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Wegwarten
Lieder dem Volke geschenkt

Die Wegwarten war ein Versuch von Rainer Maria Rilke der Herausgabe eines kostenlosen Periodikums während seiner früher Prager Phase 1896.
Er wollte den Menschen die Literatur näherbringen, deshalb vereinfachte er die Sprache.

Die Besonderheit der "Wegwarten" besteht darin, dass Rilke sein Periodikum noch unter seinem Geburtsnamen René Maria Rilke herausgab.
Er nannte sein Periodikum "Wegwarten" und bezog sich hierbei auf eine Sage die Paracelsus, dem berühmten Arzt aus dem 16. Jahrhundert zugeschrieben wird:
alle Jahrhunderte, so die Sage, verwandelte sich die Wegwarte zu einem lebendigen Wesen.
Wie die Pflanze, so sollten auch die Gedichte seines Werkes "in der Seele des Volkes zu höherem Leben aufwachen".
Drei Bände gab er im Selbstverlag heraus, dann musste er seinem Vorhaben ein Ende
machen, wegen, wie er glaubte "Erfolgslosigkeit".


Band 1: Lieder dem Volke geschenkt (1896)
Band 2: Jetzt und in der Stunde unseres Absterbens (1896)
Band 3: Deutsch-moderne Dichtungen (1896)

 


Band 1
Lieder dem Volke geschenkt
(1896)

 

Das Volkslied
Morgen
Falter und Rose
Der Gespensterturm
Künstler-Los
Mittag
Die Rose
Eine alte Geschichte
Trost
Abend im Dorfe
Abendwolken
Irrlicht
Königin See
Sterne
Nachtgedanken
Im Dunkel
Durch einen Wald von Ungemach
Sehnsucht
Mir geschah
Zukunft
Zum Licht

Das Volkslied
Nach einer Kartonskizze des Herrn Liebscher


Es legt dem Burschen auf die Stirne
die Hand der Genius so lind,
daß mit des Liedes Silberzwirne
er seiner Liebsten Herz umspinnt.

Da mag der Bursch sich süß erinnern,
was aus der Mutter Mund ihm scholl,
und mit dem Klang aus seinem Innern
füllt er sich seine Fiedel voll.

Die Liebe und der Heimat Schöne
drückt ihm den Bogen in die Hand,
und leise rieseln seine Töne
wie Blütenregen in das Land.

Und große Dichter, ruhmberauschte,
dem schlichten Liede lauschen sie,
so gläubig wie das Volk einst lauschte
dem Gottes wort des Sinai.


Morgen

Der Frühwind kommt. — Dem Schein
Des Lichts macht er die Bahn frei;
Keck wirft er einen Hahnschrei
In jeden Hof hinein.

Sonst ist im Dorf noch Ruh';
Nur hoch die Pappeln flüstern.
Die Luft lechzt lerchenlüstern
Dem roten Morgen zu.

Falter und Rose

Ein Falter, der begehrte
Die Rose. Loser Knab'!
Die Rose aber wehrte
Sein stürmisch Werben ab.
Und wie er fort auch mühte sich,
Und keinen Deut die Blüte wich, —
                  . . . . . . . Ei, hüte dich!

's war eine Wasserrose,
Die ihm so gut gefiel. —
Jetzt trotzte er im Moose,
Gab scheinbar auf sein Spiel.
Doch sann der kleine Wüterich:
Bis nur der Tag verglühte sich,
                  . . . . . . . Dann hüte dich.

Und als die Nacht vom Hügel
Herabstieg, — voll Begier
Spannt er die Pracht der Flügel
Und flatterte zu ihr . . . . .
Doch sein Triumph verfrühte sich! —
Es schloß ganz leis' die Blüte sich,
                        Jetzt — hüte dich.

Der Gespensterturm

Dort steht ein Turm, ein kleiner,
Uralter — hoch und frei; —
Bei Tage selbst geht keiner
Gern an dem Platz vorbei.

Wenn ihm sein Leben teuer,
Und fromm er ist zumal;
Denn dort ist's nicht geheuer,
So munkelt man im Tal.

Doch fahrendes Gesindel
Hält gern im alten Haus:
Jetzt g'rad' hangt eine Windel
Als — Geisterfahne aus.

Künstler-Los

Rasch rollt das Zelt!
Komödianten, fahrende Leute.
Gestern ins Städtchen erst, aber schon heute
          Fort in die Welt!

Flott angespannt!
Pony, du kleines, du ziehst den grünen,
Prächtigen Wagen, die schönste der Bühnen,
          Von Land zu Land.

Hei, wie der Wind
Trugst du noch gestern auf deinem Rücken
Nedda, die braune, zu aller Entzücken —
          Das schöne Kind!

Frei auf Gebot
Sprangst du durch Reifen und stiegst auf Treppen.
Heute — mußt du den Karren schleppen:
          Kunst geht nach Brot.

Mittag

Wie über dem blauenden Waldsee schwer
Hinlastet schwärmendes Schweigen.
Ein Raunen, ein heimliches, zittert noch her
Von blütenbezwungenen Zweigen.

Die schillernde, schnelle Libelle schwirrt
Hin über die Fläche, die blanke, —
Da, rauschend im ragenden Röhricht irrt
Ein — niegedachter Gedanke . . . . .

Die Rose

Die Rose hier, die gelbe,
Gab gestern mir der Knab';
Heut trag' ich sie, dieselbe,
Hin auf sein frisches Grab.

Die Rose ist seit gestern
Noch immer hold und schön,
So ganz wie ihre Schwestern
Im Hag und auf den Höh'n.

An ihren Blättern lehnen
Noch lichte Tröpfchen — schau!
Nur sind es heute — Tränen,
Und gestern war es Tau . . . .

Eine alte Geschichte

Eine alte Weide trauert
Dürr und fühllos in den Mai,
Eine alte Hütte kauert
Grau und einsam hart dabei.

War ein Nest einst in der Weide,
In der Hütt' ein Glück zuhaus, —
Winter kam und Weh, und beide —
Blieben aus . . . .

Trost

Im hohen Himmelsraum
Dort zieht der Sterne Reigen,
Der Bäume Wipfel neigen
Sich leise wie im Traum.

Die Blumen auf der Flur,
Sie sind so sonnenmüde,
Ein heiliger Wonnefriede
Durchzittert die Natur.

Wenn manch ein Sturm getost,
Den Blumen feindlich wilde,
Nun lächelt Nachtluft milde
Und lispelt ihnen Trost . . .

Abend im Dorfe

Sieh, wie fern im dämmerdüstern
Wald die Sonne sich verlor.
Ruh' im Dorfe. — Leise flüstern
Hausgenossen noch am Tor.

All das blanke Werkgeräte
Steht im reinen Hofe still;
Manchmal stört noch eine späte
Kuh das trauliche Idyll.

Eine heil'ge, gottgeweihte
Rast, — der Müh' des Tages wert.
Selbst die Straße scheint, die breite,
Wie getüncht fast, wie gekehrt.

Pfeifend treibt ein Gänsehirte
Heim die weiß beschwingte Schar . . .
Hoch der müde, lichtdurchflirrte
Himmel oben — weit und klar.

Abendwolken

Abend . . . . . Stille die Fernen. — Ich schau'
Hoch ob verdämmernder Hügellehne
Wandelnde Wolken, silberne Kähne,
Schimmernd schwimmen im bleichen Blau.

Gleiten so leicht in die Weite hinaus . . .
Da, bei des Mondes blinkenden Bergen
Stehn sie, als setzten sie selige Fergen
Dort auf dem einsamen Eiland aus.

Irrlicht

Du sahst ein Lichtlein schimmern
Allnächtig überm See;
Du hörtest leis es wimmern
So matt, so todesweh.

Du fragst, was solch' ein spätes
Licht soll im nächt'gen Bann? —
Ein Glück ist's, ein verschmähtes,
Das nicht — ersterben kann.

Königin See

Wenn lang der rote Tag verflammt sich
Und wenn der Sonnenflug gelähmt,
Da hüllt die See in schwarzen Samt sich,
Den weißer Hermelin verbrämt.

Sie legt in immer neue Falten
Ihr Nachtgewand, schon halb im Traum;
Zehn schlichte Fischerbarken halten
Verliebt und schüchtern seinen Saum.

Sterne

Seliger Sterne schimmernde Scharen
Schweben so ferne, blinken so schön;
Aber in blauenden Nächten, in klaren,
Gleiten sie leise von einsamen Höh'n.

Stürzen, von siegender Sehnsucht getrieben,
Jäh durch der Welten unendlichen Raum
Nieder und weben ihr leuchtendes Lieben
Ein in der Blüten keuschen Traum.

Doch wenn im Osten der Tag sich rötet,
Müssen zurück sie, verblichen und matt . . . .
Sahst du denn niemals noch ein verspätet
Sternlein hangen am Rosenblatt? —

Nachtgedanken

Weltenweiter Wand'rer,
Walle fort in Ruh' . . . . . . . .
Also kennt kein and'rer
Menschenleid wie — du.

Wenn mit lichtem Leuchten
Du beginnst den Lauf,
Schlägt der Schmerz die feuchten
Augen zu dir auf.

Drinnen liegt, — als riefen
Sie dir zu: versteh'! —
— Tief in ihren Tiefen
Eine Welt von Weh . . . . . .

Tausend Tränen reden
Ewig ungestillt, — —
Und in einer jeden
Spiegelt sich dein Bild.

Im Dunkel

Wenns im Zimmer dunkel ist,
Kind, das grämt mich nicht;
Deines Aug's Gefunkel ist
Ja so lieb, so licht.

Überm Fensterbrette schwebt
Licht noch bis zu viel, —
Scharf als Silhouette hebt
Ab sich dein Profil.

Wie bezaubert schau' ich dann
Diese Linien, fein,
Flüsternd dir vertrau' ich an
Herzensträumerei'n . . . . .

Doch — der Anstand! Spricht empört
Mancher Alltagstropf.
— Lieber Freund, das Licht gehört
Immer in den — Kopf.

Durch einen Wald von Ungemach . . . . .

Durch einen Wald von Ungemach
Geht licht ein Glück auf leisen Sohlen,
Und tausend Herzen geh'n verstohlen
Dem einen kleinen Glücke nach.

Und weil ein jedes sich versprach,
Dem Glück zu werden zum Begleiter,
So geh'n sie alle weiter, weiter
Tief in den Wald von — Ungemach . . .

Sehnsucht

Ein Aar, dem niemand Halt gebot,
Ist Sehnsucht. Über Tal und Hügel
Schwebt er auf mondbeglänztem Flügel
Zu der Erfüllung Morgenrot.

Stolz kann er, wenn der Flug gelingt,
Im ersten Strahl die Schwingen baden,
Wenn er an heimischen Gestaden,
Zu Tod ermattet, — niedersinkt . . . . .

Mir geschah . . . . .
(Lied.)

Mir geschah, so wie dem Kinde,
Dem nach banger Krankheit Gram
Man des Fiebers heiße Binde
Von dem klaren Auge nahm.

Meine Tage gingen golden
Durch der Seele Heiligtum,
Und auf meiner Träume Dolden
Wiegte sich der Falter: Ruhm.

Zukunft

Ei, schummert die Leinwand des Lebens mir grau
Das Schicksal mit Wehmutsgerinsel,
Dann tauch' ich getrost in der Hoffnung Blau
Hinein meinen durstigen Pinsel.

Da mal' ich die Zukunft, so wie ich sie seh',
Gar prächtig in Farbe und Linie; —
Fromm, zitternd, wie einstens Fra Fiesole
Madonnen gemalt und Bambini.

Zum Licht

            1.

Nur nicht im Dunkel
Schmählich erschlaffen!
Im Lichtgefunkel
Leben und schaffen.
Nur im Verstecke
Nicht müd' versiechen,
Kränkeln und kriechen —
Nur das nicht!
Richte und recke
Auf dich zum Licht!

           2.

Siegende Sonne
Hellt dir die Brust,
Wogende Wonne
Wird dir bewußt,
Unter der Decke
Ängstlicher Kleinheit
Wärmt sich — Gemeinheit;
Nur das nicht!
Richte und recke
Auf dich zum Licht!

            3.

Sowie des Lichtes
Funken sich heben,
Sieh', des Gedichtes
Rhytmisches Schweben,
Daß es dich wecke
Aus deinen Träumen . . . .
Zaudern und säumen?
Nur das nicht!
Richte und recke
Auf dich zum Licht!