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Viertes Buch
 

Der Backenstreich
Columbus
Der stumme Büßer
Rinaldo
Franklin
Der Flüchtling von Elba
Die Primeln
Das Hochzeitsgeschenk
Bettlertod
Schiffbruch
Geisterbegegnung
Bergkönigs Rache
Freiheit und Schönheit
Der Postillon
Bach und Blume
Jörg
Wanderer und Schnitterin
Idyll
Sirenenstimmen
Der Schiffer
Baumgespräch
Königsee
In der Werkstatt

 

Der Backenstreich

Bezwungen sind im ganzen Land
    Die Burgen der Rebellen,
Nur Kufstein leistet Widerstand
    Mit seinen dicken Wällen;
Ob König Max auch Tag für Tag
    Die Veste tät' beschießen:
Der Pienzenauer trotzt, und mag
    Von Übergab' nichts wissen.

Die Mauern läßt er, wie zum Hohn,
    Abkehren mit dem Besen,
Vergebens spei'n mit Donnerton
    Geschütze auserlesen
Ihr Feuer wütend g'en die Stadt:
    Nur wenig kann es frommen —
Der König spricht im Kriegerrat:
    "Wir müssen gröber kommen!" —

Den "Weckruf" und den "Purlepaus"
    Heißt er von Innsbruck bringen.
Ha! wie die Kugeln mit Gesaus
    Tief in's Gemäuer dringen!
So leid 's ihm in der Seele tut
    Das schöne Werk zu brechen —
Er muß daran, den Übermut
    Zu züchtigen des Frechen.

Und sieh; — es wird bereits dem Dachs
    In seinem Bau zu heiße,
Zwei Knaben sendet er zu Max,
    Die tragen Stäblein, weiße;
Als Friedensboten taten sie
    Um freien Abzug werben —
"Nein! Er und Alle sollen hie
    Von Henkershänden sterben!

Daß Keiner soll dem Tod entgeh'n
    Ich hab's bei mir geschworen,
Und wer um Gnade wagt zu fleh'n —
    — So hoch er sei geboren —
Empfängt von mir 'nen Backenstreich!" —
    Er spricht's zu seinen Mannen
Ingrimmig, und zum Sturm sogleich
    Führt er sein Heer hindannen.

In hellen Haufen strömt's hinein
    Durch Tor und Brech'. — Gefangen
Vor Max und das Gefolge sein
    In Fesseln kommt gegangen
All die Besatzung Mann für Mann,
    Die Stirn' gesenkt voll Trauer,
Mit langem, schwarzem Bart voran
    Der trotz'ge Pienzenauer.

Noch einen guten Trunk da trinkt
    Der Mut'ge, Nimmerweiche,
Dann kniet er nieder, blutend sinkt
    Sein Haupt bald unter'm Streiche;
Und seinem rollen blutend nach
    Die Häupter der Genossen:
Man sieht von einem roten Bach
    Die Erde überflossen.

Schon ist an ihrer siebenzehn
   Das Schreckenswerk gelungen,
Die Fürsten rings und Grafen steh'n
   Von Mitgefühl durchdrungen;
Sie schau'n sich stumm einander an,
   Den König an mit Zagen
Und Niemand wagt es aus dem Bann
    Auf Gnade anzutragen.

Erich, der Fürst von Braunschweig faßt
    Sich endlich doch ein Herze,
Vor Max, der still darauf gepaßt,
    Tritt er mit edlem Schmerze:
"O Herr! Verzeih' — so strenges Tun
    Es muß uns schier betrüben —
Genug der Strafe! Wolle nun
    Auch mild Erbarmen üben!" —

"Die Bitte sei gewährt! Wohlan!
    Ich lasse Gnade walten;
Jedoch, den früher ich getan,
    Den Spruch, ich muß ihn halten
Trotzalledem — ein Mann, ein Wort!"
    Er hebt die Hand zum Schwange,
Und trifft mit leichtem Schlag sofort
    Des wacker'n Herzogs Wange.

"Hab' Dank! Was deine Hand mir bot,
    Es bringt mir keine Schande,
Mach ich doch frei von Angst und Not,
    Und ledig ihrer Bande
Die Armen, die in Zweifelqual
    Sich deines Wink's versehen! —
Ihr lieben Herren allzumal
    Kommt — ihnen beizustehen!" —

Hingeh'n die Fürsten, Grafen all' —
    Sie lösen selbst die Ketten —
Da hebt sich großer Jubelschall
    Von Stimmen und Drommeten,
"Heil Maximilian! Braunschweig Heil!"
    — Ertönt's von beiden Seiten —
"Werd' Ruhm und Ehre Euch zuteil
    Jetzt, und in allen Zeiten!"

Columbus

In schnöden Banden, ein Verbrecher,
    Zu Isabella's Königsthron
Durch des Palastes Prunkgemächer
    Hinschreitet Genua's großer Sohn.
Erzittern nicht der Erde Vesten?
    In eh'rnen Fesseln diese Hand,
Die nach dem fernen, gold'nen Westen
    Den Weg durch fremde Wogen fand!

"So mag der Himmel dem verzeihen,
    Der solche Schmach dir angetan!
O sprich, ich will Gehör dir leihen,
    Du edler, schwergekränkter Mann!" —
Vor Scham erglühend, holdbefangen
    Von Rührung, ruft's die Königin,
Und leise über ihre Wangen
    Rollt ein warme Träne hin, —

Und fällt — und in die wunde Seele
    Des Helden quillt der süße Tau;
Aufschluchzend aus erstickter Kehle
    Hinsinkt er vor die hohe Frau.
Die Bisse gift'ger Neideszähne
    Verleumdung, Haß, Verkennungsschmerz
Ertrug er still; doch d i e s e Träne —
    Zuviel ist's für sein treues Herz!

Sie neigt das Haupt, das anmuthehre —
    "Begeisterung heißt deine Schuld!
Vom Lebenssturm, vom Sturm der Meere
    Ruh' aus im Hafen meiner Huld!" —
Sie winkt — die Ketten fallen nieder,
    In seinem Auge ebbt die Flut,
Und durch die gramgelösten Glieder
    Ergießt sich neue Lebensglut.

Und zu der Hoheit reinster Blüte
    Hebt leuchtend er sein Angesicht
"Dies Übermaß von Huld und Güte
    O Königin ertrag' ich nicht!
Nun sei es, daß die Welt, die kleine,
    Mir alle Ruhmeskränze raubt —
Hat doch der größten Seele Eine
    Unwandelbar an mich geglaubt!"

Der stumme Büßer

Grau spiegelt sich der Himmel
Im Ossiacher See,
Der Abendhauch durchsäuselt
Das Schilf mit leisem Weh.

Im Garten, dicht am Ufer,
Rauscht bang das welke Laub,
In dunkler Zelle lauert
Der Tod auf seinem Raub.

Da drinnen liegt im Sterben
Der stumme Klosterknecht,
Dem war zu schwer kein' Arbeit,
Und keine Kost zu schlecht.

Mit Schaufel, Hacke, Spaten
Nie müde Jahr für Jahr,
Er war von allen Leuten
Der bravste immerdar.

Neunmal ist's Herbst geworden,
Seit wandernd er genaht,
Und nur durch Zeichen sprechend
Traurig um Aufnahm' bat.

Dem Abte und den Mönchen
Stets war er lieb und wert,
Nun aber hat Entbehrung
Und Gram ihn aufgezehrt.

Bleich liegt er auf dem Lager,
Matt winkt er mit der Hand,
Bis einer von den Mönchen
Den stummen Wink verstand.

Und eher denn vergangen
Nach der Minuten zwei,
Kommt durch die kühlen Gänge
Eilends der Abt herbei.

Er tritt gemach zum Kranken:
"Gott stärk' dich armer Mann!"
— Und sieh! der nie gesprochen,
Hebt nun zu sprechen an:

"Ihr habt von jenem König
Wohl einst vernommen schon,
Von Boleslaw, den Aufruhr
Verjagt von Polens Thron?

Von Boleslaw, der meuchlings,
— Weil er vom Papste war
Gebannt, — den Bischof Krakau's
Erschlagen am Altar?

Von Boleslaw, der pilgernd
Nach Rom getan die Fahrt,
Vom Fluche sich zu lösen,
Der ihn gedrückt so hart? —

Nehmt diesen Ring, Hochwürden!
Den ich verborgen trug —
Das Wappen der Piasten,
M e i n ist's — Ihr wißt genug!

In diesen heil'gen Mauern
Fand Rast mein Wanderstab,
Gönnt mir zur ew'gen Ruhe
Allhier — ein stilles Grab!" —

Er spricht's mit bebenden Lippen,
Und sinkt zurück sofort —
Das war des stummen Büßers
Erstes und letztes Wort.

Rinaldo

In den Zaubergärten deiner Liebe
    Werd' ich Tag für Tag zurückgehalten,
Wo im ewigforterneuten Triebe
    Wunderblumen herrlich sich entfalten.

Draußen lockt der Ruhm, es winken Ehren,
    Wert vielleicht mannhafter Kampfesmühen,
Kennt' ich nur ein höheres Begehren,
    Als an deinem süßen Mund zu glühen.

Tönen hör' ich vorwurfsvolle Stimmen,
    Tadelnd Schelten, spöttisches Genecke;
Aber lächelnd fühl' ich kein Ergrimmen,
    Sicher in dem blühenden Verstecke.

Schmiege nur so inniger und wärmer
    Mich an deinen Busen weich und weicher:
Ward die Welt um einen Helden ärmer,
    Ward um einen Glücklichen sie reicher!

Franklin

Es braust der Sturm, die Wolken jagen,
    Dem Donner flammt der Blitz voraus,
Der Vogel sucht mit Angst und Zagen
    Sein Blätterdach, der Mensch sein Haus;
Doch nirgendwo ist Schutz zu hoffen
    Vor des Verderbens schnellem Lauf, —
Vom Wetterstrahle jäh getroffen,
    Schon lohen Baum und Hütte auf!

Wer ist so toll, dem Ungewitter
    Zu trotzen auf dem freien Feld?
Ha! Franklin ist's, der Geistesritter,
    Der Wissenschaft ein starker Held!
"Laß deine Glutgeschosse fliegen
    O Himmel! nur aus schwarzem Zelt!
Nun heißt es sterben oder siegen
    Zu Nutz und Frommen einer Welt!"

"Wart' Feuerschlange! — will dir zeigen
    Heut' 'mal ein gar besond'res Ziel" —
Und sieh' den Drachen läßt er steigen,
    Wie Knaben tun im Kinderspiel;
Hei! wie gelenkt am sichern Faden
    Mit spitzem Drahte vorn bewehrt,
Den Feind zum Zweikampf einzuladen,
    Der pfeilschnell in die Lüfte fährt!

Doch Wolk' auf Wolke schweren Fluges
    Schwebt über ihm die dunkle Bahn,
Dem Rufe taub; — da, straffen Zuges
    Urplötzlich spannt die Schnur sich an;
Und schleunig, wo dem Seidenende
    Der hanf'ne Faden sich verband,
Legt Franklin mit entschloss'ner Wende
    Jetzt an den Schlüssel seine Hand.

"Hab' ich dich endlich, tück'sche Hyder!
    Ei! diesmal ist's dir schlecht geglückt!"
Ausruft er froh, indes die Glieder
    Ihm heftig Schlag auf Schlag durchzückt —
"Wenn Speere dir entgegen gleißen
    Von First und Giebel, und zur Hut,
Da magst du künftig dich verbeißen
    Ohnmächtiglich, in blinder Wut!"

Der Flüchtling von Elba

Von Elba flüchtig, an der Küste Frankreichs
Gelandet, führt Napoleon sein Heer
Im Eilmarsch weiter, über das Gebirge
Die treue Stadt Grenoble zu erreichen.

Gefolgt von seinen Generälen Drouot
Und Bertrand, unter'm blauen Morgenhimmel
Auf glatteisüberzog'nem, steilen Fußpfad,
Durch Schnee und Felsen schreitet er hinan,
In seinen Mantel eingehüllt, den Kopf
Bedeckt mit dem berühmten, kleinen Hut.

Um schroffe Zinnen, die sich silberblank
In den kristall'nen Äther tauchen, glitzert
Die Märzensonne: — also leuchtet Hoffnung
Von seiner Stirn', blitzt Siegeszuversicht
Aus seinem Aug'. Zählt seine Kriegerschar
Zur Stunde auch nur wen'ge Hunderte; —
Anschwellen wird sie bald lawinengleich,
Und vorwärts dringend stürmisch, unaufhaltsam
Wegfegen jählings den Bourbonenthron.
Der kaiserliche Adler, kühnen Fluges
Wird er von Glockenturm zu Glockenturm
Sich schwingen im Triumph bis Nôtre-Dame! . . . .

Und hoch und höher geht es durch die Stille
Der Alpeneinsamkeit. Vom nahen Joch
Bläst schneidendkälter schon der Wind entgegen,
Und macht das Mark gefrieren in den Gliedern.
Sieh! — mitten in der Öde, zwischen Krummholz
Und Steinen eine menschliche Behausung!
Die Hüttentür ist offen: auf dem Herde
Einladend, mit willkommenem Geprassel,
Brennt hell ein Reisigfeuer, darüber hängt
Ein ruß'ger Kessel, und vor diesem steht
Ein Bauernweib, das emsig drin herum
Den Löffel rührend, sich das Frühstück rüstet.

Nach langem Wandern kurze Rast zu halten
Betritt Napoleon mit den Begleitern
Den rauchgeschwärzten Raum. "Wohlan" — beginnt er
Zur Bäuerin, indessen er behaglich
Die starren Hände an der Flamme wärmt —
"Was gibt's für Neuigkeiten aus Paris?"
Die Alte wischt sich mit der groben Schürze
Das glutgerötete Gesicht, und schaut
Den unbekannten Gast mit großen Augen
Ein Weilchen schweigend an: "Du lieber Himmel!
Ich weiß von nichts" — erwidert sie, sodann
Die Achseln zuckend, — und Napoleon:
"So wißt Ihr nicht, wie es dem König geht?" —
"Dem K ö n i g?" — ruft sie, voll Verwunderung
Das Wort betonend aus — "versteh' ich recht?
Ei! Herr! Ihr wolltet sagen wohl: dem K a i s e r?
Nun — der, der sitzt noch immer unten — mein' ich —
In seiner Residenz — da unten weit!" —
Sie deutet mit dem Finger in die Richtung,
In der Paris liegt, fernhin, und geschäftig
Von Neuem macht sie sich an die Arbeit.

Erstaunen malt sich in den stummen Mienen
Der Generäle, die zu fragen scheinen:
"Ist's möglich, daß der Schritt der Weltgeschichte,
Der eherne, nicht hier herauf gedröhnt?" —
Der Kaiser aber, ihnen zugewendet,
Auf seinen Lippen ein erhab'nes Lächeln:
"O Freunde — sagt! wozu nur soll es dienen,
Daß wir die ganze Welt in Unruh' setzen,
Und füllen mit dem Schrecken unseres Namens? —
Der Ruhm ist eitel, und die Größe nichtig!"

So spricht er weise, und gedankenschwer
Die Stirne senkend, mit verschränkten Armen
In's Feuer blickt er sinnend, unverwandt.
Was denkt er? — Ziehen der Vergangenheit
Gewalt'ge Schattenbilder mahnendernst
An seinem Geist vorüber . . . Moskau . . . Leipzig? . . .
Wird seine Seele, jüngst so zukunftsicher,
So festvertrauend noch, ergriffen plötzlich
Von düster'n Ahnungen . . . ?

                                Ha! —
"Vive l'empereur!"
Begeistert und begeisternd an sein Ohr
Von draußen schallt der oftgehörte Zuruf,
Mit dem die alte Garde, auf der Höhe
Des Passes mittlerweile angelangt,
— Obzwar erschöpft und müde — jubelndlaut,
Das Echo weckt in allen Felsenwänden.

Da hebt Napoleon das stolze Haupt,
Die mächt'ge Brust. Rasch tritt er aus der Hütte,
Und an der Spitze seiner Truppen wieder
Aufnimmt er seinen Marsch. Ihn treibt sein Schicksal.

Die Primeln

"Und muß es schon gefreiet sein —
Nur um die Regi will ich frei'n,
    Nach d e r steht all mein Sinnen!" —
Die stolze Dirn'? — Du armer Tropf!
Setz' dir 'ne And're in den Kopf,
    D i e führst du nie von hinnen!

Wie manch ein Bursch sie schon befrug,
D e r ist kein Freier vornehm g'nug,
    Die ist so reich wie Keine!
"Und hab' ich auch nicht Hof und Haus
Schön Regi schlag' mich doch nicht aus,
    Sollst seh'n, wie treu ich's meine!" —

"Und willst, Johannes, mich zum Weib,
So muß ich früher doch den Leib
    Zur Hochzeit stattlich zieren;
Schau' dort den Felsen! hast du Mut?
Dort wachsen Primeln, rot wie Blut,
    Die sollst du mir spendieren!"

— Mein Seel'! das wär' ein schlechter Spaß:
Kein Wildheuer mäht sein Futtergras
    Auf jenen Flühgeländen,
Kein Wurzelgräber klimmt hinauf,
Sogar die Gemse hält im Lauf
    Scheu still vor jenen Wänden.

"Wohin die Gemse sich nicht wagt,
Wo jedes Menschen Fuß verzagt,
    Will i c h den Weg mir zwingen;
Und gäb' es mit dem Himmel Streit —
Die schönste Blume weit und breit
    Gilt's mutig zu erringen!"

Du wolltest — o verweg'ner Mut!
Um Besseres vergieß' dein Blut,
    Schad' um dein junges Leben!
Laß steh'n die schöne, spröde Maid,
Erringst du sie; nur Herzeleid
    Wird sie als Lohn dir geben! —

— Schon hängt er mitten im Gestein:
Es bohrt sein Fuß sich krampfhaft ein
    In jede Spalt' und Ritze;
Er drückt und schmiegt sich an die Wand,
Und zitternd klammert sich die Hand
    An jedes Halmes Spitze.

Ein Schmetterling fliegt um ihn her —
O wer so leicht und schnell wie d e r
    Sich tändeln könnt' nach oben!
Hinan, hinan! — es netzt der Schweiß
Ihm Aug' und Mund, und fieberheiß
    Ihm alle Pulse toben.

Er gleitet aus — er rutscht zurück —
Weh ihm! — Gottlob! er hat zum Glück
    Ein Zweiglein noch gefangen;
Der Schreck lähmt ihm die Glieder fast —
Nun gönnt er sich ein Weilchen Rast,
    Und blickt mit Sehnsuchtbangen

Hinauf, von wo ihm wunderhold
Im letzten Abendsonnengold
    Entgegengrüßend nicken
Viel Blütenköpfchen purpurrot —
Doch aus der Tiefe starrt der Tod
    Ihn an mit hohlen Blicken.

Noch einen Ruck — dann ist's vollbracht —
Nun streck' den Arm aus, leise — sacht —
    Nein! pflück' sie mit dem Munde!
"Die Regi mein! Juchhei! juchhei!" —
— Ein dumpfer Fall, ein geller Schrei —
    Und — Nacht ist's in der Runde! —

*    *    *

Wer wandelt hüpfend mit Gesang
So zeitlich schon den Wald entlang?
    Ei Regi! guten Morgen!
Bist ja gar froh und aufgeräumt,
Hast von 'nem Prinzen wohl geträumt,
    Der dich zu frei'n kommt morgen?

Die Berge rings wie klar und blau!
Nur dort um jenen Felsen, schau!
    Zieht noch ein weißer Schleier —
Weißt, wo die Primeln rot wie Blut . . .
Ich will dich führen — hast du Mut? —
    Und zeig' dir einen Freier!

Was stehst auf einmal stille hier?
Was blickst auf einmal stumm und stier,
    Entsetzenbleich zur Erde?
Und ringest dir die Hände wund,
Und wirfst dich auf den feuchten Grund
    Mit jammernder Gebärde? —

"Johannes! — o Barmherzigkeit!
Wachauf! wachauf! ich bin bereit,
    Komm', laß uns Hochzeit machen!"
O schau! — Da liegt er bei der Wand —
Die Blumen in geschloss'ner Hand —
    Und will — nicht mehr erwachen!

Das Hochzeitsgeschenk

                           I.

Es flüstern die Erlen, es flimmert der See,
    Der Junker geht nächtlich vorüber —
Im Herzen ein Sinnen und Sehnen so weh!
    Im Beutel nur wenige Stüber:
"O wär' ich doch reich! nicht in einsamer Glut
    Verträumt' ich die rosigen Jahre;
"Wohl morgen schon führt' ich mit Liebesmut
    Schön Elschen zum Traualtare!

Sieh! — über die Wellen vollmondklar,
    Im leisegekräuselten Bogen
Kommt lenkend ein schneeiges Schwanenpaar
    Die lieblichste Jungfrau gezogen:
Die goldenen Locken mit Lilien bekränzt
    Gar wonniglich fließen sie nieder!
Das leuchtet und zittert, das duftet und lenzt
    Um die weichen, die blendenden Glieder!

Sie steuert zum Ufer, sie schwinget die Hand —
    Dem Junker fällt's klingend zu Füßen;
Er bückt sich begierig hinab in den Sand,
    Er bemerkt nicht ihr Winken und Grüßen!
"Ein Erlengezweige! nicht biegsam und weich,
    Nein! gediegene, silberne Spangen!
Nun bin ich geborgen, nun bin ich ja reich!
    Ade nun du Wünschen und Bangen!

                           II.

"Und bist du nicht glücklich, und bist du nicht mein?
    Schön Elschen! warum so beklommen? —
Spielt auf, Musikanten! ihr Mägdelein,
    Ihr Burschen! zum Tanze willkommen!"
Von Morgen bis Abend, bis tief in die Nacht
    Hinschlingt sich der lustige Reigen —
Da öffnet die Türe sich sanft und sacht
    Und die Flöten verstummen, die Geigen! —

Was willst du, o Jungfrau, so weiß und blaß,
    So spät noch beim Hochzeitsfeste?
Vom Saum ihres Kleides, da träufelt es naß,
    Wie sie wallt durch die staunenden Gäste.
Sie löst sich vom Halse ein Perlengeschmeid,
    Und hängt es der Braut um den Nacken,
Ach! Perlen bedeuten ja Kummer und Leid!
    Und die Braut und der Bräut'gam erschraken.

Und feierlich spricht sie zum Junker sodann,
    Den Körper im Scheiden gewendet:
"Unsterbliche Schöne, sie winkte dich an;
    Dir aber, vom Flitter geblendet,
Mehr galt dir das eitle, vergängliche Glück,
    Als das süße, das selige Sehnen!
Lebwohl! und denkst du an mich zurück,
    So sei es mit reuigen Tränen!"

Bettlertod

"Ein Zufall! — O beileibe, sagt das nicht!
Das Unglück mit dem alten Bettelmann,
Ein Wunder war's, ein himmlisch Strafgericht —
Der Herr sei gnädig seiner armen Seele!"
""Wie ist's geschehen? Bäuerin, erzähle!""
"Ei nu! Ihr lieben Leute hört mich an!

Mein Gott! wer ihn geseh'n in letzter Zeit
Zerlumpt, gebückt, mit struppiggrauem Haar —
Der hätt' wohl nie geglaubt, daß weit und breit —
— Als er noch jung den schwarzen Schnurbart spitzte,
Und schelmisch nach den hübschen Dirnen blitzte —
Kein schmuck'rer Bursche rings zu finden war!

Kein schmuck'rer Bursche und kein brav'rer Knecht,
So tüchtig zu der Arbeit und geschickt!
Ja! was er angriff — Alles tat er recht
In Haus und Hof, im Garten, auf dem Felde —
Hätt' er gespart, leicht hätt' er mit dem Gelde,
Das er verdient, den Beutel sich gespickt.

Doch jeden Kreuzer, kaum gewonnen, gab
Er hin im Nu beim Tanz und Spiel und Schmaus —
Es war kein Kirchweihfest talauf, talab,
Er hat dabei sein müssen! Und beim Weine.
Den lieben, langen Sonntag! — Nur dem Scheine
Der Meesekerzen wich er fleißig aus.

Und arg und ärger also macht' er's fort,
Daß bald kein Bauer mehr in Dienst ihn nahm;
Als Tagelöhner hat er da und dort
Sich eine Zeitlang dann herumgetrieben,
Bis er, vom wüsten Leben aufgerieben,
An Leib und Seele ganz herunterkam.

Den dicken Haselstecken in der Hand,
Und umgehängt den grauen Leinwandsack,
Von Ort zu Ort nun zog er durch das Land
Ein Stückchen Brot, ein Schlückchen Schnaps zu bitten —
Und — wahr ist's — überall war er gelitten
Viel lieber, als das and're Bettelpack.

Denn jetzt sogar, im größten Ungemach,
Noch blieb er seiner guten Laune treu,
Und wenn man ihm von seinem Leichtsinn sprach,
So lachte er in sich hinein verstohlen,
Und rief dann laut: "Soll mich der Geier holen,
Wenn ich mein lustig Leben je bereu'!"

So kommt er gestern denn dahergetrollt,
Und bittet schön um Herberg' für die Nacht,
Verweigern hätt' ich's nimmer ihm gewollt —
Es läutete gerad' zum Vespersegen
Die Glocke, und bereits auf allen Wegen
Zur Kirche ging das Landvolk mit Bedacht.

"Na, gehst nicht auch?" — sag' ich zu ihm — "mein' kaum,
Daß dir das Beten einmal schaden tut!"
Er aber setzt sich unter'n Lindenbaum,
Und gibt, sein Pfeifchen stopfend, schier verdossen
Zur Antwort mir: "Ei, was da! Narrenspossen!
Wär's mir's um's Beten, könnt's hier just so gut!"

Solch gottlos Reden — hat man's je gehört? —
Ich sagte nichts darauf, und ließ ihn steh'n,
Vom Frevelwort im Innersten empört,
Und hätt' ich's ihm nicht früher schon versprochen,
Nie wär' er auf die Tenne mir gekrochen
In's Stroh, darin ich ihn hieß liegen geh'n.

Aus tiefem Schlaf — nachdem ich lange wach
Im Bett gelegen, werd' ich aufgeweckt
Auf einmal durch ein polterndes Gekrach,
Das von dem Stadel mir scheint herzudröhnen —
Ich fahr' empor, mir ist, als hört' ich stöhnen,
Und in die Kleider werf' ich mich erschreckt.

Anzünd' ich die Laterne voller Hast,
Und laufe schnell hinüber, da — o Graus!
Da liegt er — auf der Brust die schwere Last
Des Balkens, der herunter war gefallen
Vom Oberboden — auf dem dürren Ballen,
Zu Tod gequetscht, wie in der Fall' die Maus!

Wie's möglich war — versteh' ich selber nicht,
Das Holz war nirgends morsch, — darum ist's klar:
Ein Wunder war's, ein himmlisch Strafgericht,
Das ihm bereitet hat so jähes Ende!
Gott gnade seiner armen Seel', und wende
Von uns jedwedes Unglück immerdar!"

Schiffbruch

Ein Stoß, ein Gekrache — das Schiff ist leck!
    "Gott gnad' uns — o Himmel — Erbarmen!" —
Sie stürmen, sie stürzen verzweifelt auf's Deck
    Angstbleich, mit gerungenen Armen;
Im Knäuel, der lärmend und schreiend sich ballt,
    In der Wogen Gebrause und Tosen
Die Stimme des Kapitän's erschallt
    Mit Macht: "An die Pumpen Matrosen!"

Verlorene Mühe! — "Die Boote bereit!" —
    Die wimmernden Kinder und Frauen
Gilt's retten vor Allem! — Noch nimmer war Z e i t
    So kostbar — O Jammer, o Grauen!
In der kalten, der wilden, der salzigen Flut
    Bei finsterer Nacht zu ertrinken,
Zu ersticken tief unten! Wohl mag da der Mut
    Auch den mutigsten Männern entsinken! —

Sie drängen und hängen und klammern sich an
    Tollwütig in tobenden Massen
Begierig zu leben; doch wehe! — der Kahn
    Wie möcht' er die Hunderte fassen? —
"Zurück! Wahnsinn'ge! — er schwingt in der Hand
    Den Revolver — "soll A l l e s verderben?
Wer Einen Schritt noch sich wagt an den Rand,
    Der soll auf der Stelle hier sterben!"

"Geh' Mary, Liebe! du mußt in's Boot
    Jetzt — hörst du? — hinuntersteigen" —
""O John! — dich verlassen in dieser Not —
    Vier Wochen erst bist du mein eigen!
Nein! bleiben will ich!"" — Sie hält seinen Leib
    Umschlungen mit grimmigem Schmerze
Lautschluchzend, — er drückt sein junges Weib
    Inbrünstig noch Einmal an's Herze.

"Ich liebe dich zärtlich — Gott sei mit dir!
    Bewahr' mir ein treues Gedenken!
Laß los, laß los! — und hinweg von hier!
    Schau! — wie sich die Masten schon senken!" —
Er winkt — sein schwarzer Diener zur Stell',
    — Vergebens ihr Sträuben und Klagen! —
Ergreift sie, und in die Schaluppe schnell
    Wird sie kräftig hinabgetragen.

Aus zerrissenen Wolken gespenstisch hervor
    Bricht des Mondes verschleierte Helle,
Es reißt in den Abgrund, es schleudert empor
    Das Schifflein die schäumende Welle; —
Sie liegt auf den Knien, um Hals und Genick
    Wirr flattern die goldenen Locken,
Ausstreckt sie die Arme mit flehendem Blick —
    Nach I h m, bis die Sinne ihr stocken.

O siehe! dort steht er am sinkenden Bord
    Ihr den letzten der Grüße zu winken! —
Dann kehrt er sich stumm zu der Mannschaft sofort,
    Von Tränen die Augen ihm blinken;
""Ein bitterer Tod der unsrige? — nicht
    Kapitän? — daß der Mensch doch so zähe!"" —
"Ein bitterer Tod — nun — wir taten die Pflicht —
    Was weiter gescheh'n soll, geschehe!" — —

Geisterbegegnung

Zwei Geister trafen auf der Reise
    Durch's Weltall, sich im ew'gen Raum,
Nachdem sie in verschied'ner Weise
    Geträumt den ersten Körpertraum;
Der Eine flog mit müden Flügeln
    Heran aus banger Erdenhaft,
Indes der And're kaum zu zügeln
    Vermochte seine frische Kraft.

Denn ausgerastet kam er eben
    Von einer Welt voll Himmelsruh',
Und ganz in tätigem Bestreben
    Erglühend, rief er Jenem zu:
"Woher des Weg's? von welchem Stamme?
    Sag' an! wo weiltest du zu Gast?
Man sieht's am Flackern deiner Flamme,
    Daß Großes du bestanden hast!" —

— "O forsche weiter nicht! O dämpfe
    Die leidenschaftlich heiße Brunst
Nach jenem Kloß, den wilde Krämpfe
    Geballt aus Qualm und Nebeldunst!
Such' eines neuen Leib's Beschwerde
    Auf jeder ander'n aus der Schar
Unzähl'ger Kugeln: nur der Erde
    O bleib' ihr ferne immerdar!

Da macht den Menschen Mensch zum Sklaven,
    Sie Alle Sklaven der Natur!
Ergrimmte Fluten, Feuer-Laven
    Verwüsten ems'gen Wirkens Spur;
Zerstörung lauert in den Lüften,
    Sogar in Blumen birgt sich Gift,
Verwesung düngt mit Moderdüften,
    Mit Blut der Wahnwitz jede Trift!" —

"Ich weiß genug! Dort will ich landen;
    Ruhmloser Friede frommt mir nicht!
Zur Freiheit aus der Knechtschaft Banden!
    Durch Kampf zum Sieg — durch Nacht zum Licht!
Du aber tauche deine Schwingen
    In jenes Sternes Rosenglut,
Entzückt zu fühlen: nach dem Ringen
    Wie süß, wie selig sich's da ruht!"

Bergkönigs Rache

Der Himmel so grau, und die Luft so schwer!
    Wie Ahnung von Geistergewalten —
Sieh! über dem See dort hoch und hehr
Der König der Berge im Wolkenmeer,
    Die Stirne in grollenden Falten!

Er blickt hinunter mit lüsternem Blick
    Die liebliche Nix' zu erspähen;
Die aber zieht sich gar spröd zurück,
Und schüttelt die Locken in's feuchte Genick
    Verächtlich, und läßt sich nicht sehen.

Mit weißen Armen hält sie umspannt
    Den Sohn des Gebirges zur Stunde —
— Ach! arglos kam er des Weges gerannt! —
Auf daß er sich ihr, von Liebe entbrannt,
    Vereine zum ewigen Bunde.

Da poltert's, und saust's — das kristallene Dach
    Ein Felsblock schlägt es zu Splittern,
Und ihr quellender Buhle: der Alpenbach,
Entstürzet befreit dem smaragd'nen Gemach,
    Und jauchzt, daß die Wände erzittern!

Am Ufer hinwimmert's wie Seufzerton —
    Doch schadenfroh lachen die Zwerge,
Und ruhig von seinem Nebelthron,
Mit finsterer Stirne, im Auge Hohn
    Blickt herunter der König der Berge.

Freiheit und Schönheit

Im Tempeleichenhaine
Die F r e i h e i t saß alleine
Und sann, und dachte nach,
Wie sie den Götterfunken,
Der in die Nacht gesunken
Auf Erden neu entfach'.

Da sah sie auf der Straßen
Einsam und glückverlassen
Vorbei die S c h ö n h e i t geh'n;
Ein Wink — und hehr zu schauen
Die königlichen Frauen
Sich gegenübersteh'n.

Sprach eine zu der andern:
"Laß uns zusammen wandern,
Sei mir zu Dienst, und leih'
Mir deine Kunst, — zu Zweien
Laß uns die Welt befreien
Aus harter Sklaverei!"

Die Schönheit hat die Worte
Vernommen, und zur Pforte
Hinwandelt sie, und spricht:
"Magst d u die Welt erretten;
Ich trage keine Ketten,
Und selber d e i n e  n i c h t!"

Der Postillon

Es rauscht der Regen durch die Nacht,
    Und Alles schlummert schon
In Hütte, Feld und Waldrevier,
Im Wagen schläft der Passagier;
    Auf seinem hohen Bocke wacht
        Allein der Postillon.

Den Mantel zieht er fester an,
    Drückt in die Stirn' den Hut,
Der Regen schlägt ihm in's Gesicht,
Der kalte Wind: — ihn kümmert's nicht,
    Die Peitsche schwingt er, sein Gespann
        Antreibend wohlgemut.

Ihm liegt die nächste Station
    Einzig in Herz und Sinn —
Dort hält die Post, dort steht das Haus,
Drin wartet sein und horcht hinaus
    Aus seines Horn's bekannten Ton
        Die schöne Kellnerin!

Die schenket ihm, sobald er kommt,
    Ein Glas Tirolerwein,
— Den besten hat sie aufgespart —
Ei! wie das mundet nach der Fahrt!
    Und was ihm noch weit besser frommt,
        Ein Küßchen obendrein!

Und dann — an Leib und Seel' erwärmt —
    Fährt er den Weg zurück
Im Wägelchen auf's Stroh gestreckt,
Und jede nächste Nacht ihn weckt
    — Das ist's, warum er sich nicht härmt —
        Zu neuem Liebesglück!

Bach und Blume

Ein ungestümer Junge,
    An Kraft und Mut erprobt,
Kommt durch die Schlucht im Sprunge
    Der Alpenbach getobt.

Er kann sich nicht bezähmen,
    Von wilder Lust geschwellt,
Gewohnt im Sturm zu nehmen,
    Was eben ihm gefällt.

Und siegreich war sein Wille,
    Und günstig ihm das Glück, —
Was wird er jetzt so stille!
    Was zaudert er zurück?

O sieh! auf weißem Steine,
    Der Unschuld starkem Schild' —
Im Jugendmaienscheine
    Welch zartes Blumenbild!

Er staunt hinauf — die Sinne
    Erglühen ihm geschwind —
"O neig' dich mir in Minne,
    Du reizend Felsenkind!" —

Sie aber hört's gelassen:
    Der Liebe Lust und Leid
Vermag sie nicht zu fassen
    Die wunderholde Maid.

"Und schenkst du nicht Erbarmen
    O Spröde! meiner Qual —
Auf meinen starken Armen
    Forttrag' ich dich zu Tal!"

Doch lächelnd, ohne Bangen
    Blickt sie ihm in's Gesicht —
Da spornt ihn das Verlngen,
    Er bändigt's länger nicht.

Er schäumt und braust und poltert,
    Er drängt und stürmt hinan,
Von Ungeduld gefoltert,
    Die Süße zu umfah'n.

Vergebens all sein Ringen —
    Sie blüht zu hoch und rein,
Und nieder muß er zwingen
    Beschämung, Zorn und Pein.

Wie trotzig er mag tosen —
    Gebrochen seine Kraft
Im Kampf der hoffnungslosen,
    Gewalt'gen Leidenschaft!

Die schönsten Rosen nicken
    Ihm zu, — es läßt ihn kalt,
Er eilt mit finstern Blicken
    Vorbei ohn' Aufenthalt.

Die Sehnen seines Strebens
    Zerschnitt das scharfe Weh,
Und müde seines Lebens
    Stürzt er sich in den See.

Jörg

Sein Rock war grob; doch brav und gut
    Das Herz, das drunter schlug,
Die Feder auf dem grünen Hut
    Die stand ihm schmuck genug;
Manch Mägdlein hemmte gern den Fuß,
    Holdblühend wie der Mai —
Und freundlich gab er jeden Gruß
    Zurück — und ging vorbei.

Denn unten tief im Kesseltal
    Hielt er's nicht lange aus,
Nur im Gebirge, schroff und kahl,
    Fühlt' er sich recht zu Haus —
Wenn er von Klipp' zu Klippe sprang
    Auf hoher Alpenfluh:
Voll Eifersucht am Felsenhang
    Schaut' ihm die Gemse zu.

Der Adler in der blauen Luft
    Wollt' schier vor Neid vergeh'n —
Was hat in wolkennaher Kluft
    Ein Menschenaug' zu späh'n?
Und um's geliebte Edelweiß
    Flog bang der Schmetterling,
Weil seines Lebens Stolz und Preis
    Ihm so verloren ging.

Er aber fand nicht Ruh noch Rast,
    Er strebte früh und spät
Hinan, wo der Kristallpalast
    Des Gletscherfürsten steht:
Zu höchst in stolzer Einsamkeit,
    Wohin kein Laut mehr dringt,
Vom weißen Reiche meilenweit,
    Geheimnisvoll umringt!

Da glitzert's, funkelt's, leuchtet's, sprüht's
    Am Boden wunderbar,
Von Wand und Decke flimmert's, glüht's
    Wie Diamanten klar;
Da flammt die Säule, blitzt der Knauf
    Zum Lichtazur emor,
Da wogt und flutet ab und auf
    Ein Silbernebelflor.

Und Jörg — er war so rasch wie sacht,
    So mutig wie gewandt,
Bald hatte er zu all der Pracht
    Den Schlüssel in der Hand;
Wie oft er in des Herrschers Bann
    Sich stellte kraftbewehrt.
Ist glücklich der verweg'ne Mann,
    Und heil stets heimgekehrt.

Und sicher fühlte Jeder sich,
    Der Ihm sich mocht' vertrau'n,
Nicht feige Ängstlichkeit beschlich
    Sein Herz, nicht Todesgrau'n;
Gepackt vom rüst'gen Führerarm
    Fest stand er, schwindellos,
Und blickte schwelgend, sonder Harm,
    Dem Abgrund in den Schoß.

Wie strömten sie heran geschart
    Die Gäste von nah und fern!
Niemüde — galt's die schwere Fahrt —
    Wie ging er frisch und gern!
So lebte er jahrein, jahraus
    Durch manche Sommerszeit:
An Leib und Seel' g'en Sturm und Braus
    Wohl hielt er sich gefeit!

Doch einst — es war ein Wintertag —
    Hatt' er beim Heu zu tun,
Das auf dem Almgelände lag,
    — Nicht länger konnt' er ruh'n: —
Da traf mit wohlgezieltem Streich,
    Schon längst vorherbedacht,
Ihn meuchlings aus dem Geisterreich
    Die tück'sche Rächermacht!

Die weiße Mähne schüttelnd springt
    Herab die Löwin jach,
Entsetzen seinen Fuß beschwingt —
    Da hilft kein Fliehen — ach!
Die kalten Pranken schlägt sie wild
    Ihm blitzschnell in's Genick:
Er sinkt dahin, des Glockners Bild
    Noch im erlosch'nen Blick!

Wanderer und Schnitterin

           
Wanderer

Allweil so fleißig noch
        Schnitterin?
Ist über'n Hügel doch
Längst schon die Sonne hin!
Mußt bereits müde sein —
Komm'! unter'n Lindenbaum
Dort am Wiesensaum
Sitzend im Dämmerschein
    Halten wir Rast!

          
Schnitterin

Kann doch nit feiern geh'n,
Weil noch die Ähren steh'n —

           
Wanderer

Wenn du kein' Zeit nicht hast
Schau' doch auf zu mir!
    Mädel, sei g'scheidt!

          
Schnitterin

      Weg die Hand!
Oder du sollst an ihr
Spür'n, wie die Sichel schneidt!

           
Wanderer

      Blitz und Brand!
Ist das ein Augenpaar!
Meinst wohl, ich fürcht' mich gar?
    Meiner Seel' — nein!
    Laß' deinen Zorn
    Aus nur am Korn —
Eh' noch ein Sternlein blinkt,
Eh' noch der Nachttau sinkt
    Bist du doch mein!

          
Schnitterin

Glaubst, daß i Liab' und Treu'
Alle Tag' wechsel' neu?

          
Wanderer

Hast einen ander'n Schatz
Dirndl, schon? —

          
Schnitterin

                          Gelt!
Daß es auf di nit hat
G'wartet, war g'fehlt? —

           
Wanderer

Freilich verdrießt mich das —
—  Und den du gern hast, was
    Ist er?

            Schnitterin

                          Soldat.
Morgen a Jahr is grad,
Daß er marschiert is weit
    In die Türkei —
Wär' nur der Krieg bald aus!
Steh' ihm der Himmel bei
Daß er die ganze Zeit
G'sund bleib', und wieder z'Haus —
Aber was red' i da —
Geht di das Alles ja
    Do gar nix an!

           
Wanderer

Soll i des Teufels sein,
Wenn i mi schlau und fein
Länger verstellen kann!
Kennst mi denn richtig nit?

            Schnitterin

Michel! — Wia g'schieht mir denn,
Daß i dei' Stimm' erkenn'
Jetzt erst? — Geh' her!
    Mei liaber Bua!
Hätt' i das früher g'wußt! —
Michel! nach Herzenslust
Küß' mi nur zua!

Idyll

Die schöne Fischerstochter
    Fährt über den kleinen See
Der Jäger geht vorüber,
    Ihn faßt ein heißes Weh.

Schnell wandelt er zu Walde,
    Den Schäfer grüßt er nicht,
Der auf dem Uferraine
    Dort ruht im Abendlicht.

Er ruht bei seiner Herde,
    Und singt ein ländlich Lied,
Und nah und näher schaukelt
    Das Schifflein durch den Ried.

Nun hält er sie umfangen,
    Sie tauschen Kuß um Kuß,
Da — plötzlich durch die Stille
    Des Forstes knallt ein Schuß!

O laßt euch nicht erschrecken!
    Der Schütze zielte gut:
An einem armen Rehbock
    Nur kühlt' er seine Wut.

Sirenenstimmen

"Dem lustigen Kreise der Zecher
    Was bleibest du ferne allein? —
O komm'! Im kristallnen Becher
    Kredenz' ich dir goldenen Wein."

"Es blühen der duftenden Rosen
    Im lauschigen Garten so viel —
O komm'! Laß' uns küssen und kosen
    Im zärtlichen Minnespiel!"

"Und hörst du's nicht singen und klingen
    Von Flöten und Geigen gar hell? —
O komm'! uns im Reigen zu schwingen,
    Was zauderst du, trüber Gesell?" —

Sirenen! Ihr ruft mir vergebens
    Mit lockender Stimme — mir graut!
Ich hab' der Meduse des Lebens
    Zu tief schon in's Antlitz geschaut!

Der Schiffer

Laß schaukeln, laß nur schaukeln,
    Mein Mädchen! zage nicht,
Auf meine Schulter' lehne
    Dein blasses Angesicht!

Wie hoch die Wogen schwellen,
    Wie mächtig ihre Wut;
Noch höher schwillt mein Lieben,
    Noch mächtiger mein Mut.

Du gabst dich mir für's Leben —
    Zu Wasser und zu Land —
Führ' ich durch alle Stürme
    Dich treu, mit sich'rer Hand!

Baumgespräch

"Armes Krüppelchen!
Armes Krüppelchen,
Elender Wicht!
Wie aus der Enge
Im Gestrüpp-Gedränge
Du dich drehst und windest,
Und den Weg nicht findest
    Hinauf zum Licht!
Vergebens! Vergebens!
Dein Strecken und Treiben!
Wirst wohl Zeitlebens
Ein Kleiner bleiben!" —

""Schick' nur vom luft'gen Sitze
Höhnische Witze
Zum niederen Holze
Tanne, du Stolze! —
Hätt' mich Natur
Auf deinen Boden gestellt —
Freudig zum Lichtazur
    Wie du
Wär' ich emporgeschnellt,
Wiegte in Ruh'
Die Zweige, die mächtigen
Über dem schmächtigen
Volk unter mir!
Unter den Größten würd' ich genannt;
Aber ach! hier
In das Dickicht gebannt,
Vom Dunkel umgeben,
Zu schwach zum Leben,
Zu stark zum Sterben —
Wie soll ich Ruhm erwerben?

Königsee

Abend ist es, auf dem Wasser
    Gleitet leise Kahn bei Kahn —
Dürfen Menschenkinder wagen
    Solcher Majestät zu nah'n?

Steilgesenkte Felsenwände,
    Himmelhoher Berge Pracht,
Dunkle Fluten, ernste Wälder —
    Nur für Geister ist's gemacht.

Ihre Stätte zu besuchen
    Gönnen sie, dieweil's noch Tag;
Heimlich lauschend, bis verklungen
    Schifferruf und Ruderschlag.

Wenn der letzte Gast verschwunden,
    Schweigen auf den Wellen ruht —
Steigt der Fürst herab an's Ufer,
    Taucht die Nixe aus der Flut.

In den Klüften wird's lebendig,
    Hell und heller wird die Nacht,
Zwerge, Fackeln in den Händen,
    Halten in der Runde Wacht.

Um die Büsche, um die Bäume
    Tönt der Elfen Schlummersang,
Wo das Paar in süßen Träumen
    Lagert auf dem Wiesenhang:

"Unter Küssen, unter Kosen
    Weile schöner Königsohn,
Bis der Morgen frische Rosen
    Schlingt um deinen Wolkenthron!

Bis der erste Strahl der Sonne
    Zittert auf dem grünen See,
Weile, sel'ge Liebeswonne
    Schlürfend, schöne Wasserfee!"

In der Werkstatt

Da steht es nun in sich vollendet,
    Leibhaftig, außen steht es da,
Bald jedem Blicke zugewendet,
    Was nur mein inn'res Auge sah:
Das stille Werk! — von Stund' zu Stunde
    Zu eig'nem Dasein ist's erstarkt,
Und aus verschwiegener Rotunde
    Hinaustritt's auf den lauten Markt.

Doch früher mag daran sich weiden
    Noch Einmal innig Herz und Sinn,
Gemahn' es mich der süßen Leiden,
    Die es mir brachte zum Gewinn,
Seit ich sein heimliches Entstehen
    In Ahnungsschauern vorempfand,
Bis es mit letzten Drangeswehen
    Dem Geistesschoße sich entwand!

Da steht es, Fleisch von meinem Fleische,
    Da steht es, Blut von meinem Blut!
Ob ich auch von den Göttern heische
    Dem Bilde wahre Lebensglut?
Nein! ferne sei mir zu verlangen,
    Um was gefleht Pygmalion —
Da ich's im Innersten empfangen
    Ward mir der Wonnen höchste schon.

Da es sich werdend, wachsend regte,
    Mit ungeduldigem Gepoch'
Mir Seele, Phantasie bewegte —
    Da liebt' ich es, ich lieb' es noch;
Doch wenn den Vater mit dem Kinde
    Unlöslich sonst ein Band verflicht —
Zieh' meines hin in alle Winde:
    Sein fürder Schicksal quält mich nicht.

Es zieht dahin — und kaum entlastet
    Der Bürde, fühl' ich neue Pein:
Der Trieb, der allzulang gerastet,
    Stellt um so heftiger sich ein;
Von bildnerischem Hauch umwittert
    Glänzt Block an Block dort an der Wand,
Erlösungsbang, begierig zittert
    Der Meißel schon in meiner Hand.

Was zaudr' ich? — Feierliche Stille
    Umgibt mich, Werkgelegenheit,
Es schwillt die Kraft, es glüht der Wille
    Zu frischentschloss'ner Tätigkeit,
Und eine Fülle von Gestalten
    Dringt geisterknospend sich herbei
Voll Ungeduld, sich zu entfalten
    Im schöpferischen Geistesmai.

Wie sie mich schattenhaft umschweben
    Sich stoßend, hemmend! Bitt're Wahl!
Ach! E i n e nur kann ich beleben
    Mit meiner Liebe Sonnenstrahl!
Noch trat sie nicht im heller'n Scheine
    N o t w e n d i g aus dem Schwesterchor —
Das ist's, warum ich vor dem Steine
    Der Stunden günstigste verlor.

O Schmerzensqual! wenn heißem Sehnen
    Nichts Herzverwandtes sich enthüllt,
Wir völlig uns verlassen wähnen
    Von Mächten, die uns einst erfüllt!
Im grenzenlosen Meer der Formen
    Unschlüssigkeit das Steuer lenkt
Kein starker Keim nach ew'gen Normen
    Befruchtend in die Brust sich senkt.

Erhob'ne Arme sinken wieder,
    Die Flut des Strebens ebbt zurück —
Da — plötzlich zuckt's durch Haupt und Glieder —
    Schon ahn' ich junges Vaterglück!
Die Luftgebilde sind zerstoben,
    Nur Ein's blieb übrig, klarumzirkt —
Heil mir! der heil'ge Blitz von oben
    Er hat gezündet, hat gewirkt.