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Anton Renk

Über den Firnen - Unter den Sternen
Der Gedichte erster Band

München und Leipzig 1907
bei Georg Müller
Herausgegeben von Jungtirol
Gefunden bei ALO

Das was ich will
                    faßt keines Willens Macht
Das was ich soll
                    hat keiner noch vollbracht
Das was ich darf
                     lockt meine Seele nicht
Das was ich nicht kann
                    das ist meine Pflicht.

 


I. Ranken

 

Der Kelch
Waldkloster
Schicksal
O weine nicht
Junges Glück
Dämmerung
Laß das Weinen
Nachtlied
Conversation
Im Walde
Wolken
Berufswahl
Noch Lieder
Gib acht
Tod
Lohn
Edelweiß
Heimweh
Rückkehr
Hochweltsturm
Waldgrab
Mahnung
Vision
Weihe

Der Kelch


Kennst du jenen Kelch, es halten
Unsichtbare Huldgestalten
Über deinem Haupte ihn?
Was das Schicksal dir beschieden,
Deines ganzen Lebens Spende,
Glück und Elend, Kampf und Frieden,
Lichter Anfang, trübes Ende
Flutend durcheinanderziehn.

Deine Sehnsucht schaut nach oben,
Wo die Engelshand erhoben
Deinen Schicksalsbecher hält.
Deine Wünsche ihn dir malen;
Bittend mag die Hand sich falten,
Siehst im Traume du ihn strahlen:
Tausende von Lenzgewalten
Stellt die Hoffnung in die Welt.

Und des Engels Flügel sinken
Und er reicht den Kelch, zu trinken
Deines Lebens reiche Flut;
Und du trinkst in durst'gen Zügen
Freiheit, Fesseln, Schönheit, Dauer,
Herzenswahrheit, Herzenslügen,
Liebe, Haß und Lust und Trauer;
Doch die Hoffnung gibt dir Mut.

Und es ist vorbei das Jagen.
Leise stammelnd willst du fragen:
Ist im Kelche auch die Ruh? —
Tropfen fallen in die Locken
Aus den letzten Kelchesneigen . . .
In die Haare wehen Flocken,
Und der Engel drückt mit Schweigen
Deine müden Augen zu.

Waldkloster

Es steht im Wald drinnen
Ein Kloster ernst und grau,
Es ragen seine Zinnen
Ins duftige Himmelsblau.

Vom Chor einst klangen Lieder
Am goldgeschmückten Ort,
Und von der Kanzel nieder
Verstümmeltes Gotteswort.

Jetzt wölbt eine blauende Decke
Sich über den Mauern hoch
Und an der Wildrosenhecke
Blühen die Lichter noch.

Der Fichte Fahnen flattern
Und mächtig klingt hervor
Wie einst hinter finsteren Gattern
Ein siegwortjubelnder Chor.

Die Vögel jubeln und ehren
Den Weltgeist sangbereit,
Und auf den zersprengten Altären
Opfert die Einsamkeit.

Das Gold ist lange vermodert,
Wir achten der Trümmer nicht;
Hoch ob der Zerfallnis lodert
Das urweltewige Licht!

Schicksal

Ich lag in roter Erika
Und fühlte meinen Geist sich heben,
Als wären Morgenwolken da,
Mit ihnen in das All zu schweben.

"Du willst der Zukunft Kunde bringen?
Du kecker Jugendkämpfer, wag's!
Ein Engel wehrt dir einzudringen,
Das Morgenrot mit goldnen Schwingen
Am Eingangstor des neuen Tags!"

Ich lag in roter Erika — — —
Und will vom roten Abend träumen,
Zu dem die Wolken fern und nah,
Mit goldnen Rändern sich besäumen.

O weine nicht

O weine nicht, du schwarzgelocktes Kind,
Weil deine Puppe dir zerbrach,
Du weißt es nicht, wie gut die Tränen sind.
Einst wirst du's denken, was die Mutter sprach.

O weine nicht, weil dir ein Traum entflog,
Weil von der Rose dir ein Blättlein fiel,
Weil dir ein Mann ein schönes Märchen log,
O weine nicht ums neue Kinderspiel.

Es kommt die Zeit, wo alles dir Betrug:
Dein Leben, Gott . . . Du hälst am Wege Rast,
Dann weine, weine, wenn du noch genug
Der lieben guten, treuen Tränen hast.

Junges Glück

Es soll nicht in die Luft verhallen,
Als Antwort kehre es zurück,
In Blütenkelche soll es fallen,
In Sonnenstrahlen soll es glänzen
Und jubeln über alle Grenzen,
Mein frommes, kinderjunges Glück.

Ich will es einem Liede geben,
Das Freude senkt in jeden Sinn,
Und dieses Lied soll ewig leben
Und künden, wie ich glücklich bin.

Dämmerung

Ich war mit dir den ganzen Tag,
Und wir sind Hand in Hand gegangen.
Auf einmal in der Seele hat
Des Glückes Märchen angefangen.

Die Sonne sank . . . Das Märchen sprach
Von einem fernen Heiligtume . . .
Die Blätter auseinander schlug
Die Nacht, die dunkle Riesenblume.

Laß das Weinen

Tat ich weh dir mit meinem Wort,
Jage die trüben Gedanken fort!
Schau zu den Sternen, sie blicken herab,
Sie wissen alle, wie lieb ich dich hab':
Drum laß das Weinen.

Ich nahm von den Blüten, den bunten mein,
Schüttet' sie dir in den Schoß hinein
Und wußte nicht, daß ein Dorn dabei!
Schau mir ins Aug und heiter sei
Und laß das Weinen.

Ists mir doch wie ein Herbstestraum,
Als fielen die Blätter raschelnd vom Baum
Und müßt ich singen ein Sterbelied
Und küssen die Tränen von Augenlid:
Drum laß das Weinen.

Nachtlied

Mädchen, von der alten Mühle
Träume in der Waldespracht,
Wo ich alles dir gestanden,
Was mich heute selig macht:
Gute Nacht!

Träume, daß am grünen Strauche
Neue Rosen sind entfacht —
Träume von der dunklen Rose,
Die ich heute dir gebracht:
Gute Nacht!

Und die dunkelrote Rose
Hält mit spitzen Dornen Wacht,
Daß kein böser Traum sich nahe,
Der die Seele traurig macht:
Gute Nacht!

Conversation

Dir gegenüber auf der Ottomane
Saß ich und hielt den Blick dorthin gerichtet,
Wo sich im Aug' ein Sommerlied dir dichtet.
Du schautest bergfern über die Altane.

Wir sprachen sehr verständig vom Theater,
Dazwischen unbeholfen auch vom Wetter,
Wir hörten einen fernen Lerchenschmetter
Und was wir dachten, weiß kein Psychiater.

Ich dacht' an Küssen und an Bettgardinen
Und fühlte meines Lebens ganze Kraft:
Es ist der Sturmgott lodernd mir erschienen.

Du saßest bleich in deiner Sitte Haft.
Wir saßen still mit heuchlerischen Mienen,
Und wir empfahlen uns ganz musterhaft.

Im Walde

Und regungslos steht Baum an Baum,
Dort spinnen lichte Brombeerranken,
Zum Himmel schwingen sich empor
Der Ruhe heiligste Gedanken.

Moosüberhangen ragt der Stein;
Die hingestreckte morsche Fichte
Deckt neues Efeuleben zu;
Ein blauer Falter fliegt ins Lichte.

Dort ist des Blitzes dunkles Wort
In jene Buche eingeschrieben;
Dort schwebt das Lied des Vogels auf,
Vom Leben singend und vom Lieben.

Hier ist das Leben, dort der Tod,
Und drüber liegt ein großer Frieden — —
Mir ist's, als wär in Schicksals Aug'
Mir ein geheimer Blick beschieden.

Wolken

In dem Felde sank die Garbe,
Was erblühte, ist verdorben.
Rings ist unbestimmte Farbe,
Denn der Sommer ist gestorben.

Gleich des Totenreihers Fluge,
Weht es langsam durch die Auen,
Und die grauen Wolkenfrauen
Wandeln mit dem Leichenzuge.

Berufswahl

Was ruft ihr mich? Ich soll beim Pulte sitzen
Und meines Gottes Sendungsruf vergessen,
Den freien Geist in Menschenmodel pressen
Und als Professor, als Beamter schwitzen?

Ich soll dem Staat die Soldung wegstibitzen,
Dafür der alten Lüge Abfall essen,
Der Kasten Irrlicht schauen? Ich indessen,
Ich schau zum Himmel, dort seh ich es blitzen.

Ich will die weite freie Wahrheit künden,
Will nicht hinein in eure Wissenspfründen.
Ich soll verdienen? Höret auf zu rufen:

Denn ich will darben, will die Kunst erreichen,
Ich schlag' dem Roß die Fersen in die Weichen,
Und heilige Funken sprühen von den Hufen.

Noch Lieder

Ich habe alles verweht gemeint,
Was mir von Liedern geklungen,
Was ich geahnt, geliebt, beweint,
In den leuchtenden Frühling gesungen.

Was ich geträumt vom Sonnenschein,
Von lichter Minne ich dachte:
Du willst eines andern Buhle sein;
Ich ging und weinte und lachte.

Der Frühling kam, er hat es erschaut,
Daß ich noch Lieder habe:
Lieder für eines Andern Braut,
Blüten an einem Grabe.

Gib acht

Gib acht — gib acht —
Einmal, nach tiefverschwiegener Nacht,
Wenn du erwacht,
Gib acht —
Da ist es dir, als müßtest du beten.

Draußen ist Sonnenmorgenpracht,
Blütenschnei'n,
Falter fliegen zum Fenster herein,
Mit aus weiter Ferne verwehten
Vogelstimmen zum Fenster herein.

Dann mußt du an deine Stirne fahren,
Sieh — gespendet von unsichtbaren
Händen, liegt in deinen Haaren
Ein roter, goldener Kronenreifen.
Gib acht —
Den mußt du ergreifen. —

Laß dir erzählen —
Die Krone des Glückes in deinen Haaren
Mußt du fassen mit beiden Händen
Zur rechten Zeit, und mußt sie wahren,
Denn es will sie dir einer stehlen.

Das ist ein finstrer Reitergesell,
Und dieser Reiter reitet schnell;
Der wird dir in die Locken greifen,
In wildem Ritte wird er dich schleifen,
Keine Träne rührt ihn, keine Not.

Der schwarze Reiter ist der Tod.

Tod

Ein Stern ist gefallen,
Eine Blume verblüht,
In weinenden Tönen
Verklungen ein Lied.
Es leuchten die Kerzen
Im schwarzen Gemach  . . .
Wie's blutet im Herzen,
Wer fragt danach?

Lohn

Wem in die Brust das eine ward gegeben,
Ein König seiner eignen Welt zu sein,
Der wandelt traurig und er bleibt allein
Und wagt zu ruhen, wenn die andern streben.

Der Dichter ist's, er will sich kühn erheben
Ob seiner Welt und spricht empörend "Nein"
Zur großen Meinung, und verschmäht den Schein
Und wagt ein eignes Leben auszuleben.

Ein eignes Leben träumend zu verhasten —
Es schmähen die, die seine Glut nicht faßten
Und jene deuten: Ach, der ist nicht klug.

Und wenn sie all kopfschüttelnd ihn verdammen:
Sieht er sein Lied in einem Auge flammen,
Dem echten Dichter ist es Lohn genug!

Edelweiß

Warum blickt den das Edelweiß
So todesbleich ins tiefe Tal? —
Manch kecker Bursche steiget froh
Zu ihm empor im Morgenstrahl.

Und drunten liegt er im Geklüft,
Blutüberströmt und todesfahl. —
Darum blickt auch das Edelweiß
So todesbleich ins tiefe Tal.

Heimweh

Herrgott, nimm meine Lieder,
Meiner Träume Blütengehäng!
Gib mir dafür der Heimat
Ehrwürdiges Mythengepräng.

Laß mich die Heimat schauen,
Die lang ich irrend mied,
Laß mir die Donauwellen
Klingen ein heimisch Lied!

Was steh' ich am Strom! Entgegen
Will zieh'n ich seinem Lauf —
Dort türmen sich die Berge,
Des Glückes Wächter, auf!

Rückkehr

Wieder komm ich zu dir,
Lautauftosender Hochforst;
Müde
Werfe ich mich ins schwellende Moos
Und starre empor zu den blaudurchwogten
Wehenden Wipfeln . . .
Was wollte ich über die Wipfel weg?
Was wagte ich frevelnden Ikarusflug?
In dem brennenden Licht
Ganz nahe den Sternen
Sanken die Flügel.
Ich wollt' es erstreiten,
Was keiner erstritt,
Seit der menschliche Mund fragt:
Was war gestern?
Was wird morgen?
Seit der Mensch die Zeit mißt,
Die Erscheinungen fragt:
Seid ihr Glück?

Die Erscheinungen schweigen.
Wo der ganzen Menschheit
Gesammelte Kräfte
Strebten empor zu den höchsten Zielen,
Da rang ich mit
Und wollte vom Himmel
Reißen einen strahlenden Stern
Und der wartenden Menschheit
In den Schoß ihn werfen.
Nahe war ich dem Stern.

Da sank ich in jähem Falle
Herab aus dem Lichtreich,
Streifte durchs Tannengeäst
Der waldwogenden Heimat,
Stürzte zwischen den Fichtenwipfeln

Nieder ins Moos.
Und da lieg' ich nun.
Umfängst du mich wieder, wie einst?
Gibst du mir wieder

Seelensegnenden Frieden?
Nimm mich auf, deinen ungetreuen
Verlorenen Sohn,
Der über die Heimat wollte weg,
Der deiner Lieder vergaß.

Laß mich liegen in dir,
Weiches, grünes Moos,
Denn ich bin krank,
Todkrank vor Sternensehnsucht.

Hochweltsturm

Und Blitzgeflacker, Donnerschallen,
Mir schlägt der Hagel ins Gesicht;
Lawinen tosen, Steine prallen,
Es stöhnt der Wald, die Fichte bricht.

Der Herrgott spricht vom Felskatheder
Und die Natur stenographiert
Mit der Zerstörung Riesenfeder
Das Weltgesetz, das er diktiert.

Waldgrab

Ich will kein Kreuz, will keinen Stein!
Nein, tragt mich in den Wald hinein!
Auf's Grab setzt einen Tannenbaum,
Der aufragt in des Himmels Raum.
Der grünet fort zur Winterzeit!
Wenn alle Blüten längst gefallen,
In seinen Zweigen überschneit
Die alten Frühlingsmärchen hallen.
Und wenn mein Grab verlassen steht
Und meiner nimmer mehr gedenkt,
Im Baum das alte Träumen weht,
In das ich mich so oft versenkt.
Kein Zeichen der Erinnerung,
Denn was verblüht ist, ist vergessen:
Auf meinem Grabe blühet jung,
Was ich dereinst so ganz besessen.

Mahnung

Aufwärts will ich
Durch das öde, weite graue Kar.
Nichts als Vernichtung:
Verzerrte Felsenleichen
Bleichen am Boden . . .

Finstere Gewitterwolken,
Schwer
Wie der Deckel eines Sarges,
Legen sich über das Kar.

Kein Geierschrei,
Keine Blume . . . .
Nur mein Herz klopft
Ängstlich
Wie eine Totenuhr.

Und die Ewigkeit gähnt
Mich armes, herzdurchklopftes Geschöpf an,
Und Gott
Tritt fürchterlich vor mich hin
Und spricht:
Memento mori.

Vision

Ich stand am Meer. Die Mitternacht
War still heraufgestiegen
Und schöpfte aus der Träume Schacht,
Und alle Lande schwiegen.

Mit dunkler Hand am Himmelszelt
Hob sie des Mondes Schale;
Glanztropfen fielen auf die Welt,
Vom heil'gen Friedensgrale.

Zog unsichtbar ein Engelchor
Wie einst mit hohem Liede,
Und träumt der Völkerseele vor
Die Weltensehnsucht: Friede.

Da kam ein Reiter aus der Fern'. —
Die große Nacht, erschrocken,
Ließ fallen einen goldnen Stern
Aus ihren dunklen Locken. —

Es war von Blut der Mantel naß,
Vom Kiese stoben Funken . . . . .
Aus seinen Augen hat der Haß
Das letzte Licht getrunken.

Er nimmt die Frucht vom Erntefest,
Daß sie verhungern müssen;
Von seinen Lippen weht die Pest,
Will er die Erde küssen.

Auf alle Lebensfreudigkeit
Preßt er des Todes Siegel,
Und vor das goldne Tor der Zeit
Schiebt er die festen Riegel.

Ans Ohr ein Völkerrufen schlug,
Kam siegreich hergezogen!
Es bebt der Krieg . . . . Der Zelter trug
Den Reiter in die Wogen . . . . . .

Da lodert an des Meeres Strand
Empor ein großes Strahlen,
Stieg auf ein grünes Frühlingsland
Mit neuen Idealen.

Dem weiten Auge öffnet sich
Der Sehnsucht Paradiese,
Das Menschheitslied schwingt feierlich
Sich aus dem Herzverließe.

Zerspaltet alle Seelennacht
Und wirft die morschen Schranken
In blendender Heroenschlacht
Lichtspendender Gedanken!

Weihe

Still träumend stand ich an dem Fensterbogen
Und schaute in die sternenklare Nacht,
Da ist so strahlend durch die Brust gezogen
Erinnerung mit ihrer lichten Pracht.

Ich hab' geliebt. — Vorbei, lichtvolle Träume!
So rein sie waren wie des Himmels Schild. —
Noch klingen in mir jene alten Reime
Von einer Maid, so deutsch und schön und mild.

Du kannst, du darfst mir keine Liebe bringen,
An eines Andern Seite mußt du stehn!
Und ich will meine letzten Lieder singen,
Wenn sie verklungen, will ich schlafen gehen.

Da ward es Licht von tausend Sternenfunken,
Und eine Göttin sah mich milde an
Und hob mein Haupt, das in die Hand gesunken,
Und freundlich blickend sprach sie: "Sei ein Mann!"

Und schaut' empor in eine lichte Zone
Und legte auf das Haupt mir ihre Hand.
Dort oben glänzte eine lichte Krone — —
Sie schwebt' empor und lächelt' und verschwand.

Mein ist er nun, der gotterhabne, freie,
Der ganzen Menschheit heiligster Beruf,
Und all mein Leid war hohe Gottesweihe,
Die segnend mich zum deutschen Dichter schuf.