Im alten Hause
Im alten Hause; vor mir frei
seh ich ganz Prag in weiter Runde;
tief unten geht die Dämmerstunde
mit lautlos leisem Schritt vorbei.
Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas.
Nur hoch, wie ein behelmter Hüne,
ragt klar vor mir die grünspangrüne
Turmkuppel von Sankt Nikolas.
Schon blinzelt da und dort ein Licht
fern auf im schwülen Stadtgebrause. —
Mir ist, daß in dem alten Hause
jetzt eine Stimme "Amen" spricht.
Auf der Kleinseite
Alte Häuser, steilgegiebelt,
hohe Türme voll Gebimmel, —
in die engen Höfe liebelt
nur ein winzig Stückchen Himmel.
Und auf jedem Treppenpflocke
müde lächelnd — Amoretten;
hoch am Dache um barocke
Vasen rieseln Rosenketten.
Spinnverwoben ist die Pforte
dort. Verstohlen liest die Sonne
die geheimnisvollen Worte
unter einer Steinmadonne.
Ein Adelshaus
Das Adelshaus mit seiner breiten Rampe:
wie schön will mir sein grauer Glast erscheinen.
Der Gangsteig mit den schlechten Pflastersteinen
und dort, am Eck, die trübe, fette Lampe.
Auf einer Fensterbrüstung nickt ein Tauber,
als wollt er durch den Stoff des Vorhangs gucken;
und Schwalben wohnen in des Torgangs Luken:
das nenn ich Stimmung, ja, das nenn ich — Zauber.
Der Hradschin
Schau so gerne die verwetterte
Stirn der alten Hofburg an;
schon der Blick des Kindes kletterte
dort hinan.
Und es grüßen selbst die eiligen
Moldauwellen den Hradschin,
von der Brücke sehn die Heiligen
ernst auf ihn.
Und die Türme schaun, die neueren,
alle zu des Veitsturms Knauf
wie die Kinderschar zum teueren
Vater auf.
Bei St. Veit
Gern steh ich vor dem alten Dom;
wie Moder weht es dort, wie Fäule,
und jedes Fenster, jede Säule
spricht noch ihr eignes Idiom.
Da hockt ein reich geschnörkelt Haus
und lächelt Rokoko-Erotik,
und hart daneben streckt die Gotik
die dürren Hände betend aus.
Jetzt wird mir klar der casus rei;
ein Gleichnis ists aus alten Zeiten:
der Herr Abbé hier — ihm zuseiten
die Dame des roi soleil.
Im Dome
Wie von Steinen rings, von Erzen
weit der Wände Wölbung funkelt,
eine Heilge, braungedunkelt,
dämmert hinter trüben Kerzen.
Von der Decke, rundgemauert,
schwebt ob eines Engels Kopfe
hell ein weißer Silbertropfe,
drin ein ewig Lichtlein kauert.
Und im Eck, wo Goldgeglaste
niederhangt in staubgen Klumpen,
steht in Schmutz gehüllt und Lumpen
still ein Kind der Bettlerkaste.
Von dem ganzen Glanze floß ihm
in die Brust kein Fünkchen Segen . . .
Zitternd, matt, streckts mir entgegen
seine Hand mit leisem: "Prosim!"
In der Kapelle St. Wenzels
Alle Wände in der Halle
voll des Prachtgesteins; wer wüßte
sie zu nennen: Bergkristalle,
Rauchtopase, Amethyste.
Zauberhell wie ein Mirakel
glänzt der Raum im Lichtgetänzel,
unterm goldnen Tabernakel
ruht der Staub des heilgen Wenzel.
Ganz von Leuchten bis zum Scheitel
ist die Kuppel voll, die hohle;
und der Goldglast sieht sich eitel
in die gelben Karneole.
Vom Lugaus
Dort, seh ich Türme, kuppig bald wie Eicheln
und jene wieder spitz wie schlanke Birnen;
dort liegt die Stadt; an ihre tausend Stirnen
schmiegt sich der Abend schon mit leisem Schmeicheln.
Weit streckt sie ihren schwarzen Leib. Ganz hinten
sieh St. Mariens Doppeltürme blitzen.
Ists nicht: Sie saugte durch zwei Fühlerspitzen
in sich des Himmels violette Tinten!
Der Bau
(1)
Die moderne Bauschablone
will mir wahrlich gar nicht passen.
Hier, dies alte Haus darf fassen
reiche, weite Steinterrassen,
kleine, heimliche Balkone.
Und die weitgewölbten Decken,
die so günstig sind den Lauten,
Nischen rings, die eingebauten,
draus die Arme sich der trauten
Dämmrung dir entgegenstrecken.
Alle Mauern breiter, stärker
und aus echten Quaderkernen; —
traun, das Gruseln könnt ich lernen,
seh ich auf die Zinskasernen
aus dem kleinen, Stillen Erker.
Im Stübchen
(2)
Traut ists, wenn verstohlen heulen
im Kamine wilde Winde
in der Stube; ganz gelinde
tickt auf dem barocken Spinde
fort die Stockuhr mit den Säulen.
Dort, die kleine Silhouette
zeigt die alte Tracht der Locken,
tief im Fenster steht ein Rocken,
und vergeßne Töne stocken
im verlassenen Spinette.
Immer noch hegt die Postille,
daß an ihrem Geist erfrische
jung und alt sich, auf dem Tische,
und der Spruch ob jener Nische
lautet: "Es gescheh Dein Wille . . ."
Zauber
(3)
Oft seh ich die heimliche Stube belebt,
so lebhaft erzählen die Wände;
ein liebliches Mädchen, halb Kind noch, hebt
dort zu der Madonna die Hände.
Ein tüchtiger Junge beim Vater steht,
der viel zu des Hauses Gewinn tat.
An huben sie flüsternd das Abendgebet,
und Mutter läßt ruhen das Spinnrad.
Da deucht mich, es wird wohl das Auge naß
sogar der Madonna im Rahmen.
Ich lausche: — Laut von des Vaters Baß
ertönt das versöhnende: "Amen".
Ein anderes
(4)
Naht der Sohn mit schwerem Schritt
seinem Vater. Schwer die Zunge . . .
"Wirklich, was, ein Bräutchen, junge?!
Vorwärts, nur herein damit!"
Und da steht zum erstenmal
jetzt das Mädchen rot und stille;
und der Vater putzt die Brille:
"Teufel! Gut war deine Wahl!"
Und er streckt die Arme aus,
und das Bräutchen nimmt verlegen
seinen Kuß und seinen Segen . . .
Davon weiß das alte Haus.
Noch eines
(5)
Auch dem blonden Kinde kam es
In sein Herz, sein waldseereines,
wie das dunkle Ahnen eines
großen Glückes oder Grames.
Und die Mutter ließ das Rädchen
stocken. — "Kind, was macht dich leiden?"
Stürmisch schluchzend schwieg das Mädchen:
doch verstanden sich die beiden.
Kurz darauf: Am Pförtchen pochte
junger Herr. — "Wollt ihr euch?" — Pause. —
Ob! — Wer da noch fragen mochte!? —
So geschahs im alten Hause.
Und das Letzte
(6)
Still heut die Stube. — Weiß wie Kalk
ist Frauchens Antlitz. Müd und lustlos
ihr feuchtes Auge; halb bewußtlos
lehnt sie bei Vaters Katafalk.
Zuseiten ihr der Gatte kann
sie trösten mehr in keiner Weise;
nun faßt er ihre Hände leise
und sieht sie ernst und bittend an.
"Mein Mütterchen, nimm diesen Strauß!"
tönt türher hell das Wort des Kleinen;
da glimmt ein Lächeln durch ihr Weinen,
und Trost geht durch das alte Haus.
Im Erkerstübchen
(7)
Nicht zu sehn das Alltagstreiben,
flieh ich — wie wenn ich ein Strauß war, —
in das alte, alte Haus her;
lang dann seh ich nicht hinaus mehr
durch die breit verbleiten Scheiben.
Schlichtheit war der Väter Aussaat,
Glück die Frucht, die sie gefunden;
sitz so träumend manche Stunden
dort im Polsterstuhl, im runden,
mitten in Urväterhausrat.
Der Novembertag
Alter Herbst vermag den Tag zu knebeln,
seine tausend Jubelstimmen schweigen;
hoch vom Domturm wimmern gar so eigen
Sterbeglocken in Novembernebeln.
Auf den nassen Dächern liegt verschlafen
weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen
greift der Sturm in des Kamines Wänden
eines Totenkarmens Schlußoktaven.
Im Straßenkapellchen
Bei St. Loretto da brennt ein Licht
vorm Bilde im Straßenkapellchen;
und um das Wandbild schmiegen sich dicht
Blechblumen mit farbigen Kelchen.
Die Heiligen machen ein übel Gesicht;
denn der Sturmwind, der hastige Knab, hat
nicht Achtung für sie; bei Loretto das Licht
schaut fromm in den dämmernden Sabbat.
Das Kloster
Im Dämmerdustgeschwel
ist schon die Stadt zerronnen
hoch steht das Haus der Nonnen
des Ordens von Carmel.
Der Abend hüpft hangab
vorbei mit Feuergarben
und windet tausend Farben
um jeden Fensterstab.
Er schmückt das düstre Haus
umsonst mit Lichtgeglänze;
So sehen frische Kränze
auf Leichensteinen aus.
Bei den Kapuzinern
Es hat der Pater Guardian
vom Klosterschnaps mir angeboten;
ich kenn ihn schon, den dunkelroten,
der alle Toten wecken kann.
Der Pater sucht den Schlüssel, klein,
dort, wo des Sacktuchs Zipfe blauten,
und holt den Schatz, den selbstgebrauten,
hervor aus dem Reliquienschrein.
Und wie er einschenkt, lacht er feist
und spricht: "Zu Staub sind die Gebeine,
die einstens ruhten in dem Schreine,
doch uns erhalten blieb — — — der Geist!"
Abend 1
Einsam hinterm letzten Haus
geht die rote Sonne schlafen,
und in ernste Schlußoktaven
klingt des Tages Jubel aus.
Lose Lichter haschen spät
noch sich auf den Dächerkanten,
wenn die Nacht schon Diamanten
in die blauen Fernen sät.
Jar. Vrchlický
Ich lehn im Armstuhl, im bequemen,
wo oft ich Ungemach vergaß,
müd nicken krause Chrysanthemen
im hohen Venezianerglas.
Ich las in einem Band Gedichte
gar lange; wie die Zeit entschwand!
Jetzt erst im Abenddämmerlichte
leg ich sie selig aus der Hand.
Mir ist, von göttlichen Problemen
hätt ich die Lösung jetzt erlauscht, —
hat mich der Hauch der Chrysanthemen,
hat mich Vrchlickýs Buch berauscht?
Im Kreuzgang von Loretto
Still ist es in dem Kreuzgang, in dem alten,
wo über krausen Säulenarabesken
herniederschaun aus halb verwischten Fresken
geheimnisvolle Heiligengestalten.
Wo eine Wachsmadonna, die man zeiht
so manchen gnadenvollen Heilmirakels,
prangt hinterm grauen Glas des Tabernakels
im silberübersäten Seidenkleid.
Spannt über Blättergold Spätsommerhaar
sich draußen auch im Klosterhof Lorettos, —
vor einem Bild im Stile Tintorettos
steht selig still ein junges Liebespaar.
Der junge Bildner
Ich muß nach Rom; in unser Städtchen
kehr ich aufs Jahr mit Ruhm zurück;
nicht weinen; sieh, geliebtes Mädchen,
ich mach in Rom mein Meisterstück.
Er sprachs; dann zog er fort im Rausche
durch jene Welt, die er erhofft;
doch war ihm, seine Seele lausche
auf einen innern Vorwurf oft.
Die Unrast trieb ihn heim, die arge:
Er bildete mit nassem Blick
sein armes, fahles Lieb im Sarge,
und das — das war sein Meisterstück.
Frühling
Die Vögel jubeln — lichtgeweckt —,
die blauen Weiten füllt der Schall aus;
im Kaiserpark das alte Ballhaus
ist ganz mit Blüten überdeckt.
Die Sonne schreibt sich hoffnungsvoll
ins junge Gras mit großen Lettern.
Nur dorten unter welken Blättern
seufzt traurig noch ein Steinapoll.
Da naht ein Lüftchen, fegt im Tanz
hinweg das gelbe Blattgeranke
und legt um seine Stirn, die blanke,
den blauenden Syringenkranz.
Land und Volk
. . . Gott war guter Laune. Geizen
ist doch wohl nicht seine Art;
und er lächelte: da ward
Böhmen, reich an tausend Reizen.
Wie erstarrtes Licht liegt Weizen
zwischen Bergen, waldbehaart,
und der Baum, den dichtgeschart
Früchte drücken, fordert Spreizen.
Gott gab Hütten; voll von Schafen
Ställe; und der Dirne klafft
vor Gesundheit fast das Mieder.
Gab den Burschen all, den braven,
in die raube Faust die Kraft,
in das Herz — die Heimatlieder.
Der Engel
Hin geh ich durch die Malvasinka
die Kinderreih, wo sanft und gut
die kleine Anka oder Ninka
in ihrem letzten Bettchen ruht.
Auf einem schmalen Schollenhügel
kniet, ganz versteckt in hohem Mohn,
mit staubigem, gebrochnem Flügel
ein Engelchen aus rohem Ton.
Das flügellahme Kindchen flößte
mir Mitleid ein, — das arme Ding . . .
Da, sieh! Von seinen Lippen löste
sich leicht ein kleiner Schmetterling. —
Allerseelen
I.
Rings liegt der Tag von Allerseelen
voll Wehmut und voll Blütenduft,
und hundert bunte Lichter schwelen
vom Feld des Friedens in die Luft.
Sie senden Palmen heut und Rosen;
der Gärtner ordnet sie mit Sinn —
und kehrt zum Eck der Glaubenslosen
die alten, welken Blumen hin.
II.
"Jetzt beten, Willi, — und nicht reden!"
Mit großem Aug gehorcht der Knab.
Der Vater legt den Kranz Reseden
auf seines armen Weibes Grab.
"Die Mutter schläft hier! Mach ein Kreuz nun!"
Klein Willi sieht empor und macht,
wie ihm befohlen. Ach, ihn reuts nun,
daß er am Weg heraus gelacht!
Es sticht im Auge ihn — wie Weinen . . .
Dann gehn sie heimwärts durch die Nacht;
ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen
beim Ausgang jäh der Buden Pracht.
Es blinkt durch den Novembernebel
herüber lichtbeglänzter Tand;
er sieht dort Pferdchen, Helme, Säbel
und küßt dem Vater leis die Hand.
Und der versteht. Dann gehn sie weiter . . .
Der Vater sieht so traurig aus. —
Doch einen Pfefferkuchenreiter
schleppt Willi selig sich nach Haus.
Bei Nacht
Weit über Prag ist riesengroß
der Kelch der Nacht schon aufgegangen;
der Sonnenfalter barg sein Prangen
in ihrem kühlen Blütenschoß.
Hoch grinst der Mond, der schlaue Gnom,
und neckend streut er das Gesträhne
der weißen Silberhobelspäne
hernieder in den Moldaustrom.
Da plötzlich, wie beleidigt, hat
zurückgerufen er die Strahlen,
weil er gewahr ward des Rivalen:
der Turmuhr helles Stundenblatt.
Abend 2
Der Abend naht. — Die klare Zone
der Stirne schmückt ein goldner Reifen,
und tausend Schattenhände greifen
verstohlen nach der roten Krone.
Die ersten, blassen Sterne liebeln
ihm zu; er steht hoch am Hradschine
und schaut mit ernster Träumermiene
die Türme und die grauen Giebeln.
Auf dem Wolschan
Am Abend des Tages von Allerseelen
I.
Die dürren Äste übergittern
des Himmels abendblasse Scheiben;
und über Grüfte, reich mit Flittern
geschmückt, geht Wehmut, und es zittern
die Lichter durch das Blättertreiben.
Im müden Blau, im regungslosen,
schwimmt fern der Mond. Die Lebensbäume,
die seine blanke Stirne kosen,
sind schwarz. Der Duft von welken Rosen
schleicht her wie Geister toter Träume.
II.
Ferner Lärm vom Wagendamm. —
Hier keimt Friede und Vergessen,
zwischen zweien Grabzypressen
hangt der Mond wie ein Tam-Tam.
Schlägt die Ewigkeit nicht sacht
jetzt daran mit schwarzem Schwengel?
Bange schaut ein Marmorengel
in das Aug der Spätherbstnacht.
Wintermorgen
Der Wasserfall ist eingefroren,
die Dohlen hocken hart am Teich.
Mein schönes Lieb hat rote Ohren
und sinnt auf einen Schelmenstreich.
Die Sonne küßt uns. Traumverloren
schwimmt im Geäst ein Klang in Moll;
und wir gehn fürder, alle Poren
vom Kraftarom des Morgens voll.
Brunnen
Ganz verschollen ist die alte,
holde Brunnenpoesie,
da aus Tritons Muschelspalte
eine klare Quelle lallte,
die den Gassen Sprache lieh.
Abends bei den Röhrenkasten
sammelte sich Paar um Paar,
weil der Quelle lieblich Glasten
und ihr Laut der tiefgefaßten
Neigung süßes Omen war.
Aber als durch Menschenmühn dann
Wasser treppenaufwärts stieg,
und kein Paar kam: Misogyn dann
ward der Gott; es schlich sich Grünspan
in die Muschel, — und er schwieg.
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