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IV.
Ästhetisch

 


Der Geist, der über den Wassern schwebt,
Der hat die Wasser auch belebt;
Ihr ertränkt im Wasser den Geist
Und klagt, daß er sich nicht beweist.
◊◊◊
Frische Semmeln soll der Bäcker
Jeden Morgen bringen,
Frische Lieder eu're Dichter
Jeden Frühling singen.
Altgebacken werft ihr jene
Abends auf die Seite,
Dreht im Herbst zu Papilloten,
Was im Lenz erfreute.
◊◊◊
Meter baut an Meter sich
Auf zum hohen Berge,
Keinen Dichter geben noch
Tausend Dichterzwerge.
◊◊◊
Der Zeus des Phidias verschwand,
Was blieb uns denn von Zeuxis Hand?
Deswegen nicht geklagt, gemault,
Wenn dir ein Manuskript verfault.
◊◊◊
Die Sterne leuchten nur dem Aug', das sieht,
Die Blumen blühen nur dem Aug', das sieht,
Warum beklagt ihr euch, ihr armen Blinden,
Daß euer Aug' nicht Sterne, Blumen sieht?
◊◊◊
Kupfermünzen, schlecht' Gepräge, —
Bessres hast du nicht zu zahlen,
Aber auch mit einem Sack voll
Sollst du nicht als Krösus prahlen.
◊◊◊
Wer den Dichter will verstehen,
Muß in seiner Zeit ihn sehen.
◊◊◊
Malst du mit der Schminke dir
Jugend ins Gesicht?
Farben nur, kein Leben ach! —
Ein modern Gedicht.
◊◊◊
Richte Netz und Ruthen fein,
Keine Feder geht dir ein,
Setz' dich selbst ins Vogelhaus
Und ein Gimpel schaut heraus.
◊◊◊
Witzle, wenn dir Witz gebricht, —
Faules Holz, das brennt uns nicht!
◊◊◊
Ein Lied, das sich nicht selber dichtet,
Das ist zum vorhinein gerichtet.
◊◊◊
Willst du eherne Bilder gießen,
Muß das Erz im Feuer fließen.
◊◊◊
Sie singen nicht, sie schnattern bloß
Und können auch nicht fliegen,
Laß von den bunten Federn dich
Nur nicht, o Freund! betrügen.
◊◊◊
Wenn im leichten Schwunge sich
Hellas Musen drehen,
Willst auf Platens Stelzen du,
Grober Reimschmied gehen?
◊◊◊
Wenn du stotterst, wenn du stammelst,
Schlechte Reim' in Strophen sammelst,
Sollen wir's Naturlaut heißen,
Dich wohl gar als Meister preisen?
◊◊◊
Stimmung leihen Wind und Wetter,
Frische Blüten, welke Blätter,
Aber Stimmung, armer Wicht,
Ist noch lange kein Gedicht,
Wie das Salz in seiner Lauge
Als Kristall nicht glänzt dem Auge.
Stimmung soll im Liede walten,
Phantasie nur kann's gestalten.
◊◊◊
"Der ist größer, der ist kleiner,
Nicht ist er der unsern einer!"
Laßt die Enkel doch entscheiden,
Wer der größere von beiden.
◊◊◊
Der Tod reißt dir die Trompete vom Maul,
Du kannst dich nicht mehr verkünden,
So fahr' denn in die Grube hinab
Mit deinem Ruhm, deinen Sünden.
◊◊◊
"Uns ist ja Kolophonium
Genug für einen Blitz!"
Ja wo es an Ideen fehlt,
Da hilft ein schaler Witz.
◊◊◊
Der Herr hat den Philistern einst
Den Witz als Prediger geschickt,
Sie wollten widerlegen ihn
Und haben ihn im Fett erstickt.
◊◊◊
Ihr tragt, wie die Kühe, die Glock' am Hals
Ihr Literaten von heute,
Und wenn ihr euch selber schellen hört,
So seid ihr berühmte Leute.
◊◊◊
Edle Musikanten streicht
Lustig eure Fiedel,
Hilft es, wenn vor Tauben ihr
Spielt die schönsten Liedel?
◊◊◊
Wenn Natur die Kunst vermißt,
Oder Kunst Natur vergißt: —
Soll für eines ich entscheiden,
Würd' ich gern das zweite meiden.
Wer die Skizze nicht zu deuten vermag,
Für den wird's nie und nimmer Tag.
◊◊◊
Wenn dich, was platt und trivial,
Bedrängt in diesem Jammertal,
So flieh' zu der Natur und den Alten,
Dann magst du wieder in Freiheit schalten.
◊◊◊
Die Alten ergreife nicht ohne Wahl,
Und richte nicht nach der Jahreszahl,
Wer rein die Welt erfassen mag,
Braucht im Kalender nicht Stunde, noch Tag.
◊◊◊
Wo Rafael und Goethe steht,
Es wie die Luft aus Hellas weht.
◊◊◊
Witzeln, blitzeln! — warum nicht?
Euch gilt dieses als Gedicht.
◊◊◊
Wie seid Ihr in die Kunst verliebt,
Wenn sie nur keinen Inhalt gibt!
◊◊◊
Kieselsteine, Hobelspäne,
Blumenknospen, rohes Kraut —
Euer Magen hat's vertragen,
Aber leider nicht verdaut.
◊◊◊
Trägt Euch vorwärts das Genie?
Ach, zum bittern Hohne
Könnt Ihr Euch bewegen nicht
Ohne die Schablone.
◊◊◊
Dein Witz und die Zote
Reichen sich die Pfote.
◊◊◊
Amor auf dem Schwein laß stechen dir als Siegel,
Druck's deinen Werken vor, es ist dein treuer Spiegel.
◊◊◊
Damendichter, Damenschneider, —
Einer wie der andre — leider!
◊◊◊
Das süße Lied der Nachtigall,
Das gibt bei Nacht gar hellen Schall,
Was kümmert's euch? Im warmen Nest
Verkriecht ihr euch und schnarchet fest.
◊◊◊
Das Verneinen wird dich nicht
In der Welt erhalten,
Willst du bleiben, mußt du noch
Schöpferisch gestalten.
◊◊◊
Von dem ewig weiblichen
Habt ihr g'nug gesungen
Mit dem ewig männlichen
Ist's euch stets mißlungen.
◊◊◊
Ihr ließet unbeachtet zieh'n
Den Dichter seine Bahn,
Jedoch zum Leichenschmause nehmt
Ihr seinen Nachlaß an.
◊◊◊
"Hast du schon längst erfahren,
Daß Dich niemand liest."
Mich erfreut's die Form zu bilden,
Eh' der Sinn zerfließt.
◊◊◊
Ob gefällig zu den letzten,
Ob ihr mich auch gar nicht zählt,
Immerhin! ihr seid nur Nullen,
Denen vorn die Einheit fehlt.
◊◊◊
Wer da wächst aus eigner Kraft,
Ist kein Epigone,
Mag er wurzeln noch so tief
In der Menschheit Tone.
◊◊◊
Daß er Vater, Mutter hat,
Wollt ihr es denn tadeln?
Dürfen nicht den wackren Sohn
Wackre Väter adeln?
◊◊◊
Wer sich in die Tiefe wagt,
Kann gar leicht ertrinken,
Während Lorbeerkränze nur
Aus der Höhe winken.

Willst du sie gewinnen leicht,
Folge nur der Mode,
Freilich auf dem Gipfel selbst
Dient er nur dem Tode.
◊◊◊
Grunzt nach Kräften fort und fort,
Dieses wird euch frommen,
Stirbt von Schweinen ein Geschlecht,
Wird ein andres kommen.
◊◊◊
Könnten wir ein zweites Mal
Dieses Leben leben,
Würd' es wohl den gleichen Schluß
Wie das erste geben.
◊◊◊
Du bist der Spiegel und das Bild darin,
Ein Gleichnis ist's, erfasse seinen Sinn.
◊◊◊
Auf die süße Lust das bitt're Leid,
Du sollst es mutig tragen.
Doch heftet sich daran der Schmutz,
Hast du ein Recht zu klagen.
◊◊◊
Gut ist es, der Väter Schatz
Weise zu verwenden,
Besser noch, wenn du ihn mehrst
Mit den eignen Händen.
◊◊◊
Was die Väter dir vermachen,
Ist als Werkzeug nur ein Pfand,
Lerne kräftig es benutzen,
Dann bringt Früchte dir das Land.
◊◊◊
Hast den Acker du geschaffen,
Den du furchst mit deinem Pflug?
"Wahrlich nein, daß ich ihn baue,
Gilt für Menschenkraft genug."
◊◊◊
Blütenzweige lassen zwar
Sich als Ruten brauchen,
Doch in schnödes Eselsblut
Sollst du sie nicht tauchen.
◊◊◊
Kunstausstellung! wo die Kunst
Hintritt vor die Welt,
Wie Pilatus Christum einst
Vor das Volk gestellt.
◊◊◊
Der gemalte Bierkrug gleicht
Ganz dem in natura,
Aus dem goldnen Rahmen glotzt
Protz dort in figura.
◊◊◊
Großer Meister! Phryne schmiegt
Ihre geilen Glieder
Und der feile Pinsel singt
Seine Zotenlieder.
◊◊◊
Der Prophet, die alte Kunst
Fuhr im Feuerwagen,
In der Kutsche läßt sie sich
Auf den Markt jetzt tragen.
◊◊◊
Etwas ist ein Purzelbaum
Graziös geschlagen,
Das hat manchem Dichter schon
Geld und Ruhm getragen.
◊◊◊
Wer hält wohl dem welken Blatt
Eine Leichenrede?
Was lebendig tot, wozu
Künden ihm die Fehde.
◊◊◊
Noch hat kein Rhetor sich gezeigt
Der farbenschwülstig klext,
Daß nicht sogleich ein Lorbeerkranz
Aus Löschpapier ihm wächst.
◊◊◊
Nur der Klatsch will euch behagen,
Die Satyre nicht,
Dort steht ihr bei euresgleichen,
Hier vor dem Gericht.
◊◊◊
Was staunst du, daß so mächtig
Der Strom des Beifalls sei?
Die Schweine grunzen freudig
Bei jeder Schweinerei.
◊◊◊
Wer sich duckt vor euren Schrullen,
Wer sich fügt in eure Moden,
Diesen wickelt ihr in Seide,
Mir jedoch laßt meinen Loden.
◊◊◊
Willst du dich mit uns vergleichen?
Schau, wie wir dich überragen:
Freilich! denn ihr geht auf Stelzen,
Wo mich nur die Füße tragen.
◊◊◊
Von innen leuchtet nur das Licht,
Das sich von außen in dir bricht.
◊◊◊
Wenn du ihn in die Hölle sperrst, —
Der Genius ist ein Geist!
Er hat doch seine Mitternacht,
Wo er bei Sternen kreist.
◊◊◊
Sie geigen, singen und posaunen; —
Verduseln sie den Tag dabei,
Denn rühmen sie sich selbstgefällig,
Daß dieses Geistesarbeit sei!
◊◊◊
Der rechte Mann, der rechte Stoff,
Da schlägt es auf in Flammen,
Wie selten ist's auf dieser Welt,
Daß beides trifft zusammen.
◊◊◊
Zwar nützt nicht viel der Erfahrungssatz,
Doch sollst du vergessen ihn nie:
Meist bringt es weiter das halbe Talent,
Als je das ganze Genie.
◊◊◊
Trifft der Stahl den Kieselstein,
Stieben helle Funken,
Schlägst du in den Sumpf, so ist
Jeder Schlag versunken.
◊◊◊
Im Anfang war das Wort,
Nun schwemmt's die Tinte fort.
◊◊◊
Wer dem Schönen opfert, muß es,
Daß die Flamm' ihn streife, tragen,
Oder stumpf, gleich einem Tiere,
Diesem Gottesdienst entsagen.