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IV.
Advent

1898

 

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin — bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.


 

Gaben
An verschiedene Freunde


Das ist mein Streit:
Sehnsuchtgeweiht
durch alle Tage Sehweifen,
Dann, stark und breit,
mit tausend Wurzelstreifen
rief in das Leben greifen —
und durch das Leid
weit aus dem Leben reifen,
weit aus der Zeit!

===

Du meine heilige Einsamkeit,
du bist so reich und rein und weit
wie ein erwachender Garten.
Meine heilige Einsamkeit du —
halte die goldenen Türen zu,
vor denen die Wünsche warten.

===

Der Bach hat leise Melodien,
und fern ist Staub und Stadt;
die Wipfel winken her und hin
und machen mich so matt.

Der Wald ist wild, die Welt ist weit,
mein Herz ist hell und groß;
es hält die blasse Einsamkeit
mein Haupt in ihrem Schoß.

===

Ich liebe vergessene Flurmadonnen,
die ratlos warten auf irgendwen,
und Mädchen, die an einsame Bronnen,
Blumen im Blondhaar, träumen gehn.

Und Kinder, die in die Sonne singen
und staunend groß zu den Sternen sehn,
und die Tage, wenn sie mir Lieder bringen,
und die Nächte, wenn sie in Blüten stehn.

===

Warst du ein Kind in froher Schar,
dann kannst du's freilich nicht erfassen,
wie es mir kam, den Tag zu hassen
als ewig feindliche Gefahr.
Ich war so fremd und so verlassen,
daß ich nur tief in blütenblassen
Mainächten heimlich selig war.

Am Tag trug ich den engen Ring
der feigen Pflicht in frommer Weise.
Doch abends schlich ich aus dem Kreise,
mein kleines Fenster klirrte — kling —
sie wußtens nicht. Ein Schmetterling,
nahm meine Sehnsucht ihre Reise,
weil sie die weiten Sterne leise
nach ihrer Heimat fragen ging.

Pfauenfeder

in deiner Feinheit sondergleichen,
wie liebte ich dich schon als Kind.
Ich hielt dich für ein Liebeszeichen,
das sich an silberstillen Teichen
in kühler Nacht die Elfen reichen,
wenn alle Kinder schlafen sind.

Und weil Großmütterchen, das gute,
mir oft von Wünschegerten las,
so träumte ich, du Zartgemute,
in deinen feinen Fasern flute
die kluge Kraft der Rätselrute —
und suchte dich im Sommergras.

===

Oft denk ich auf der Alltagsreise
der Nacht, und daß ein Traum mir frommt,
der mir mit Lippen, kühl und leise,
die schwüle Stirne küssen kommt.

Dann sehn ich mich, die Sterne glänzen
zu sehn. — Der Tag ist karg und klein,
die Nacht ist weit, hat Silbergrenzen
und könnte eine Sage sein.

Damit ich glücklich wäre —

das müßte sein von jenen blanken
Lenztagen einer, da die Kranken
man vor die dunklen Türen bringt.
Im Flieder ist ein Spatzenzanken,
weil keinem rechter Sang gelingt.
Der Bach, dem alle Bande sanken,
weiß nicht, was tun vor Glück, und springt
bis aufwärts zu den Bretterplanken,
dahinter Beete, kiesumringt,
und Blumenblühn und Birkenschwanken.
Und vor dem Häuschen, goldbezinkt,
um das der Frühling seine Ranken
wie liebeleise Arme schlingt —
ein blondes Kind, das in Gedanken
das schönste meiner Lieder singt.

===

An manchem Tag ist meine Seele still:
Ein Gotteshaus, draus alle Beter gingen.
Ein Engel nur wehrt mit den goldnen Schwingen
dem Weihrauch, der mit seinen leisen Ringen
den Jubel seiner Arme fesseln will.

Verträumte Heiligenbilder dunkeln drin
in ratlos-sehnendem Erhörenwollen:
Sie warten auf den Sonntag mit den vollen
Gestühlen und dem großen Orgelrollen —
und blasse Ampeln schwanken her und hin.

===

Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt
in euch? Was, wie der Klang der Narrenschellen,
um Beifall bettelt und um Würde wirbt,
und endlich arm ein armes Sterben stirbt
im Weihrauchabend gotischer Kapellen, —
nennt ihr das Seele?

Schau ich die blaue Nacht, vom Mai verschneit,
in der die Welten weite Wege reisen,
mir ist: ich trage ein Stück Ewigkeit
in meiner Brust. Das rüttelt und das schreit
und will hinauf und will mir ihnen kreisen. . .
Und das ist Seele.

===

Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.

Da singt die Uhr, die Kinder zittern:
Im grünen Ofen kracht ein Scheit
und stürzt in lichten Lohgewittern, —
und draußen wächst im Flockenflittern
der weiße Tag zur Ewigkeit.

===

Der Abend kommt von weit gegangen
durch den verschneiten, leisen Tann.
Dann preßt er seine Winterwangen
an alle Fenster lauschend an.

Und stille wird ein jedes Haus;
die Alten in den Sesseln sinnen,
die Mütter sind wie Königinnen,
die Kinder wollen nicht beginnen
mit ihrem Spiel. Die Mägde spinnen
nicht mehr. Der Abend horcht nach innen
und innen horchen sie hinaus.

===

Das Wetter war grau und grell;
der Abend ist lichter und leiser.
Sicher kommt irgendein Kaiser:
Alle Häuser sind hell.
Und so festlich und weich
war das Abendgebimmel;
die Alten schaun in den Himmel,
und die Kinder sind reich.

===

Sonne verlodert am Himmelsrain.
Durch ernteverarmte Krumen
waten die Weiber feldein.

An den verschimmernden Schienenreihn
beim Bahnhüterhäuschen, sommerallein,
sinnen Sonnenblumen.

===
Du arme, alte Kapelle
mit deiner verstaubten Zier —
der Frühling baut eine helle
Kirche neben dir.

Viel frierende Frauen hinken
in deine Weihrauchruh,
draußen die Kinder winken
allen Rosen zu.

Die Mädchen singen:

Alle Mädchen erwarten wen,
wenn die Bäume in Blüten stehn;
wir müssen immer nähn und nähn,
bis uns die Augen brennen.
Unser Singen wird nimmer froh,
fürchten uns vor dem Frühling so:
Finden wir einmal ihn irgendwo,
wird er uns nicht mehr erkennen.

===

Lehnen im Abendgarten beide,
lauschen lange nach irgendwo.
"Du hast Hände wie weiße Seide . . ."
Und da staunt sie: "Du sagst das so . . ."

Etwas ist in den Garten getreten,
und das Gitter hat nicht geknarrt,
und die Rosen in allen Beeten
beben vor seiner Gegenwart.

===

Eine der weißen Vestageweihten
lächelte Gnade dem Todbereiten,
löste ihm von der Stirn die Schmach.

Dann sehnte sie wie eine Sklavin dem Schreiten
des todbefreiten, Schulter breiten
Epheben nach.

===

Im Kreise der Barone
der König ritt zur Jagd.
Ihm wohnte in roter Krone
ein einsamer Smaragd.

Da gibts unter hellen Hufen
Wege so weit und weiß;
keiner hört Hilfe rufen,
und der Mittag ist heiß . . .

Ob einer den König erkannte?

Die Dohlen im Abend schrien.

Die allerkühnste spannte
den Flug schon über ihn:
Auf des Königs Stirne brannte
ein einsamer Rubin.

===

Ein weißes Schloß in weißer Einsamkeit.
In blanken Sälen schleichen leise Schauer.
Todkrank krallt das Gerank sich an die Mauer,
und alle Wege weltwärts sind verschneit.

Darüber hängt der Himmel brach und breit.
Es blinkt das Schloß. Und längs den weißer Wänden
hilft sich die Sehnsucht fort mit irren Händen . . .
Die Uhren stehn im Schloß: es starb die Zeit.

===

Irgendwo muß es Paläste geben,
drin die Fenster von Staub verschnein;
in der Säle hallende Reihn
tauchen tote Tage hinein:
Gestalten wallen, es warnt der Schrein;
und kein lustiger Leuchterschein
reicht in das einsame Seltsamsein. . . .

Dorten wollen wir Feste gehen —
märchenallein.

===

Im Schlosse mit den roten Zinken
wär ich so gern des Abends Gast.
Die Fenster glühn, die Falten sinken,
und meine weißen Wünsche winken
mir aus dem lodernden Palast.

Ich will durch lange Hallen schleichen
und in die tiefen Gärten schaun,
die über alle Marken reichen.
Und Frauen lächeln an den Teichen,
und in den Wiesen prahlen Pfaun. . . .

===

Einmal möcht ich dich wiederschauen,
Park, mit den alten Lindenalleen,
und mit der leisesten aller Frauen
zu dem heiligen Weiher gehn.

Schimmernde Schwäne in prahlenden Posen
gleiten leise auf glänzendem Glatt,
aus der Tiefe tauchen die Rosen
wie Sagen einer versunkenen Stadt.

Und wir sind ganz allein im Garten,
drin die Blumen wie Kinder stehn,
und wir lächeln und lauschen und warten,
und wir fragen uns nicht, auf wen. . . .

===

Es kommt in prunkenden Gebreiten
der Abend wie ein leiser Gott.
Den Rappen vor! Jetzt will ich reiten
durch purpurbunte Einsamkeiten
in bügelleichtem Träumertrott.

Ich atme tief. Ich werde Kaiser.
Mein heiler Helm ist losgeschnallt,
und meine Stirne streifen Reiser
und rauschen so. Und leiser, leiser
hallt Huf und Ruf im roten Wald.

===

Horch, verhallt nicht ein scheuer
Schrei von den Hängen her?
Aus dem morschen Klostergemäuer
kann der Abend nicht mehr.
Er sucht sich wund an der Wand.
Und mit hilfloser Hand
in das Säulengedränge,
in ewige Gänge,
wirft er den Brand.
Feuer.—
In schlichtem Gewand
flieht er, der Heimkehr singender Heuer
leise gesellt, ins verlöschende Land.

===

Der König Abend weiß sich schwach
und satt, und ihm geschieht:
Er schenkt sein Gold dem jungen Bach,
der einem Hirtensingen nach
in Menschenlande zieht.

Jetzt ist der Bach ein Königskind.
Er jubelt laut Alarm
und gibt den wunden Krumen blind
sein Gold. — Und wo die Hütten sind,
dort ist er wieder arm.

===

Der Tag entschlummert leise, —
ich walle menschenfern. . . .
Wach sind im weiten Kreise
ich — und ein bleicher Stern.

Sein Auge licht durchwoben
ruht flimmernd hell auf mir,
er scheint am Himmel droben
so einsam, wie ich hier. . . .