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I.
Natur und Heimat 1

 

Daheim
Auf der Eisenbahn
Adolf Purtscher
Erinnerung
Auf dem Achensee
Die Erde
Wunsch
An ein halberwachsenes Mädchen
Ermunterung
Der Lehrer
Der Wildschütz
Inschrift
Die Sonnenuhr
Blumen
Lenz
Herbst
Die Wolken
Der Bach
Versöhnung
Auferstehung
Untergang
Frühschnee
In der Scharnitz

 


Daheim

Stark die Natur und der Stamm, wie nah' Italiens Grenze!
Sei's dir, Schicksal, gedankt, daß du hierher mich gestellt!

Auf der Eisenbahn

Setz' dich, Muse, zu mir, nicht brauchst du die glänzenden Sohlen,
Die sonst eiligen Flugs trugen von Land dich zu Land.
Reist mit dem Lokomotiv doch Merkur, der handelnde, selber,
Und ein freundlich Gespräch würzet der Fremdlinge Hast.
◊◊◊
Faß nur, Pindaros, kühn die gewaltige dorische Lyra,
Hörst du den gellenden Pfiff, siehst du den schwellenden Rauch?
Ätnas Schlund gähnt hier, wo wild Titanen sich wälzen,
Hierons Rosse besiegt — merkst du? — der treibende Dampf.
◊◊◊
"Siehst du die Blümlein hier?"— O könnt' ich im Fluge sie pflücken!
"Schäkernd das Mädchen im Gras?" — Dürft' ich es küssen im Flug!
"Auf dem Gebirge das Schloß! Schon ist es im Fluge vorüber!" —
Könnt' ich vom stolzen Balkon schau'n das gesegnete Land! —
◊◊◊
"Schattig am Strome die Au'?" — Ach rasten wir nimmer und nimmer!
"Schwellend den Weinstock dort?" —Könnt' ich verkosten den Most! —
"Ruhig und mutvoll, Freund! wo immer du trittst auf die Erde,
Findest du Wonne und Leid, findest du Liebe und Haß."
◊◊◊
Lächelnd schüttelt im Feld das Blümchen die zierliche Krone,
Sieht es im Sturm dahin brausen das Lokomotiv:
"Festgewurzelt und treu, erblühe ich hier und verblühe, —
Mit nie ruhender Hast — sage? — ob mehr du erreichst?"
◊◊◊
"Kufstein!" — meldet ein Ruf, Apollo flieht mit den Musen,
Während das leichte Gepäck mürrisch der Zöllner schon prüft.

Adolf Purtscher

Gern der Toten gedenk' ich, wenn hold das Leben mich anlacht:
Diesen duftigen Kranz wind' ich deswegen am Born,
Sprudelnd hüpft er vom Fels und streut die schimmernden Perlen
Über den Steinbrech hin, über das schwellende Moos.
Alpenrose umsäumt den Bord mit purpurnen Dolden,
Oben vom grauen Gestein nicken die Dolden herab.
Schattige Kühlung weht und säuselt aus schützenden Föhren,
Adler ziehen indes ruhig den Bogen im Blau.
Einsam raste ich hier, oft sah uns der Abend vereinigt,
Kehrten wir heim vom Gebirg, tragend den köstlichen Schmuck:
Blumen und seltnes Gestein und zackig verworrene Flechten,
Wie sie erspäht am Joch freudig der forschende Blick.
Lang veratmend die Glut des Tages ruhten wir schweigend,
Schlürften genügsam zu Brot fröhlich das lautere Naß.
Bald umspülte die Flut mit schäumenden Sprudeln die Glieder,
Goß in die lechzende Brust mild der Erquickung Gefühl.
Kühn von der Jugend Mut wie Dioskuren erhoben,
Lehnten wir Arm in Arm, blickten hinab in das Tal:
Hier umraucht vom Nebel die Stadt, dort Straßen und Pfade
Ziehend nach Ost und West, fliehend zum üppigen Süd.
Bröckelnde Trümmer hier, umrankt vom spielenden Frühling,
Und in des Abends Geläut rauschte der mächtige Strom.
Ernstlich erwogen wir dann, doch unerfahrenen Sinnes,
Welches die Zukunft birgt, sterblicher Menschen Geschick,
Sprachen vom Weltall gern, dem erhabenen Gottesgedanken,
Wiederholend das Wort, welches die Weisen gelehrt.
Ruhend am Felsen erhobst du oft im Rhythmus die Stimme
Und homerischen Vers tönte das Echo zurück,
Bis die Dämmerung sank und leuchtend erwachten die Sterne; —
Auf dein friedliches Grab schauen sie heut im Gebirg! —
Einsam stehe ich hier, schon prangen in sorglicher Auswahl
Blumen, verknüpft zum Kranz; trage ihn weiter die Flut,
Trag' nach Süden ihn fort und häng' ihn an grauliche Weiden,
Totenopfer dem Freund, schmück' er den traurigen Strand.

Erinnerung

Wärst du edel und groß nicht, würd' ich deiner gedenken,
Wenn mit himmlischem Licht strahlen die Sterne der Nacht?
◊◊◊
Einem Becher mit Wein vergleich' ich Genuß der Erinn'rung,
Den mit dunklem Gezweig heiliger Lorbeer umschlingt.
Auf dem erquickenden Trunk zwar spiegeln die bitteren Blätter,
Leihen ihm Duft und Kraft, aber vergällen ihn nicht.

Auf dem Achensee

Ruhig blickt mich das Aug' des Todes aus bläulichem See an:
Nimm die Blume dahin, sei sie zum Opfer gebracht!
Scherzend faßt sie die Flut, hell schlingen sich Kreise in Kreise,
Wie ein Lächeln erglänzt freundlich auf ernstem Gesicht.
Ja du nähmest es an! So hör' denn auch noch die Bitte,
Trittst du, Genius, einst hin vor des Scheidenden Blick:
Flicht in's grauende Haar die Blätter der Eiche zum Mohne;
Den mir das Leben versagt, spende zuletzt du den Kranz.

Die Erde

Ganz nur fühlt sich als Mann, zählt zu den Gebietern der Erde,
Wer mit emsiger Hand goldene Frucht ihr entringt;
Heilig wird sie dir sein, wenn stumm mit weinendem Auge
Ihrem Schoß du vertraut, was du im Leben geliebt.

Wunsch

Selige Sterne der Nacht, euch grüßt mein wachendes Auge,
Wenn vom Lager den Schlaf brütende Sorge verscheucht,
Rastlos hetzt mich der Tag, o dürft' ich in ruhiger Klarheit
Endlich schauen das Ziel, welches der Frieden bekränzt.

An ein halberwachsenes Mädchen

Süßes einziges Kind! aus streng verschlossener Knospe
Dringt schon der Zukunft Hauch, eh' du noch völlig gereift.
Denk' ich, wie hold und schön, ein Wunder dem sehnenden Jüngling
Einst du wandelst dahin, bebt mir das ahnende Herz.
Während die Knospen du still enthüllst zur reizenden Blüte,
Streut in's braune Gelock Flocken das Alter mir schon.
Liebe verlang' ich nicht, und bist du glücklich und suchst du
Nie den schweigenden Mann, schwerlich beklag' ich mich je.
Doch wer flieht das Geschick! — dann wähle vertrauend als Freund mich,
Wenn dir des Lebens Reis Keime der Hoffnung versengt.
◊◊◊
Plappere, reizendes Kind, du bist die geschwätzige Schwalbe,
Welche der Liebe Lenz mitten im Winter verheißt.
◊◊◊
Wagst du zu küssen das Kind? noch schlummert der Funken im Stahle,
Bald, Unglücklicher, bald sengt er dir Stirne und Brust.


Ermunterung

Nur mit Liedern, o Freund! willst du dir erobern das Mädchen
Das voll Trotz dich verschmäht, spottend mit lieblichem Mund?
Ach! die Nachtigall selber besingt die Rose vergeblich,
Welche des Mutigen Hand rasch aus den Dornen sich holt.
Selbst den herrlichen Gott, im Arme die tönende Lyra,
Floh verschüchtert die Maid, ließ ihm den Lorbeer zurück.
Sei so reizend das Lied, wie's je nur Liebe gesungen,
Singst du bloß, so gewinnst schwerlich du Gruß je und Kuß.
Wirb mit feurigem Blick und nicht mit Tränen der Sehnsucht,
Wenn du Blumen ihr beutst, pflücke den Lohn ihr vom Mund.
Heiß durchrollt im Süden das Blut die schwellende Ader,
Was sich erseufzt der Nord, beut sich dem Kühnen von selbst.
Wo zur Ulme die Rebe sich schlingt und bändigt die Zweige,
Schmiegt sich die Sprödeste leicht, der sie umschlungen, dem Arm.
Wag' es o Freund! zahm schweigt der Trotz des italischen Mädchens,
Wie sich Italia einst deutschen Cäsaren gebeugt.

Der Lehrer

Tief in nächtlicher Schlucht, durchbrodelt von höllischen Flammen
Hebt sich des Minos Thron, immer von Seufzern umschwirrt.
Finster schaut' er und streng, da nahte sich zitternd ein Seelchen,
Weil es so federleicht, schenkte ihm Charon den Lohn.
Vor des Gewaltigen Blick verschwand es fast in das Nichts hin,
Als er zu fragen begann, flog es wie Blättchen im Herbst.
"Steh' mir," rief er, "und sprich: Wer bist du? was für Gewerbe
Triebst du oben am Licht, bist du dir Sünden bewußt?"
Ängstlich den Rücken gekrümmt, begann zu säuseln das Seelchen:
"Knaben das ABC lehrt' ich um elenden Sold
Droben im deutschen Land, und schwang ich zu heftig die Rute,
Halt' mir gnädiglich fern zorniger Furien Hieb!"
Sanftes Lächeln umfloß die Lippen des grimmigen Richters,
Cerberus selber schloß grinsend das wilde Gebiß.
"Was? Schullehrer und Deutscher dazu? Nicht ist es zwar Sünde,
Aber ein Unglück doch, wem es auch immer passiert!
Dort in Elysiums Flur, dort sei du ewig gebettet —
Deutscher und Lehrer dazu! Wahrlich du büßtest genug!
Daß dir aber gewiß der Himmel werde zum Himmel:
Was du erlebt, vergiß, trinkend letheische Flut."

Der Wildschütz

Gemsen erschoß ich mehr als tausend mit sicherem Rohre
Erntend an felsiger Wand kärglichen Lebenserhalt.
Endlich traf mich das Los, nicht glitt ich vom wilden Geklippe,
Nicht auf weichlichem Bett fand mich der tödliche Pfeil.
Übrig von vielen allein wars eine der Gemsen im Sprung mir
Nieder den Stein auf's Haupt, daß ich zerschmettert entsank.
Alpenrosen, ein Kreuz, aus dürstigen Zweigen verbunden,
Wie's dem Schützen geziemt, legte auf's Grab mir ein Freund.

Inschrift

Allzu eilig entlud sich die tückische Mine und schlug dich.
Auf dem ärmlichen Sarg liehen dir Freunde das Wort:
"Nicht durchbohrte das Blei mich fechtend im Trosse der Söldner,
Schaffend am herrlichsten Bau riß mich der Tod in das Grab."

Die Sonnenuhr

Sag', was zeigt das Skelett mit knöchernem Finger die Stunden,
Wie sie droben im Blau Helios fröhlich bemißt?
Zeichne den Genius hin, im Arm das üppige Füllhorn,
Der entschwundener Zeit Früchte den Lebenden reicht
Und auch Samen zugleich für werdende Blüten der Zukunft
Still und sinnig dem Schoß bräutlicher Erde vertraut.

Blumen

Schnee umflog das Gebirg; ich grub dich vom starrenden Schrofen,
Senkt' in die Scholle dich ein, gab dir das nährende Naß.
Als sich das zärtliche Blatt erhob der grünenden Knospe,
Gönnt' ich am Fenstergesims freundlich dir Sonne und Licht.
Jetzt erwiderst du mir voll Dankes die treue Bemühung,
Blüt' an Blüte gedrängt hauchst du den lieblichen Duft.
Zauberst den Frühling herein in das trauliche Stübchen, wenn außen
Grimmiger Frost mit Schnee Fluren und Haine verhüllt.

Lenz

"Schon, schon naht er der Lenz!" so schmettert freudig die Lerche,
Auch das Bienchen vernimmt's, schüttelt die Schwinge im Stock,
Auf sein Summen zersprengt der Falter die hemmende Kruste,
Schwalbe und Nachtigall eilen von Süden herbei. —
Sind sie alle versammelt, erhebt sich Königin Rose,
Auf dem tauigen Thron prangend im Purpurgewand.

Herbst

Duftet das Veilchen im Lenz und knospt im Sommer die Rose,
Fehlt an Astern es nicht, um zu verzieren den Herbst;
Spät noch träumet der Winter davon, wie hold sie geblüht einst;
Malt manch' zartes Gebild hin mit der eisigen Hand.
Doch auf's neu' entquillt Schneeglöckchen ihm unter dem Finger
Und auf's neue beginnt lieblich und reizend der Kreis.

Die Wolken

Rennt im wütenden Sturm nur gegen die Zinne des Berges,
Ruhig gießt er als Quell euch in die Täler herab.

Der Bach

"Frischer Gesell, woher im Sprung von Felsen zu Felsen?" —
Wo der Gletscher sich dehnt, schwillt mir das schimmernde Bett.
"Gab dir die Sennin an mich die Alpenrose zum Gruße?"
Selbst hab' ich sie gepflückt, wie es dem Mutigen ziemt.
"Und entbot sie dir nichts für mich herunten im Tale?" —
Steig' nur rüstig hinauf, hole dir Rose und Kuß.

Versöhnung

Brausend tollt vom Gebirg der Wildbach nieder im Zorne,
Wenn er das Blümlein trifft, schmückt er versöhnt es mit Tau.

Auferstehung

Stürzt vom Felsen der Bach, zerstäubt zu rauchendem Dampf er,
Doch am Strahle des Lichts steigt er als farbiger Ring.

Untergang

Strahlt der Tropfen im Licht und spiegelt die herrliche Sonne, —
Leise zerfließt er in Duft, während ihr Glanz ihn erhellt.

Frühschnee

Neidest du, finsterer Berg, der Flur die lieblichen Lilien,
Daß du wieder die Stirn schmückest mit silbernem Schnee?

In der Scharnitz

Süßer Anakreon, o send' hellenischen Himmels
Mir ein sonniges Stück her in den frostigen Nord.
Pfingstfest feierten wir, doch nirgends erschallen Gesänge
Froh aus grünendem Wald, jegliche Blume verdirbt.
Flocken nur wirbeln im Tanz, am rußigen Herde gekauert
Sitzt der Dichter und friert, kaum daß der Wein ihm behagt.
Sag', wie sollte gelingen ein Vers bei starrenden Fingern,
Während der eisige Wind Rauch in die Augen mir treibt? —
Send', o sende mir schnell ein Stück hellenischen Himmels
Eh' ich zum tröpfelnden Fels werde wie Niobe einst.