Gott
Ob ein Gott im Weltall walte,
Ob nicht Zufall, kalt und blind,
Über Menschen-Schicksal schalte? —
Ob wir auch unsterblich sind? —
Würmchen in dem Wassertropfen!
Blick'st empor zum Sternenlicht,
Fühlest deines Pulses Klopfen,
Aber weiter sieh'st du nicht! —
Stäubchen in den Sonnenstrahlen!
Sprich, wo ist des Raumes Ziel? — —
Nenne mir der Jahre Zahlen,
Bis der Hammer niederfiel?— —
Kannst du nicht den Blick entsenden
In die unermeß'ne Fern' —
Messen nicht der Welten Enden,
Lüften nicht der Erde Kern? —
Hemmen nicht des Erdball's Flügel? —
Binden nicht der Blitze Strahl? —
Lähmt ein kleiner Rasenhügel
Deine Riesenpläne all? —
Kannst du nicht dem Halm gebieten,
Daß er aus der Erde schießt? —
Und den Blumen, daß sie blüh'ten? —
Und dem Zweige, daß er sprießt? —
Und dem Falter, daß er schwebe
Auf des Blattes grünem Rand,
Oder träufeln in die Rebe
Nektar mit der Schöpferhand?
Kannst du kein Atom vom Staube
An des Daseins Leuchte zieh'n? —
O so sinke hin und glaube —
Alles dies geschieht durch Ihn! —
Das "Vater unser" am Morgen
Auf! rüste zum Tagwerk von Neuem die Glieder,
Hebe das Auge zum freundlichen Rot,
Blick' in die Sonne, sie leuchtet dir wieder,
Siehe, dein Leben beschützte ein Gott!
Blick' auf die Matten, sie grünen vom Neuen,
Blicke zum schimmernden Äther empor,
Sieh', wie die Wesen am Dasein sich freuen,
Horche der jubelnden Luftsänger Chor!
Lerchen-Gewirbel — Wälder-Erbrausen —
Wolken-Gewimmel — Wellen-Getos —
Freuden-Gesänge aus menschlichen Stimmen:
Vater! Dein Name ist heilig und groß!
Groß ist dein Name! von Erdball zu Erdball
Künd' ihn dem Sterne der wandelnde Stern;
Was ist der Mensch? daß du sein dich erbarmest,
Ach, nur ein Hauch aus der ewigen Fern'.
Dort, wo des Sirius Flammen sich drehen
Und um die Sonne von Sonnen ein Heer,
Dort ist dein Reich, und die endlosen Grenzen
Sind nur der Ewigkeit endloses Meer.
Laß in dem Lichtstrahl der Gottheit uns sonnen,
Schenk' ein Atom deines Glanzes dem Wurm;
Laß uns zukommen das Reich deiner Gnade,
Du, der da wandelt in Wetter und Sturm.
Du, dessen Blicke wie Strahlen des Lichtes,
Du, dessen Liebe den Erdball erhellt,
Du, dessen Odem die Räume durchwehet,
Du, den nicht messen kann Himmel und Welt!
Siehe, die Räume mit Strahlen sich füllen —
Siehe, den Erdball in Trümmern verweh'n
Herr, es geschehe dein heiliger Wille!
Wie er in ewigen Räumen gescheh'n!
Was ist der Staub, an die Scholle gebunden,
Was ist das Fünkchen, der Gottheit entstammt;
Darf deinem Throne ein Flämmchen wohl nahen,
Das nur dein Odem zum Leben entflammt? —
Siehe, wir flehen vom Tale der Leiden,
Höre, wir bitten nach deinem Gebot;
Gib uns, das irdische Leben zu fristen,
Gib uns, o Vater, das tägliche Brot!
Groß ist das Schuldbuch der sündigen Erde,
Größer noch deiner Erbarmnisse Heer,
Laß uns verzeih'n — daß vergeben uns werde!
Brüder, die Hand die versöhnende her!
Aber der Stürme erbrausen so viele,
Hier in dem Tale der Prüfung und Not;
Sende, o heilige Vorsicht, die Leuchte,
Die uns bewahre vor Sünde und Tod!
Und wird die Stunde, die ernste, erschallen,
Wo mit dem Erdgeist der himmlische ringt;
O so vernimm unser hoffendes Lallen,
Das durch die Wolken zum Weltthrone dringt:
Laß nicht vergebens uns klagen und weinen,
Wenn zu dem Vater sich wendet das Kind;
Und von dem Übel erlöse die Deinen,
Bis wir bei dir in dem Vaterhaus sind! —
Lebens-Puls
Wenn hoch am fernen Himmelsbogen
Der Wetterstrahl herniederfährt,
Und wie ein wütend Heer die Wogen
Der fessellose Strom entleert,
So baue fest! die Nacht wird licht:
Der Herr verläßt die Seinen nicht!
Wenn dich die Welt voll Spott verachtet;
Und dein Gebet nur Torheit schilt,
Nach deines Herzens Frieden trachtet,
Weil du getan, was Gott befiehlt:
So tue dennoch deine Pflicht,
Der Herr verläßt die Seinen nicht!
Wenn du am Grabe deiner Lieben
Mit tränenfeuchtem Auge steh'st,
Und nur die Sehnsucht dir geblieben,
So zage nicht, und glaube fest:
Er, der des Leidens Krone flicht,
Der Herr verläßt die Seinen nicht!
Wenn einst mit stillem Friedensblicke
Der Engel mit der Palme winkt,
Und dir den Ruf zum ew'gen Glücke,
Zum sel'gen Eden Gottes bringt,
So denk' noch, wenn dein Auge bricht:
Der Herr verläßt die Seinen nicht!
Menschen-Eitelkeit
Daß Menschen in die Grüfte fahren,
Und seine Lese hält der Tod,
Das ist seit grauen Schöpfungs-Jahren
Ein unveränderlich Gebot;
Wie, wenn vom Tode nun bezwungen
Der Menschen Ephemeren-Schar —
Der letzte Mensch hab' ausgerungen
Und hingeschieden sei, was war —
Soll nun, weil Menschen Staub geworden,
Und Keiner mehr das Weltall schaut,
Der Meister schließen seine Pforten,
Die er aus tausend Sternen baut? —
Soll sein Gedanke nicht beleben
Mehr diesen endlos weiten Raum,
Weil da ein Wurm sein Schattenleben
Verträumt im kurzen Lebenstraum? — —
Und soll sein Odem durch die Kreise
Der Welten nicht mehr schaffend weh'n,
Weil wir am Ziel der kurzen Reise
An unserm Grabeshügel steh'n?
O Eitelkeit der Eintagsfliege!
O Blindheit menschlicher Natur,
Du glaubst, wenn dieses Herz nicht schlüge,
So stünde still die Weltenuhr!
Du wirst schon längst im Grabe modern,
Im Staub verwehen dein Gebein,
Wenn still noch jene Flammen lodern,
Die er grub in die Himmel ein!
Geschlechter werden sich verdrängen
Und Nationen nicht mehr sein,
Der Irrstern ruh'n auf seinen Gängen,
Sandkörner sich zu Bergen reih'n,
Planeten werden auch zerstäuben
Und Flammen-Sonnen still verglühn,
Nur er allein wird ewig bleiben,
Und die ihn lieben auch durch ihn!
Die Kirchweihe
Strahlend, wie am Schöpfungs-Morgen,
Steigt empor das Taggestirn,
Küßt den düstern Nebel-Schleier
Von des Berges Felsen-Stirn.
Hört ihr dort im weiten Tale
Heil'ger Glocken-Feier-Klang?
Seht ihr dort die frohe Menge,
Wem erschallt ihr Jubelsang?
Seh't dies bunte Volks-Gewimmel
Andachtsvoll den Berg sich nah'n —
Wird ein Eden, wird ein Himmel
Tausenden hier aufgetan?
Zieht ein König in die Hallen
Seiner neu erbauten Stadt?
Glänzt ein neuer Stern am Dome,
Reifet eine zweite Saat?
Clio's Buch liegt aufgeschlagen,
Gold'ne Worte gräbt sie ein:
Ja, es zieht ein großer König
In geweihte Hallen ein!
Ja, es wird ein Eden Gottes,
Wird ein Himmel aufgetan,
Tausend frohe Herzen stimmen,
Weltenfürst! dein Lob dort an.
Ja, es glänzen neue Saaten,
Und es strahlt ein neuer Stern
Blinkend im Rubinenlichte,
Wie aus weiter Ätherfern!
Einen neuen Friedens-Tempel
Hat der Ew'ge sich erbaut,
Zieht in sein geweihtes Kirchlein,
Das vom hohen Felsen schaut.
Tief verschlossen in den Grüften
Legte frommer Christen Schar
Einst das schönste Liebesopfer
Auf den kleinen Weihaltar.
Nicht der Welterob'rer Ketten,
Der Arena Leuen nicht
Beugten diese Felsenherzen,
Löschten nicht des Glaubens Licht!
Und sie waren schwache Menschen,
Waren Menschen — so wie wir —
Ihnen rief kein sanftes Glöcklein — —
Auf! was Christ heißt folge hier!
Nicht in Lüften darf verhallen,
Heil'ge Glocke! dein Getön,
Spät noch muß in Aller Herzen,
Was du dort geklungen, steh'n.
Sinke Mensch vor seiner Größe,
Stammle weinend: "Staub bin ich!"
Hörst du dort das Glöcklein rufen,
Stammle dankend: "Christ bin ich!"
Spät noch in der Nachwelt Jahren
Tönt dies Glöcklein silberrein,
Ladet zu dem heil'gen Male
Arm und reich als Bruder ein!
Wenn der großen Welten-Urne
Wird entsunken sein manch' Jahr,
Wenn dies große Spiel verklungen,
Erde wird, was Erde war,
Wenn wir Alle ausgelitten,
Ausgerungen, ausgefreut;
Fürsten, Bettler, Sklaven, Weise,
Einen wird die Ewigkeit. —
Wenn in seinem Sternenglanze
Zählen wird der Hirt die Schar,
Und durch dies Asyl manch' Schäflein
Seinem Herrn gerettet war:
Dann wird noch dies Glöcklein läuten,
Wie mit leisem Geisterten:
"Segen dem, der diese Tore
Öffnete, und — ew'gen Lohn!"
Lebens-Täuschung
Dein Leben gleicht dem Hauch der Lüfte,
Der Augenblick allein ist dein,
Dein Fußtritt wandelt über Grüfte
Und alles Irdische ist Schein! —
Du zimmerst in die Luft Paläste,
Und malst dir in der Fantasie
Am Lebensbaume tausend Äste;
Und eh' du's ahn'st, verwelken sie.
Durchforsche deines Lebens Pfade,
Und blicke einmal nur zurück,
Und sprich: welch' Stunde bot gerade
Dir das ersehnte sich're Glück?
Sind nicht von Tausend gold'nen Träumen
Kaum zwei zur Wirklichkeit gedieh'n? —
Wie oft sah'st du den Becher schäumen,
Und doch vorüber an dir zieh'n? —
Das Leben ist voll Truggestalten,
Ein Spiegel bunter Fantasie;
Du kannst die Larven fest nicht halten,
Wenn du sie greif'st — entfliehen sie.
Wohlan! weil dir die Welt gelogen,
Und nie dir hielt, was sie versprach;
So steure jetzt auf sichrern Wogen,
Und einem edler'n Ziele nach! —
Blick auf zum großen Steuermanne!
Er lenkt der Welten Riesenschiff;
Blick auf zu ihm, und mutig banne
Die Furcht vor jedem Felsenriff!
Er reichet dir des Glaubens Fahne
Und auch der Hoffnung Ankertau,
Und frei von jedem Erdenwahne
Führt Liebe dich zum Himmelsblau!
Der Greis an Gott
Wie Träume schwanden hin des Lebens Jahre,
Im Tal der Stürme ging's bergauf, bergab,
Und sieh', schon bleicht die Zeit des Greises Haare,
Und müde fleh' ich, Herr, um deinen Stab!
Schon mahnet mich der ernste Menschenrufer,
Es tönt sein Ruf vom Meer der Ewigkeit;
So will ich, angelangt am großen Ufer,
Abrechnen jetzt mit dieser Spanne Zeit, —
Ein Kind sank ich im Mutterschoße nieder,
Ein hilflos Würmlein nackt und tränenvoll,
Und nackt und arm kehr' ich zur Erde wieder,
Ein Tropfen, der ins ew'ge Meer verquoll.
Am großen Ziel, wo nun der Weg sich scheidet,
Will ich noch einmal — einmal rückwärts sehn,
Wie sich der Meister an dem Baue weidet,
Den seine Kunst zum Himmel konnt' erhöh'n —
Und nun mein Bau — ragt er empor zum Äther?
An ihm hab' manch' Jahrzehend ich gebaut —
Der Grund war fest — auf mächt'gen Säulen steht er,
Denn Herr! ich habe dir ja stets vertraut! —
Und nimmer baut der Mensch auf losem Sande,
Ruht sein Gebäude auf Religion!
Du läßt den Schwachen werden nicht zu Schande,
Blickt er vertrauend auf zum Sternen-Thron! —
Schwach war die Hand — doch ernstlich Herr, mein Wille,
Ich tat es nicht — du Ew'ger hast's getan!
Nun sinkt die Kraft — die Pulse stehen stille;
O Vater! nimm mein Werk in Gnaden an!
Ist auch nicht Alles, was ich wollt' gelungen,
Ich war ein Mensch — vollbringen kannst nur du!
Gewirkt, gelitten hab' ich und gerungen,
Nun wandl' ich froh dem Grabe zu. —
Hab' Dank für Lebens-Freuden und Beschwerden,
Für Lebens-Kränze, ros- und dornenreich,
Nun will zum Kinde ich von Neuem werden,
Denn ihrer ist ja, Herr, dein Himmelreich! —
Du warst bei mir, o Herr, in schönen Tagen,
Du warst bei mir in tränenreicher Zeit,
Du halfest mir des Lebens Lasten tragen,
Du wirst auch führen mich zur Ewigkeit!
Du warst mir einst ein Morgenstern der Erden,
Du warst des Mittags Sonnenleuchte mir,
Herr! bleib bei mir, denn es will Abend werden,
Und müde sehnt dein Kind sich schon zu dir!
Des Menschen Freunde
Es lebt' einmal im fernen Lande,
Am zederreichen Libanon,
Ein frommer Mann von niederm Stande,
Sein Alter zählt an achtzig schon;
Und weil die Frommen dieser Erde
Der Herr oft heimzusuchen kommt,
Damit die irdische Beschwerde
Dem Heil der Auserwählten frommt;
So kam's, daß vor Gericht gerufen,
Der Mann zum König mußte hin,
Weil ihn vor seines Thrones Stufen
Die Neider böser Tat gezieh'n.
Der Weise lächelt der Gefahren,
Die ihn auf seinem Gang bedroh'n:
"Die Freunde werden mich bewahren,
Sie kennen mich seit Jahren schon."
Und sieh! — schon sieht er sich umrungen
Von seiner Freunde großen Zahl,
Und jeden hält er fest umschlungen
Und feiert nun das Abschiedsmahl. —
Nun tritt er an den Weg zum Schiffe;
Sieh' da! — Zehn Freunde fliehen dort,
Noch keine Brandung — keine Risse,
Das Schiff liegt noch im sichern Port!
Mag sein! — noch viele ihn geleiten,
Sie horchen seiner Stimme Schall —
Das Schiff will seine Segel breiten,
Und zehn sind fort mit einem Mal! —
Und drei sind ihm nur noch geblieben,
Von allen Freunden diese Drei!
Sie folgen ihm und sprechen d'rüben;
Und sieh', der König gab ihn frei! — —
* * *
Wohlan! das Bild ist dir gegeben,
Mensch! du bist's, der die Freunde hat,
Drei Freunde wurden dir im Leben:
Das Geld — Verwandte — gute Tat.
Du lebst umrankt von Flitter-Träumen,
Bis daß die Toten-Lämpchen glüh'n;
Da ruft der König — 's gilt kein Säumen,
Du mußt vor deinen Richter hin!
Du ruf'st die Freunde deines Lebens
Und drück'st sie alle an die Brust,
Dem Golde winkest du vergebens,
Du schleppst nicht mit den toten Wust!
Und Vater! Mutter! wink'st du wieder,
Die an dem Sterbebette steh'n,
Sie senken dich zur Grube nieder,
Und werden still — nach Hause geh'n.
Nur Eins wird, wenn dein Aug' wird brechen,
Die Taten werden mit dir geh'n,
Die werden jenseits für dich sprechen,
Und dir Erbarmung dort erfleh'n!
Die Waise
Blättchen ruht am Baumesast,
Vöglein auf den Zweigen
Lüftchen auf des Schiffes Mast
Bei der Stürme Reigen;
Lämmchen an des Lammes Brust
Hascht nach Blumenfutter,
Kindlein hängt voll süßer Lust
An der Brust der Mutter!
Ungehört verhallen hier
Rauhe Welten-Stürme,
Ob auch über Häupten dir
Well' und Blitz sich türme!
Mutterherz! — mir schlägt es nicht!
Vaterherz! — Vergebens!
Wo der Tod die Kränze flicht,
Strahlt kein Licht des Lebens.
Und so tret' ich an ihr Grab,
Tränlein rollet nieder; —
Ruft süßen Gruß hinab! — —
Doch kein Laut schallt wieder!
Aber durch die Grabesflur
Tönt's wie Harfen leise:
"Trockne deine Träne nur,
Du verlass'ne Waise!
Der die Lilie auf dem Feld
Und das Veilchen kleidet,
Sieht von seiner Sternen-Welt,
Wenn die Unschuld leidet,
Kränze dieses Grabes Rand
Mit der Tugend Blüten,
Und es wird der Vorsicht Hand
Deine Wege hüten!
Nennt die Welt dich elternlos,
Dort im Sternenkreise
Lebt dein Vater gut und groß,
Du bist keine Waise!"
Am Friedhofe
In deinen Garten will ich treten,
Wo edler Blumen große Saat
Dein Gärtner in den kühlen Beeten,
Der Engel Tod, gesäet hat.
Ihr stillen Schläfer dieser Erde,
Nur eine Frage jetzt an euch:
Wenn euch des Schöpfers mächt'ges "Werde!"
Jetzt riefe aus dem Schattenreich —
Wie würdet mit der Zeit ihr geizen,
Und flieh'n des Lebens Eitelkeit!
Wie wenig euch die Erde reizen,
Und doch wie viel die Ewigkeit!
O griffe nach den schweren Kästen
Der Geizhals wohl im Übermut?
Nein! Nein! er würde Arme trösten
Und spenden ihnen Gut und Blut!
Wo träufelte des Wüstlings Zähre,
Die einst voll Arglist niederrann,
Wenn seine Nacht gelichtet wäre,
Und er vom Grabe stieg' hinan? —
Herr! auf dein Kreuz nur würde fließen
Die Träne voll der Bitterkeit,
Kein Schmerz wär' ihm zu groß, zu büßen,
Weil ihm zu lang die Ewigkeit!
Ihr seid hinüber! — Stumm und öde
Deckt Wolkennacht die Leichenflur, —
Ihr steht der Frage nicht mehr Rede,
Und eure Steine sprechen nur.
Auf diesen Mälern ist zu lesen:
Daß Jedes letzte Stunde schlägt,
Daß Alles müsse einst verwesen,
Was sich da freut, und lebt, und regt;
Daß diese Steine selbst zerstäuben,
Die Liebe baut, als Monument. —
Hienieden ist nicht unser Bleiben,
Und was da lebt, wird auch getrennt.
Herr! laß der Toten mich gedenken,
Nicht bloß weil Manchen ich geliebt —
Zwar fleh ich: wollest Gnade schenken,
Wenn sie nicht stets dein Wort geübt;
Doch ihr Gedächtnis; recht zu ehren,
Will ich an ihrem Hügel fleh'n:
Laß hier den Tod mich leben lehren,
Und hoffen auf ein Wiederseh'n!
Am Abend
Der schone Stern des Tages ist gesunken,
Und müde fällt mein Auge wieder zu —
Die Erde hat des Himmels Tau getrunken,
Und auf den Fluren waltet heil'ge Ruh.
Die große Werkstatt der Natur geschlossen!
Allein ihr Walten schlummert nicht bei Nacht,
Ist auch kein Licht am Erdball ausgegossen,
Dort oben schimmert Deiner Welten Pracht!
Liegt auch Natur im tiefen Ruhe-Schlummer,
Nur Vorbereitung ist die kurze Ruh',
Es ist Dein Werk! — für Freude und für Kummer
Gabst süßen Schlummer uns als Labung Du!
Und nun, bevor ich meine müden Glieder
Zur Ruhe leg' — Wie war der Tag vollbracht?
Lebt' ich als Christ?— als Engel meiner Brüder? —
Was hab' ich heut getan — gewirkt — gedacht? —
Wo ist das Pfund, das mir der Herr gegeben?
Hab' ich gewuchert für die Ewigkeit? —
Hab' ich verzieh'n, wie mir mein Gott vergeben? —
Wie spart' ich mit Gesundheit, Kraft und Zeit?
Hab' ich getrocknet auch des Bettlers Zähren? —
Hab' ich der Leidenschaften Heer bekämpft?
Sucht' ich dem Bösen auch nach Kraft zu wehren,
Hab' des Versuchers Stimme ich gedämpft? —
Bin ich gestrauchelt an des Lebens Dornen,
Zog ich den Schein der wahren Tugend vor?
Ist dieser Tag wohl einer der verlornen?
Wie ich, o Gott, so viele schon verlor? —
O Zeit, o Zeit, du eilst auf raschem Flügel,
Und Tag um Tag schlägt deine Hand mir auf!
Und ach! wie wen'ge tragen Gottes Siegel,
Nacht — Sünde war mein halber Lebenslauf!
Rasch eilt mein Fuß zum Grabe, dem gewissen,
Und was hab' ich bis jetzt, o Gott, getan,
Und was werd' ich hier noch vollbringen müssen,
Um zitternd nur mich deinem Thron zu nah'n?
Herr, sieh es sinkt dein Tagstern in die Meere!
Und weinend sink' in Staub auch ich vor dir!
Wenn diese Nacht nun meine letzte wäre —
Und du mich riefest Richter — wehe mir!
Von Schuld und Angst und Sünde schwer beladen,
Wie würd' ich heut', o Herr, vor Dir besteh'n?
Allein Du bist ein guter Gott der Gnaden
Und willst nicht, daß die Sünder untergeh'n —
So steh' ich denn — sieh an des Kindes Weinen,
Gib mir nur einen Morgen noch, o Herr!
Und nicht vergebens soll mir nun erscheinen,
O Vater, deine große Sonne mehr.
Bestrahlen soll sie künftig meine Taten,
Den großen Bau für eine Ewigkeit;
Ich will nun streuen gold'ne Lebenssaaten
Auf diesem Acker der Vergänglichkeit.
Und leg' ich einst wie jetzt mich müde nieder,
Um auszuruh'n vom Tagwerk dieser Zeit,
So weckst du mich am großen Morgen wieder,
Im Friedenslichte der Unsterblichkeit!
Letzter Wunsch
Licht der Erde! Weltgeist! Deine Gaben
Spendest reichlich Du wie Meeressand;
Laß sie Alle an dem großen Born sich laben,
Ein's nur schenk' mir, deine Vaterhand:
Sieh'! als einst am süßen Mutterherzen
Ich empfand des Daseins erste Schmerzen,
Sah ich lächeln um mich All' die Meinen,
Ich allein begrüßte sie mit Weinen! —
Und so fleh' ich, Vater! Laß beim Scheiden
Aus dem Tal der kurzen Erdenleiden
Alle weinen, die mich dann umreih'n,
Und mich lächeln nur allein!
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