Todes steigen und steigen,
schon düstert es untergangsdrohend die Horizonte herauf.
In den Wäldern heulen die Welthungerwölfe von Nacht zu Nacht
immer stärker,
Scharen grausiger Geier umwölken die Sonne,
auf manche Landschaft fällt aus den Sternen blutiger Schnee
und rot leuchtet nahe Vernichtung aus dem Nebel unserer Angst.
Darum, ihr Freunde, weg von den Betten der süßen Mädchen und
Frauen,
weg von den Tischen, darüber die Weine schweppern;
kehrt den Museen und Schulen, den Kirchen, Moscheen und Tempeln
euere Rücken;
verrammelt mit Steinen und Balken
die Tore der Theater, Musikhallen und Tanzsäle,
räuchert die Banken von den Händlern und Wucherern,
den Zuhältern unserer Not, aus
und schmiedet die Müßiggänger an die Galeere der Schande.
Werkleute laßt uns sein!
Werkleute, die fröhlich das Morgenlicht grüßen
wie einst das zu Tanz, Musik und Spiel hinlockende Leuchten der
Lampen;
Werkleute, die glücklich bei der Abendsuppe
auf ihre erworbenen Schwielen blicken
wie einst auf den Rosenglanz ihrer polierten Fingernägel.
Symbolischer Klang sei uns das Kreischen der Säge,
den unsagbar hinreißenden Rhythmus des Lebens
verkünde uns das Kreisen der Räder und Kolben einer Maschine,
und schön und über alles sei uns das Weib,
das
Wasser uns zuträgt,
wie einst die attische Schwester den Griechen beim Bau ihrer
Tempel.
Werkleute laßt uns sein!
Tretet an, ihr Freunde, tretet an!
Befreiung
Es wehte der Sturmatem der Welt
um die Bilder, die ich mir aufgestellt,
um die Götter, zu denen geschritten
kamen alle Tage meine Wünsche und Bitten,
vor denen ich mit florumwundenen,
mit Lügen festverbundenen
Augen kam
und im Gebete
heiß und verzehrend flehte
und wie aus einem Brunnen hob: Neues Verlangen, alte Scham.
Wahrheit!
Aus den Leibern der Götzen sprang kein klingender Quell.
Klarheit!
Kein Leuchten strahlte aus ihnen und machte mein Schauen hell.
Sie glichen verhangenen Spiegeln
und wollten mir nicht entsiegeln
das kleinste Geheimnis des Lebens.
Vergebens
harrte ich Stunde um Stunde
mit verschlossenem, gläubigem Munde,
tot war mir jedes erlösende Wort,
nur meine Seele schrie fort und fort
den steinernen Bildern ins Angesicht:
"Wahrheit!"
"Klarheit!"
Sie blieben stumm und gaben kein Licht.
Da packte mich Grausen und Haß.
Tierähnlich schrie ich auf und weckte den Sturm.
Aufsperrte seinen Rachen ein jedes Gelaß:
Die Hütte, das Zinshaus, Kerker und Kirchenturm.
Es öffneten sich die Fabriken, daraus die Werkdünste lohten,
Kranken- und Siechenhäuser warfen alle Gebreste aus,
Schachtgräber und Grüfte entäußerten sich der Toten,
alle Häuser verbanden sich zu einem wilden Gebraus.
Das brach in einer gewaltigen Wolke her,
unheildrohend, verderbenschwer. -
Die Erde spie Wut ... und
hineingeschmettert in erdigen Grund
lagen die schweigenden Götter, die ich errichtete,
mit zerpraßten Leibern, blutleer, tot,
und es erhob sich eine neugesichtete
Welt vor meinem Blick ins Sonnenrot.
Was früher nur meine Sehnsucht ahnend fühlte,
das stand vor mir, ein tiefes Erkennen kühlte
das wunschheiße Herz, meinen Adern entlang
tönte ein Lied, ein starker Hymnengesang.
Hände streckten sich mir entgegen
aus Häusern, auf Straßen und verborgensten Wegen.
Tausende Augen spürte ich in mich dringen,
tausende Herzen wollten mir Liebe bringen.
Frei ward mein Blick, über entgöttertem Stein
schritt er, Wahrheit erfassend, ins Leben hinein.
Ich singe Lob der Erde
Schön ist die Erde!
Erhebend das Wissen, auf ihrer Fläche zu stehen,
und nichts kann erniedrigen
das hohe Gefühl meiner Seele, in einem Menschen zu wohnen.
Wohl ist gewaltig des Himmels wolkenbefahrenes Meer
mit seinen silbernen Inseln, den Sternen,
auf denen die Götter der Sage,
die Helden der Märchen wohnen,
und wundervoll glänzen die goldenen Dächer der Sonne,
der Burg Gottes,
in der durch diamantene Hallen
die Seligen wandeln.
Doch stünde ich oben zwischen den Göttern und Geistern,
im Ohr der Engel Posaunenmusik
und den seraphischen Gesang,
getränkt mit den bittersten Erfahrungen
aller bisher verstorbenen Brüder und Schwestern,
und sähe ich tief unter mir atmen und beben
die schweigsam liebenden Wälder,
die Horizonte stützenden Ebenen,
die Städte, des schäumenden Lebens voll,
das wuchtige Strömen der Flüsse,
das Donnergewoge der Meere,
die Stätten der keuchenden Arbeit,
die Berge, Quellen, zuckenden Tiergestalten
und mitten darunter den kämpfenden, leidenden,
aber doch aufrechten Menschen,
ich verginge vor Sehnsucht im Reich der Verklärten
nach der schönen Lust und Qual
meiner Erde.
Lynkeus
In die zertrümmerten Stätten des Friedens,
auf die noch immer aus wütenden Wolken
Blitze des Hasses zucken,
schreitest du, Prophet des Rechtes,
und deiner Stimme weckender Klang
dringt in die Kreise der Herzen und Gehirne.
Da schweigen die Trommeln der Not,
das gelbe Metall des Krieges, die Schreckensposaune,
schrillt auseinander, wird stumm
und die sanfte Flöte der Demut
wimmert sich tot
vor deinem Gesang, o Prophet!
Du singst von der Bruderschaft der Arbeit,
jubelst in der Ekstase des Wissens
von der Reinheit kommender Geschlechter,
und die Wucherer des Todes
sterben dahin,
und die grinsenden Mehrer des Geldes
erstarren zu speckigem Stein,
und die Mörder des Gewissens
ersticken im Irrsinn vor ihren eklen Gesichtern.
Du aber stehst da vor dem Volke,
umrauscht von den Hymnen des Volkes,
menschlicher Würde einziger Prophet.
Der Hauch deiner Weisheit
ist mächtiger denn die Stürme der Meere;
wie wühlt er doch unsere Seelen auf
und läßt uns erschauernd blicken
in die Tiefe der Welt.
Sterne enträtselst du uns,
solche Sterne, die in uns kreisen.
Neue Sonnen erweckst du,
und verödete Monde werden blühende Erde;
auf dem Firmament unserer Seele
wird deine Lehre uns klar,
o Prophet!
Ewige Freude, entstiegen befreiter Würde
der Menschheit, köstliches Fühlen der Schönheit
wird dich umtanzen
auf dem blühenden Teppiche,
den deine Lehre wirkt.
Wir aber, die sein Werden erschauen,
wollen dir gläubige Vorsänger sein
auf allen Straßen der Erde,
damit dein Werk verkündet werde,
wie du verkündest das Werk der Welt,
o Prophet!
Goethe
In dem bewegten Hin und Her der Tage
bist du der Pol, zu dem die Stille drängt,
wenn allzuviel an Arbeit, Not und Plage
an meines schlichten Werkes Pendel hängt.
Du bist die Antwort auf die große Frage,
die sich dem Menschen auf die Lippen zwängt:
Wozu die Hast, das Leid und seine Plage,
bis Henker Tod das arme Opfer fängt?
Aus dem Gewölke deiner Fernheit schwebst du
herab zu mir, und deine Weisheit spricht
ganz nahe meiner Seele schlicht und fromm:
"Mit jeder kampfdurchtobten Stunde hebst du
den Sinn des Daseins höher in das Licht,
das Gottes ist und fröhlich leuchtet: Komm!"
Bach
Dom der Musik,
über sich nichts mehr als Gottes schwebenden Geist,
so wuchtet er da
mitten im Schwatzen der Händler,
zornigen Haß der Proleten,
kläglichen Knechtsinn der Heutigen,
so ragt er empor
aus dem Kreise der Puppenpropheten,
der Gott Zuhinkenden,
und alle Tage der Zeit
entströmt seinem goldenen Tor
im stetig gleichen Gebrause
die Messe der Ewigkeit.
An das Volk
O Volk, du Masse,
bis in die Tiefe deiner Welt
aufgerissen von den Eberzähnen der Zeit;
du schwarzes Heer der Gasse,
halte an dich, wenn auch dein Auge fällt
auf dein vor dir hoch aufgeworfenes Leid.
O Volk, du Masse,
all deine vergangenen Nächte und Tage,
da du Not littest, erduldetest schmachvolle Pein,
vergiß sie, o Volk, und lasse
sie hier auf Erden nimmer gewesen sein.
O Volk, du Masse,
recke dich auf und fasse
den Hammer, nicht zu vernichtendem Schlage
auf irgendeines armseligen Menschen Gebein,
sondern er möge fallen
in deinen Stuben und Hallen
mächtig auf deinen Stahl, dein Holz und Gestein!
Der Lotse
Lotse der Menschheit unserer Zeit,
wann wirst du kommen
mit deinem von den Fahnen der Freude
fröhlich überwimpelten Boot?
Wir warten in Angst und Sehnsucht auf dich,
stehen zusammengedrängt auf dem Schiff,
das uns führen soll
durch die böse, zornige Flut dieser Tage
deine sichere Hand
hin zu den Ufern des verheißenen Reiches.
Lotse der Menschheit unserer Zeit,
von woher wirst du kommen?
Aus dem Hafen des Friedens,
aus der Stürme Bucht,
aus gesangdurchrauschter, ewig von Sonne beglänzter,
glücklicher Inselwelt,
von dem grünen Gestade seligen Urlandes,
von einem über die Weltmeere schwebenden Stern?
Lotse der Menschheit unserer Zeit,
wie wird dein Antlitz sein?
Gewaltig, richterlich streng,
flammenumschauert, schön wie Luzifers Haupt,
voll von schmerzlicher Trauer
oder durchleuchtet von dem Lächeln
göttlicher Güte?
Lotse der Menschheit unserer Zeit,
woher du auch kommen wirst,
wie du auch aussehn magst,
erscheine! erscheine!
Völker in Sturmnot warten auf dich!
Den Toten
Ihr, die ihr dem Tier entflohen,
den engen Dörfern und Städten der Erde,
der Massen stinkendes Gefühl verließet
oder die frierenden Nöte der Einsamkeit,
ihr seid in Chöre gehüllt,
in Licht und Glanz der Gestirne.
Ich sehe euch,
taumelnd durch die Bläue des Nichts,
lachend allerletzte Himmel erstürmen.
Morgenröte in den Händen,
winkt ihr mir,
dem Knecht des irdischen Hauses,
die Grüße der Götter zu.
Mit den Sternen,
den strahlendsten Priesterinnen,
wandelt ihr um das ewige Feuer der Sonne.
Oder ihr jagt auf den Schimmeln der Ewigkeit
kleinen furchtsam fliehenden Wolken nach.
Nicht lastet mehr Nacht und Buße auf euren Schultern,
und nimmer drückt Tag und Geständnis
euer Gesicht in den Staub.
Euch reißt nicht mehr Sehnsucht
die Blicke schmerzhaft empor.
Denn eure Füße berühren
die Fliesen der Ewigkeit.
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