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V.
Mystisch

 


"Warum zählst du den Sand am Meer?
Er wird dich noch ersticken!"
Warum vergeudest du die Zeit
Um Spruch an Spruch zu flicken?
◊◊◊
Dem Esel ist ein Dreieck nur,
Das Dreieck, das er sieht,
Wenn rechnend ein Pythagoras
Daraus den Lehrsatz zieht.
◊◊◊
Das Wesen der Dinge bleibt sich gleich,
Da gibt es kein Mehr und kein Minder,
Doch ändern von Stunde zu Stunde nur
Ihr Urteil Narren und Kinder.
◊◊◊
Umwerten ja! — die Sache bleibt,
Ob anders ihr den Namen schreibt.
◊◊◊
Das Büblein bückt sich, schaut die Welt
Durch die gespreizten Beine
Und demonstriert klar und bestimmt,
Daß richtig sie erscheine.
◊◊◊
Tausend und mehr tausend Würmchen
In des Wassertropfens Schoß! —
Mit dem Mikroskop besehen, —
O wie sind sie riesengroß!
◊◊◊
Der Berg, aus dem der Fluß entspringt,
Liegt einst als Sand im Meere,
Dann steigt ein neuer Berg empor,
Daß alles wiederkehre!
◊◊◊
Du bist ein freier Denker ja!
Und bleibst es ohne Wanken,
Doch eines fehlt dir stets dabei:
Es fehlen die Gedanken!
◊◊◊
Auch ohne des Zirkels Quadratur
Faßt Kreis und Viereck das Gleiche nur.
◊◊◊
"Nur ein Haar trennt unser Denken,
Also sind wir auch die Gleichen!"
Über dieses Haar weg können
Wir uns nie die Hände reichen.
◊◊◊
"Der Guß paßt in die Form hinein!"
Soll er das "Ding an sich" wohl sein?
◊◊◊
Schmelzt ihr zusammen Gold und  Blei,
So ist es Eins und dennoch zwei.
◊◊◊
Metaphysik, — kündet's allen,
Ist dem Tode jetzt verfallen,
Zu der Leichenfeier laden
Sich nun ein die kleinen Maden.
◊◊◊
"Sag mir Weiser! was ich soll? —
Eine Antwort wird dir leicht,
Sag mir Lieber! was du bist!
Und ein jeder Zweifel weicht.
◊◊◊
Du mußt mit deinem Ich bezahlen,
Wenn sich ein Ich dir eignen soll,
Was die Natur getrennt, ertönen
Wird's im Akkord dann rein und voll.
◊◊◊
Dein Ich empfindest du als Schranke
Um in das All ganz zu zerfließen,
O Augenblick der Auferstehung,
In ihm wirst du dich ganz genießen.
◊◊◊
Ursache, Wirkung! unendliche Kette,
Wenn nur die Lieb' einen Platz darin hätte.
◊◊◊
Hast du es gründlich wohl bedacht:
Das Dasein ist für sich schon Macht.
◊◊◊
"Die Zeit ist's, welche schafft,
Was braucht's Verstand und Rat?" —
Nur eins bedenke noch:
Wenn eben Zeit sie hat!
◊◊◊
"Das Chaos ist ein wüster Traum!"
Ich zieh' es vor dem leeren Raum.
◊◊◊
Wenn du den Raum auch überspringst,
Gib Acht, ob du die Zeit bezwingst.
◊◊◊
Ihr müßt euch als eins und zwei erkennen,
Dann werdet ihr erst in Lieb' entbrennen.
◊◊◊
Dogma hin und Dogma her,
Laßt die Qualität,
Gleich ist's, ob sich der von links,
Der von rechts sich dreht.
◊◊◊
Die Wahrheit sucht das Wunder nicht,
Sie ist durch sich bewiesen,
Und gibt's ein Wasser irgendwo,
So wird es abwärts fließen.
◊◊◊
Ohne Glauben gläubig, —
Löst den Widerspruch!
Müßig und doch tätig
Ist das nicht ein Fluch?
◊◊◊
Sie haben einen Gott geschaffen
Und machen sich zu seinem Pfaffen!
◊◊◊
Aus der Liebe stammt der Glaube
Und die Hoffnung aus dem Glauben,
Hast du eines, kann die andern
Keine Teufelsfaust dir rauben.
◊◊◊
So ist es ja! — Das Hier und Dort
Das muß sich immer gleichen,
Doch könnt ihr stets in Raum und Zeit
Beschränktes nur erreichen.
◊◊◊
Warum durch die ganze Welt
Auf der Suche wandern?
Jeder Punkt ist Mittelpunkt,
Einer gleicht dem andern.
◊◊◊
Was von selber wachsen soll,
Könnt ihr euch nicht geben,
Denn zum Leben braucht es Eins: —
Und das ist das Leben.
◊◊◊
Willst du wägen, mußt die Schalen
Stellen du ins Gleichgewicht,
Nieder stürzt dir sonst die andre
Und die Waage selbst zerbricht.
◊◊◊
Zwischen rechts und links entscheidet
Prüfend die Gerechtigkeit,
Nur die Liebe kann versöhnen,
Daß er ruht, der wilde Streit.
◊◊◊
Wollt ihr Übermenschen züchten?
Aus dem Chaos springt der Geist,
Der aus ihrer dumpfen Schwere
Wieder auf die Menschheit reißt.
◊◊◊
Recht hast du, o Zarathustra,
Und prophetisch klingt dein Wort:
"Werdet hart!" — nicht die Latwerge,
Oft nur hilft das Schwert uns fort.
◊◊◊
Sei zuvor dein eig'ner Richter,
Dann erst darfst du andre ächten —
Unerbittlich! — Nie gebührt ja
Da zu sein ein Recht dem Schlechten.
◊◊◊
Ein Asket muß stumm ertragen
Unrecht, Schande, Not und Blöße:
Als ein edler Gottesstreiter
Sollst bekämpfen du das Böse.
◊◊◊
Wirf das Böse frisch ins Feuer,
Daß es lohend sich verzehre,
Mag ihm folgen auch der Böse, —
Und so gibst du Gott die Ehre.
◊◊◊
Michael, der Fürst der Engel,
Hat den Teufel nicht gebeten
"Geh' hinaus vom Himmel!" — sondern
Mit den Füßen ihn getreten.
◊◊◊
"Alles ist erlaubt!" — Wer zweifelt?
Wenn du selbst die Grenze siehst,
Die Natur dir vorgezeichnet,
Nicht ins Schrankenlose fliehst.
◊◊◊
Frevel! die kein Flug erflogen, —
Auf die Bahn willst du dich wagen!
Eh' gefunden du die Lösung,
Hat dich schon der Blitz erschlagen.
◊◊◊
Zarathustra! — Tief're Trauer
Hat mich niemals noch bezwungen,
Als ich sah, wie dich der Abgrund
Rettungslos hinabgeschlungen.
Eine helle, lichte Sonne,
Die den Scheitel nicht erstiegen!
Warum mußtest du dir selber,
Deinem eignen Geist erliegen?
◊◊◊
Wo du liegst, — geweihten Boden
Tret' ich nur mit bloßen Füßen;
Mit dem Lorbeerzweig Apollons
Will ich deinen Staub begrüßen.
◊◊◊
Eingesprengt ist diese Tür,
Vor der zweiten bangen wir.
Ist auch diese weggestemmt,
Und schon eine dritte hemmt!
◊◊◊
So geht's ohne Gnade fort:
Keiner  hört das letzte Wort.
◊◊◊
Für's Ewige gilt nur das Symbol,
Ein jedes Bild ist leer und hohl.
◊◊◊
Was du nicht siehst, ist transzendent,
Ein anderer nennt es immanent.
◊◊◊
Habt ihr wohl einen Zeiger geseh'n,
Der ohne Uhrwerk könnte geh'n?
◊◊◊
Unendlich läßt kein Plus noch Minus zu
Drum ist die Ewigkeit in ew'ger Ruh.
◊◊◊
Unendlich oft nur Endliches addieren,
Wird nimmer ins Unendliche dich führen.
◊◊◊
Ihr stoßt an's Mystische überall
Und leugnet es doch von Fall zu Fall.
◊◊◊
Dem Ewigen wollt ihr euch entzieh'n?
Kann je der Schatten dem Körper entflieh'n?
◊◊◊
Das Eins im All' begreif' ich nicht,
Das All' im Eins ist helles Licht.
◊◊◊
Was ist das Ganze? — Gebt mir Rat,
Wenn nichts hat, der das halbe hat.
◊◊◊
Wie ist's mit eurer Logik bestellt,
Wenn Ursache und Wirkung zusammenfällt?
◊◊◊
Wo Denken ist Notwendigkeit,
Da ist es auch das Wollen,
Im Absoluten ist es Eins,
Für euch ist nur das Sollen.
◊◊◊
Zu "Bedingt" von "Unbedingt"
Führt kein Irisbogen,
Und den umgekehrten Pfad —
Wer ist ihn geflogen?
◊◊◊
Nur was sich selber das Gesetz,
Ist nicht in sich zerrissen,
Und wo sich Göttliches vollzieht,
Das muß auch von sich wissen.
◊◊◊
Ein Sein, das die Unendlichkeit erfüllt
Und niemals sich in Zeit und Raum verhüllt!
◊◊◊
Ein Sein, das ewig sich in sich gefällt
Und dennoch setzt nach außen eine Welt.
◊◊◊
Ein Sein, das weder gut noch böse kennt,
Wenn in der Welt sich gut und böse trennt.
◊◊◊
Ein Sein, als wie die Ewigkeit so stille
Und seit der Ewigkeit doch Kraft und Wille.
◊◊◊
Wo fängt sie an, wo endet sie — die Kraft,
Die sich ihr Wesen aus sich  selber schafft?
◊◊◊
Der Strom, der aus der Ewigkeit
In dieses Leben fließt,
Ruht nur, wenn in die Ewigkeit
Er wieder sich ergießt.
◊◊◊
Das Ahnen ist Erinnerung,
Die in die Zukunft schaut:
Es ist der Morgenstern, den du
Als Abendstern geschaut.
◊◊◊
Die Frage nach Unendlichkeit
Ist eine Antwort schon,
Denn wer sie wagt, — auch unbewußt
Steht er vor ihrem Thron.
◊◊◊
Das X, das sich uns überall
Geheimnisvoll entgegenstellt,
Wenn ihr's mit tausend Namen nennt, —
Schafft ihr's damit wohl aus der Welt?
◊◊◊
Du träumst? — O träume! — Deine Träume sind
Nur Schatten einer andern Welt,
Die hoch und fern an die vorüberzieht,
Und so in dein Bewußtsein fällt.
◊◊◊
Ob's Teufel gäbe? — Nein und ja!
Das Teuflische ist leider da.
◊◊◊
Siehst du vom Kreise nur ein Trumm,
Ist's eben eine Linie krumm;
Daß sie sich selbst zur Einheit schließt,
Erkennt nur, wer das Ganze mißt.
Bekrittelt nicht als ein Fragment,
Was ihr als Ganzes nicht erkennt.
◊◊◊
Das hier ein dort,
Das ich ein du!
Was suchst du noch?
O gönn' dir Ruh.
◊◊◊
Was zeitlos ist zu jeder Zeit,
Dem sei dein Sinn, dein Herz geweiht.
◊◊◊
Dein Wissen gleicht nur dem Blitze der Nacht,
Es hat noch niemand Erleuchtung gebracht!
◊◊◊
Was ist Wahrheit? Brünstig falten
Sich zum Himmel tausend Hände.
◊◊◊
Daß er zum
rorate coeli
Gnädig den Erlöser sende.
◊◊◊
Was als selige Gewißheit,
Was du ahnest, sich erwahren!
Eure Dogmen, Syllogismen
Sind wie Spreu im Wind zerfahren.
◊◊◊
Was ist Wahrheit? — Sie zu suchen —
Selig ist's mit tausend Wunden!
Fällst du auch auf halbem Wege,
Hast Erlösung du gefunden.
◊◊◊
Ob ihr's so, ob anders meint, —
Was erscheinen kann, das scheint.
◊◊◊
Du willst die Macht, so will auch ihre Grenzen,
Die ihr Natur, das Leben ihr gestellt,
Daß sie am Fels des heiligen Gesetzes
Nicht machtlos durch die eigne Schuld zerfällt.
◊◊◊
Wenn der Pendel rechts sich schwingt, —
Daß er links sich wende!
Bleibt er in der Mitte steh'n,
Ist es auch zu Ende!
◊◊◊
Sich im Unendlichen erkennen:
Das magst du Auferstehung nennen.
◊◊◊
Wer sich in's Ewige befreit,
Für den ist weder Raum, noch Zeit.
◊◊◊
Das ewig männliche
Bricht uns die Bahn,
Das ewig weibliche
Zieht uns hinan.
◊◊◊
Im Abgrund der Unendlichkeit,
Da ruht auf ewig jeder Streit.
◊◊◊
Die Sprüche sind so dunkel nicht,
Erleuchtet sie von innen,
Dann werden, wie ein Transparent,
Sie Farb' und Glanz gewinnen.