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IX. Letzter Sommer

 

Gruß des Kranken
Platenigeln
Mahnung
Begräbnis
Hoch oben
In der Höhe
Abend
Bergunglück
Marmolata
Dämmerung
Schutzhüttenweihe

Morgengang
Ich stand am Meere
Einsam
Gewitter
Lasciate . . . .
Nachtgebet
Vor Sonnenaufgang
Sommers Ende
Hoffnung
Bitte

Gruß des Kranken


Nur einmal lauschte ich dem Firnbachtosen
Und hörte ich des Murmeltieres Pfiff
Und steckte auf den Hut mir Alpenrosen,
Bis eine kalte Hand nach meiner griff
Und führte mich zum dunkeln Tale wieder.
Vom Zunderhange drang der heis're Schrei
Des grauen Zirbelhähers hämisch nieder,
Als riefe er: "Es ist vorbei — vorbei! . . ."

Vom Tode in den Bergen träumt' ich immer,
Wo ich vom freien Sonnenlicht umstrahlt . . .
Jetzt liege ich im dumpfen Krankenzimmer,
Die Phantasie mir irre Bilder malt:
Dort bei dem Leben sitzt der Tod und kartet —
Einsatz bin ich! — Die bange Zeit verrinnt.
Am Kasten still die Sterbekerze wartet
Aufs ultimo! — "Gestochen!" — Wer gewinnt?

Das Leben siegte und der Tod enteilte
Und durch das Fenster quoll ein Sonnenstrahl,
Der Qualm des Krankenzimmers sich zerteilte,
Die Berge glänzten auf mit einem Mal.
Die Gipfel all, die sonnenglanz-umsprühten,
An denen bunte Wunderblumen blüh'n;
Und sind es auch nur der Erinnrung Blüten,
Die Sonne Kinder sind's, drum nehmt sie hin.

Platenigeln
auch Jochprimel genannt

Hast du das Zauberwort noch nicht vernommen?
Den Kindern auf der Straße ist's bekannt,
Mit Kreiseln sind zum Spiele sie gekommen,
Das heißt so viel: "Der Frühling ist im Land!"

Schwingt schläfrig auch der Uhrenperpendikel,
Wie es Gewöhnung ihm jahraus, jahrein,
Heraus nun mit dem alten Alpenpickel,
Er soll jetzt glänzen in dem Sonnenschein!

Er leite auf die wintermüden Schritte,
Wo an den Hängen blüht der Seidelbast,
Wo eine leise Tannenmeisenbitte
Um Sonne klingt vom schwarzen Föhrenast . . .

Großmutter sprach: "Hast du verlernt das Hoffen,
Verschloß sich dir des Glückes goldner Schrein,
Geh' frühlingsfreudig in die Felsenschroffen,
Dort wird der Schlüssel wohl zu finden sein."

Großmutter hat ihr Leben nie gelogen,
Von ihrem Munde fiel kein falsches Wort,
Drum bin ich alle Jahre fortgezogen,
Zu holen mir den goldnen Zauberhort.

Und wenn ich hoch auf einem wilden Zargen
Beim ersten Felsenhimmelschlüssel stand,
Begann die Sonne leise einzusargen,
Was Leides sie in meiner Seele fand.

Es war, als ob sich alles Kleine löse,
Das Böse schwände, Haß und Angst und Neid,
Und meine Seele wieder nur der Größe,
Der Schönheit und der Liebe sei geweiht.

Dann sah ich glänzen einen Tabernakel
Am goldumstrahlten, hohen Felsenknauf
Und in mir redete ein Lichtorakel:
"Mit deinem goldnen Schlüssel sperre auf!"

Auf sprang die Türe und mein Auge tränte:
Ich stand vor meinem Gott mit einem Mal!
Und jenen Gott, den ich verloren wähnte,
Im Herzen trug ich wieder ihn ins Tal.

Drum in die Hand den festen Eisenpickel,
Und über Meisenschlag und Seidelbast
Suche mit einer Zaubergoldaurikel
Den Herrgott, wenn du ihn verloren hast!

Mahnung

Die ersten Enzianglocken
Erwachen an dem steilen Rain,
Des Frühlings Sonnenbläue locken
Sie in den offnen Kelch hinein.

Du meine Seele, willst du säumen?
Verschließe deine Glocke nicht,
Nimm auf das himmelblaue Träumen,
Nimm auf des Frühlings junges Licht!

Begräbnis

Nun glänzen sie, die Hochlandfeiertage,
Die Sonne alles Himmelblau enthüllt,
Das Böse wird zur unverstandnen Sage,
Das Gute leuchtend meine Seele füllt.

Nun muß zu Gott ich auf den steilen Pfaden,
Auf daß ich seiner Wunder höchste schau',
Wo sich die keuschen Sonnenstrahlen baden
Im dunkeln Enzianenglockenblau.

Nun ist vergessen, was mich einst geschädigt,
Nur Licht und Glück in meine Seele flammt.
Von jedem Berge hat mir Gott gepredigt,
Ich aber rüste mich zum Totenamt.

Und in der Firne hellen Silbersärgen,
Geschmückt mit einem Blumendiadem,
Will ich das allerletzte Böse bergen
Und juble dann zu Gott ein Requiem.

Hoch oben

So felsenweit bin ich emporgestiegen,
Die Sonne mir die reinsten Strahlen bot,
Tief unter mir sah ich die Täler liegen,
Wo Menschen wohnen voller Angst und Not.

Und die da drunten bangen, fürchten, beben,
Weil sie vom Dunkel überwuchtet sind; —
Ich will zum Himmel meine Arme heben:
"Du große Sonne, sieh, ich bin dein Kind!"

In der Höhe

Längst sind unter mir die Felder,
Wo der Menschen Kraft sich müht,
Und die dunkeln Tannenwälder,
Die der Meisensang durchzieht.

Und kein Klang der Alpenglocken
Sucht den Weg zu mir herauf,
Und an diesen Wänden stocken
Muß der kühnsten Gemse Lauf.

In den engen Ritzen finden
Keine Edelrauten Raum,
Nur versteinte Tiere künden
Längst versunknen Schöpfungstraum.

Und wie ungelöste Fragen
In die Stille Ewigkeit
Starre, dunkle Felsen ragen
Auf aus dem Bereich der Zeit.

Abend

Vom Almenjoch bin ich herabgestiegen
Auf einem Steige, steinig, steil und schmal;
Im Rosenglanze sah verklärt ich liegen
Vom Gotteskuß berührt das enge Tal.

Die Meise sang so leise Schlummerlieder
Zu Gott empor, der auch die Nächte lenkt,
Am Felsen flossen Sonnenstrahlen nieder:
Der Tag die goldnen Wimpern hat gesenkt.

Bergunglück

Hoch oben klomm ich an den Felsenstegen,
Nach Licht und Freiheit ging mein ganzer Sinn,
Ich jubelte der Sonne froh entgegen
Des Glückes wenige Worte nur: "Ich bin!"

Unendlich schimmerte die blaue Ferne,
Am Fuß der Felsen rastete die Zeit;
Ich nahm des Edelweißes blanke Sterne
Und sah erzitternd in die Ewigkeit. — —

Ins Bauernwirtshaus ging ich auszurasten,
Ein Weihbrunnkessel war dort bei der Tür
Und ein Skelett, gemalt am Uhrenkasten,
Dazu der Spruch: "Heut mir und morgen dir."

Vom Nagel habe ich ein Blatt genommen,
Und fern verklang ein Donner müd und schwer,
Und las: "Er ist in jenes Land gekommen,
Von wannen niemals eine Wiederkehr."

Es hat die Uhr dann aufgehört zu schlagen,
Es war verwelkt der Sternenblumen Zier,
Und jener Bleiche dort schien still zu sagen
Den kurzen Spruch: " Heut mir und morgen dir."

Marmolata

Der Jochfink weiß so jubelndes Gesinge,
Der blaue Speik blüht in dem grauen Kar,
Und in den Felsen Ammonitenringe
Verkünden uns, was vor Äonen war.

Der Marmolata Silbermärchen sagen:
"Einst alles lag in Eises Bann und Pflicht,
Mit ihm hat seine Silberschlacht geschlagen
Der neue Gott: das liebe gute Licht!"

Hier oben quillt es mir aus allen Quellen
In meine kinderfromme Seele ein,
Wie Rosen alle Wolken sich erhellen,
Soll das der Glanz der ewigen Liebe sein?

Still steh' ich über Menschenglück und Leide,
Nur von dem Drang der Ewigkeit bewegt,
Indes der Abend seine Purpurseide
Den Dolomiten um die Schultern legt.

Dämmerung

Das letzte Abendleuchten zog
Vom steilen Firnenhort,
Der allerletzte Falter flog
Von seiner Blume fort.

Und alles böse Leben schwieg,
Das Märchen war erwacht,
Und von den Bergen niederstieg
Die veilchenblaue Nacht.

Schutzhüttenweihe

Vom Morgensonnenscheine überflimmert
Am Joch die neue Alpenhütte steht;
Dem Schutz der Menschen wurde sie gezimmert,
Nun wird zu Gott um seinen Schutz gefleht.

Ich bin allein, die Wasserstürze tosen;
Laßt ein Tedeum singen: "Gott ist gut!"
Dasselbe Lied die roten Alpenrosen
Hinschreiben rings mit ihrer Flammenglut.

Die Firne leuchten silbern Gott zum Preise,
Hoch droben schwebt ein Adler in dem Blau'n
Und immer höher zieht er seine Kreise,
Um immer näher seinen Gott zu schau'n.

Ich bin allein. — Nein, das ist eine Lüge!
Vom Himmel kommt der hellste Sonnenschein
Und überall erschau' ich Gottes Züge:
Gott ist bei mir, drum bin ich nicht allein!

Dort kommen kleine Menschen aus dem Tale,
Die neue Hütte heute wird geweiht,
Der Priester trägt die Hostie im Missale,
Die wandelt sich zum Herrn der Ewigkeit.

Ich muß dem frommen Diener Gottes sagen:
"Hat sich denn Gott noch nie zu dir geneigt, —
Du willst den Herrgott in die Berge tragen,
Wenn selber er vom Himmel niedersteigt?"

Morgengang

In tiefer Nacht auf regennassen Wegen
Ging ich allein. Nur Märchen waren mit.
So still ging ich dem lieben Gott entgegen,
Als müßt' er kommen, zögerte der Schritt.

Und als die letzten Sterne still verstrahlten,
Und als die Sonne stieg so feierlich
Und ihre Strahlen alle Firne malten,
Da kniet' ich nieder: "Herr, ich sehe dich."

Ich stand am Meere

Ich stand am Meere, wo die Woge brausend
Verkündet jeden kleinen Schritt der Zeit.—
Nun kam ich in die Berge. — Das Jahrtausend
Schweigt droben still in Felseneinsamkeit.

Es schreibt die allerletzte Eisranunkel
Am nassen Fels des Lebens letztes Wort,
Und drüber blaut des Firnenspaltgefunkel,
Ein toter Falter liegt am Schneefeld dort.

Gewundene Felsenammoniten künden,
Daß hier heroben einstens Leben war,
Und unsichtbare Priesterhände zünden
Des Abends Totenkerzen am Altar.

Sie löschen aus. Es sinkt das Silberschweigen,
Zu Ende ist das große Requiem,
Die Sterne künden, die den Grat ersteigen:
Die große Sonne morgen wiederkäm'!

Und meine beiden Hände muß ich falten:
Den ich im großen Meere leuchten sah,
Den ich im Meere hörte flüstern, tosen,
Der schweigsam ist, hoch über Alpenrosen —
Ich weiß es, zwischen allen Todgewalten,

Und schweigt er auch, der liebe Gott ist da!

Einsam

Dort wo der allererste Morgenstrahl
Den Firnendemant zum Rubinen wandelt,
Wo nichts heraufdringt aus dem tiefen Tal,
Was von dem Glück und Leid der Menschen handelt,
Steht meine Hütte. — Nur der Himmel weit
Schaut in die grenzenlose Einsamkeit.

An ewiger Felsenwand des Adlers Schrei
In einem wilden Widerhall verdarb,
Die letzte Blume in dem Einerlei
Des todesstummen Ewigkeit verstarb.
Im Neuschnee hör' ich nicht den Schritt der Zeit,
Es glänzt das Licht nur, das "von Anfang" glänzte,
Und in die Flut der Gottesseligkeit
Sinkt alles Kleine, Menschliche, Begrenzte.

In diesen Höhen will ich feiernd bleiben,
Ein stiller Mann in Einsamkeit und Eis,
Und will in frommen Liedern niederschreiben,
Was ich von Gott und seiner Größe weiß.

Gewitter

Die Berge stehen, dunkle Kathedralen,
Der Donner klingt, ein voller Orgelton,
Und irre Blitze mit den blassen Strahlen
Die wetterschwüle Hochweltnacht durchloh'n.

Der Regen rauscht wie seidne Meßgewänder,
Und morgen neu es in dem Bergmahd treibt;
Der Priester nur, der große Segenspender,
Unsichtbar für das Menschenauge bleibt.

Lasciate . . . .

"Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung schwinden,"
Schriebst du ans Tor des Flammenqualverließes; —
Ich weiß noch andern Ort dafür zu finden:
Die porta vecchia des Paradieses.

Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung gehen,
Erinnerungen rastlos weiter erben:
Wer von der Trevi trank, muß wiedersehen
Das Land Italien, sonst muß er sterben.

Steh' ich am Rande eines Gletscherstromes,
So kann ich nie und nimmermehr vergessen
Die Marmorwellen des Milaner Domes,
Nachahmend unsre Gletscherwelt vermessen.

Bin ich im Kar, im grauen, wesenlosen,
Umschwiegen ringsum von der toten Leere,
Ein campo ist's mir, wo in riesengroßen
Fresken der Untergang gezeichnet wäre.

Bin ich am Alpsee, rauschen mir die Fluten
Des Meeres Schöpfungshymnus unermessen; —
Wenn durch die Fichten Abendbrände bluten,
So träum' ich von durchgluteten Zypressen.

Beim Marterle am Rand des Murgerottes,
Das eine Bauernhand buntfärbig malte,
Denk' ich an Raffael, die Muttergottes,
Aus der der Unschuldglanz der Jungfrau strahlte.

Und einmal wird die Sonne wieder sprechen:
"Du mußt den Weg zum Meere wieder finden,
Ein Gotteswort kann nie ein Mensch zerbrechen:
Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung schwinden."

Nachtgebet

Und seine blauen Augen schloß
Der Speik an dem Moränenrand,
Das letzte Gold herniederfloß
Von wunderweißer Firnenwand.

Und Sternensilber niederschwebt,
So engelstill, so blütensacht,
Und meine Seele betend bebt
Am blassen Hochaltar der Nacht.

Vor Sonnenaufgang

Im tiefen Herbst. Ich liege auf dem braunen
Sonnenverzehrten, steilen Almenhang,
Und fernverschimmernd bleiche Firne raunen
Jahrtausendalten leisen Schöpfungssang.

Und Morgen wird — und um die starrsten Zinken
Die rote Glut der Morgensonne wirbt,
In Gletscherspalten muß die Nacht versinken,
Die feierlich in ihrem Silber stirbt.

Sommers Ende

Ist ein Sommer mir vergangen,
Der für mich kein Sommer war;
Schaute nicht der Firnen Prangen,
Noch der Felsen Hochaltar.

Hab' des Edelweißes Sterne
Nicht vom Zinnenrand gepflückt,
Hatte niemand, dem ich gerne
In die Hände sie gedrückt.

Hoffnung

Und es verklang der Herdenglocken Hallen
Im Forst verbrannte längst der letzte Halm,
Die Höhenlärche läßt die Nadeln fallen
Und böse Geister hausen auf der Alm.

Die Berge mit den Nebeln sich umhüllen,
Sie sind so ängstlich, denn es kommt der Tod,
Und seine Sonnenpflichten zu erfüllen
Vermag nicht mehr das lose Morgenrot.

Jedoch die Alpenrosenstauden ballen
Die Knospen in der Allerseelenzeit,
Trotz Flockenfallen und Lawinenprallen
Zur Auferstehung sind sie stets bereit.

Bitte

Du banntest heuer mich in schwüle Daunen,
Und weigertest den vollen Sonnenschein,
Du ließest, Herr, den Arzt am Bette raunen —
Und durch die Türe trat der Tod herein.

Er sprach nur wenige und ernste Worte,
Er löschte nicht die karge Flamme aus,
Und leiser schloß er hinter sich die Pforte
Und leise ging er in ein and'res Haus.

Und draußen Sonnenschein und Vogellieder,
Hoch droben hell erstrahlten Fels und Eis,
Und gute Menschen von den Bergen nieder
Brachten zum Bett mir blankes Edelweiß.

Herr, nimm dies Lied als herzenstiefes Beten:
"Den nächsten Sommer lasse leuchten mir,
Laß mich dein heiligstes Bereich betreten
Und brechen mich der Sternenblume Zier!"