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Sonette aus Venedig
 


I.

Daß ich würdig dich zu grüßen wüßte,
Venezia! du himmlische, du Eine,
Die du vor mir im gold'nen Abendscheine
Empor nun tauchst an der Lagunenküste!

Nun gilt's, daß Auge sich und Seele rüste,
Die Wunder anzuschauen im Vereine,
Wie sonst sie birgt der Erdenstädte keine.—
Du Vielbewunderte, du Oftbegrüßte!

In tausend Bildern hab' ich dich gesehen,
In tausend Worten hört' ich von dir sagen,
Sah leuchtend dich durch meine Träume gehen;

Nun seh' ich wirklich deinen Marmor ragen,
Nun fühl' ich deinen Himmel mich umwehen,
Nun hör' ich deine Wellen murmelnd klagen!

II.

Nun steh' ich hier und weiß nicht wo beginnen
Bei diesem großen, steinernen Gedichte,
Denn All', wohin ich meine Blicke richte,
Reißt zauberhaft die Phantasie von hinnen.

Paläste, tief versenkt in ernstes Sinnen,
Entsteigen stiller Flut im Dämmerlichte,
Und stumme Grüße winkt mir die Geschichte
Von diesen Bogenfenstern, diesen Zinnen!

Geschlechter seh' ich stolz vorüberschweben,
Im Purpurschmuck aus gold'nen Herrscherthronen,
Ich seh' sie leiden, lieben, kämpfen, streben;

— Doch ungedenk entschwundener Äonen
Treibt sich das Volk, voll frischer Lust am Leben!
Geschäftig auf der Riva der Slavonen.

III.

Auf die Piazzetta kehr' ich immer wieder,
Der Bilder herrlichstes mir anzuschauen,
Wenn Meer und Himmel in einander blauen,
Und liebelechzend sinkt die Nacht hernieder!

Auf hoher Säule streckt die Riesenglieder
Der Löwe mit den zahmgeword'nen Klauen,
Und mit dem Hauch' der Abendluft, der lauen,
Erklingen Töne halbvergess'ner Lieder.

Dort seh' ich schattenhaft herüberblicken,
San Giorgio's Insel — schwarze Gondeln gleiten
Im Mondenlicht auf der Lagune Rücken —

O Nacht der Nächte! Erd' und Himmel streiten,
Venezia, die schlummernde, zu schmücken,
Die ihre Schönheit wahrt durch alle Zeiten!

IV.

Nie könnt' ich mich an diesen Reiz gewöhnen,
Der reizender mir wird mit jedem Tage,
In dieser Luft vergißt das Herz der Klage,
Fühlt Liebe nur und Ruhe und Versöhnen.

Das Auge schlürft so viel des Eigenstschönen
Und Ungewohnten, daß ich manchmal zage,
Es werde all' die Pracht wie eine Sage,
Ein gold'nes Märchen über Nacht vertönen —

Es werden in des Mondes Duftgeflimmer
Die farb'gen Bilder wie ein Traum zerfließen,
Und beim Erwachen fände ich sie nimmer;

Doch nein! — der junge Morgen sei gepriesen!
Noch zeigt er Stadt und Meer im gleichen Schimmer,
Und lockt zu neuem, sonnigen Genießen!

V.

Der Abend naht — die letzten Strahlen gleiten
Von Kuppeln, welche kühn gewölbt sich schwingen,
Indes die Glocken feierlich erklingen,
Und mit dem Tag die Nacht beginnt zu streiten.

Am Platz, am Ufer und nach allen Seiten
Drängt sich das Volk mit Lachen, Schwätzen, Singen,
Mich aber lockt's, dem Lärm mich zu entringen,
Hinaus in's stille Reich der Einsamkeiten!

Und nun verläßt gemächlich seinen Hafen
Der Mond, und lenkt durch's Blau sein gold'nes Steuer,
Der einzig für Venedig scheint geschaffen;

Ja, dieser Stadt geziemt solch' duft'ger Schleier,
Wo nimmer die Erinnerungen schlafen,
An eine Zeit, erstaunlich, ungeheuer!

VI.

O wär' mein eigen Eine der Gestalten,
Mit Augen, wie sie glühen hier zu Lande,
Allabendlich im schimmernden Gewande
Den Platz durchschwebend, jenen glanzumstrahlten

Ich wüßte besser mit der Zeit zu schalten,
Nicht länger würd' ich einsam dann am Strande
Hinwandeln, und mit grübelndem Verstande
Die Blätter der Geschichte stumm entfalten!

Aus jenen Wellen, die vor Wonne beben,
Da sie der Mond geküßt mit seinem Lichte,
Säh'st du voll Anmut meine Gondel schweben —

Und hängend an dem schönsten Angesichte,
Der warmen Gegenwart ganz hingegeben,
Vergäße ich die Welt, und Weltgeschichte!

VII.

Bewegte Ruhe! ruhiges Bewegen!
Es scheint die Flut die Inselstadt zu wiegen,
Kein Wagenrasseln kann das Ohr bekriegen,
Nur Wohllautstöne dringen dir entgegen.

Doch willst du recht dir Leib und Seele pflegen,
So magst du dich in eine Gondel schmiegen,
Von jenen, die geschart am Ufer liegen,
Und lauschen den melod'schen Ruderschlägen;

Sei's, daß du an den sandigen Gestaden
Des Lido, wo die Wogen brandend tosen,
In der erwärmten Adria willst baden —

Sei's, daß die Lüfte dich mit lauem Kosen
Nach Lazzaro, dem Kloster-Eiland laden,
Wo in dem Gärtchen duften üpp'ge Rosen.

VIII. An Guido

Wie bei dem Klang' von himmlischen Akkorden
Der Geist sich fühlet mehr und mehr gesunden,
So hält ein Zauberbann mich stets umwunden
In dieser Luft, an diesen sonn'gen Borden!

Und kehr' ich wieder heimwärts nach dem Norden,
Und ist dies Alles längst dem Blick' entschwunden,
Dann denk' ich gern und oft der frohen Stunden,
Die mir an deiner Seite hier geworden!

Der Freunde Treu'ster! — ob wir im vertrauten
Gespräche, Abends längs dem Ufer gehen —
Ob Tizian's Bilder und Palladio's Bauten

Mit wachsender Bewund'rung wir besehen;
— Ob lauschen wir der Welle Klagelauten:
Ich weiß, daß uns're Herzen sich verstehen!

IX.

Es harrt das Schiff — die schwarzen Dämpfe wallen
Gleich Wolken in die Luft, die morgenhelle,
Und hold errötet der Lagune Welle
Im Purpurhauch der ersten Sonnenstrahlen;

Die Abfahrt kündet nun, der Glocke Schallen,
Das Schiff schwankt majestätisch von der Stelle
Dem Lido zu — der flutbespülten Schwelle,
Dem Eingang zu Venedigs Zauberhallen.

Frisch weht der Wind — die blauen Wogen dehnen
Sich endlos in der Sonne gold'nem Blinken,
Und schütteln trotzig ihre krausen Mähnen;

Doch rückwärts, wo die weißen Türme winken,
Blickt unverwandt das Auge voller Sehnen,
Bis es die letzte Spitze sieht versinken. —