weiter

Quelle:

Spätfrüchte
Adolf Pichler

Gedichte verschiedener Art
Zweite vermehrte Auflage

München und Leipzig 1907
bei Georg Müller


Versmaß

 

Im Takte trabt der Tod
Auf Straßen, durch die Kammern,
Klapp, klapp! Und wo er klopft,
Da hört man seufzen, jammern.

Der Stabreim paßte hier,
Doch darf ich ihn nicht wagen —
Der stolze Odenstil,
Der würde mich vertragen.

Doch ist der Tod uns hehr
Und groß auch oft erschienen,
Da ziemten ihm zum Ruhm
Die Dante'schen Terzinen.
Und soll das eine mir,
Das andere nicht gelingen,
So laßt mich denn im Tod
Die alten Reime singen

So schickt sich's für den Tod,
So für das Lied der Tränen.
"Memento mori" mag
Er schnattern mit den Zähnen.

Memento mori = Gedenke des Todes


 


Totentänze 1
1892-1895

 

Vorspiel
Die Burg des Todes
Die Uhr
Vor Paris
Der Gärtner
Der arme Musikant
Das Invalidenhaus
Die Wache
Der Achtundvierziger
Dynamit
Der Tod spricht
Auf dem Sonnjoche
Auf dem wilden Kaiser
Feuerbach
Der Dichter
Cornelie
Der Professor
Der Doktor

Vorspiel

Das
memento mori will ich
Euch in manchem Tone singen;
Wenn ich störe, . . . dennoch tu' ich's
Eh' die letzten Saiten springen.

Doch zuvor fragt ihr neugierig:
Wie der Tod dem Blick erscheine? —
Nun das läßt sich schwerlich schildern,
Denn Gestalt hat er und — keine.

Wär' ich so gelehrt wie Lessing,
Würd' ich Gemmen hier zitieren,
Oder vor den Totentanz euch
In der Gruft zu Basel führen.

Doch wozu das? — Jeder Mensch sieht
Ihn so, wie der Mensch — beschaffen;
Ja der Tod ist vielfach wechselnd,
Und so sind auch seine Waffen.

Dort steht vor der Guillotine
Robespierre auf dem Schafotte.
In das Antlitz wie Medusa
Grinst er ihm mit kaltem Spotte.

Vor dem greisen Wilhelm trug er
Auf dem Haupt die Kaiserkrone,
Und er rief ihn in das Jenseits
Mit dem Donner der Kanone.

O Italias reinste Perle, Margherita,
Frau der Frauen!
Mit der sanft geneigten Fackel
Wirst du ihn als Genius schauen.

Duldern naht der Tod als Engel,
Einen Ölzweig schenkt er Weisen,
Edlen Forschern zeigt er Sterne,
Wie sie zieh'n in ewigen Gleisen.

Doch herab von diesen Sphären
Will ich meinen Fittig lenken
Und ein bißchen an die Trommler:
An die Realisten denken.

Den Kapaun kocht zum Isera
Dort in Trient er feisten Pfäfflein,
Auf dem Stadtring winkt als Dirn' er
Gigerln oder Modeäfflein.

Als ein feiner Grazioso
Folgt er tänzelnd jedem Winke,
Stellt sich vor die Toilette,
Beut der Dame Kamm und Schminke.

In die Konduitenliste
Läßt er gern Beamte blicken,
Um sie dann vor der Beförd'rung
In den Ruhestand zu schicken.

Mit Aristokraten steigt er
Ans des Stammbaums stolze Leiter,
Seht das Kreuz zum Namensschildlein —
Und so weiter und so weiter.

Manchmal bläst er Seifenblasen,
Spielend ruht er auf dem Grabe,
Wenn sie paff —! im Wind zerplatzen
Lacht und grinst der alte Knabe.

Hypothesen, bunt und schillernd,
Sind's für Forscher und Gelehrte,
Oder manche Modedichtung,
Die berauscht der Plebs verehrte.

Und so weiter! — In die Breite
Darf sich nicht mein Lied ergießen,
Darum will den Katalog ich
Kurz abbrechend hier beschließen.

Eine Frage liegt im Mund euch:
"Wie ist dir der Tod erschienen?" —
Je nachdem; als Philosoph stets,
Wenn auch mit verschied'nen Mienen.

Asche wirft er aufs Papier mir,
Drechsl' ich eitel Phras um Phrase,
Mit der Hippe winkt er ruhig,
Trag' ich gar zu hoch die Nase.

Wenn ein Stern mir scheint die Schnuppe,
Wie sie wirbelt durch den Himmel,
Klingt die Schellenkappe plötzlich
Um den Kopf und ihr Gebimmel.

Beugt die Last mich schweren Kummers,
Tröstet er: "Bleib fest hienieden,
Denn zu deiner Stunde schenk' ich
Dir als letzten Freund den Frieden."

Doch genug heut! — An der Wand senkt
Schon die dunkle Nacht sich nieder,
Vor der
camera obscura
Streckt auf Stühlen eure Glieder.

Und ich laß vorübertanzen
Einen Menschen um den andern,
Und an seiner Seite seht ihr
Schritt für Schritt den Tod stets wandern.

Die Burg des Todes
Im Stil der Renaissance

Wollt ihr schauen, wo der Tod wohnt?
Folgt dem finstern Manne nur,
Suchend seht ihr ihn dort schleichen,
Er führt auf die rechte Spur.

Einsam ist er, seine Schultern
Drücken Not und Sorge schwer,
Sind die Saaten ihm verwüstet?
Blüht ihm keine Blume mehr?

Stehen bleibt er. In der Hölle
Wurzelt jenes Turmes Grund,
Seine Zinnen, scheint es, steigen
Mächtig in des Himmels Rund.

Aber Wolken rollen dunkel
Um den Bau geheimnisvoll,
Auf den Blitz, der nicht erleuchtet,
Folgt des Donners dumpfer Groll.

Vor dem Tore sitzt die Schwermut
Auf dem Rand der Totenbahr',
Mit den Tränen fließt zu Boden
Aufgelöst ihr dunkles Haar.

Neid mit dem Medusenantlitz
Schielt, das Auge schief und grün,
Und der Haß schwingt roh die Keule,
Fordert dich zum Kampfe kühn.

In den Beutel zählt die Habsucht
Tränen, die sie dir erpreßt,
Was sie sich erspart, vergeudet
Bruder Rausch beim trunknen Fest.

Still im Schatten trauert Liebe,
Der die Täuschung brach das Herz,
Die Pistole, Strick und Gift reicht
Ihr der lang verhehlte Schmerz.

Wenn sie seufzt, brüllt toller Wahnsinn
In der Kette neben ihr,
Ballt die Faust zum Himmel fluchend,
Schlägt ohnmächtig an die Tür.

Trotzig schwingt bei Krupps Kanonen
Seine Lunte dort der Krieg,
Und je mehr er hingemordet,
Desto größer ist der Sieg.

Lahm und tückisch kriecht der Hunger
Ihm zur Seite, grinst dich an,
Und dort bricht sich eine Seuche
Durch das Volk die schwarze Bahn.

Soll ich das Gesindel schildern,
Wie es durch die Lüfte schwirrt,
Wie die Fledermäuse scheu, des
Menschen klaren Sinn verwirrt? —

In der Höhe schweben Engel
Durchs Gewölk im Lichtgewand,
Und sie bieten, wer sie anfleht,
Hilfreich die geweihte Hand.

Vor dem Baue steht der Mann schon,
Zaudert lang und überlegt,
Bis er an das Tor entschlossen
Mit dem Eisenhammer schlägt.

Aus der Halle dröhnt die Antwort:
"Warum suchst du mich denn hier?
Nur ein Pfad führt in das Dasein,
Tausend Wege gehn zu mir.

Wer mich will, der findet leicht mich,
Doch der Feigheit fehlt die Kraft,
Die im harten Kampf aus Steinen
Sich das Brot des Lebens schafft.

Geh! Willst du den Kreis zerreißen?,
Eh' er in sich selbst sich schließt,
Und die Zeit, die dir bestimmt ward,
In die Ewigkeit verfließt?

Morgen wandelt sich zum Fittig,
Was dir heut ein Bleigewicht,
Und es wird der Fluch zum Segen,
Wenn dein Mund den Segen spricht."

Auf dem Pfad, den er gekommen,
Flieht der Mann nach kurzer Rast,
Und dem Tapfern ward das Leben
Eine Pflicht und keine Last.

Die Uhr

Es schlägt der Tod die Stunden an
Mit seinem schweren Hammer,
Der Schall dringt dröhnend durch die Welt,
Dringt in die fernste Kammer.

Den Greis mahnt er zur letzten Fahrt,
Ob er sich ungern rüste,
Er ruft ihn in den schwarzen Kahn,
Das Meer hat keine Küste.

Zum Kindlein schleicht er auf den Zeh'n;
Es lächelt süß im Schlummer,
Auf's Bett wirft er ein Röschen ihm:
"Noch hast du keinen Kummer!" —

Der Jüngling träumt von Schlacht und Sieg,
Vom Ruhm und frohen Tagen,
Er legt ihm auf das Bett ein Schwert,
Wie lang wird er es tragen?

Zur holden Jungfrau schwebt sein Bild
Im Glanz der Morgenröte,
Sie lispelt: "Wenn der junge Held
Den ersten Kuß mir böte!"

Der flicht ihr ein Vergißmeinnicht
Froh in die blonden Haare,
Sie hebt die Hand, er steckt den Ring
Ihr an am Traualtare.

Und wenn sie ruhen Hand in Hand
Vereint durch Priesters Segen,
Da muß der Tod den Dornenkranz
Auf's Ehbett ihnen legen.

Es trinken Zecher Kling und Klang
Und laden ihn im Spaße,
Der Tod nimmt's an und fordert sie
Zur Bahre weg vom Fasse.

So wandelt sich zum Trauermarsch
Der frohe Toast, ihr Lieben!
Und von dem süßen Wein ist euch
Die Hefe nur geblieben.

Es liest der Priester Tag für Tag
Die Messe für die Toten,
Das Buch, der Kelch entfallen ihm,
Zum Grab wird er entboten.

So mischt das Schicksal auf und ab
Die Würfel — immer neue!
Was hilft es uns? — Stets bleibt der Tod
Für uns der einzig treue.

Und seine schwere Glocke tönt
Euch: alte, junge Leute!
Und einen Dichter ruft er dann,
Damit er's allen deute.

Sag' ihnen: "Kurz ist ihre Zeit
Für Schmerz und Lust bemessen,
Drum sollen auch das Leben sie
Im Leben nicht vergessen!" —

Vor Paris

Auf dem Schlachtfeld liegt ein Krieger;
Aus der Brust im roten Bronnen
Fließt das Blut; er hebt die Hände,
Eh, das Leben noch verronnen.

"Mit dem letzten Atemzuge
Dank ich dir o Herr der Schlachten,
Daß du meinem Volk den Sieg gabst,
Eh' der Tod mich will umnachten.

Segne meine grauen Eltern,
Schütze meiner Kinder Ehre,
Wenn es gilt dem Vaterlande,
Trag' der Sohn des Vaters Wehre.

Meine Tochter soll einst freien
Einen Helden kühn gemutet,
Der dem Feinde stolz die Stirn beut,
Auf der Wahlstatt schon geblutet.

Ihre Mutter mag sie führen,
Wie sie mir bewahrt die Treue,
Daß sich ihre Liebe innig
An den Kindern stets erneue.

Horch! des Sängerchors
te deum,
Die Fanfaren der Trompeten!
Mag es ihnen — froh verkünden,
Daß zerbrochen sind die Ketten.

Daß mein Volk groß und gewaltig
Trägt den Lorbeer um die Lanze, . . .
Walle hoch — o meine Fahne,
Prang' in hellem Siegesglanze!" —

Einen Blick verklärt nach oben, —
Rot und röter fließt der Bronnen,
Segnend hebt er seine Hand noch,
Und das Leben ist verronnen.

Der Gärtner

Vor dem Bäumchen stand der Gärtner,
Langsam prüft er, was das beste,
Mit dem Messer schnitt er kundig
Ab die geilen Wasseräste.

"Daß ich an die Zukunft denke!" —
Sprach er lächelnd, "nicht belehren
Laß ich mich durch die Erfahrung —
Wer wird wohl die Frucht verzehren?"

Fragt der Himmel, der den Regen,
Der das Licht, die Wärme sendet,
Wenn er füllt die leeren Speicher,
Wenn er volle Tonnen spendet?

Nicht einmal den Dank begehrt er,
Daß er träuft den Segen nieder,
Ist es dir genug nicht, wenn du
Täglich üben kannst die Glieder?

Schwellt dir Kraft nicht und Gesundheit
Früh und spät die strammen Adern?
Und du willst um einen Tropfen
Schweiß mit deinem Schicksal hadern!

Grüßt dich an des Hauses Schwelle
Nicht ein Weib voll Lieb und Güte?
Und zum Erntekranze schlingen
Frohe Kinder Blüt' an Blüte.

Was die Ahnen dir, das bist du
Ihnen und den Enkeln schuldig,
Darum trag von heut bis morgen
Deiner Arbeit Last geduldig.

Und kommt deine letzte Stunde, —
Scheiden magst du dann im Frieden,
Bei der letzten Abendröte
Siehst du Garben nur hienieden.

Was du treu vollendet, setzt in
Treue fort der Enkel Reihe,
Die Erinnerung still und selig
Gibt noch deinem Grab die Weihe.

Der arme Musikant

Dort zieht er — der alte Kaspar
An der Straße auf dem Stein
Die Harmonika zum Tanze, —
Horcht ihm zu! — jahraus, jahrein.

Ach, ihn hungert, ach, ihn fröstelt,
Seht erbarmend seine Not,
Mit den matten blauen Augen
Fleht er um ein Stücklein Brot.

Aber niemand will sich regen,
Schon ist er der Kinder Spott,
Werft ihm in den Hut den Kreuzer,
Und er dankt: "Vergelt es Gott!"

Einst gesucht bei jeder Arbeit
Brach er sich den Fuß, den Arm,
Einst ersehnt von jedem Mädchen,
Jetzt ein Krüppel, — Gott erbarm!

Doch kein Mitleid hemmt den Winter,
Kaspars Finger werden starr,
Da kommt einer: "Laß dein Spielzeug
Mich einmal versuchen, Narr!"

Und er zieht und trifft die Klappen,
Und es tönt die Melodie,
Wie sie aus den morschen Brettlein
In das Land geklungen nie.

Stumm, erstaunt hört ihn der Alte; —
Fast als wär er wieder jung,
Zuckt es durch die müden Glieder,
Wagt er nicht den raschen Sprung?

Ist's ein Traum nur? — Plötzlich steht er
Vor dem Haus am Tannenbaum,
Leise, leiser klingt die Zither
In des Mädchens Liebestraum.

Längst zwar traf die Axt den Stamm schon,
Und in Rauch versank das Haus,
Doch er sieht es: lächelnd wirft sie
Ihm zum Dank herab den Strauß.

Und er bückt sich, will ihn fassen,
Heben kann er nicht mehr;
Noch ein Atemzug, dann liegt er
Bei dem Spielzeug tot und schwer.

Laßt den Kaspar uns begraben,
Gebt ihm traurig das Geleit,
Welch ein Leichenzug von allen,
Wo er spielte seiner Zeit.

Bald rührt keiner mehr die Beine,
Und die Kinder fragen nur
Nach dem Musikanten, bis vom
Stein verschwand die letzte Spur.

Das Invalidenhaus

Die Krieger steh'n in langen Reih'n,
Sie sind bereit zur Schlacht,
Im dunklen Mantel naht der Tod,
Doch keiner ruft: "Habt Acht!"

Nicht jeder sieht ihn, wer ihn sieht,
Dem graut, die Wange bleicht,
Auf seine Stirn prägt sich ein Kreuz,
Das keinem Wasser weicht.

Keck tritt ein junger Krieger vor:
"Ich wag's und trotze dir,
Ich fordre dich zum Würfelspiel
Hier — auf der Trommel hier."

Der Würfel fällt, die Trommel dröhnt; —
Der junge Held gewann,
"Gewonnen hast du, sprach der Tod,
Du bist ein ganzer Mann!" —

Dem weicht nun jede Kugel aus,
Wer nach ihm haut und sticht,
Der steht gelähmt, weil Speer und Schwert
Vor seinem Blick zerbricht.

Der Ruhm bekränzt ihn Schritt auf Schritt
Und zum Soldatensold
Gewinnt er sich von Stadt und Land
Als Beute reiches Gold.

Doch endlich kündet Glockenklang
Den Frieden hell und laut,
Die Krieger kehren jubelnd heim
Zu ihrer Heimat traut.

Er sucht sich einen Keller auf
Und trinkt den kühlen Wein,
Die schönsten Dirnen ladet er
Von nah und fern sich ein.

Die allerschönste schaukelt sich
Auf seinem Schoß und lacht,
Er bringt den vollen Becher ihr, —
Dem Abend folgt die Nacht.

Und als der letzte Gulden hin,
Da war er krank und alt,
Als Bettler stießen sie ihn fort
Und lachten spröd' und kalt.

Es schloß das Invalidenhaus
Ihm eine Kammer auf,
Da saß er und zur Reu' erhielt
Er noch die Gicht in Kauf.

Gar manchen holte sich der Tod; —
Als er ihn wieder sah,
So rief er stehend: "Nimm mich mit,
Der Ältste bin ich ja!" —

Doch ruhig sprach der Tod: "Du hast
Gewonnen einst, es sei!
Ich halte jedem treu mein Wort!" —
Und ging an ihm vorbei.

Die Wache

Auf dem Posten steht der Krieger
Späht und lauscht hinaus ins Weite,
Ob der Feind durchs Dunkel listig
Schleiche zu verwegenem Streite.

Schnee fliegt scharf ihm in das Antlitz,
Wind fährt durch die grauen Haare,
Doch als treuer Mann bewacht er
Seinen Platz schon lange Jahre.

Horch! — schlägt auf dem Turme langsam
An die Stunde schon die Glocke,
Oder ist es eine List nur,
Die vom Posten ihn verlocke?

Zum Gewehre greift er. — Sieh dort —
Dunkler als die Nacht den Schatten.
"Präsentiert!" — befiehlt es plötzlich,
Doch er fühlt die Hand ermatten.

"Abgelöst!" — Die schwere Lanze
Gleitet auf den Boden nieder,
Zwölf Uhr schlug es. Todesschauer
Lähmt des alten Kriegers Glieder.

Leise knistert's auf dem Schneefeld, —
Aufwärts zu der Rampe klettern
Schon die Feinde, — plötzlich rollt es
Wie ein Sturm aus Donnerwettern,

Daß entsetzt sie stürzen abwärts
Und in wilder Flucht zerstieben,
Denn mit einem Atemzuge
Hat der Tod sie fortgetrieben.

Morgens fand erstarrt der Hauptmann
Auf dem Schild den alten Krieger,
Durch das Feld zerstreut die Feinde
Vor dem unsichtbaren Sieger.

Und es zeigt uns dort das Kirchlein
Aus der grauen Vorzeit Tagen,
Wie der Tod mit einem Hauch einst
In die Flucht den Feind geschlagen.

Der Achtundvierziger

Soll ich in die Nacht versinken? —
Auf dem letzten Abendstrahle
Naht ihr noch des Greises Lager,
Hohe Jugendideale.

Freiheit — deine Stimme — Freiheit!
Rief mit dem Trompetentone,
Daß sie — die Lakaien — bebten
Vor der Völker wildem Hohne.

Hoch zu Häupten rot und blutig
Dein Panier im kühnen Fluge. . .
Jetzt liegst du schon längst begraben
Von der Feigheit, dem Betruge.

Und sie toben im Cancan hin —
Kampf um's Dasein! — wie sie's nennen,
Bei der rohen Hetze fühl' ich
Scham mir auf den Wangen brennen.

Hab' ich dich doch nie verleugnet,
Mußt' ich auch im Sumpfe schweigen,
Und so seh' ich in der Zukunft
Wieder aus dem Grab dich steigen.

              ◊ ◊ ◊

Denkst du an die Barrikade,
Wie du Steine zugetragen,
Daß sogar dein Herz vor Freude
Damals feuriger geschlagen?

Vor der schwarz-rot-goldnen Fahne,
Der du jubelnd nachgelaufen,
Schwindelt dir, du mußt dich setzen,
Um den Schrecken zu verschnaufen.

Trommelwirbel zur Decharge,
Für dich war es die Chamade,
Schon nahm dich der Tod beim Kragen,
Doch du betteltest um Gnade!

Wie den Habakuk der Engel
Warf er spottend dich bei Seite:
"Reich an Ehren, hoch an Jahren. . .
Pack dich fort aus diesem Streite.

Schau dafür in deine Zukunft,
Uniformen wirst du tragen,
Immer höher, immer höher!
Goldne Rosen auf dem Kragen."

Ja Herr Hofrat! was Sie damals
Für die Freiheit keck verbrochen,
Haben Sie gesühnt; ins Alter
Sind sie auf den Knien gekrochen.

Auf den Knien? — Tiefer wohl noch,
Tiefer auf den Ellenbogen,
Haben kriechend sich zur Höhe
Heuchlerisch empor gelogen.

Kotgeboren, hochgeboren
Wandelten Sie stets im Zwielicht,
Leckten Speichel untertänigst
Soffen an Hoftafeln Spülicht.

Doch der Tod bleibt wahr, er wird Sie
Einen Schuft bei Schuften heißen,
Ihnen dann die falsche Larve
Von dem wüsten Antlitz reißen.

Zwar nicht nötig ist es; möchten
Endlich hinter sich Sie schauen,
Vor dem Schimpfe, vor der Schande
Würd' auch Ihrer Frechheit grauen.

              ◊ ◊ ◊

Bald wird mich die Nacht verschlingen!
Mit dem letzten Abendstrahle
Schwebt ihr mild herab zu mir noch,
Meiner Jugend Ideale!

Dynamit

Heut Jahresschluß! — Im Turme schlug
Schon längst die sechste Stunde,
Der Principal hetzt die Commis
Nach Gold wie feile Hunde.

Sie rechnen, was der Stift vermag,
Addieren, subtrahieren,
Bis endlich fertig die Bilanz:
Gewinnen und verlieren.

Das Plus und Minus überschaut
Er mit dem Geierblicke
Und sinnt schon auf das Telegramm,
Das er nach Frankfurt schicke.

Er spritzt die Feder aus, sie geh'n
Für heute mag's genügen,
Am zweiten Januar beginnt
Auf's neu' das Schinden, Trügen.

Auf's neu'? — Er faßt den Schlüssel rasch
Der feuersichern Kasse
Und sperrt sich mit den Büchern ein
Im innersten Gelasse.

Von unten hört er dumpfen Lärm,
Wie drohend Wetter rollen,
Was kümmert's ihn? — der Pöbel mag
In Branntweinkneipen grollen.

Da stand vor ihm, . . . er schaut zur Tür,
Ob er den Schlüssel drehte?
Des Gases Flamme flackert nicht,
Kein kaltes Lüftchen wehte.

In Eisenklammern liegt das Schloß,
Da stehts in klarer Helle. . .
"Wer bist du?" ruft er laut, "hinweg!
Auf! Räuber! — fort Geselle!" —

""Ich bin dein Gläubiger!"" — ertönt
Posaunengleich die Stimme. —
"Was Gläubiger? — das kenn' ich nicht!"
Schreit er in wildem Grimme.

""Ich bin der Tod!" — So schlägt der Blitz
In eine volle Mine,
Es birst das Haus zum Grund, da hält
Nicht Quader oder Schiene.

Durch alle Gassen drängt's heran,
Ein lautes Johlen, Zetern!
Sie zünden sich Zigarren an
Mit seines Hauptbuchs Blättern.

Ein Bube zog es aus dem Schutt:
Addieren, subtrahieren!
Die halbverkohlten Zeilen mag
Der Teufel liquidieren.

Der Pöbel ja, der Pöbel ja —
Verhungert und in Lumpen,
Der brüllte jetzt dem Dynamit
Ein Hoch! mit vollen Humpen.

Dem Attentäter spürt man nach,
Er ist und bleibt verschwunden,
Des Priucipales Leiche hat
Man auch noch nicht gefunden.

Man muß in der Familiengruft
Ein Cenotaph errichten,
Mit goldnen Lettern feiert man ihn
Und — goldenen Gedichten.

Der Tod spricht

"Wenn ich auf Lawinen reite,
Fahr' ich donnernd ab ins Tal,
Keine Gemse kann entrinnen,
Denn ich bin ein Wetterstrahl.

Siehst du dort den Alpenadler,
Der vom Grate späht nach Raub?
Nieder reiß ich ihn im Fluge,
Hüll' ihn ein in weißen Staub.

Eh' du aufschaust noch zum Joche,
Wo ich sprang vom stolzen Thron,
Faß' ich dich schon in der Tiefe,
Überwälze Dörfer schon.

Von des Menschen Hand berührt nicht,
Läuten alle Glocken Sturm,
Eine Tanne steck' als Feder
Ich hoch oben auf den Turm.

Nicht zum letzten Vaterunser
Laß ich dir die Spanne Zeit,
Und zerdrückt liegt schon der Sünder,
Eh' er feig um Gnade schreit.

Schneller als in jungen Herzen
Liebe stieg aus stummer Nacht
Hab' das Pärchen ich geschleudert
In des Grabes schwarzen Schacht.

An des Tales Gegenseite
Schieb' ich noch den Schutt zu Hauf,
Und geworfen aus dem Bett muß
Ändern selbst der Strom den Lauf.

Doch zwei Kinder setz' ich spielend
In die Lindenzweige leicht,
Und sie lächeln zu einander,
Wenn die bange Furcht entweicht.

Ist zu Asche längst vermodert
Das begrabene Geschlecht, —
Sollen diese neu begründen
Neues Leben, neues Recht.

Die Lawine? Nun der Sommer
Schmilzt bald ihre letzte Spur,
Alle Blumen blühen schöner,
Wo sie traf die grüne Flur.

Aus den Saaten steigt die Lerche,
An der Sonne reift die Frucht,
Und so wechselt alles wechselnd
In des Lebens rascher Flucht.

Auf dem Sonnjoche

Droben eine Gemsenrudel
Wie sie springt von Wand zu Wand!
Drunten greift zum scharfen Stutzen
Schon der Schütz mit rascher Hand.

Schnell den Kuß noch auf die Lippe
Seines Weibs, das mit dem Kind
Nebenan im Bette schlummert,
Und er steigt bergauf geschwind.

Wie der Windhund einen Hasen
Fängt mit einem Sprunge leicht, —
Magst du klettern noch so rüstig,
Hat der Tod dich schon erreicht.

An der Sohle bricht ein Nagel,
Gleitend, stürzend fällst du ab,
Zwischen jungen Alpenrosen
Ist gebettet dir das Grab.

Auf dem Joche pfeift es schneidend,
Fast erklingt es dir wie Hohn,
Steine kollern und die Rudel
Fliegt mit raschem Fuß davon.

Haben sie dich aufgefunden? —
Deinen Stutzen erbt der Knab',
Und er jagt gleich dir die Gemsen,
Bis man tot ihn trägt herab.

Auf dem Hügel steht ein Kreuzlein
Mit dem Edelrautenstrauß,
Deine Witwe — vom Begräbnis
Kehrt sie in das öde Haus.

Auf dem wilden Kaiser

Der Wecker rasselt in der Uhr,
Vorbei die Mitternacht!
Der Alte spring vom Bett, es ist
Der junge Tag erwacht.

Mit kaltem Wasser wäscht er sich
Die trüben Augen hell,
Die schweren Schuhe zieht er an
Und greift zum Bergstock schnell.

Noch funkelt matt im Himmelsblau
Der klare Morgenstern,
Das Rosenlicht jedoch umfließt
Im Westen schon den Fern.

Mit leichten Sohlen stieg er sonst,
Jetzt wird das Atmen schwer,
Mit dreißig Jahren ging es leicht,
Mit siebzig geht's kaum mehr.

Und langsam klimmt er Schritt für Schritt,
Auf seinen Stock gestützt,
Bis in dem wilden Gletscherbach
Vom Joch die Sonne blitzt.

Die erste Alpenrose neigt
Herab sich zu der Flut,
Er wischt sich ab den Schweiß und pflückt
Und steckt sie auf den Hut.

Nun schleicht er an der Alm vorbei,
Dann bleibt er plötzlich stehn;
Was war es, daß mit feuchtem Aug
Er noch zurück muß sehn?

Er denkt der schönen Sennerin,
Die ruht schon lang im Grab.
Dann geht er fort, die Träne fließt
Zum grauen Bart hinab.

Und aufwärts, aufwärts Schritt für Schritt
Braucht er drei Stunden jetzt,
Dorthin, wo einst ein Stündlein ihn
Mit leichter Müh gesetzt.

Der höchste Gipfel ist erreicht,
Er rastet auf der Wand,
Und in der Runde ragen steil
Die Berg' im Schneegewand.

Sie grüßen ihn, ein jedes Haupt
Ist ihm bekannt, vertraut,
Wie in der Jugend grüßt er sie
Mit einem Juhschrei laut.

Dann haucht ihn tiefe Wehmut an:
Wohl ist's zum letztenmal,
Daß er von diesen Höhen blickt
Hinab ins stille Tal.

Die Sonne neigt zum Untergang,
Und schweigend sinnt der Greis,
Da steht vor ihm der Tod und reicht
Das letzte Edelweiß.

Feuerbach

Auf dem Lido vor Venedig
Blickt ein Mann in ferne Weiten,
Als säh' er mit Geisteraugen
Hellas, wo die Wogen streiten.

Wie auf Patmos dem Johannes
Steigen ihm empor Gestalten
Und mit festem Griffel sucht er
Sie für ewig festzuhalten.

Hier den Todeskampf Medeas,
In Athen den Philosophen,
Plötzlich aber sieht er staunend
Erde, Höll' und Himmel offen.

Mit Titanen kämpfen Götter,
Seinen Blitz wirft der Kronide,
Bis sich alles beugt dem Hohen,
Aus dem Sieg erstrahlt der Friede.

Und im Muschelwagen gleitet
Venus auf den glatten Wellen,
Daß sich die Gestade ringsum
Von des Lenzes Glanz erhellen.

Er verkündet es begeistert,
Was er schaute — traumverloren,
Doch den nächsten Morgen fand man
Ihn am Publikum erfroren.

Der Dichter

Auf dem Siechbett lag der Dichter
In den Gliedern jede Plage,
Ob der Hunger, ob die Krankheit
Ihn gelähmt? — was nützt die Frage.

Vor dem innern Auge sah er
Blatt um Blatt Rezensionen,
Kränze von
Papier mâché, mit
Denen sie das Lied belohnen.

Und im schwarzen Fracke schlürft er
Tee, gewässert jede Tasse,
Die ihm schöne Hand gereicht einst
Statt dem Wein aus vollem Fasse.

Seinen sechzig Jahren galt es!
Und ein Päckchen von Banknoten
Haben sie zusammgebettelt, —
Huldreich ward es ihm geboten.

Und er neigte rechts und links sich
Und die Brust schwoll von Entzücken,
Wie Horaz vom Kapitol einst
Auf die Römer durfte blicken.

Ob er Gänschen schnattern hörte,
Wie sie in Pariser Roben
Mit dem Pensionat-Französisch
Ihren deutschen Dichter loben?

O Homer, Vergil . . . was weiter?
Die Geduld nicht zu verlieren,
Schrieb er Sprüchlein in das Stammbuch
Holden Töchtern von Banquieren!

Mit dem Riesenstrauß die Kleine,
Wie sie ihn bedrängt vor allen,
Sie ist reich! — bei ihrem Vater
Ist sein Wechsel längst verfallen.

Die Zigarre beut ihm dieser
Heute lächelnd, aber morgen . . .
Nun da wird des Festes König
Wohl bei einem andern borgen.

Auch der Bücherfürst grinst huldvoll,
Der sich wagte zum Verlage,
Er berechnet rasch im Kopf schon
Die Prozent' an diesem Tage.

Einen Bückling tief! — es schmunzelt
Fein und tückisch der Kollege,
Doch auf Mittel sinnt er heimlich
Wie er ihn vom Platze fege.

Sei's! — o führe sanft und gnädig
Ihm vorüber diese Bilder
Aus dem Kampf des Daseins, Muse!
Zeige Phantasien ihm milder.

Auf den Nebel dunkler Zukunft
Projizier' ihm seine Größe;
"Diese" — denkt er stolz — "vergoldet
Meine Armut, meine Blöße.

Mir ergänzt die Schillerstiftung
Magre Bettelhonorare,
Was liegt dran? — Das deutsche Volk wird
Trauern einst an meiner Bahre.

Und vom Enkel zum Urenkel
Wächst mein Ruhm stets in Potenzen,
Wie der Glanz von Meteorlicht
Überfliegt die fernsten Grenzen." —

Da stand an des Bettes Fuße,
Der nie stirbt, — der große Meister,
Von der Last des Staubs befreit er
In die Ewigkeit die Geister.

Kronen tritt er, Lorbeerzweige
Mußten tief im Lethe sinken,
Weltgeschichten, Weltsysteme
Schwinden hin vor seinen Winken.

Was vergänglich, mag's vergehen!
Eines nur kann ich nicht fassen:
Daß sogar die hehre Schönheit
Muß vor seinem Griff erblassen. —

"Armer Mann! ich will dir spenden
Noch das letzte Glück auf Erden,
Sprach der Tod: — Das ist Vergessen
Und zugleich vergessen werden!"

Und auf seine hohe Stirne
Legt die kalte Hand er leise,
Noch ein Atemzug, des Lorbeers
Zweige sind der Würmer Speise.

◊ ◊ ◊

Bum und bum! — in dumpfer Stimmung
Hört den Trauermarsch ihr klingen
Und die Liedertafeln alle
Längst gewohnte Lieder singen.

Der, der stets zu Fuß gegangen —
Manchmal mit zerrißnen Sohlen, —
Ein Paradewagen trägt ihn,
Vorgespannt vier schwarze Fohlen.

Und die Reden erst! — mir graut schon
Hör' ich nur von fern das Plappern,
Wie alljährlich am Karfreitag
Rasseln die verwünschten Klappern.

Doch genug; das hat ein jeder
Schon erfahren dutzendmale,
Mocht' es gelten einem Hofrat
Oder einem Generale.

Um den Prunk zu zahlen, wurden
Subskribenten aufgeboten,
Die noch keinen Vers gekauft je
Von dem hoch berühmten Toten.

Nekrologe der Journale
Weihen ihm Unsterblichkeiten,
Nach zwei Jahren liest von ihm doch
Niemand mehr auch nur zwei Seiten.

Im Papierkorb, — der Walhalla
Deutschen Volks, ist er versunken
Und vom hellen Sternbild seht ihr
Kaum am Himmel einen Funken.

Seine Büste steht im Mondschein
Ernst und feierlich erhaben,
Gut, daß sie mit dem Geländer
Vorsichtig den Stein umgaben!

Manchmal hört man ein Gelächter —
Zwölf Uhr Schlag — am Todestage; —
So rankt um des Dichters Denkmal
Spät und einsam sich die Sage.

Cornelie

Wenn ich im Kalender blättre,
Mit dem Finger überfahre
Die dreihundertsechzig Tage,
Wie sie schließen sich zum Jahre,

So erwachen bleiche Schatten
Mit dem Datum, wo sie schieden,
Wie sie früher oder später
Gingen ein zum ewigen Frieden.

Und ich schaue still und sinnend
Wenn sie mir vorüberschweben
Und bedenke, was im Wechsel
Gab und raubte dieses Leben.

Schemen unbekannt und lautlos
Schwinden einer um den andern,
Wer zählt wohl im Herbst die Schwalben,
Wenn sie frei nach Süden wandern?

Kinder lächeln, Mädchen grüßen,
Männer blicken ernst und strenge,
Holde Frauen, traute Freunde —
Einsam oder im Gedränge.

Und so mancher bittre Feind auch. . .
Soll ich seinem Zorne weichen?
Ruhig schreitet er, der Haß stirbt
Feig und machtlos unter Leichen.

Dunklen Rosmarin im Haare
Wie ihn unsre Bräute tragen,
In dem Auge tiefe Wehmut —
So nahst du mir ohne Klagen.

Riß das Leben einen Abgrund
Zwischen dir und mir, du Treue!
Kann ich deinem Blick begegnen
Ohne Vorwurf, ohne Reue.

Aus der Jugend in das Alter
Wallten wir getrennt, verbunden,
Und ich habe voll und innig
Deinen Wert nun ganz empfunden.

Wie ein Stern durch Winternebel
Strahlst du mir jetzt in die Seele,
Gib die Hand mir, daß für immer
Uns die Ewigkeit vermähle.

Der Professor

Vor der Lampe, vor den Büchern
Saß und schrieb der hochgelehrte,
Hochgelehrteste Professor,
Wie ganz Deutschland ihn verehrte.

Plötzlich kam der Tod geschlichen,
Klopft ihm auf die Schulter leise,
Bei der unwillkommnen Störung
Wandte knurrend sich der Weise.

Doch als er den Gast erkannte,
Fleht' er mit erhobnen Händen:
"Θανατε! — o sei mir gnädig,
Laß mich erst mein Werk vollenden!"

Und gerührt von seinem Eifer,
Sprach der Tod: "Ich komme wieder;
Wenn du fertig bist, so steigst du
Mit mir zu den Schatten nieder."

Mit dem Stundenglas, der Hippe
War er wie ein Rauch verschwunden,
Endlich hat nach hundert Jahren
Er sich wieder eingefunden.

Vor der Lampe, vor den Büchern
Saß er noch der hochgelehrte,
Hochgelehrteste Professor,
Wie ganz Deutschland ihn verehrte.

Unbeschrieben lag ein Ballen
Von Papier an seiner Seite,
Als der Tod das angesehen,
Floh entsetzt er in die Weite.

Und so schreibt er an dem Buche
Bis zum Graun des jüngsten Tages,
Ob er dort wohl fertig werde?
Wer es sagen kann, der sag' es.

Der Doktor

Unentfliehbar naht der Typhus
Durch die Täler, auf den Bergen.
Wo die Leichen unterbringen?
Droht doch Mangel schon an Särgen.

Auch der Doktor, jung und kräftig —
Feig beginnt er jetzt zu zagen:
"Geht es fort wie heute, wird man
Mich auch bald zu Grabe tragen."

So faßt er die Feder langsam,
Um sein Testament zu machen,
Da ruft's aus dem Totenschädel
Auf dem Schrank mit giftigen Sachen:

"Ruhig Doktor! ich vermag kaum
Auf den Freithof sie zu treiben,
Darum, lieber Bruder, sollst du
Hilfreich mir Rezepte schreiben.

Statt des Stundenglases brauchst du
Nur des Kranken Puls zu zählen,
Statt der Hippe magst du Tränklein,
Salben oder Pulver wählen.

So! — Nun bist du ausgestattet,
Jetzt schon kannst zur Arbeit gehen!"
Und Gelächter schallt vom Kopf dort,
Wo die giftigen Sachen stehen!