Spätherbst
Es war ein nebliger Novembertag,
Die dürren Blätter rauschten auf dem Boden
Und wie ein schweres Atemholen lag
Es auf der Welt — denn der Vernichtung Oden
Erbrausend bald in einem wilden Sturm;
Schon krächzt der Wetterhahn am alten Turm.
Am Fluß die Sträucher sind schon beerenleer,
Die Vögel flattern ängstlich, hungern, frieren
Und eine Bitte ist ihr Musizieren,
Ein weißer Fittich wallt vom Joche her.
Die Tannenmeisen sehen tieferschrocken
In das Gezweigicht fallen weiße Flocken.
Ohne Ende
Einsam waren meine Tage,
Einsam waren meine Nächte,
Einsam wagte ich die Frage,
Was das Schicksal weiter dächte.
Jene Hand, die ich gehalten,
Blieb nicht in meiner liegen,
Meine Fragen bang verhallten
Und das Schicksal hat geschwiegen
Und die Rosen sind gestorben,
Blühen nie mehr, weil sie denken:
Er hat sich kein Glück erworben
Und hat niemand zu beschenken.
Ferneher der Duft der Ähren —
Die Johanniskäfer prangen
Durch die stille Nacht, als wären
Neue Sterne aufgegangen.
Und da kamst du, leiseleise,
Wortlos gabst du mir die Hände,
Es erklang die alte Weise
Ohne Ende, ohne Ende.
Wieder blühen meine Rosen
Und ich beug die Zweige nieder —
Meine langen sternenlosen
Bangen Nächte schimmern wieder.
Die Kirchenuhr
Schnee bedrückt die Fichtenäste,
Weiße Flocken überall,
Und es trinkt der Sonne Reste
Der erstarrte Wasserfall.
Blutigrot die Höhen prangen
Und die Sonne steigt ins Grab,
Veilchendüster kommt gegangen
Still die Nacht den Berg herab.
Eingefroren sind die Zeiger
An des Dorfes Kirchenuhr,
Nur der Tod, der große Schweiger,
Geht die ewig alte Spur.
Sommerabend
Das war ein Abend sommersonnenschön,
Von Glut umflossen alle Felsenhöh'n,
Und es verklang ein leiser Amselsang
In einem goldnen Sonnenuntergang.
Auf einmal wurde auch die Amsel stumm,
Der Herrgott kam — ich wußte nicht, warum. —
Er hat ein Buch mir in die Hand gegeben,
Auf seinem Titelblatte stand: "Mein Leben".
Da las ich, was ich niemals recht erfaßt,
Was ich gehöhnt, geneidet und gehaßt,
Was ich vergebens in die Weite sang,
Was ich erhofft und was ich nie errang,
Vergeßne Tat und aufgeschobnen Plan,
Was gutes und was böses ich getan;
Es stand darin so manches Wort geschrieben
Von meinem Sehnen und von meinem Lieben.
Ich blätterte im Buche weit zurück,
Auf einer Seite stand das Wörtchen: Glück.
Und eine Träne mir ins Auge drang . . .
Und plötzlich wieder jener Amselsang
Durchklang den ganzen Sonnenuntergang,
In Gold erschimmerte das ganze Land,
Der Herrgott nahm das Buch aus meiner Hand.
Der Lampenschirm
In stiller Stube bin ich ganz allein,
Nur von der Wand kommt müdes Uhrgetick,
Nur von dem Schirm, der bricht der Lampe Schein,
Fließt noch der Rosenglanz von altem Glück.
Wo ist sie, die den Schirm gefaltet hat,
Der mich umflicht mit seinem Rosenbann? —
Sie ist schon längst in einer fernen Stadt,
Und ihr zur Seite geht ein fremder Mann.
Der Rosenschimmer auf den Becher fällt,
Ein Römer ist's, geformt aus grünem Glas . . .
Ein rosenroter Morgen überhellt
Das hoffnungsgrüne junge Frühlingsgras.
Ich denke still an einen Frühlingstag:
Wir beide gingen Hand in Hand; —
Der Hoffnung Grün auf allen Wiesen lag,
Der Morgen überrötete das Land.
Ich ging mit dir und war dir herzlich gut —
Der Römer ist ja leer! Mit Wein herbei!
Der Wein ist rot — wie eines Herzens Blut —
Es bebt die Hand — der Becher schellt entzwei.
Der Wanduhr Ticken plötzlich Einer stillt,
Derselbe, der auf grünen Wiesen geht,
Die rosiges Abendleuchten überquillt,
Der grünes Gras mit blutiger Sense mäht.
Das Glas zerscherbt und aller Wein verrann.
Ich höre leise Schritte in dem Haus . . .
Ich breche dieses Schirmes Rosenbann,
Die Lampe lösche ich und schaue dann
Still in die sternenlose Nacht hinaus . . .
Ausfahrt
Gesäugt von sanften Sonnenkräften
Und wie vom Morgenrot durchglüht,
An weißen Tempelsäulenschäften
Die krause Hyazinthe blüht.
Ich opferte mit Flammenbrande
Dem Welterhalter Helios; —
Ich löse meinen Kahn am Strande
Von seiner Silberkette los
Es ziehen sanfte, weiße Schwäne
Ins Meer den blanken Muschelkiel; —
Das Meer ist eine große Träne,
Die aus dem Sonnenauge fiel.
Ich fahre durch das Flutenblinken
Und durch das Reich des Sonnenscheins,
Und Kahn und Schwan und ich versinken,
Und Licht und Meer und ich sind Eins.
Ein himmelblauer Silberfriede
In tausend Wellen mich umweht; —
Bin ich der letzte Dädalide,
Der in der Lichtflut untergeht?
Unter den Linden
Unter den Linden eine Kirche steht.
Ein altes Weiblein flüstert im Gestühle,
Und tote Namen zittern durchs Gebet,
Als ob der Herbst in welken Blättern wühle.
Unter den Linden sitzen Kinderlein
Und formen ernsthaft bunte Seifenblasen;
Auf einmal schwand der märchenhafte Schein
Und ein paar Tränen fielen auf den Rasen.
Unter den Linden geht ein junges Paar
Es schaut das Mädchen durch die Kirchenpforte,
Und drinnen schimmert seltsam der Altar —
Es spricht der Mann, drei große goldne Worte.
Auch ich ging einmal solchen Lindengang,
Die gleichen Worte ich vor Jahren flehte. —
Die Seifenblase tränenschwer zersprang,
Und eine Tote ists, für die ich bete.
Letztes Gedicht
Geschrieben in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1906.
Zwei Tage vor seinem Tod.
Heut ists nicht richtig — sagt mir, was ihr wollt;
Hört ihr, wie fern im Kar der Donner rollt?
Und dunkel ists, die Sterne fürchten sich . . .
Wer war es, der so still am Fenster schlich —
Es wissen allerhand die Roggenschöpfe
Und flüstern es sich zu und schütteln ihre Köpfe.
Das Wetter kommt — die Fenster zu! — Der Krach!
Der Sturm warf einen Stein von unserm Dach.
Dort kommt der Mond und malt mit mattem Glühn
Ein schwarzes Kreuz am Stubenboden hin.
Horcht, war das nicht des fernen Buhin Schrei —
Heut stirbt noch einer — Heiland, steh uns bei!
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