weiter

Quelle:

Ranken
Anton Renk
Gedichte
Dieser, sein erster Gedichtband erschien 1894, also noch während seiner Studienzeit.

Innsbruck 1894
Hrsg.: Commissions-Verlag
der Wagner'schen Univ.-Buchhandlung
Gefunden bei ALO


Widmung

 


Um der Berge stolze Scheitel
Legten sich die Wolkenzüge
Fieberrote Blätter wehten
Von den Bäumen leis hernieder.
Und die Blumen auf den Feldern
Waren tot. — Nur auf den Gräbern
Sah man Blüten, Kerzen flammten
Und mit mattem Flügelschlage
Um die Welt der Todgedanke
Flog, am Allerseelentage. —
 

An dem Grab der Mutter standst du
Und ich sah in deine Augen
Und mir wars, als ob dem Grabe,
Eine Rose hell entkeime —
Wars der toten Mutter Segen?
An dem Allerseelentage
Blühte mir ein neues Leben —
Dir, die mir das Leben schenkte,
Schling' ich lichte Blütenkränze
Um das Haupt — all' meine Lie
 


 

Wildranken
 

Der Frühling naht
Fahrende Schüler
Hymne
Es wehet in dem Weiher
Am Firn
Daheim
Im Hochgebirg
Edelraute
Das Edelweiß
Dort wo die Alpenrose blüht
Brunelle
Gruß an den Wald
Wälderklang
Jugend
Waldkinder
Herbst im Wald
Waldgrab

 

Der Frühling naht

Der Frühling naht mit sieggewissen Schritten,
Die Sonne leuchtet von der hohen Bahn,
Erhört der Menschenseele heiße Bitten
Und ruft die Blumen auf den Wiesenplan
Und zündet Rosen an den Sträuchern an.
Mit Blütenlettern schreibt das heil'ge Licht
An Baum und Strauch ein herrliches Gedicht.
Des Himmels Pforten stehen strahlend offen,
Es rauscht der Wald sein Evangelium
Von neuem Lieben und von neuem Hoffen;
Mein tiefes Herzeleid, heute ist es stumm. —
Und wie ein Kind, so juble ich im Hag
Und sinne nach den langvergeßnen Reimen,
Und was des Leids noch alles kommen mag,
Blüht doch für mich ein lichter Frühlingstag
Und ich muß träumen, muß mich glücklich träumen.


Fahrende Schüler


Fahrende Scholasten
Singend zieh'n heran:
Essen; trinken — fasten,
Sonder Ruh und Rasten
Ist's uns wohlgetan!
Die Bücher sind vermodert —
Das Lied vermodert nie,
Durch unsere Seele lodert
Der Funke Poesie!


Immer frohe Laune
Geht's waldaus, feldein . . . .
Augen blaue, braune
Blitzen über'm Zaune
Lustig hinter drein.
Und blüh'n am Zaun die Rosen,
Gib sie dem Dirnlein dort . . .
Ein Küssen noch und Kosen
Und dann — dann wieder fort!

Wo den Schritt wir lenken
Klingen Lieder fein;
In des Tals Gesenken,
In den lust'gen Schenken
Bei dem Humpen Wein:
Die Leute sind so bieder,
Nicht fremd uns weisen aus,
denn uns're deutschen Lieder
Sind überall zuhaus!


Hymne

Ich fühle in dem Herzen schon
Das Rauschen heiliger Quellen,
Errichtet ist des Frühlings Thron
Und herrliche Knospen schwellen.

Nun kommt der herrliche Mai heran,
Das Sühnungsopfer, das große —
Wie blicken die Veilchen auf grünem Plan,
Wie leuchtet im Garten die Rose!

Wie fliegen die Schwalben am Himmelszelt,
Wie blitzet die herrliche Sonne!
Ihr schönstes Fest heut feiert die Welt
In leuchtender Maienwonne.

Im Winter, umhüllet mit dunkler Nacht
Hat gegen Gott sie gesündigt,
Von seiner lichten erhabnen Pracht
Eine dunkle Lüge verkündigt.


Drum opfert heute im schönsten Kleid
Die Erde, die glänzende Sonne —
Drum öffnet euch, Herzen, froh und weit,
Daß euch erfülle die Wonne!

Wer nicht mitstimmt in den Lerchenschlag,
Nicht preiset des Lichtes Fackel,
Der fühlt nicht den heiligen Frühlingstag,
Hört nicht der Liebe Orakel.


Es wehet in dem Weiher

Es wehet in dem Weiher
Der Bluest des Apfelbaums,
Im Blauen schwebt der Reiher
Des lichten Sommertraums.

Die Seele schwebt ob Hügeln,
Hoch über Kampf und Leid,
Empor auf seinen Flügeln
Und schaut Unendlichkeit.

Die Sonne lichtgesträhnet
Schaut her am Firmament —
Nach einer Heimat sehnet
Das Herz, die Niemand kennt.


Am Firn

Hoch über steiler Gletscherwand,
Stand ich am eis'gen Knott:
Tief unter mir das Vaterland,
Und über mir ist Gott!

Die Sonne blut'gen Gruß entbot,
Es glänzt' der Firn so klar:
Der Heimat Farben weiß und rot!
Und über mir ein Aar!

Und mit dem Eisenpickel hieb
Ich feste Stufen ein;
Und sang und betete und blieb
Mit meinem Gott allein.


War kein Gebet, das man gelehrt,
War keins, das ich verstand,
Doch frei, von keiner Sorg' beschwert,
Den Weg zum Licht es fand!

Ich betete für's Vaterland,
Es drang empor zu Gott! — —
Es war ob steiler Gletscherwand
Hoch an dem eis'gen Knott.


Daheim

Die Heimatstadt! Die Berge ragen
Mit sorgenschwerem Haupte drüber.
Das Herbstlaub fällt, die Winde klagen,
Das Licht wird arm — die Tage trüber:
Mein Herz ist voll von Hochlandssagen,
Von Hochlandssehnen, Liebeskeim — —
Mir ist's als wär ich nicht daheim.

Die Stadt um mich! Emporzuschauen!
Ein Stücklein Himmel ob den Dächern!
Kein Hochlandslicht, kein Hochlandsgrauen —
So wenig Luft in den Gemächern — —
Mein Herz war voll vom Himmel-Blauen —
Hier blieb ihm nur ein Trauerreim:
Mir ist's als wär ich nicht daheim.

Nun Wissenschaft statt Waldeswehen
Und statt Gesichtern bloße Mienen,
Statt Fühlen mit der Mode gehen,
Statt der Natur nur Bretterbühnen,
Statt freier Wahrheit nur Ideen,
Herzblüten ohne Honigseim —
Mir ist's als wär ich nicht daheim.


Kein Mahdgesang, kein Hochlandsbronnen,
Mit braver Dirn kein lustig Scherzen;
Hier reimt sich Wonnen nicht auf Sonnen,
Hier reimt sich Schmerzen nicht auf Herzen.
Wie Blut kommt durch die Brust geronnen
Mein Hochlandsleid, mein Hochlandsreim:
Mir ist's als wär ich nicht daheim.


Im Frühjahr will zuberg ich gehen
Und lauschen auf des Volkslieds Klänge,
Will auf der Felsenkrone stehen;
Das Morgenrot, wie Adlerfänge
Des roten Aars fühl ich es wehen
Mir um das Haupt, o trauter Reim:
Ich bin daheim! Ich bin daheim!

Im Hochgebirg

Droben in den lichten Höhn,
Wo die Alpenhütten stehn,
Wo die grauen Felsen ragen
Und den blauen Himmel tragen,
Der sich spiegelt wunderbar
In den Alpenseen klar,
Dort sind all' die Lieder mein,
Dort ist meines Glückes Schein!

Wo die klaren Wolken wehn,
Und die weißen Firne stehn,
Wo die Quellen niedertosen
Und Brunellen, Alpenrosen
Blühen und das Edelweiß,
Rautengold, der Blumen Preis:
Dort bin ich mit Gott allein,
In die Seele zieht er ein!


Wo am Grat die Gemse pfeift,
Wo der Blick in's Weite schweift,
Blaue Schleier ferne weben
Und die Geier rauschend schweben,
Wo die längst entschwundene Zeit
Träumet und die Ewigkeit:
Dort bin ich mit Gott allein — —
Dort will ich begraben sein!

Wenn vom Berg das Alphorn klingt
Und die frohe Sennin singt,
Wenn die Blüten ob mir keimen
Will von Blüten froh ich träumen — —
Ist das Auferstehn erst da,
Ist der Himmel mir so nah!
Friede ist im Berg allein,
Dort will ich begraben sein!


Edelraute

Dort wo den Berg umleuchtet der klarste Himmelsschein,
Der Liebe Flammenworte das Licht schreibt in's Gestein,
Wo die Naturen träumen den ew'gen Friedenstraum,
Wo zu den Klippen neiget der blaue Himmelsraum,
Da blüht mit goldnen Ähren, mit Blättern fein und zart,
Auf mächtgen Felsaltären der Blumen beste Art:
Nicht Alpenrose Speik und Edelweiß,
Die Raute ist der Blumen höchster Preis!

Sie wendet sich zur Sonne, sie will nur Licht, nur Licht!
In dunkeln Schattengründen, da blüht die Raute nicht!
Zuhöchst wohl auf der Krone, die Gott dem Lande gab,
Da blickt von Duft umflossen die Raute still herab.
Es küsset sie der erste und letzte Sonnenblick —
Die Raute ist so selten wie reines Daseinsglück:
Nicht Alpenrose Speik und Edelweiß,
Die Raute ist der Blumen höchster Preis!


Das Edelweiß

Warum blickt den das Edelweiß
So bleich in's Tal? . . . .
Manch' kecker Bursche steiget froh
Zu ihm empor im Morgenstrahl.

Nun liegt er drunten im Geklüft
So todesfahl . . . .
Drum blickt das Edelweiß so bleich,
So todesbleich in's tiefe Tal.

Dort wo die Alpenrose blüht

Dort wo die Alpenrose blüht,
Hat mir zum erstenmal geklungen
Das eine große Hochlandslied,
Das ich so oft, so oft gesungen.

Dort wo die Alpenrose blüht,
Erglänzten meine schönsten Stunden,
Dort habe ich ein treu Gemüt,
Ein liebewarmes Herz gefunden.

Dort wo die Alpenrose blüht,
Im Hochweltfrieden, in dem stillen,
Sah ich den Geist, der sie durchglüht,
Das Wirken der Natur enthüllen.

Dort will zum Lichte das Gemüt,
Dort fühle ich der Gottheit Segen,
Dort wo die Alpenrose blüht,
Dort sollt ihr mich zur Ruhe legen!

Brunelle

Im Land, wo das Volk noch fromm ist,
In reiner, freier Luft,
Da weiß ich eine Blüte
Mit wunderbarem Duft.

Sie blühet dunkelblutrot
Am sonnigen Alpenrain,
Es ist als ob Blutestropfen,
Vom Himmel gefallen sei'n.


Es ist das Blut des Heilands!
Das blühte an jedem Steg,
Bis die Menschen den Glauben höhnten,
Da war es auf einmal weg.

Nun blüht es auf Alpenhöhen,
Wo Menschen fromm und gut,
Wo Gott und die Menschen sich nahe
Da blühet das Heilandsblut.

Gruß an den Wald

Wo dunkle Fichten stehen und Lärchen licht und grün,
Die frohen Vögel singen und stille Blumen blühn,
Dort wo der Waldstrom brausend bekannte Lieder singt,
Dort ist mein Herz geblieben, dort wo es singt und klingt.

Ich habe meine Lieder den Vögeln abgelauscht,
Der alten heil'gen Sage, die durch die Tannen rauscht;
Es blieben meine Lieder im grünenden Palast,
Dort in den alten Bäumen weh'n sie von Ast zu Ast.

Jetzt schau ich in die Ferne, hin, wo die Wälder steh'n,
Da fühl ich durch die Seele viel traute Lieder weh'n:
Das sind des Waldes Grüße, die er mir schickt herein,
Wenn ich in meiner Kammer recht traurig und allein.

Willkommen liebe Grüße, willkommen frommer Traum,
Der rauscht und singt und klinget im heil'gen Waldesraum!
Und kommt der Lenz geflogen, so zieh' ich wälderwärts,
Denn dort ist ja geblieben mein Lied, mein Glück, mein Herz!


Wälderklang

Der Tannenwald rauscht feierlich still —
Weiß nicht, was er singen und sagen will:
Es ist ein hoher fröhlicher Klang,
Ein fernhinschallender Lustgesang!
Verstand ich auch nicht Wort für Wort,
Dringt doch die Kunde mächtig vom Ort
Mit alten freudigen Weisen:
"Mitjubeln soll ich und preisen!"

Jugend

Es ertönt aus alten Zeiten
Wunderbarer Zaubersang,
Frühlingsblütenglocken läuten,
Was in meiner Jugend klang,
Als ich in des Waldes Schoße
Mit den Vögeln war vertraut,
Kindlich träumend in der Rose
Wunderschöne Augen schaut'. — —
O schon ist es lange, lange,
Seit verschwunden jene Zeit —
Mit dem alten Liederklange
Kehrt zurück sie, wenn es mait.

Waldkinder

Das Bächlein rauschte leise,
Den Forst ein Sang durchzieht,
Wie eine alte Weise,
Ein traumhaft Jugendlied.

Und aus der Schule kehrten
Mit Ränzeln wohlbepackt
Viel frohe Spielgefährten,
Daß es im Busche knackt.

Der Wind fuhr durch die Locken,
Blührot die Wange war,
Die Stimmen wie die Glocken,
Die Augen frisch und klar!


Ich sah darin den blauen
Himmel der Kinderlust,
Ich konnte drinnen schauen
Den Sonnenglanz der Brust!

Sie reichten mir die Hände
Es klang: Grüß Gott! Grüß Gott — —
Wo ist der Jugend Spende,
Die mir den Gruß entbot? —

Das klang wie Kinderlieder;
Die Augen wurden naß,
Denn ich sah alles wieder,
Was ich nicht mehr besaß!

Herbst im Wald

Die Tannen rauschten ihre Lieder,
Der Waldstrom brauste seinen Weg,
Die Sonne sank so freundlich nieder
Und Faren sproßten im Geheg.

Der Vögel Lied drang durch die Bäume,
Der blaue Enzian regt sich nicht
Und träumt die letzten Sommerträume,
Bis ihn der starre Winter bricht.

Friedvoller Herbsttag, lieblich reden
Die welken Blätter an dem Baum,
Von Ast zu Ast zieh'n Sommerfäden
Und um das Herz in süßem Traum.


Waldgrab

Ich will kein Kreuz, will keinen Stein!
Nein, tragt mich in den Wald hinein!
Auf's Grab setzt einen Tannenbaum,
Der aufragt in des Himmels Raum.
Der grünet fort zur Winterszeit!
Wenn alle Blüten längst gefallen,
In seinen Zweigen überschneit
Die alten Frühlingsmärchen hallen.
Und wenn mein Grab verlassen steht
Und meiner Niemand mehr gedenkt,
Im Baum das alte Träumen weht,
In das ich mich so oft versenkt.
Kein Zeichen der Erinnerung,
Denn was verblüht ist, ist vergessen:
Auf meinem Grabe blühet jung,
Was ich dereinst so ganz besessen.