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Aus den Alpen
 

I.

Ich kam — und was im kühnsten Traum
Ich nimmermehr gedacht,
Das hat des ersten Tages Raum
Entgegen mir gebracht.

Du warst's ja — die zuerst ich sah
Im lieben Heimatland,
Du reichtest ja, beglückend nah'
Mir dar die teure Hand!

Die Hand, so zart, um die, berauscht
Von ihrem Druck, so weich,
Ich nimmer hätte eingetauscht
Ein ganzes Königreich!

O höh'rer Welten, lichter Geist!
Von einem Gott gesandt,
Der mich allda willkommen heißt
Im trauten Vaterland!

Fahr' hin o Herz zur ew'gen Nacht
Du hast genug gelebt,
Des Wiedersehens höchste Macht
Hat schon in dir gebebt!

II.

Gegrüßt, du stille Alpenwelt,
Gegrüßet seist du wieder,
Der Ruhe Geist, der dich beseelt,
Er schwebe auf mich nieder!

Der Ruhe Geist, des stille Kraft
Mit wunderbarem Weben
Sich eine neue Welt erschafft,
Erfüllt mit regem Leben.

Es steigt ein hoher Schöpfergeist
Herauf vom niedern Moose,
Wie er im Dufte auch umkreist
Die frische Alpenrose.

Die Luft weht, wie der Gottheit Hauch
Dem Urquell sich entrungen,
Sich schüttelnd bebt der schwache Strauch
Vom Leben tief durchdrungen. —

Und Schauer faßt des Menschen Brust,
Dringt tief zu seinem Herzen,
Zur Seligkeit wird seine Lust,
Zur Wehmut seine Schmerzen.

D'rum grüß' ich dich o Alpenwelt
Mit deinem stillen Leben!
Der Ruhe Geist, der dich beseelt,
Mag auf mich niederschweben!

III.

Du warst der helle Morgenstern,
Der stieg an meinem Himmel auf,
Wie folgt' ich ewig, ach! so gern
Des Sternes glänzend hohem Lauf;
Doch ach! sein schöner Strahl verblich,
Wohl funkelt er — doch nicht für mich!

Du warst der Rose zart Gebild,
Die einst am Wege mir genickt,
Wie hat sie o so wonnig mild
Mir in das tiefste Herz geblickt!
Doch ach! ihr Blühen bald verblich,
Wohl blüht sie noch — doch nicht für mich!

Du warst der helle Silberbach,
Der einstens durch mein Leben floß,
Noch tönt die Harmonie mir nach,
Die er in meine Seele goß;
Doch ach! sein lichter Schein erblich,
Wohl rauscht er noch — doch nicht für mich!

IV.

In den Mantel eingehüllet
Lehn' ich hier am grauen Felsen
Auf der Alpe höchster Spitze
Schlafvergessen — tagerwartend;
Aber noch herrscht mächt'ges Dunkel
Um mich her, und ödes Schweigen.
Nebel jagen aus der Tiefe
Wie Gespenster auf und nieder,
Jetzt den blassen Mond verschlingend.
Jetzt ihn wieder schnell enthüllend,
Der mit leisen Geistertritten
Abwärts vor dem Morgen fliehet
Seinem Untergang entgegen. —
O wie still ist's hier zu wachen
Und mit reger Träumer-Seele
All' dies heimlich Dämmerleben
Anzuschau'n und zu belauschen! —
Schleichen dir nicht alle Schauer
Eines unempfund'nen Lebens
In das Herz mit leisem Beben?
Ist's dir nicht, als wenn zur Stätte,
Wo Natur zurückgezogen
Ihre Schöpfungswerk' beginnet,
Plötzlich du hinausgeführet?
Tritt dir nicht des Urquell's Rauschen
Näher in die ahnungsvolle
Feierlich gestimmte Seele?
Horch! — schon regen sich die Flügel
Unsichtbarer Lebensgeister,
Des Bewußtseins neue Gabe
In die ruherstarrten Täler
Bei des Morgens erstem Winke
Windesschnell hinab zu tragen;
Dort versinkt mit rotem Scheine
Nach vollbrachtem, nächt'gem Werke
Schon der Mond in Nebelwolken!
Und die Schleier jagen weiter
Nach, zum grauen Himmel ziehend,
Finsternis geht sanft verschwimmend
In die falbe Dämm'rung über.
Soll der helle Tag erscheinen,
Muß der holde Zauber schwinden,
Nach der Nacht verborgenen Reizen
Kommt der Tag, der allbekannte!
Deutlich sind schon alle Täler,
Felder und zerstreute Hütten
Vor dem Auge wahrzunehmen,
Unsichtbar ging schon die Sonne
Über die bedeckten Berge,
Denn es wird ein trüber Morgen —
Schüttle ab dein ernstes Sinnen
Und erwache, — meine Seele!

V.

Mir ist's auf steiler Alpenbahn
Als schritt' dein holdes Bild voran,
Unsichtbar wink'st du mit der Hand,
Zu dir ist stets mein Blick gewandt!

Du schreitest vor, — ich folge mit,
Und wo geweilt dein Geistertritt,
Dort sproßt in kurzer Zeit darauf
Die zarte Alpenrose auf.

Schon taucht der erste Stern hervor,
Bald glänzt der ganze helle Chor;
Und Sterne wandeln auf und ab,
Mein Sternbild nur geht nie hinab!

VI.

In des Abends Frieden stehet
Eine Alpenhütte dort,
Duftig kühler Schauer wehet
Um den still geweihten Ort.

Wie die Herdenglock' versöhnend
In die stille Weite klingt,
Weihevoll und — friedlich tönend
Frieden in die Seele bringt!

Seine langen kühlen Schatten
Wirft der Abend in das Tal,
Aus den grünen Alpenmatten
Weilt der letzte Sonnenstrahl!

In der großen, weiten Runde
Hält der Friede — unbelauscht
Seine heil'ge Feierstunde,
Weil des Tages Strom verrauscht.

Bild der Ruh', um das die Schwingen
Der azur'ne Himmel spannt!
Ganz gemacht, um einzusingen
Auch mein Herz, so heiß entbrannt!