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Alfons Petzold

Totentanz
Gedichtesammlung

1. Auflage 1923

Totentanz
 

Der Dichter
Totentanz
Herbstliche Elegie
Der Pilgrim
Gerichtstag
Die Verdammung
Zur rechten Hand Gottes
Der Bauer
Nachtballade
Der Läufer Gottes
Die ewigen Mütter
Im Kaffeehaus
Der Märtyrer
Lied der Sklaven
Der Tänzer
Wien
Vision
Die Krähe
Die Kranke
Ballade
Der Gott dieser Zeit

Der Dichter


Oft habe ich die seltsamsten Gefühle
von Menschen, die im Wahnsinn stehn und sinnen,
und alle meine wachen Stunden rinnen
in eine tiefe, ungesehne Kühle.

Ich staune, wenn dann einer kommt und kündet,
so menschenähnlich, blind und tagbezwungen,
von seinem äußerlichen Sinn gedungen:
"Wach auf, daß nicht Dein Geist im Dunkel mündet!"

Er sieht es nicht, was meine Nerven fassen,
und es dem inneren Gesicht zulenken
in diesem wundervollen In-sich-selbst-versenken,
mitten im Lärm der Plätzen und der Gassen.

Er sieht es nicht, dies In-die-Ferne-schreiten
durch das bekränzte Tor der eignen Seele.
Ein Schrei des Schreckens sitzt ihm in der Kehle
und läßt ihn zitternd meinen Gang begleiten.

Totentanz

Erlahmen uns die Hände vom Gebet?
Sind wir schon blind vom sorgenvollen Wachen?
Hat uns die Qual die Lippen zugenäht?
Verzerrt nicht mehr den Mund grämliches Lachen?
Da diese Zeit auf unserm Nacken steht
mit Raubtiertatze und gezähntem Rachen
und uns zu Boden drückt mit harter Miene:
Besiegte Kreatur, nun diene, diene!

Ist unser Schlaf nur eine Folterbank,
auf der wir hingestreckt verzehnfacht fühlen,
wie in den Körper, ausgelaugt und krank,
sich immer gieriger die Messer wühlen,
indes die Henkersknechte mit Gezank
an jedem Muskel sich ihr Mütchen kühlen,
und rundumher schon müdgewordne Schlächter
dem Fest zusehn mit teuflischem Gelächter?

Streun wir vom Morgen bis zur Abendzeit
der Reue Asche auf die Scheitelhaare?
Umschreiten wir im grauen Büßerkleid
des Vaterlandes ungeheure Bahre?
Und sind wir allem bittern Menschenleid
gewaltigste und furchtbarste Fanfare,
vor derem Tone alle Klänge schweigen
und seltne Zeichen sich am Himmel zeigen?

Und geben die, die unter uns noch voll
kostbarster Dinge ihre Truhen haben,
das Letzte her, auf daß des Hasses Groll
der Witwen, Waisen, Krüppel wird begraben?
Und beugen sich die Stirnen demutsvoll,
wenn einer von den dargereichten Gaben
nichts wissen will und mit des Zornes Beben
hinweist auf sein vom Krieg geschändet Leben?

Und sind wir alle Diener eines Sinns,
der Arbeit heißt und nimmermüdes Schaffen?
Und wolln wir nicht um Zins und Wiederzins
der Erde Gut aufs neu zusammenraffen,
auf daß die Fülle klingenden Gewinns
nicht mehr zugute kommt geputzten Laffen
und geilen Dirnen, die mit ihren Händen
die letzte Würde unsrer Tage schänden?

O nein, o nein, nichts, nichts von alledem!
Wir pfeifen auf den Stolz und auf die Ehre!
Wir sitzen da, gelassen und bequem,
als wenn die Welt voll deutscher Sonne wäre
und unser Haus nicht aus zerschossnem Lehm,
berannt von einem wilden Sorgenheere.
Gebälk stürzt ein, die schmalen Fenster splittern,
indes wir um verbuhltes Lächeln zittern.

Wir hüllen uns in Seide, Samt und Gold,
Champagner schäumt mit fröhlichem Gezische,
der weiße Würfel aus dem Becher rollt,
die Karten klatschen auf die grünen Tische.
Indes Verderben donnernd uns umgrollt,
verspeisen wir Pasteten, Braten, Fische
und lassen zwischen dürren Totenkränzen
den heißen Trank rasender Lust kredenzen.

Bacchantisch wirbeln wir im Tanz einher,
die Glieder zucken wild im Shimmysprunge,
die Stunde ist für uns ereignisleer,
wo nicht im Niggertanze keucht die Lunge.
O, uns ist nicht ein Tanz zu dumm, zu schwer -
sind wir nur einmal mitten drin im Schwunge.
Die Seide klitscht am weißen Frauenfleische,
den Saal durchirrt hysterisches Gekreische.

Und Fest jagt Fest. Wenn auch mit Bettlerhand
die Krüppel kauern an den Straßenecken,
sich Blinde über graues Städteland
hintasten mit den abgetretnen Stecken
und hinter mancher dünnen Zinshauswand
der Armen Kinder massenhaft verrecken -
was macht dies aus? Wir wollen ja vergessen
und nicht mit Sonden unser Elend messen!

Was gilt die Arbeit? Ach nur so viel, wie
das Dasein braucht für dies Gespensterleben;
sie hat nicht Rhythmus mehr und Melodie,
und wo sich Muskeln noch im Schaffen heben
und wieder senken, da geschieht es nie
in einem edlen In-die-Höhe-Streben.
Nein, alles feilscht und handelt, wie der Jude
es einst getan in seiner Ghettobude.

So taumeln wir dahin und sehen nicht
der Warnung Lettern an der Wand erscheinen
und hören nicht die Stimme, die da spricht
gewaltig aus den Balken und den Steinen:
Ich bin die Zeit, und schreckliches Gericht
wird hier die Sonne und der Mond bescheinen,
muß ich verkünden es aus meinen Wunden:
Gewogen, Volk, und viel zu leicht gefunden!

Herbstliche Elegie

In diesen Tagen, die so still hingehn,
wie müde Frauen, die dem Welken nahe,
sich einmal noch für den Geliebten schmücken -
in diesen Tagen denke ich an eine,
die nichts so liebte, wie den Herbst. -

Wenn sie, auf ihrem Liegestuhl gebettet,
im Garten lag, von milder Luft umflutet,
ging über ihr Gesicht ein stetes Lächeln
und eine fröhliche Gelassenheit
kam uns, den Sorgenden, von ihr entgegen.
Wir wußten, daß ihr Ende nahe war,
und sie wohl auch, denn oft sprach sie davon -
und dennoch, dennoch diese Fröhlichkeit?

An einem Nachmittage, da um sie
der Georginen letzten Blüten sprangen,
saß ich bei ihr; da nahm sie meine Hand
und sprach zu mir: "Mein Heißgeliebter,
nun wird der Bäume Atmen immer leiser,
die Blumen bleichen hin, des Weines Laub
glüht feurig auf im letzten Schlag des Pulses,
die Bienen tragen nicht mehr Honig heim,
sie flüstern mit den Fliegen von dem Schlaf,
dem großem Schlaf, der allem nahe ist,
was einen Frühling hatte, einen Sommer.
Selbst Pan, der schöne, grüne Gott verläßt
der Gärten säuselnde Gebüsche, um sein Haupt
im fernen Walde Sehnsucht hinzulegen
und einzuschlafen - einzuschlafen.

Ja, ja, die ganze Welt schläft ein,
schläft für mich ein, um wieder aufzuwachen,
für sich und mich - und Ihr, Ihr meint, ich sterbe,
versteckt die Tränen hinter glatter Miene.
Ist das nicht lustig, keines Lächelns wert?
Ich gehe so wie Pan von Euch und werde
mit Tanz und Singen wieder zu Euch kommen,
und schöner, Freund, und freudiger als je,
wird unser Frühling, unser Sommer sein.
Schön ist der Herbst mit seinem Abschiednehmen
und Wissen, daß es wiederkommt:
Die Bäume und die Blumen, unsre Bienen,
das kühle, grüne Laub des Weins, Gott Pan,
der Kränze schwingende und ich, Geliebter,
und auch ich!" -

In diesen Tagen, die so still hingehn,
gedenk ich einer, die von uns gegangen.
Sie liebte so den Herbst, er nahm sie mit,
vielleicht zu ihm dem grünen, schönen Gott
im Walde Sehnsucht.

Der Pilgrim

Ich bin ein Pilgrim. Zu Beginn der Zeit
kam ich in diese Welt aus einem Tor;
ich weiß noch, seine Inschrift: "Ewigkeit"
trat oberhalb der Wölbung glänzend vor.
Der Nachtgestirne Feuer jäh verblich,
ich frag die Sonne nach dem Sinn der Reise -
Antwortend tönte es im weiten Kreise:
                Suche Dich!

Ich hob das Haupt. Des Morgenwindes Hand
entriß mich schwerstem Sinnen. Fern und nah
wanderten viele durch das offene Land,
in denen ich geliebte Brüder sah.
Ich rief sie an, doch siehe - jeder wich
mir finster aus, umsonst war all mein Fragen.
Nur einen Alten hört' ich leise sagen:
                Suche Dich!

Der Mittag kam, die gelbe Hitze floß
auf mich in unbarmherz'ger Flut herab.
Da - unter dichten Bäumen stand ein Schloß.
Hart an die Türe schlug mein Wanderstab.
Jedoch kein Riegel an der Pforte wich;
umsonst mein Warten und gespanntes Lauschen.
Nur im versperrten Brunnen sang ein Rauschen:
                Suche Dich!

Als nun des Mondes Sichelflamme bleich
und silbern in das blaue Schweigen stieg,
und in den Hütten an des Wegs Bereich
der Lärm des Tags allmählich sich verschwieg,
fragte ich wieder: "Wind des Abends, sprich,
welch' Ziel ist mir gestellt, warum dies Wandern?"
Da wehte es von einem Baum zum andern:
                Suche Dich!

Die Wolke Nacht umgab mich weich und kühl,
ich lehnte mich in ihre Dunkelheit
und schlief darinnen wie in einem Pfühl.
Bald stand auch eines Traumes Bild bereit:
In doppelter Gestaltung sah ich mich,
fragte nach meinem Ziel mit eignem Munde
und gab mir selbst darauf die dunkle Kunde
                Suche Dich!

So geh ich Pilgrim auf der Straße Zeit
wohl schon an viele hunderttausend Jahr.
Es seufzt mein altes Herz, der Busen schreit
nach einer Ruhestätt' für immerdar.
Doch einmal muß es kommen, sicherlich,
daß mich, den Suchenden, empfängt die Erde,
und ich zu einem andern sprechen werde:
                Suche Dich!

Gerichtstag

An einem Tage werden die Steine künden
von Menschenleid, das ihre Fläche trat,
das sich in ihrem Schatten blutig weinte
unendlich oft zu Haß und Fluch versteinte,
wenn es aus seiner Tage Höllenschlünden
vergebens um der Güte Balsam bat.

An einem Tage werden die Bäume sprechen
von Knechten, Mägden, die in ihrem Kreis
von ihrer Schmach zuckenden Munds erzählten,
aus harter Hülle ihre Herzen schälten,
um sie wie volle Nüsse aufzubrechen -
als Kern darin die Liebe, still und heiß.

An einem Tage werden alle Dinge
voll Stimme über schwarzen Wolken sein,
und nur die Menschen müssen stumm verharren,
indes sie in das Auge Gottes starren,
ob ihnen wird die goldne Engelsschwinge,
ob ihnen wird der Hölle bittre Pein.


Die Verdammung

Sechs Tage war ich ganz allein,
am sieb'ten aber trat er ein,
der ewige und große
Schüttler der Menschenlose.

Mit Donnerwort kam er aus mir
und sprach: "Was du an Stein und Tier,
an Wolke und Gebirg gefunden,
was gab es dir für große Stunden?

Zeig her, was hast du dir errafft
aus jener heiligen Leidenschaft,
die aus den Einsamkeiten lodert
und mich selbst zu Gerichte fordert!"

Da war ich stumm und war wie tot,
doch mich spie an, wie faules Brot,
der ewige und große
Schüttler der Menschenlose.


Zur rechten Hand Gottes

Wir werden einst zur rechten Hand Gottes stehn,
sind wir auch Zuchthäusler, Dirnen und Knechte
dunkler Begierden, und der unendlich Gerechte
wird uns segnen trog allem bösen Geschehn.

Engel, mit dem Prunke der Himmel bedacht,
werden für uns die silbernen Lyren greifen,
ihre Gewänder werden die unseren streifen,
wie der Tag am Morgen die düstere Nacht.

Es wird fallen von uns jedes böse Gesicht,
alle Härte und Schmach unsrer irdischen Pflichten,
wir werden nimmer von den Drangsalen berichten,
vor denen hier so manche Seele zerbricht.

Es wird kein Sinken aus Traum und Stille sein
zurück in den Lärm der Händler, Sünden und Kerker
treten wir einmal als heilige Tagewerker
in den Raum der letzten Ewigkeit ein.

Wir werden einst die rechte Hand Gottes schaun
segnend über unsere Massen erhoben,
wir werden unser vergangenes Dasein loben
als Diebe, Mörder, Knechte, gefallene Fraun,

die einmal unter gewaltigem Zwang
sich aufheben mußten aus täglichen Dingen,
um mit dem Teufel einsam, verstoßen zu ringen,
Brust an Brust ein ganzes Leben lang.

Der Bauer

Gar viele, unzählige Male verfluchte Wochen
stand er im Kriege und lebte verruchtestem Mord,
fraß sich düsterbrütenden Haß in die Knochen
gegen das ehemals so liebe, göttliche Wort.

Als er am Ende, noch monatelang gefangen,
in der Baracke viel schlaflose Nächte durchsann,
er tief mit glühenden Hacken und Zangen
Gott aus der blutenden Seele zu reißen begann.

Als er, der harte, schweigsame Inntaler Bauer,
kehrte heim nach Tirol, da fand er sein Weib
gelehnt an die mit dem Christus geschmückte Mauer,
in heißem Gebete zuckte sein hagerer Leib.

Er trat, ohne Wort an sie, aus der dämmrigen Kammer,
nach einer Weile kehrte er wieder zurück;
in seinen Händen trug er Nagel und Hammer,
in seinem Auge funkelte richtender Blick.

Er nahm das Gebetbuch, mit dem er selbst oft gelegen
vor seinem Gott, die Finger krampfig gespannt,
und nagelte es mit ein paar wuchtigen Schlägen
ganz oben an die eigene Laubenwand.

Dann ging er hinaus zu seinen Kühen und Pferden,
hörte nicht auf seines Weibes irres Rufen und Schrei'n,
und ackerte später mit ruhigen Pflügergebärden
auf herbstlicher Erde bis in den Abend hinein.

 
Nachtballade

Ich ging durch die Nacht, die schwere Geheimnisse fühlte,
sie hockten im Baum, im Strauch und liefen an Häusern empor,
sie stiegen aus Brunnen, die der eisige Nachtwind kühlte
und sprangen aus düster dräuenden Türen hervor.
Bleichflutendes Mondlicht die Straßen mit Tropfen bespülte,
und jeder Laut, der erstand, erstarb, indem er sich wühlte
in erdfernem Stern und in die Wüste der Nacht sich verlor.

Ich ging durch die Stadt und trug mein Herz in den Händen,
mein Herz, das zernagt von den Schmerzen des Tages war;
ich trug es hinaus auf des Berges grünende Lenden,
hinein in der schweigenden Blumen zitternde Schar;
und ich suchte die Quelle, die aus granitenen Wänden
entspringend, ihr heiliges Dasein der Erde muß spenden
und reichte mein Herz ihr zur kühlenden Heilung dar.

Doch als ich so stand und in die raunende Quelle schaute,
da deckte auf einmal den Mond eine riesige Hand,
und mächtiges Dunkel über die Tale und Berge graute
und ward mir, als wäre mein Herz den fiebernden Händen entwandt.
Ich hörte weltfremde, der Hölle entstiegene Laute -
und, als ich im Banne der Angst zur sternlosen Höhe schaute,
ein Geier mit meinem zuckenden Herzen entschwand.

Der Läufer Gottes

Segeln Sturmwolken so schnell durch das himmlische Meer,
brausen so eilig die Wellen im Strome einher,
wie ich, der Läufer Gottes dränge in Euere Reihn,
um der Verkünder göttlichen Zornes zu sein?

Ich bin dem Sturme in brennender Wüste gleich
und färbe Euere Wangen und Stirnen bleich,
aus Eueren Herzen und Hirnen scheucht mein Wort
die Lügen der Andacht und Schande der Demut fort.

Ihr schlagt an die Brüste bei meinem nahenden Schritt,
denn ich bringe die Kunde von Gottes Verfluchungen mit.
Aus Eueren Kehlen schleudert die Furcht ihren Schrei
stürm ich, der Läufer Gottes, an Eueren Häusern vorbei.

Ihr, die Ihr dem Armen nicht gönnt, was Ihr vom Leben verlangt,
Ihr, die Ihr den Säufer beschimpft, der trunken vorüberwankt,
Ihr, die Ihr die Dirne im Schlamme versinken seht
und dazu murmelt ein heuchelndes Dankgebet,
Ihr, die Ihr das Kind in die Wildnis des Alters hetzt,
Ihr, die Ihr den Tag hoch über die Ewigkeit setzt,
Ihr, die Ihr die Tiere mit gierigen Händen quält,
Ihr, die Ihr die Dinge mit wuchernder Zunge zählt,
Ihr, die Ihr das Blühen der Welt mit Eueren Schatten deckt,
Ihr, die Ihr die Sinne mit Euren Gedanken befleckt,
Ihr, die Ihr die Herzen aufreißt, und darinnen nach Schätzen sucht,

seiet verflucht - seiet auf ewig verflucht!

Die ewigen Mütter

Starb je ein mütterlicher Leib, in dem sich Schmerz
und Lust zu einem neuen Menschen einte?
Verwandelte sich je solch Fleisch in Erz,
wenn es nicht Staub ward oder gar versteinte?
Ich kann nicht glauben, daß er Wolke ward,
Luft, Wasser, Hauch, den niemand sieht und fühlt,
und daß ihn nach der reichen Lebensfahrt
ein Strom hinunter in das Nichtsein spült.

Ein Weinen gibt es, das die Steine sprengt,
doch kommt es nicht aus tollen Männerlenden -
gestorbene Mütter, die der Gram versengt,
weil sie nicht dürfen mehr mit ihren Händen
die Kinder hüten, schenken es der Welt ...
Da geht ein Rauschen Tag und Nacht einher -
bald ist es wie ein Bach, der silbern fällt,
bald wie das tieferzürnte, wilde Meer.

Und mit den Tränen geht die Sehnsucht mit,
noch einmal göttliches Gefäß zu werden;
vergessen ist das Leid, das jede litt,
der Schwangerschaften häßliche Beschwerden.
War es daheim, war's in dem Krankensaal,
auf Stolz gebettet oder nur auf Scham ...
O wie armselig war doch alle Qual
für das, was dann mit einem Kinde kam!

Nicht eine, die, erstarrt vor unserm Blick,
aus ihrem Mutterdasein sank in Erde,
bleibt tot. Ein unbeendigtes Geschick
spricht über ihrem Grab gelassen: Werde!
Von Zeit zur Ewigkeit spannt sich ein Pfad,
drauf wandern immerwährend viele Fraun;
demütig und doch reich an stolzer Tat
sind sie dem inneren Gesicht zu schaun.

Ein Feuer fällt - sie wandern ruhig hin!
Die Erde stöhnt - sie bleiben lächelnd stehen!
Flut steigt empor - jedoch in ihrem Sinn
lebt nur das eine lächelnde Geschehen.
Auf ihren Lippen blüht ein Lobgesang
um das vermorschte Mauerwerk der Zeit ...
Ja, sie sind da, ich höre ihren Gang,
schwer in der Fülle ew'ger Trächtigkeit.

Im Kaffeehaus

Auf dem betuchten Feld des Billards
klapperten locker durch den Raum die Bälle.
Das stumpfe Leuchten eines blonden Haars
zwang meinen Blick an eine and're Stelle.

Von ihres Mannes Körper halb verdeckt,
sah eine Dame träumend vor sich nieder.
Das junge Angesicht war krank gefleckt,
und müde war die Haltung ihrer Glieder.

Ein junges Hochzeitspärchen sollt' es sein -
wir alten Gäste raunten freche Sachen
uns gegenseitig zu, und in den Wein
versenkten wir verständnisvolles Lachen.

Am nächsten Tage sah man sie nicht mehr.
Es hieß, sie seien abgereist nach Essen.
Und neue Bilder zogen auf uns her,
die zwei Verliebten waren bald vergessen.

Da, als wir heute saßen beim Kaffee,
kam von des jungen Weibes Tod die Kunde.
Trotz allen Sommers sahn wir plötzlich Schnee
und jeder Laut gefror in unserm Munde.

Und jeder von uns dachte an ein Wort,
das er gedankenlos, gemein gesprochen,
als noch die junge Frau am Tische dort
mit ihrem Haar der Lampe Licht gebrochen.

Der Märtyrer

Dem Körper Adams wollte er entfliehn
mit einem Lächeln, das dem Schmerz entblühte.
Den Kahn des Todes sah er nahe ziehn
und darin einen stehen, der voll von Güte

und Glanz im reinen Angesichte war.
Der winkte leicht - da bogen sich die Richter
mit Staunen vor, denn um des Opfers Haar
erschien ein Strahlenring, um vieles lichter

und schöner als des Cäsars Kronenreif.
Angst überschattete der Männer Mienen
vor einem Leichnam, blutbedeckt und steif,
vor dem die Henker standen wie zum Dienen.

Lied der Sklaven

Wer hat uns hungern lassen
in lichtlos engen Gassen,
in Löchern feucht und kalt,
und so aus unser'm Hassen
geschmiedet die Gewalt?
Wer hat uns dies Erschauen
der Welt gemacht zum Grauen
und unsre armen Frauen
frühzeitig morsch und alt?

Wer hat in uns das Sehnen
nach froher Brüste Dehnen
verwandelt in ein Leid,
das aus dem Meer der Tränen
verzweiflungsvoll aufschreit?
Wer hat uns jeden Bissen
vom Munde weggerissen,
kam uns ein bessres Wissen
vom Reichtum unsrer Zeit?

Wer hat uns zu den Nöten
des Krieges, um zu töten
mit kaltem Blut gejagt
und bei dem Klang der Flöten
das Mitleid uns versagt?
Wer hat uns so zerbrochen,
daß schon in ein paar Wochen
sich hob der Turm der Knochen,
der alles überragt?

Wer schenkt uns früh den Schragen,
wer füllt mit unsern Tagen
die Kerker übervoll?
O bittre Qual der Fragen,
was zeugst du bittern Groll,
der wie durchrußtes Feuer
aus Burg, Fabrik und Scheuer,
aus jeglichem Gemäuer
seit Weltbeginnen quoll?

Uns Hungrigen der Stille
hat ein geweckter Wille
gelockt auf seine Spur.
In dieser Zeit erfülle
sich unser dunkler Schwur -
der Armen, Unterdrückten,
Vergrollten, Glückentrückten,
der früh ins Grab Geschickten
heiliger Racheschwur.

Lang, lang geheim gehalten,
von grausamen Gewalten
in Hütte und Verließ -
nun soll er sich gestalten,
wie Gott ihn uns verhieß:
So Fluch für Fluch gesprochen,
so Zahn für Zahn gebrochen,
so Aug für Aug gestochen!
Auf, fasset Dolch und Spieß!

Doch freigewordne Hände,
die wollen dieses Ende
der alten Herren nicht;
die große Zeitenwende
weiß höheres Gericht.
Sie sollen mit uns bücken
die feinen, weißen Rücken
und mit uns voll Entzücken
erschaun das gleiche Licht!

Das hat die große Stunde,
die uns im neuen Bunde
vom Kettenzwang befreit,
gegeben als die Kunde
der herrenlosen Zeit:
Nicht Mord und neue Schändung,
nicht neue Not und Blendung -
der Inhalt unsrer Sendung
nennt sich: Gerechtigkeit!

Der Tänzer

Gott entlockte mich dem Schlummer,
der mich kühl und sanft umschloß,
und Musik, die aus dem Kummer
und dem Leid der Menschen floß
hüllte mir wie eine Wolke
Leib und Seele feurig ein,
und zum Tanze vor dem Volke
muß ich heben Bein um Bein.

Über Straßen, Plätze und Anger,
an den Menschen gehts vorbei,
denn sie sollen, elendschwanger,
hängts an ihnen auch wie Blei,
so gleich mir die Füße heben
zu der stöhnenden Musik,
während die Dämonen schweben
über zuckendem Genick.

Doch sie bleiben in der Pose
ihres Jammers stumm und steif,
Bürger, Dirnen, Arbeitslose,
Fürsten mit dem Kronenreif,
Bettler, Pfaffen und Proleten,
vogelfrei und stubenblind,
Prasser, Heil'ge und Propheten,
Weib und Mann und Greis und Kind.

Tanzend schwing ich mich vorüber
an Theater und Fabrik,
Zinskasernen sieht mein trüber,
nachtumflorter Irrsinnsblick.
Dreht euch, dreht euch mit im Kreise!
Tanz ist unsres Lebens Sinn!
Ach, sie höhnen mich nur leise,
und allein stürm ich dahin.

Tanz ist Andacht, Tanz ist Beten,
Gott hat mich zu Euch geschickt.
Euer müdes Pflastertreten
jede blüh'nde Stunde knickt!
Fluch und Schimpf schlägt mir entgegen,
der mein Rufen jäh zerbricht,
und aus geiferndem Erregen
speit man mir ins Angesicht.

Doch erfüllt von der Ekstase
Gottes, der mich ganz besitzt,
dreh ich mich herum und rase,
von dem Zorn der Welt umblitzt
taumle ich vom Schwung zum Schwunge
durch die grauenvolle Zeit,
freß ich Feuer mit der Lunge,
mit dem Herzen Gram und Leid.

Wien

Als ich dich ließ, da ballte ich die Hand
zu einer Faust des Hasses gegen dich.
Du hattest mir ja Herz und Hirn verbrannt,
und in der Lunge saß der böse Stich.
Ich fluchte dir solange, bis der Rand
der letzten Häuser grünen Feldern wich,
und ich den Qualm der hunderttausend Essen
im blauen Himmel suchte zu vergessen.

Selbst in der Ferne grollte ich dir noch.
Und zwischen Wiesenduft und Sonnenschein
sog ich Geruch von nassem Zinshausloch
aus einer plötzlichen Erscheinung ein,
sah ich mich wieder unter deinem Joch
hinkeuchend durch der Straßen graue Pein.
Und ob vor mir auch grün das Land gefunkelt
oft hat dein Schatten drüber hingedunkelt.

Du warst mir Moloch, warst der Sage Tier,
das breit und mächtig auf der Erde saß,
und Tag wie Nacht in ungehemmter Gier
der armen Knechte Blut und Knochen fraß.
Dein glühend Auge ruhte auch auf mir,
der ich in ihm mein nahes Ende las,
und in die Nöte meines Siechtums stampfte
dein Eisenleib, den Feuerdunst umdampfte.

Da floh ich dich und wandte nicht das Haupt
in Wehmut, da dein Bild vor mir entschwand.
Mir war nicht so, als wärst du mir geraubt
als meines Lebens schönes Heimatland.
Und als geschehn, an das ich nie geglaubt,
daß ich tief glücklich zwischen Wiesen stand
und Berge sah und Wälder rings im Kreise,
frohlockte ich nach alter Kinderweise.

Doch eines Tags nach langer Zeit geschah's -
ich hielt in meiner Hand ein Zeitungsblatt -
daß ich darin von deinem Elend las,
mit dem der Krieg dich überschüttet hat.
Da dorrte vor den Blicken mir das Gras.
Ich sah nur dich, du meiner Kindheit Stadt,
dich und die alten, wohlbekannten Gassen
verraten und von aller Welt verlassen.

Da fiel der Haß von mir wie Zunder ab.
Vergessen war, was mir in dir geschehn.
Am liebsten hätte ich den Wanderstab
zur Hand genommen, um zu dir zu gehn.
Das grüne Alptal war mir wie ein Grab,
die Berge, ach, ich wollte sie nicht sehn,
denn hinter ihnen hörte ich das Jammern
aus deinem Glanz und deinen Elendskammern.

In mir wuchs Sehnsucht stark und groß empor
nach deiner Plätze steinernem Geviert,
nach deiner Gassen lautem Menschenchor,
in den sich selten ein Gesang verirrt,
nach den Fabriken, wo aus jedem Tor
der Räder Eisen daseinsfordernd klirrt,
nach deinen Winkeln und den scharfen Ecken,
daran der Winde Zunge stetig lecken.

Und Rührung faßte mich, als es mir schien,
als spiele auf der Ziehharmonika
ein Nachbar eine deiner Melodien,
bei der ich mich im Walzer drehen sah.
Mein Herz fing an zu singen: Wien, o Wien!
und - war wie nie vorher dem deinen nah.
Die du mir warst in meinem Leid gestorben -
durch deine Not hab' ich dich neu erworben.

Vision

Auf einem meilenlangen Tische duftet Brot,
leuchtet Fleisch in gewaltigen Schüsseln stark und rot
zwischen Körben mit Früchten aus allen erdenklichen Ländern,
schimmert in Gläsern des Weines Purpur und Gold,
indes die Auster von silbernen Schalen rollt.
Die Armen sitzen davor, in ihren grauen Gewändern.

Jedes Stück Erde gab seine Vergrollten her;
sie stiegen Gebirge herunter, kamen vom rauschenden Meer,
sie tragen des Südens Brand auf Stirne und Wangenflächen,
atmen eisiger Küsten Einsamkeit aus,
riechen nach dörfiger Hütte und Großstadthaus,
ihre Augen sind matt von zermürbenden Schwächen.

Rußige, grindige Hände haben die einen und
die anderen wankende Füße, straßenwund;
unbändiger Schlaf hockt vielen hinter den Stirnen.
Kinder gibt es, wie Greise, verrunzelt und alt,
Knaben blicken darein, wie Tiere voll dunkler Gewalt,
die Mädchen gleichen erkrankten Straßendirnen.

Sie waren alle vom Elend gierig beleckt,
da hatte sie plötzlich eine hämmernde Stimme geweckt:
"Wachet auf, ihr Tauben, ihr jammervoll Stummen und Blinden,
wachet auf in der Kette, im Kerker und Bettlerspital,
wandert und sammelt Euch, Volk, in Jakobs Tal,
dort werdet ihr der Armut Glorie finden!"

Und sie hoben sich auf aus Siechtum und knechtischem Tun,
schritten schweratmig, krochen ächzend, ohne zu ruhn
Tage und Nächte dahin, bis sie in Jakobs Tal standen
und, entflohen ihrem grausigen Daseinswahn,
sie einen Riesentisch zwischen zwei Bergen sahn,
darüber zehntausend silberne Lampen brannten.

Sie setzen sich auf die Zedernholzstühle zurecht,
der Bettler, die Dirne, der Arbeit büßender Knecht;
griffen mit zagenden Händen zu den goldenen Bestecken,
maßen mit schüchternen Blicken die Fülle des Weins,
während um sie in der Rundung des Hains
Bäume aufsproßten und blühende Rosenhecken.

Bald überwuchs die seligen Armen ein Wald,
eine duftende Mauer umschloß ihren Aufenthalt,
sie begannen zu lachen und vergessene Lieder zu singen.
Draußen zerfiel die Welt in nebelndes Nichts,
da vor dem Stuhl des ewigen Gottesgerichts
der Armen Qualen endlos vorübergingen.

Die Krähe

Eine schwarze Krähe
hat in letzter Nacht
dicht in meiner Nähe
sich ihr Nest gemacht.

Nun erfüllt ihr Krächzen
übertags mein Ohr,
wie ein traurig Ächzen
dringt's durch Tür und Tor.

"Sag' mir, Gast des Schnees,
dem die Kälte frommt,
warum solch ein wehes
Klagen aus dir kommt?"

Rückt der Vogel düster
auf dem Zaun heran,
schmerzliches Geflüster
fängt zu künden an:

"Mensch, dem die Gedärme
noch kein Hunger schließt,
der in sichrer Wärme
vor dem Schreibtisch sitzt.

Mensch, bevor mich meine
Flügel hergeführt,
haben sie die Steine
einer Stadt berührt.

So wie Wolk' an Wolke
stand hier Haus an Haus
und aus grauem Volke
stieg ein Wortgebraus,

Höher, immer höher,
bis es zu mir kam
und ich schwarzer Späher
Schreckliches vernahm.

Über uns geschritten
ist der rote Krieg,
unter seinen Tritten
die Verzweiflung schwieg.

Aber nun der Grimme
ist im Blut erstickt,
sei des Elends Stimme
in die Welt geschickt.

Seht! An unsern Lenden
frißt des Hungers Gier,
Tausende verenden
hilflos wie ein Tier!

Alle, die einst lachten,
weinen Tag und Nacht,
Säuglinge verschmachten,
kaum zur Welt gebracht.

Was die Not als Beute
sackte nimmer ein,
hetzt des Winters Meute
in den Tod hinein.

Kälte schreitet eisern
durch der Gassen Reih'n,
schlägt in allen Häusern
Tür und Fenster ein.

Und nicht Holz noch Kohle
hemmt das weiße Weh,
mit zerriss'ner Sohle
stehen wir im Schnee.

Und der Tod hält wieder
ein besondres Fest,
denn durch unsre Glieder
fiebert heiß die Pest.

Hier, wo einst das Lachen
und der Tanz gelebt,
jetzt des Todes Drachen
seine Schwingen hebt!"

Schweigt die schwarze Krähe
in dem weißen Schnee,
doch in meiner Nähe
sehe ich ein Weh

turmhoch in den weiten
Horizont gestemmt -
Tränen fühl ich gleiten
aus mir, ungehemmt.

Die Kranke

Ich habe eine Nachbarin, ein krankes Mädchen.
Fünf lange Jahre schon zerstört das Fieber sie.
Sie weiß kaum noch, was eine Wiese ist, ein Wald,
ein Lerchenflug und eines Rehes Sprung,
ein Spiel, ein Tanz an sommerlichen Abenden.
Ihr wurde fremd des Lebens Melodie.
Sie horcht und horcht - noch schwingt ein Ton in ihr
von irgendwo und wann, ganz leise - leise,
da sie noch Kind, gesund und glücklich war.

Auf schneeigweißen Linnen liegt sie da,
liest Bücher, Zeitungen, spielt mit dem Saum
des Taschentuchs, läßt Menschen um sich sitzen,
läßt sich von ihnen dummes Zeug erzählen;
sagt manchesmal ein seltsam schweres Wort,
auf dem es liegt wie hundert stumme Jahre.
Und manchmal lacht sie, lacht ein tiefes Lächeln
vor dem es kühl in meinem Herzen wird.
Dann wieder ruht sie wie aus Wachs geformt -
kaum daß die kleine Brust sich senkt und hebt.
Und draußen vor dem Hause steht der Frühling.

Ballade

                      I.

Der König rief: "Wo ist der Mann,
zu bändigen das Vieh?"
Da kam er düstern Blicks heran
und beugte kaum sein Knie.

Und hob das Aug' zum Throne,
ein schwarzer Strahl sprang vor.
Reichsapfel, Szepter, Krone
erbebten seltsam, ohne
zu wissen doch wovor.

                     II.

Und was er sprach, war nur Gewalt,
und was er tat, hieß Macht.
Ringsum zerbrach er jeden Halt
und hob die hünene Gestalt
aus seiner Tage dunklem Spalt
in andrer Menschen Nacht.

Und Blut war ihm nur Regennaß
und Feuer nur ein Spiel,
ein Spiegel nur der Gegner Haß,
und was er sonst an Bösen maß
polierte er mit Hohn, bis daß
es zeigte sein Profil.


                     III.

Er starb, die Finger in den Griff
des Degens eingekrallt.
Er stand im Traum auf einem Schiff,
vom Segeltuch umknallt.

Umkocht von Gottes Menschenmeer,
allein und ohne Halt,
und auf dem Lande stand sein Heer
mit Fahne und Gewalt.

Er wollte zu ihm hin und schrie -
doch Sturm fraß Wort und Mut.
Da beugte tief er, tief sein Knie
und starb wie seines Königs Vieh
in einer Woge Blut.

Der Gott dieser Zeit

Tage lang, Nächte lang
hab ich geharrt
auf deinen Lichtgesang,
o Gegenwart!

Doch mein Gehör traf nur,
stählern umklirrt,
Kampfschrei der Kreatur,
wild und verwirrt.

Die milden Hände hob
ich voller Qual:
"Hör, Du der Erde Lob,
ein einzigmal!"

Wie Hall vom Weltgericht
stobs auf mich zu;
ich sah nur Dein Gesicht:
Rachegott
Du!