Weltauffassung
Wie schwärmte einst das wunscherglühte,
Das junge Herz durch's Leben hin!
Abpflücken mußt' ich jede Blüte,
Die duftverheißend mir erschien;
Von jeder Beere mußt' ich naschen,
Die saftig zwischen Blättern hing,
Mit raschem Griff im Fluge haschen
Den farbenbunten Schmetterling.
Dem unersättlichen Begehren
Genügte nicht der schöne Schein.
Das bloße Schauen hieß Entbehren,
Besitzen war Genuß allein.
Doch ach! Die Blume kaum gebrochen,
Verschrumpfte welkend in der Hand,
Die Frucht verfaulte, wurmdurchkrochen,
Des Falters Glanz verblich und schwand.
Und
jedes Zaubers, jeder Zierde
Schon dünkte die Natur mich bar, —
Bis ich das Feuer der Begierde
Getilgt im Busen ganz und gar.
Da lernt' ich allgemach erfassen
Der tiefsten Weisheit wahren Sinn:
Nur das ist unser, was wir lassen,
Und nur Entsagen bringt Gewinn.
Mag ruhig nun die Beere reifen,
Die Blüte blüh'n — ich pflück' sie nicht!
Mag unverfolgt und sicher schweifen
Der Schmetterling im Sonnenlicht!
Ein Bild nur ist die Welt mir eben,
Das ich betrachte wunschlos-still,
Und Schmuck und Reiz ist ihr gegeben
Auf's Neue — seit ich nichts mehr will!
In trüber Zeit
Saß im Zimmer ich allein,
Saß in stummer Herzenspein —
Vor dem Fenster ein Vögelein
Hört' ich im Busche singen.
Sang so emsiglich und schnell,
Sang so wohlgemut und hell,
Gleich als wollte auf der Stell'
Die Kehle ihm zerspringen.
Sah der Himmel grau herab,
War die Erde wie ein Grab,
Glücklich, wem ein Gott es gab
In trüber Zeit zu singen! —
Gleichnis
Ahnst du das Glanzgewimmel,
Das Sternenweltenheer
Am tageshellen Himmel,
Im Blau so tief und leer? —
Da geht die Sonn' zur Rüste,
Gedunkelt kommt die Nacht —
Und sieh! die Ätherwüste
Erblüht in gold'ner Pracht.
So, weil dich überblendet
Der Strahl des Lebenslicht's,
Dein Blick in's All gewendet
Erschauet nur — das Nichts;
Doch wann die schwarze Hülle
Des Todes niederfließt —
Wer weiß, welch' lichte Fülle
Dir einst entgegensprießt!
Das Lied der Menschheit
Es weht der Wind, ich schreite
Die Straße rasch entlang;
Der Draht ist mein Geleite,
Fortlaufend von Stang' zu Stang'.
Was summt und saust,
Was brummt und braust
In Lüften wie Geistergesang?
So rätselhaftes Klingen
Vernahm ich nie zuvor,
Auf unsichtbaren Schwingen
Umflattert es mir das Ohr
Geschäftiglich,
Als einten sich
Unzählige Stimmen zum Chor.
Verkündend Freuden, Leiden,
Durchkreuzen so die Luft.
Magst du im Strauße scheiden
Der einzlen Blume Duft:
So deute mir
Das Tongewirr,
Wie's flüstert und säuselt und ruft!
Ist's nicht ein Wimmern, Ächzen,
Wie wenn's an's Sterben geht?
Kommt's nicht wie Rabenkrächzen
Nun plötzlich herangeweht?
Indes ein Herz
In wildem Schmerz
Erbarmen vom Himmel erfleht?
Und jetzt — in alle Winde
Der Mutter Wonneschrei!
Von da und dort dem Kinde
Schallt Segen und Heil herbei.
Nun gellt's und schwirrt's,
Nun schellt's und klirrt's,
Als splitterten Schwerter entzwei.
Horch! nun ein seufzend Fragen
Der sehnsuchtvollen Braut —
Blitzschnell zurückgetragen
Vertröstender Antwortlaut!
Von Land zu Land,
Von Strand zu Strand
Ein Grüßen gar heimlich und traut!
Mit
tönendem Gefieder
Hinfliegt's wie Siegeskund';
Ein Wogen auf und nieder,
Ein Jauchzen von Mund zu Mund!
Dazwischen bang
Der Schwanengesang
Des Helden auf blutigem Grund'!
Dies Alles: Ferne, Nähe,
Ost, West und Süd und Nord,
Glück, Unglück, Lust und Wehe,
Haß, Liebe, Geburt und Mord —
Es schwebt und webt,
Es strebt und bebt
Zusammen einen Akkord!
O Draht! der in die Weite
Von Stang' zu Stange dringt —
Du bist die Leier-Saite,
Zu welcher die Menschheit singt
Ihr Lied — das braust,
Das summt und saust,
Mit Flügeln des Sturmes beschwingt!
An ein junges Mädchen
Ein Rosenknöspchen, aufgegangen
In frischer Schönheit, lustbeglückt,
Die Augen leuchtend, rot die Wangen,
Stehst du vor mir, zum Ball geschmückt.
Mir ist, als ob in's Herz mir lachte
Ein ganzer Lenz voll Sonnenschein;
Und dennoch, wenn ich dich betrachte,
Mischt sich ein leis Bedauern ein.
Ach! still erblüht im Vaterhause,
Von fremden Händen unberührt;
Zum erstenmal in's Festgebrause
Der Welt wirst du hinausgeführt.
Trittst aus dem holdbescheid'nen Kreise
Hin auf den Markt der Eitelkeit,
Zu ringen nach dem Schönheitspreise,
Den andern Blumen angereiht.
Dein Liebreiz, der bisher verborgen
Im Schattendunkel züchtig blieb,
Wagt sich an's offne Licht, und morgen
Bist du schon reizender, als lieb.
Das leichte Kleid, es ist zerknittert,
Zerdrückt die zarte Spitzenzier —
Mit heißem Hauche hat umwittert
Verlangen Sinn und Seele dir.
Verweht der duft'ge Schmelz für immer
Von deinem reinsten Unschuldsglück!
Als Kind verlassest du dies Zimmer,
Als Jungfrau kehrest du zurück.
Ja, Mädchen, also wird es kommen —
Du selber fühlst es unbewußt,
Was wär' dir heimlich so beklommen
Zu Mute sonst bei aller Lust?
O nicht das laute Festgetriebe,
Das neue ist's, wovor dir bangt:
Ein tiefes Ahnen ist's der Liebe,
Die schon nach deinem Herzen langt.
Menschenweise
Hingegeben mit Behagen
Keiner Stunde rein und voll,
Daß wir immerdar doch jagen
Nach der Zeit, die kommem soll!
Kaum auf schneebefreiten Hängen
Ist das erste Grün zu seh'n,
Und in Schattenlaubengängen
Möchten wir uns schon ergeh'n.
Blütenkränze schimmernd hangen
Von den Bäumen; doch es sucht
Ungeduldiges Verlangen
Zwischen Blättern schon die Frucht!
Aber losgetrennt vom Zweige
Liegt sie bald an Stammes Fuß —
Jahr und Leben geht zur Neige
Ohne ruhigen Genuß.
Ach! dann stehen wir und klagen:
Hemme deinen Flug o Zeit!
Nutzlos! ihre Schwingen tragen
Uns in die Unendlichkeit!
Es wird schon recht sein
Wann aus dem Körper einst die Seele flieht —
O wer es wüßte, was mit ihr geschieht!
Taucht sie hinab in des Vergessens Nacht?
Fliegt sie empor zum lichten Sternzenit?
Ob sie gestaltlos schwebt im ew'gen Raum?
Ob eine neue Wohnung sie bezieht? —
Dies Alles, wär's ein größ'res Wunder wohl,
Als daß auf diese Erde sie geriet? —
Frag' weiter nicht, befehle ihr Geschick
Dem Unsichtbaren, der ihr Ringen sieht.
Was auch geschehen möge — sei getrost:
Es wird schon recht sein, was mit ihr geschieht.
Schwarzseher
Wie ist der Himmel so trüb und grau,
Die Erde ganz ohne Schimmer!
So dacht' ich, sinnend mit finst'rer Brau',
Und grübelnd in meinem Zimmer.
Ich trat hinaus — da war es hell und rein
Der unendliche Himmelsbogen:
Es war nur vor meinem Fensterlein
Eine Wolke vorbeigezogen!
Ein Wanderer
Soll ich streben und genießen?
Soll ich ruhen und entsagen?
Soll ich strenge mich verschließen?
Oder frisch in's Leben wagen?
Weise gibt es, die das Eine,
Weise, die das And're lehren,
Aber ihrer Lehren keine
Konnte völlig mich bekehren.
Denn das Eine, wie das And're
Führt — so scheint es — nicht zum Heile,
Also zwiegespalten wand're
Ich nun schon geraume Weile.
Pflückte manche Blüt' am Wege,
Labte mich an mancher Tränke;
Doch manch blühendes Gehege
Ließ ich links, und manche Schänke.
Habe manchen Berg erklommen,
Manchen Hügel nur umschlichen,
Diesen Strom hab' ich durchschwommen,
Jenem bin ich ausgewichen.
Und so geh' ich meine Weise
Weiter, unter Lust und Bangen —
Wird sich wohl am Schluß der Reise
Zeigen — ob ich recht gegangen!
Sommernacht
So viel schöner die Erinnerung
An beglückte Zeit, als diese selber,
So viel schöner, als der goldenste,
Sonnigste der Tage, ist die Mondnacht!
Zauberhelle dämmert allverklärend
Über'm Walde, d'rin das Käuzchen seufzt,
Dämmert über Wiesen, wo der Grille
Schläf'riges Gezirpe rastlos tönt.
Eine späte, fleiß'ge Sichel klingt,
Wachtelschlag herauf aus duft'gem Kornfeld,
Jezuweilen in azur'ner Ferne
Um die Berge zuckt es wetterleuchtend.
Aber, wie der Greis, der silberlockige,
Auf den Jüngling blickt, dem Leidenschaften
Noch im Busen flammen, — mildelächelnd
Blickt der Vollmond auf die heiße Erde.
Von des Nußbaum's breiten Blättern träufelt
Weißes Licht, die Stufen der Veranda
Fließt es nieder, an dem Hausgewände,
Daß es gleißt, als wär' es eitel Marmor.
Aus dem Schatze der Erinnerungen
Heb' ich mir die köstlichsten der Perlen,
Lasse flimmern sie, wie Tropfen Taues
Dort im keuschen Schoß der weißen Rose,
Bis in süßer Müdigkeit die Seele
Mir dahinschmilzt, wie das Wolkenflöckchen
Hoch im Äther, wie Resedenhauch
In der lauen Luft sich wonnig auflöst.
Herbstlieder
1.
Breitest deinen duft'gen Schleier
Wieder über Berg und Flur,
Stille Jahresabendfeier,
Sabbathruhe der Natur!
Gold'ner Herbst! So hold gemutet
Mich der Frühling selber nicht,
Als mich wundersam umflutet
Dein gelindes Zauberlicht.
Ach! in dieser milden Sonne,
Die mit Wettern nimmer kämpft,
Wird zu sanfter Freude Wonne,
Wird zu Wehmut Schmerz gedämpft,
Während Nebel hoch im blauen
Äther aufgelöst verschwimmt,
Herz und Auge klarem Schauen
Heit'rer Schöne zugestimmt.
O wie tief sich das Gemüte
Jedem schwächsten Strahl erschließt,
Jeder nachgebor'nen Blüte,
Die am Rain verloren sprießt,
Jedem Zwitscherton, der leise
Aus dem Walde noch erklingt,
Wo das Laub im Tummelkreise
Schwebend, sich zu Boden schwingt!
Doch beschaulich dann und sinnig
Kehrt es in sich selbst zurück,
Und empfindet wärmer innig
Treuer Liebe Dauerglück,
Wenn der Geist im Drang des Lebens,
In der Tage raschen Flucht
Ach! ein festes Ziel des Strebens
Ewig unbefriedigt sucht!
2.
Die Sonne geht scheiden, es zittert
Ihr letzter Strahl durch die Luft,
Gebirge und Hügel umflittert
Goldpurpurner Schleierduft;
Vorüber das blühende Drängen,
Vorüber die Erntezeit!
Auf Wiese, Feld und Gehängen
Liegt süße Müdigkeit.
Am Rain, wo gemach sich die Eiche
Im Hauche des Windes entlaubt,
Wiegt eine vergessene, bleiche
Spätblume ihr sinnendes Haupt;
Bald ist dein einsamer Kummer
Beruhigt, Verschmähte du!
Bald schließt langdauernder Schlummer
Auch dir die Augen zu.
Es schleichen schon dreister und dreister
Vom dunkeldämmernden Moor
Die Scharen der Nebelgeister
Um nimmer zu weichen — hervor.
Laß heiter o Herz! uns entsagen —
Genossest ja all der Pracht —
Von schönen, goldenen Tagen
Laß träumen uns! — gute Nach!
3.
Welch' milder Hauch, welch' sanft Geleuchte
Ergossen über Berg und Tal!
Nach Regenguß und Nebelfeuchte
Wie frühlingswarm der Sonne Strahl!
Die Alpe, leicht mit Silberflocken
Bestäubt, im reinen Himmelblau —
Will sie noch Einmal mich verlocken
Zur Höh' hinan durch Feld und Au?
So spiegelhell der See! Am Strande
Liegt still der bunte Ruderkahn —
Lös' ich noch einmal seine Bande,
Und steure auf die Wasserbahn?
O nichts! — Mein Herz vom Frost getroffen,
Ist jeder holden Täuschung satt,
Und all' sein Streben, Wünschen, Hoffen
Längst abgewelkt, wie Blum' und Blatt.
Dies gold'ne Licht, dies laue Fächeln,
Das lebenheuchelnd es umwirbt,
Ist nur das letzte, müde Lächeln
Des Todeskranken, bevor er stirbt.
4.
Graue Nebelschleier wallen
Über Berg und Wald herein,
Braune, dürre Blätter fallen
Matt im trüben Abendschein.
Streust sie fühllos auf die Bahre
Deiner Blumenkinder hin,
O Natur! — in jedem Jahre
Lebensspend'rin, . . . Mörderin!
Werden, Blühen und Verblühen,
Ewig wiederholtes Spiel,
Schaffens und Zerstörens Mühen —
Wird es nimmer dir zuviel?
5.
Und wieder ist's Abend worden!
Der Nebel rieselt fein,
Ein kalter Wind vom Norden
Trieb mich in's Haus herein.
Unlustig, mit Geglose
Das Holz brennt im Kamin,
Ich stiere, die Händ' im Schoße
In's zischend Feuer hin.
Vor'm Fenster fliegt vorüber
Der Heher mit krächzendem Schrei,
Die Welt wird trüb und trüber —
Mir ist es einerlei!
Todessehnsucht
O trübe, hoffnungslose Zeit,
Durch Feld und Flur zu gehen!
Die ganze Erde eingeschneit,
Am Nebelhinmmel weit und breit
Kein Stückchen Blau zu sehen!
Und Grabesstille ringsumher —
Ein allgemein Verneinen
Des Lebens, kalt und freudenleer!
Nur von den Bäumen tropft es schwer
Wie unterdrücktes Weinen!
Wer sagt mir: darf ich wieder je
Um Glück und Ruhe werben? —
Mir ist so bang, mir ist so weh' —
Ich möcht' am liebsten in den Schnee
Hinwerfen mich, und — sterben!
O einmal noch so froh
zu sein
O einmal noch so froh zu sein,
Wie ich als Knabe war!
In's Leben noch den Blick hinein
So hoffnungsfrisch und klar!
Von Schuld und Leid noch unversehrt
Das Herz — voll gläub'ger Scheu!
So lockend und begehrenswert
Noch Alles, und so neu!
Die Zukunft noch so schön und groß,
So unerreichbar fern!
Und jedes Haus — ein Feenschloß,
Und jedes Licht — ein Stern!
O ahnungsreiches Kindheitglück!
O goldener Zauberpfad! —
Vorbei! — es dreht sich nie zurück
Das eilende Zeitenrad.
Die Jahre, die dahingerollt
Auf meiner Lebensbahn —
Wenn ich von vorn beginnen sollt'
Wohl anders fing' ich's an —
Ach! wie nur kam's, daß ihre Zahl
So traumhaft mir entschwand? —
Zu Nichts zerronnen allzumal
Gleich Schnee in hohler Hand! —
Sieh! draußen wirbeln Flocken schnell,
Auf Weihnacht geht es zu;
Bald flammen Christbaumkerzen hell —
Komm kleiner Liebling du! —
Laß schauen mich in die Augen dein
So blau und unschuldklar! —
O Einmal noch so froh zu sein,
Wie ich als Knabe war!
Gebannt
Hinein in's Leben möcht' ich greifen
Mutvoll mit kecker, frischer Hand,
Mit Sturmeseile möcht' ich schweifen
Von See zu See, von Land zu Land;
Doch überschreit' ich nicht die Schwelle,
Es bleibt die Hand unausgestreckt —
Und also gleiche ich der Welle,
Die immerdar die gleiche Stelle
Denselben Stein am Ufer leckt.
Der Wille zaudert unentschlossen,
Der Quell der Lieder ist versiegt,
Dieweil die ganze Welt verdrossen
In trägen Schlafesbanden liegt;
Was ist's, das mit geheimnisvollen
Gewalten sich entgegenstemmt,
Und all mein Denken, Sinnen, Wollen,
Mein Fühlen, Streben, Können, Sollen
Zurück in seinen Ursprung dämmt? —
O Geist des Lebens, Geist der Liebe!
O Geist der Schönheit! weht heran!
Erschließet die verborg'nen Triebe,
Von meiner Seele nehmt den Bann!
Daß ungenützt auf leiser Zehe
Nicht schleich' von hinnen Tag um Tag,
Daß ich vom Neuen eure Nähe
In Glück und Kummer, Lust und Wehe
Beseligt, tätig ahnen mag!
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