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II.
Ethisch

 


Jung ist nur der Werdende, —
Auch mit weißen Haaren!
Wer in seiner Zeit erstarrt
Mag zur Grube fahren.
◊◊◊
Alles darfst du lieber Freund! —
Nicht moralisieren,
Und in des Gehängten Haus
An den Strick nicht rühren.
◊◊◊
Prüft ihn mit dem Mikroskope,
Forscht nach jedem schlechten Zeichen,
Wenn ihr einen Makel findet, —
Dann ja! ist er eures gleichen.
◊◊◊
Willst du dich vom Boden schwingen
Dieser armen Welt?
Selbst bedingt, mußt du bedingen,
Ob's dir auch mißfällt.
Leichter habt ihr's allerdings:
Walzet nur im Kreise!
Während langsam Schritt für Schritt
Aufwärts steigt der Weise.
◊◊◊
Ihr habt es alle wohl gelesen:
Wie einer den Schatten verkauft;
Noch schrecklicher, wenn ohne Körper
Als Schatten ein anderer lauft.
◊◊◊
Das ist ja eben die Höllenpein,
Daß du nicht selig wagst zu sein.
◊◊◊
Zeigt das Licht dir in der Nähe
Nur, was eng und klein;
Große Sonnen, Sternenweiten
Schimmern hell und rein.
◊◊◊
All' die Himmelssterne senden
Dir ihr Licht hernieder,
Arme, dunkle Erde gibst du
Ihnen etwas wieder?
◊◊◊
Wir stehen nicht frei in Gottes Welt,
Wir haben unsere Fenster,
Und sehen wir auch Geister nicht,
So sehen wir doch Gespenster.
◊◊◊
Energie, bewußte Kraft,
Die aus sich das Größte schafft.
◊◊◊
Beharr' in deiner Einsamkeit,
Bist du zu Zwei'n, bist du entzweit.
Willst du mit dem Iltis streiten? —
Flieh' vor ihm, o Freund! — bei Zeiten.
◊◊◊
Mit dem Vaterunser ist es,
Lieber! — eine eigne Sache:
Es befiehlt uns zu vergeben
Und zu lassen Gott die Rache.
Aber hat er selbst dem Teufel
Jemals seine Schuld verziehen?
Teuflisches sollst du bekämpfen,
Nicht vor seinem Giftzahn fliehen.
◊◊◊
Dem Tier sei nicht das Tier verdacht,
Zum Vieh hat's nur der Mensch gebracht.
◊◊◊
Wer von den Menschen Dank begehrt,
Der ist des schnödesten Undanks wert.
◊◊◊
Zum Teufel die erlogenen
Die schönen Ideale,
Das allgemeine Menschliche
Ist das Bestiale!
◊◊◊
"Was soll ich tun?" — Reiß' deinem Kind
Das Brot von seinem Munde,
Sie loben dann als edel dich, —
Gibst du es einem Hunde.
◊◊◊
Ist dein Nebenmensch ein Schuft,
Daß du zornig greifst zum Stock, —
Sei human und klopf' ihn nicht,
Sondern höchstens seinen Rock!
◊◊◊
Der Dünkel und die Kriecherei
Die schlüpfen aus dem gleichen Ei.
◊◊◊
Mitten durch paßt auch nicht stets,
Nicht mit Worten, Taten,
Kannst du einen Sumpf umgeh'n,
Warum ihn durchwaten?
◊◊◊
Was soll die Geschichte wohl
Von entschwund'nen Jahren?
Lernt ihr leider nichts von dem,
Was ihr selbst erfahren!
◊◊◊
Das Meinen ist ein bewegliches Meer,
Darüber gleitet das Scheinen her,
Und willst du die Grenzen des Ufers erweitern,
So mußt du am Wesen der Dinge scheitern.
◊◊◊
Wollt ihr euch nach Kräften stemmen,
Könnt des Flusses Lauf ihr hemmen?
◊◊◊
Der Esel ist gar viel geprüft
Und hat oft schwer getragen,
Daß er deswegen weiser sei?
Wer möchte dieses sagen!
◊◊◊
Einem Esel Blumen streun,
Wird dir wahrlich nützen nie,
Wenn er sie nicht fressen kann,
Stampft er in den Boden sie.
◊◊◊
Im Kleinen sollst du ehrlich sein,
Kannst dann im Großen trügen.
Ein Tröpflein Wahrheit, das du bringst,
Verdeckt ein Faß voll Lügen.
◊◊◊
Auch die Zukunft ist ein Heute,
Und die Leute sind stets Leute.
◊◊◊
Die Torheit der Menschen bleibt jung und alt:
Sie wechselt die Form, nicht den Gehalt.
◊◊◊
Es treibt der Sturm Euch kreuz und quer,
Ihr armen Schifflein, hin und her;
Ob Eure Flagge so, ob so,
Ob Eure Ladung traurig, froh —
Es bleibt sich gleich, wenn Ihr verfehlt
Des Lebens Ziel, das Ihr erwählt!
◊◊◊
Wer da vorwärts will, muß wechselnd
Auf den Füßen rüstig schreiten,
Nur durch Gegensätze werden
Sich bewegen stets die Zeiten.
◊◊◊
Wollt ihr euch zum Mittelpunkt
Aus dem Kreis bewegen, —
Ist's euch ernst, was liegt daran,
Seid ihr euch entgegen.
◊◊◊
Bist du reich, so laß dir schenken,
Bist du arm, dann braucht's Bedenken:
Bettelstolz hat dort sein Recht,
Wo sich Protzenstolz erfrecht.
◊◊◊
Geist und Gespenst ist zweierlei,
Wo jener flieht, schleicht dies herbei.
◊◊◊
Zwar wandern die Narren ein und aus,
Doch ist die Welt kein Narrenhaus.
◊◊◊
Das Ackerfeld ist wohl bereit,
Wenn's aber in die Furchen schneit?
◊◊◊
"Warum zürnst du dem Gewitter?
Morgen wird es wieder  tagen!" —
Meinethalb! — was hilft's dem Armen,
Den zuvor der Blitz erschlagen.
◊◊◊
Hat es gehagelt den ganzen Tag,
Hat es gefroren bei Nacht,
Brauchst du die Sense zu dengeln nicht,
Bist du des Morgens erwacht.
◊◊◊
Warum beklagst du als Übel der Zeit,
Was doch ein Übel von Ewigkeit?
◊◊◊
Mit zu tanzen, mit zu jubeln
Hat er gestern uns versprochen,
Heute lähmt ihm Gicht die Füße, —
Ja er hat sein Wort gebrochen!
◊◊◊
Auch das kleinste Bächlein strebt
Vorwärts in die Weite,
Euer Sumpf, der dehnt sich nur
In die Länge, Breite.
◊◊◊
Einen Spaß, ja! darfst du machen,
Daß sie grinsen, daß sie lachen! —
Streife der Satyre Grenze
Nicht für diese Lämmerschwänze.
◊◊◊
"Eine Welle bist du nur
In dem Strom der Zeiten!"
Nur in Wellen fließt der Strom,
Willst du das bestreiten?
◊◊◊
Willst du auf der Pfütze fahren,
Trägt dich nur ein seichtes Floß,
Streiche deines Schiffes Flagge,
Denn sein Tiefgang ist zu groß.
◊◊◊
Warum über andre klagen?
Lern' zuvor dich selbst ertragen!
◊◊◊
"Unendlich ist der Menschheit Liebe!" —
Erst zieht man bis aufs Hemd dich aus,
Und daß du langsam dann verhungerst,
Erschließt man dir das Armenhaus.
◊◊◊
"Sie stießen in den Abgrund mich,
Den Tod muß ich erwählen:" —
Mach' deinen Feinden nicht den Spaß,
Dich aus der Welt zu stehlen.
◊◊◊
"Ihr habt den Mann in die Wüste vertrieben,
Dort mußt' er einsam sterben,
Drum habt ihr mit euren Söhnen das Recht
Zu melden euch als Erben."
◊◊◊
Die Weisheit ist ein Sonnenschirm,
Den uns der Winter reicht,
Wenn durch die Nebel trüb und kalt
Die Sonn' am Himmel schleicht.
◊◊◊
Wär's mit dem Leiden nur getan,
Doch hängt sich die Erinn'rung dran.
◊◊◊
"Du schreist nach Brot, das Schicksal beut
Dir Blumen, dich zu necken!"
Jawohl, bin ich verhungert, kann
Es auf mein Grab sie stecken!
◊◊◊
Nicht kannst du der Hölle Mächten,
Die dir feindlich droh'n, gebieten;
Greif nur tapfer in den Lostopf,
Treffer stecken unter Nieten.
◊◊◊
Und ziehst du Nieten fort und fort,
Mußt du ans Glück nur denken?
Den reinen Willen in der Brust,
Wer kann ihn dir beschränken?
◊◊◊
Tragikomisch ist's fürwahr,
Fromm zum Himmel aufzublicken,
Wenn des Glückes Sonne sank
Längst schon hinter deinem Rücken.
◊◊◊
Wahrlich ihr seid bibelfest:
"Sorgt nicht für das Morgen!"
Und ihr müßt vom Morgen doch
Für das Heute borgen!
◊◊◊
"Im Garten ekler Aasgeruch!
Wohin entschwand der Rose Duft?"
Vielleicht habt ihr den Nasenkrebs
Und der verpestet euch die Luft.
◊◊◊
Ist doch Empfindung und Gefühl
In Dir so fein gesiebt!
Du hast bei fünfzig Weibern schon
Dich durchgeküßt, geliebt.
◊◊◊
Du bist berühmt im ganzen Land;
Du gibst, jedoch nur deine Hand.
◊◊◊
"Ist er unbescheiden nicht
Dieser Grenadier?
Er mißt seine sieben Fuß,
Aber wir nur vier!"
◊◊◊
In dieser und der andern Welt
Ist's wohl am besten so bestellt:
Daß Gott nie Theologie studiert
Und ohne sie das Szepter führt.
◊◊◊
Sei schweigend was du bist,
Gib schweigend, was du hast,
Zermalmt das Schicksal dich,
Trag' schweigend deine Last!
◊◊◊
"Das Beste, was wir sind —
Wir nehmen es ins Grab!" —
Ihr nehmt zugleich damit
Das Schlechteste hinab.
◊◊◊
Immer wallt die Seele wieder,
Steigt der Engel: Liebe! — nieder
Doch betrogen stets auf's Neue
Trauert sie voll bittrer Reue.
◊◊◊
Ihr zwickt den Wind mit Zangen
Und könnt ihn doch nicht fangen.
◊◊◊
Daß alles sich stellt ins Gleichgewicht,
Das eben ist das Weltgericht!
◊◊◊
Wer sich in alten Tagen bekehrt
Und wieder in den Schafstall flieht,
Der sei zufrieden, wenn man ihn schert,
Das Fell ihm über die Ohren zieht.
◊◊◊
Unschuld, die von Unschuld weiß,
Steht bei mir nicht hoch im Preis.
◊◊◊
Du irrst auf Erden als Gespenst,
Bis du dich endlich selbst erkennst.
◊◊◊
Hast vergessen du die Schuld auch,
Sie vergißt dich wahrlich nicht,
Plötzlich taucht aus tiefstem Abgrund
Ihr Medusenangesicht.
◊◊◊
Überall, wo Sonne leuchtet
Zeigt sich dir der Schönheit Fülle,
Größe zeigt der Glanz der Sterne
In der heil'gen Nächte Stille.
Doch Erhabenheit wird krönen
Dich mit ihrem Diademe,
Wenn du mutig und entschlossen
Niederwirfst des Bösen Feme.
◊◊◊
Aus der Affenperspektive
Zeigt die Welt sich schöner, weiter,
Als sub specie aeterni
All der treuen Gottesstreiter.
◊◊◊
Vor dem blöden "Ichgeheule"
Toll geword'ner Paviane
Schweigt das Grundgesetz der Menschheit,
Sinkt der Liebe heilige Fahne.
◊◊◊
Klagst du über all die Schufte
Tag für Tag, — das ändert nie,
Aber du bist nicht verpflichtet
Auch ein Schuft zu sein wie sie.
◊◊◊
Wir schätzen dich du edler Greis!
Es sank ins Grab ja das Geschlecht,
Das du bestohlen und entehrt,
Dem du gebrochen Pflicht und Recht.
◊◊◊
Nie sollst du mit deinem Selbst
Zahlen deine Zechen,
Das versteht der Pöbel nicht, —
Besser ist es — blechen!
◊◊◊
Wenn ihr tollt die langen Nächte,
Wenn ihr schlaft die langen Tage:
Daß euch nichts die Sonne nütze,
Habt ihr wohl ein Recht zur Klage!
◊◊◊
Wenn das wär' nicht wär',
Wär' das ist nicht schwer.
◊◊◊
Bist du jung, so greife frisch
In die Wirklichkeit,
Wirst du alt, dann sei sie dir
Zum Symbol bereit.
◊◊◊
Wenn du in das Wasser fällst,
Kommen sie gelaufen:
"Dreh' die Arme so und so,
Sonst wirst du ersaufen."
Eh' du schwimmen noch gelernt
Bist du schon ertrunken,
Zu des Wassers tiefstem Grund
Längst hinabgesunken.
◊◊◊
Christus preist ihr, seine Sanftmut,
Seine reine Menschenliebe, —
Daß er endlich wiederkäme
Aus dem Tempel euch vertriebe!
◊◊◊
"Heute so und morgen so —
Jeden Tag ein andrer!"
Heute hier und morgen dort —
Ja ich bin ein Wandrer!
◊◊◊
Stets unter anderm Namen
Bringt ihr den gleichen Wein,
Heut schenkt ihr ihn im Glase
Im Humpen morgen ein.
◊◊◊
Beruft euch vor der ganzen Welt
Auf euer scharf Gesicht,
Ihr seht Athenes Eule nur,
Die Göttin selber nicht.
◊◊◊
Tief im Fühlen, hoch im Denken,
Fest bei allen Wetterschlägen,
Mild dem Schwachen, stolz dem Frechen
Sollst du dich zum Manne prägen.
◊◊◊
Der Himmel trennt uns und die Hölle,
Wie können wir uns je versteh'n?
Noch einen Blick, dann laß uns scheiden,
Für immer auseinander geh'n.
◊◊◊
Unbewußt im weiten Himmel
Wandeln Sterne ohne Zahl,
Du ein Staub an Staub gebunden
Fühlst des Lebens Lust und Qual.
◊◊◊
Es sind versiegelt seine Lippen,
Vernäht mit Eisenfäden,
Er sah des Lebens Höllentiefe
Und darf davon nicht reden.
◊◊◊
Daß du dein Ich nicht retten kannst,
Ergreift dich Gram und Zorn.
Verduft' auf dem Altar des All
Als wie ein Weihrauchkorn.
◊◊◊
Das Dasein ist ein Schattenspiel
Auf eines Vorhangs Wand,
Ob er den Tod, das Leben birgt,
Nicht hebt ihn deine Hand.
◊◊◊
Ob ein Stern vom Himmel fällt
Eine Wog' am Strand zerschellt:
Was geschieht, das muß geschehen,
Mag's dir auch zu Herzen geh'n.
◊◊◊
Was heut nicht ist, kann morgen sein,
Doch täglich bleibt die gleiche Pein.
◊◊◊
"Du liebtest einst die holden Frauen
Und schimpftest auf die schwarzen Pfaffen!"
Jetzt bin ich reif, es geben beide
Mir nichts im Ernste mehr zu schaffen.
◊◊◊
"Könnt' ich in die Zukunft schauen,
Um darauf mich zu bereiten!"
Nun, der Tod der Schluß des Ganzen
Ist gewiß zu allen Zeiten.