VI.
Funde
Wenn wie ein leises Flügelbreiten
sich in den späten Lüften wiegt, —
ich möchte immer weiter schreiten
bis in das Tal, wo tiefgeschmiegt
an abendrote Einsamkeiten
die Sehnsucht wie ein Garten liegt.
Vielleicht darf ich dich dorten finden,
und zage wird dein erstes Mühn
die wehen Wünsche mir verbinden,
du wirst mich führen tief ins Grün —
und heimlich werden weiße Winden
an meinem staubigen Stabe blühn.
= = =
Ich möchte draußen dir begegnen,
wenn Mai auf Wunder Wunder häuft,
und wenn ein leises Seelensegnen
von allen Zweigen niederträuft.
Wenn bis zum Wegkreuz auf, zum schlanken,
Jasmin die weißen Arme streckt
und lind den ewgen Wehgedanken
der Stirne Christi überdeckt.
= = =
Ich mußte denken unverwandt,
wie ich einst zwischen schwarzen Pinien
den tiefen Frühling sinnen fand,
als ich vor deiner Schönheit stand
und durch der Scheitel dunkle Linien
dein Antlitz träumte wie ein Land.
Es schlich von deiner Lippen Saum
ein Lächeln auf verlornem Pfade —
ganz leis. Die andern merktens kaum.
So weht ein Blatt vom Blütenbaum:
Nur einer schaut die Frühlingsgnade,
und der sie schaut, ist wie im Traum.
= = =
Fremd ist, was deine Lippen sagen,
fremd ist dein Haar, fremd ist dein Kleid
fremd ist, was deine Augen fragen,
und auch aus unsern wilden Tagen
reicht nicht ein leises Wellenschlagen
an deine tiefe Seltsamkeit.
Du bist wie jene Bildgestalten,
die überm leeren Altarspind
noch immer ihre Hände falten,
noch immer alte Kränze halten,
noch immer leise Wunder walten —
wenn längst schon keine Wunder sind.
= = =
Du bist so fremd, du bist so bleich.
Nur manchmal glüht auf deinen Wange
ein hoffnungsloses Heimverlangen
nach dem verlornen Rosenreich.
Dann sehnt dein Auge, tief und klar,
aus allem Müssen, allem Mühen
ins Land, wo nichts als stilles Blühen
die Arbeit deiner Hände war.
= = =
Weißt du, ich will mich schleichen
leise aus lautem Kreis,
wenn ich erst die bleichen
Sterne über den Eichen
blühen weiß.
Wege will ich erkiesen,
die selten wer betritt
in blassen Abendwiesen —
und keinen Traum, als diesen:
Du gehst mit.
= = =
Bei dir ist es traut:
Zage Uhren schlagen
wie aus weiten Tagen.
Komm mir ein Liebes sagen:
aber nur nicht laut.
Ein Tor geht irgendwo
draußen im Blütentreiben.
Der Abend horcht an den Scheiben.
Laß uns leise bleiben:
Keiner weiß uns so.
= = =
Die Nacht holt heimlich durch des Vorhangs Falten
aus deinem Haar vergeßnen Sonnenschein.
Schau, ich will nichts, als deine Hände halten
und still und gut und voller Frieden sein.
Da wächst die Seele mir, bis sie in Scherben
den Alltag sprengt; sie wird so wunderweit:
An ihren morgenroten Molen sterben
die ersten Wellen der Unendlichkeit.
= = =
Du, Hände, welche immer geben,
die müssen blühn von fremdem Glück.
Zart wie ein zartes Birkenbeben,
bleibt von dem gebenden Erleben
ein Rhythmenzittern drin zurück.
Das sind die Hände mit den schmalen
Gelenken, die sich leise mühn;
und wüßten die von Kathedralen,
sie müßten sich in Wundenmalen
vor allem Volke heiligblühn.
= = =
Bist gewandert durch Wahn und Weh,
kommst aus meinen dunkelsten Tagen,
hast dir eine Brücke geschlagen
bis zu mir über Schuld und Schnee.
Lenkst mich lächelnd mit leisem Gebot,
und auf kronengoldenen Locken
trägst du flüchtige Federflocken
in den fröhlichen Frühlingstod.
= = =
Will dir den Frühling zeigen,
der hundert Wunder hat.
Der Frühling ist waldeigen
und kommt nicht in die Stadt.
Nur die weit aus den kalten
Gassen zu zweien gehn
und sich bei den Händen halten —
dürfen ihn einmal sehn.
= = =
Und dieser Frühling macht dich bleicher,
in weite Wiesen will dein Fuß,
dein Lied wird leis, dein Wort wird weicher,
und deine Hände werden reicher
mit jedem Wink, mit jedem Gruß.
Du holst aus düfteschwüler Lade
dein Konfirmandenkleidchen dreist
und trägst es in die wilden Pfade
und schmückst dich für die große Gnade,
die deine Seele blühen heißt.
= = =
Mir ist: ich muß dir den Brautnachtstrauß
weit aus dem Abend bringen.
Ich geh in die goldene Stunde hinaus,
und die Fenster leuchten am letzten Haus,
drin spielende Kinder singen.
Und ich geh an dem einsamen Haus vorbei,
drin singende Kinder wohnen,
und mein Wandern wächst und wächst in den Mal
und kann nicht zurück, — und die Blüten, verzeih,
die wind ich mir alle zu Kronen.
= = =
Bist du so müd? Ich will dich leise leiten
aus diesem Lärm, der längst auch mich verdroß.
Wir werden wund im Zwange dieser Zeiten.
Schau, hinterm Wald, in dem wir schauernd schreiten,
harrt schon der Abend wie ein helles Schloß.
Komm du mit mir. Es soll kein Morgen wissen,
und deiner Schönheit lauscht kein Licht im Haus . . .
Dein Duft geht wie ein Frühling durch die Kissen:
Der Tag hat alle Träume mir zerrissen, —
du, winde wieder einen Kranz daraus.
= = =
Du:
ein Schloß an wellenschweren,
atlasblassen Abendmeeren —
und in seinen säulenhehren
Sälen warten Preis und Prunk,
uns zu ehren:
Weil wir beide wiederkehren —
ohne Kronen und mit leeren
Händen —
aber jung
= = =
Purpurrote Rosen binden
möcht ich mir für meinen Tisch
und, verloren unter Linden,
irgendwo ein Mädchen finden,
klug und blond und träumerisch.
Möchte seine Hände fassen,
möchte knieen vor dem Kind
und den Mund, den sehnsuchtblassen,
mir von Lippen küssen lassen,
die der Frühling selber sind.
= = =
Ein Händeineinanderlegen,
ein langer Kuß auf kühlen Mund,
und dann; auf Schimmer weißen Wegen
durchwandern wir den Wiesengrund.
Durch leisen, weißen Blütenregen
schickt uns der Tag den ersten Kuß, —
mir ist: wir wandeln Gott entgegen,
der durchs Gebreite kommen muß.
= = =
Du willst dir einen Pagen küren?
Mich komm erküren, Königin.
Mir klingt aus alten Aventüren
ein Sang in Saitenspiel und Sinn.
Ich will ins weiße Schloß dich führen,
in dem ich selber König bin,
und singen hinter tausend Türen
für meine weiße Königin.
= = =
Abend hat mich müd gemacht,
und in meinen Sinnen schrillen
kleine Wünsche mit den Grillen.
Wo das blasse Land verflacht,
liegen lauter weiße Villen
hinter roter Rosenpracht.
Liegen wie auf leiser Wacht
weiße Villen an dem stillen
Uferrand der Frühlingsnacht.
= = =
Was reißt ihr aus meinen blassen, blauen
Stunden mich in der wirbelnden Kreise
wirres Geflimmer?
Ich mag nicht mehr euren Wahnsinn schauen.
Ich will wie ein Kind im Krankenzimmer
einsam, mit heimlichem Lächeln, leise,
leise — Tage und Träume bauen.
= = =
Mir war so weh. Ich sah dich blaß und bang.
Das war im Traum. Und deine Seele klang.
Ganz leise tönte meine Seele mit,
und beide Seelen sangen sich; Ich litt.
Da wurde Friede tief in mir. Ich lag
im Silberhimmel zwischen Traum und Tag.
= = =
Wie meine Träume nach dir schrein.
Wir sind uns mühsam fremd geworden,
jetzt will es mir die Seele morden,
dies arme, bange Einsamsein.
Kein Hoffen, das die Segel bauscht.
Nur diese weite, weiße Stille,
in die mein tatenloser Wille
in atemlosem Bangen lauscht.
= = =
Und du warst schön. In deinem Auge schien
sich Nacht und Sonne sieghaft zu versöhnen.
Und Hoheit hüllte wie ein Hermelin
dich ein: So kam dich meine Liebe krönen.
Und meine nächteblasse Sehnsucht stand,
weißbindig wie der Vesta Priesterin,
an deines Seelentempels Säulenrand
und streute lächelnd weiße Blüten hin.
= = =
Du hast so große Augen, Kind.
Du siehst gewiß oft nachts Gestalten,
die, fremd und bleich, in marmorkalten
Traumhänden rote Kronen halten,
um die ein Leuchten leise rinnt.
Dann ist dein Blick am Tag wie blind
und deine Seele wie zerspalten,
dann bangt dir vor den Alltagsalten,
wenn Wünsche sich in dir entfalten,
die allen andern Wahnsinn sind.
Dann ist die Sehnsucht dir erwacht,
stolz zu entfliehn den eitlen Schreiern,
die plump, mit Händen, blöd und bleiern,
auf deiner Silberseele leiern
das irre Lied, das sterblich macht;
zu fliehn in eine blaue Nacht,
drin alle Wipfel lauschend feiern;
der Glieder Hymne zu entschleiern
und scheu im Schoß von weißen Weihern
zu finden ihre nackte Pracht.
= = =
Du sahst in hohe Lichthofmauern
und spieltest still in dumpfem Raum,
es lag ein unverstandnes Trauern
auf deinem blassen Kindheitstraum.
Und deine Tage waren bleiern,
die Mutter krank, der Vater roh;
und manchmal kam ein Krüppel leiern —
dann lauschtest du und weintest so.
Was kann dir nun der Sommer taugen?
Müd, wie mit scheuem Schwingenschlag,
durchirren deine Heimwehaugen
den uferlosen Sonnentag.
= = =
Sie war:
Ein unerwünschtes Kind, verstoßen
auch aus der Mutter Nachtgebet,
und ewig fern von jenem Großen,
das gebend durch die Zeiten geht.
Sie wünschte wenig — und nur selten
kam wie ein Weinen über sie
nach einem Land mit Purpurzelten,
nach einer fremden Melodie,
nach weißen Wegen, die nicht stauben —
dann bog sie Rosen sich ins Haar,
und konnte doch nie Liebe glauben,
auch wenn es tief im Frühling war.
= = =
Wenn ich dir ernst ins Auge schaute,
klang oft dein Wort so kummerkrank,
wie eine leise Liebeslaute,
die einsam einst ein Meister baute,
als seine Seele Sehnsucht sang.
Sie lernte seither leichte Lieder
und tönte gern zu Tag und Tanz, —
da greift ein Träumer ihre Glieder:
und wie erwachend weint sie wieder
das Heimweh ihres Heimatlands.
= = =
Ja, früher, wenn ich an dich dachte,
wie Wunder wars: ein Mai erwachte
um dich im Aureolenglanz,
und meine Sehnsucht träumte sachte
um deine Stirne einen Kranz.
Jetzt seh ich dich; du senkst dein Weinen
ins Herz den herbstverhangnen Hainen,
schleicht an den bleichen Meilensteinen
ein wunder Sonnenuntergang.
= = =
Ich ging durch ein Land, durch ein trauriges Land.
Wie auf leerer Wiege ein Wiegenband
lag der blasse Fluß auf dem flachen Sand,
darüber aus nassem Nebelgewand
reckte die Weide die Totenhand.
Mir war so traurig. Ich starrte und stand.
Ich sah dich kauern am Wegesrand.
Einst hab ich dich und das Glück gekannt.
Du weintest wühlend und unverwandt,
und ich fragte dich: Ist das dein Heimatland?
Du nicktest, du nicktest wie traumgebannt . . .
Da hab ich dich wieder wie einst genannt;
doch dein Bild zerrann mir, dein Bild entschwand.
Die Pappeln kohlten im Abendbrand,
und der Tod ging rot durch dein Heimatland.
= = =
Weißt du, daß ich dir müde Rosen flechte
ins Haar, das leis ein weher Wind bewegt —
Siehst du den Mond, wie eine silberechte
Merkmünze, und ein Bild ist eingeprägt:
ein Weib, das lächelnd dunkle Dornen trägt —
Das ist das Zeichen toter Liebesnächte.
Fühlst du die Rosen auf der Stirne sterben?
Und jede läßt die Schwester schauernd los
und muß allein verdarben und verderben,
und alle fallen fahl in deinen Schoß.
Dort sind sie tot. Ihr Leid war leis und groß.
Komm in die Nacht. Und wir sind Rosenerben.
= = =
Kannst du die alten Lieder noch spielen?
Spiele, Liebling. Sie wehn durch mein Weh
wie die Schiffe mit silbernen Kielen,
die nach heimlichen Inselzielen
treiben im leisen Abendsee.
Und sie landen am Blütengestade,
und der Frühling ist dort so jung.
Und da findet an einsamem Pfade
vergessene Götter in wartender Gnade
meine müde Erinnerung.
= = =
Wo sind die Lilien aus dem hohen Glas,
die deine Hand zu pflegen nie vergaß?
Schon tot?
Wo ist die Freude deiner Wangen hin,
die wie ein ganzer Lenz zu prangen schien —
Verloht?
Und wo ist unser Glück so groß und rein,
das hell dein Haar wie ein Madonnenschein
Umspann?
Auch das ist tot. Heut weinen wir ihm nach,
und morgen kommt der Frost uns ins Gemach —
Und dann?