weiter

Quelle:

Anton Renk

Unter Föhren und Zypressen
Der Gedichte zweiter Band


Im dunklen Blau der Gentianen
Erglänzt der Himmel über mir,
Als wollte er mich leise mahnen
An meiner Heimat Bergrevier.
 

Wär' ich des Himmelsstromes Ferge,
Ich lenkte meiner Wolken Kiel,
Und jene geisterblassen Berge,
Die wären meiner Sehnsucht Ziel.
 


I. Heimat

 

Nacht
Am Ambraser See
Wiederkehr
Platenigeln
Karfreitag
Am Achensee
Großmutter
Gnadenwald
Sonntag
Heilige Zeit
Aufstieg
Zu zweien
Herbstfäden
Wiederkehr 2
Heimweh
Die alte Stadt
Herbst
Der Arbeiter
Herbstgang
Regen
Abend
Liebe
Ein Tag im Jahre
Goethe
Waldwinter
Weihnacht

 

Nacht

Zürich 1894

Weit draußen liegt die stille Nacht,
Hat manchen Stern im dunklen Haar
Und spiegelt sich im See so klar.
Da ist die Sehnsucht aufgewacht:
Im Dunkel dort des letzten Rands
Der letzte Berg des Vaterlands.

Schlaf' ein, Gesell, und schließ' das Buch,
Zum Forschen wähle andre Zeit,
Nicht wenn die Sehnsucht fliegt so weit.
Die Lampe aus, es kommt Besuch
Im Dunkel still. — Ein leiser Chor
Sagt dir ein Traumgeheimnis vor.

Die Tür geht auf, es tritt herein
Die Maid im Alpenrosenglanz,
Umströmt vom Firnenfrühlichtkranz
Und sagt: Du bist so ganz allein —
Legt ihre Hand mir auf die Brust . . .
Es fällt vom Kranze roter Blust.

Sie zeigt mir eine Wunderschau:
Den lichtumsprühten Eisaltar
Und friedhofstill ein weites Kar
Und einen Adler in dem Blau,
Ein sehnsuchtblasses Edelweiß . . .
Die Bergmahdlieder klingen leis.

Dann führt sie mich zum Hochwaldbraus,
Wo ew'ges Werdenwollen gärt,
Ein Hirte auf zur Alpe fährt,
Im Tannicht hält die Meise Haus,
Ein rotgeäugter Falter schwingt,
Ein Reh den Waldweg überspringt.

Im Feld des Korns bewegte Flut
Und Sensenrauschen: Blütentod
Der Heimat Grüßen mir entbot —
Im Forchengrund das Dörflein ruht,
Der Brunnen rauscht und sagt dabei
Ein ewig liebes Einerlei.

Und eine Dirne frisch und stolz,
Die hat im Aug' ein eig'nes Licht!
So glänzen hier die Augen nicht . . .
Sie jodelt laut . . . Vom Oberholz
Der Wind des Wildrers Antwort bringt,
Die in der Zither weiter klingt.

Tief Abend wird's. Im Küchenrauch
Gestalten werden: Eine Schar
Von Berggeistern wunderbar,
Die alten Deutschen Götter auch.
Sie reden leis vom Schatz im See,
Von Perchtengang und Nixenweh.

Vierzeilig klingt das Lied darein
Von Leid und Lieb' und Berg und Licht —
Und durch die Fensterscheiben bricht
Der Sonne Alpenrosenschein:
Fremd ist das Land! — Ich bin erwacht —
O komm bald wieder, stille Nacht!

Am Ambraser See

Im Estrich war's — Gehäuft in allen Ecken:
Kindertheater, Krippen, bunter Tand,
Und nie studierte wurmige Scharteken,
Kommersbuch, Pfeifen und noch allerhand.
Ich suchte etwas, — was, hab' ich vergessen,
Daran sind schräge Sonnenstrahlen schuld —
Im staubigen Winkel bin ich lang gesessen
Und sann auf Jugend und auf Minnehuld.

An meines Schlittschuh's rostigen Eisenschienen
Aufblitzte matt des Herbstes Sonnenstrahl,
Es ist mir meiner Jugend Bild erschienen
So tränenschön in diesem alten Stahl:
Vom Himmel sanken tausend Flockensterne,
Wir fuhren handinhand, und unser Blick
Ging in die silberscheue Sternenferne,
Als wartete im Märchenschloß das Glück.

Weißt du es noch, wie Namen eingeschrieben
In weißem Schnee ich an des Heimwegs Rand,
Weißt du es noch, das stille große Lieben,
Weißt du es noch, wir gingen handinhand? —
Weißt du es noch, der Frühling ist gekommen,
Vom Himmel sank ein goldenwarmer Hauch,
Der hat den Schnee, die Namen mitgenommen,
Und deine Liebe nahm er alle auch.

Und als die ersten Blumen blüh'n am Bache,
Die Anemonen, rot und blau und weiß,
Da steh' ich mit dem Strauße da und lache,
Weil für die Blüten keine Hand ich weiß.
Die eine Hand hat meine losgelassen,
Ich habe alles, alles dir verzieh'n
Und wand're einsam in die dunklen Gassen
So stumm und still — und weiß es nicht, wohin.

Nun ist es Herbst, und bald die Sterne fallen
Und übersilbern wieder dieses Tal.
Es dunkelt — an die Füße will ich schnallen
So ganz wie einst den alten, treuen Stahl,
Und will dann wieder wie vor vielen Jahren
Im Sternenwirbel, aber nicht zu zweit,
Und will todeinsam immer weiter fahren
Bis in die grenzenlose Dunkelheit.

Wiederkehr
1900

Die Schwalbe sucht die alten Orte,
Die Blüten sucht der Sonnenstrahl,
Die Liebe sucht die alten Worte,
Die sie gesprochen dazumal.

Und eine kinderfromme Weise
Der Seele Innerstes erfüllt,
Indes die Welt sich leiseleise
In Blüten und in Lieder hüllt.

Platenigeln
(gelbe Primeln)

Nun blüht die Erika im Tann,
Es schallt von Meisensängen
Und in der Klamm der wilde Mann
Beginnt sein Felsensprengen.
Es rollt die Lahne in das Tal
Weißschollernd in die Tiefe,
Mir ist, als ob zum drittenmal
Der wilde Alte rief.

Ich weiß es aus der Nähne Zeit,
Wie wir am Kien gesessen:
"Wenn tief im Tal der Alte schreit,
Der Winter sei vergessen!
Der Bauer richte seinen Pflug
Und werfe seinen Samen
Und bete fromm und streue klug,
Daß er gedeihe, Amen!"

Zu dieser Zeit am Fels erwacht
Ein neues gold'nes Leben,
Es hat der Himmel über Nacht
Die Schlüssel hergegeben.
Die schließen auf des Lichtes Born,
Die Werdekraft der Gründe
Und bannen den Lawinenzorn
In finst're Felsenschlünde.

Die gold'nen Himmelschlüssel, die
Erschließen alle Schollen,
Erschließen Glück und Poesie
Und neues Menschenwollen.
Die Schlüssel auf dem Felsenknauf
Hoch über'm Weltgetriebe,
Die schließen junge Herzen auf
Und auf die junge Liebe.

Ich nehme meinen Bergstock her
Und steige in die Schroffen,
In meine Seele immer mehr
Zieht sehnsuchtsvolles Hoffen,
Und sie durchdringt die Töneflut
Des ersten Lenzgedichtes.
Ich stecke auf den Lodenhut
Die Herolde des Lichtes.

Karfreitag

Die Kinder stehen und schauen
Tiefgläubig in das Licht,
Das aus roten, grünen und blauen
Funkelnden Kugeln bricht.

Und hinter dem Gefunkel
Liegt der Heiland starr und bleich,
Denn nicht von dieser Erde
War sein Reich.

Am Achensee
1895

Schwarze Fichten. Drüber hin
Wolkenfetzen: Sturmesboten!
Und der Mond schaut bleich und starr,
Wie das Antlitz eines Toten.

Nacht des Zweifels, Nacht der Angst!
Bang beginnt das Herz zu klopfen,
Und aus meinem Liederkelch
Fallen schwere, schwere Tropfen.

Großmutter

Ein Frühlingshimmel war wie blaue Seide,
Großmutter trug den schönsten Capuchon
Und war in schrecklich violettem Kleide —
Was das bedeutete, das wuß't ich schon.

Da wurde eine Reise angetreten,
Weil Ablaß uns der Papst gegeben hat,
Und sieben Vaterunser mußt' ich beten
In allen sieben Kirchen unsrer Stadt.

Vom Frühlingshimmel kam ein Glanz geronnen,
Es leuchtete das violette Kleid,
Es hat die gute alte Frau gewonnen
Den Freibrief für die ewige Seligkeit.

Und weil ich mitgebetet hatte fleißig,
Die alte Frau ließ ihre Börse seh'n
Und gab mir Kreuzer, zwanzig oder dreißig,
Damit ich soll zum Zuckerbäcker geh'n.

Nun haben uns're Rollen sich verschoben:
Mein Kirchengehen ist schon lang vorbei,
Großmutter aber sitzt schon lange droben
Bei Gott in seiner Zuckerbäckerei.

Gnadenwald

Tiefdunkler Wald mit stillverschwiegnen Pfaden,
Von ferne klingt ein Felsenwasserfall,
Das ist ein Wald, ein Wald so voller Gnaden,
Du findest Glück und Frieden überall.

Darüber starren lichtgebleichte Schroffen,
Heiß überströmt vom Sommersonnenbann,
Unendlich glänzt der blaue Himmel offen,
Und staunend siehst du, was der Herrgott kann.

Sonntag

Heut fing der Morgen leuchtend an,
Heut hab' ich leichte Tat getan.

Es sind im Garten über Nacht
So viele Rosen aufgewacht.

Die roten Rosen, die ich fand,
Zum Strauße ich zusammenband.

Die Dornen mußten gebrochen sein:
Die Mädchenhände sind so fein.

Nun sitz' ich da und warte still,
Ob keine meine Rosen will.

Nun sitz' ich da in Sonntagsruh'
Und träume dieses Lied dazu.

Heilige Zeit

In den Gärten tief und grün
Rote Herzelblumen blüh'n,
Und Resedenduften schwelt
Mit dem Rosenduft vermählt.

In den Wiesen weht Gesang
Und ein Hochzeitfiedelklang,
Und die jungen Mädchen geh'n,
Wo die Margeriten steh'n.

Und im Wald ist's dämmerstill,
Weil er viel verschweigen will. —
Schmetterlinge zieh'n zu zweit
In der heiligen Sonnwendzeit . . .

Aufstieg

Und das Eis umspann den Berg,
Und der Himmel blaute,
Und ich zitterte, ein Zwerg,
Weil ich Gott erschaute.

Und ich stand geblendet ganz
Über dem Getriebe,
Weil ich sah im Sonnenglanz
Gott und seine Liebe.

Still die Stadt im Tale lag
In dem Morgendämmern; —
Mit dem nächsten Glockenschlag
Muß die Arbeit hämmern.

Überm Alpenrosenflor,
Über den Brunellen,
Immer weiter ging's empor
Zu des Lebens Quellen.

Und die Heimat sprach zu mir:
Warst du unzufrieden,
Blicke in die Tiefe! Dir
Hab' ich das beschieden!

Und ich sah vom Firnenrand
Nieder zu den Reben:
Herrgott, das gelobte Land
Hast du mir gegeben!

Zu zweien

Denkst du daran? — Nach jenem Sonnwendtage —
Die Feuer funkelten an allen Höh'n,
Auf unsern Lippen schwieg die große Frage,
Die Frage war so unausschprechlich schön.
Und uns're Hände in einander ruhten,
Leuchtkäfer flogen in den Wald hinein,
Vom Himmel her die weißen Sternenfluten,
Und von dem Berg die roten Funkengluten,
Und uns're Augen stiller Zauberschein —
Das alles leuchtete für uns allein.

Herbstfäden

Hoch in des Himmels Seidenblau
Aufragen alte Zackenzinnen,
Ich sehe unsre liebe Frau
In einem stillen Winkel spinnen.

Herbstfäden weh'n im Sonnenraum,
Zeitlosen blüh'n, die Blätter falben,
Und um den großen Kirschenbaum
Zur Reise sammeln sich die Schwalben.

Wiederkehr 2

Das alte Haus — der alte Bogen,
Dieselben Schwalben sind es noch,
Die damals aus- und eingezogen:
Und alles ist so anders doch.

Die gleichen weißen Sterne scheinen,
Die damals strahlten über's Land —
Ich bin allein, und in der meinen
Liegt heute keine weiße Hand.

Zum alten Haus bin ich gekommen.
Der Wind, der damals Blüten trieb,
Hat mit den Blüten mitgenommen
Die Worte auch: Ich hab' dich lieb.

Dasselbe Singen weht vom Dome,
Das Maienlieder einst gerauscht,
Dasselbe Klingen kommt vom Strome,
Dem engverschlungen wir gelauscht — — —

Es war, als ob durch Maiandachten
Zu uns das Glück gegangen käm' —
Und heute durch das Silbernachten
Verklingt es wie ein Requiem.

Heimweh

Aus himmelblauen Augen glänzt
Mich eine alte Sehnsucht an,
Mit Alpenrosen weiß bekränzt,
Mit Firnenseide angetan.

Und spricht vom lieben Heimatland
So einen wundersamen Reim:
Von einer treuen Mädchenhand,
Die mich geleite in ein Heim.

Die Sonnenrose still verblüht,
Und Sterne steigen bleich und sacht,
Und eines Gletschers Flammen glüht
Blutrot in eine schwarze Nacht.

Die alte Stadt

Sonntag ist — die Gassen sind leer,
Keine Kinder laufen umher,
Keine strickenden alten Frauen
Aus den Fenstern niederschauen.
Aus den Lüften sinkt Schwalbenschall,
Und die Sonne ist überall. —

Weißt du, Sonne scheint halt so . . .
Alle andern sind irgendwo,
Dort, wo Gottes Wunder glänzen,
Licht und Schönheit ohne Grenzen.
Zwischen den Häusern gehen wir beide,
Und der Himmel ist blaue Seide.

Bleiben wir in der alten Stadt,
Die so vieles Heimliche hat,
Dunkle Tore und enge Gassen,
Wo sich Mädchen küssen lassen.
Laß sie wandern, die fremden Leute,
Bleibe bei mir — Sonntag ist heute.

Herbst
1899

Am Kirchturm kreist ein dunkler Schwalbenflug,
Im Felde sanken schon die letzten Ähren.
Mit grellem Pfiff rast durch das Tal ein Zug
Mit Menschen, welche in die Heimat kehren.

Rotüberwuchert steht die Station
Von wilden Reben, und des Gartens Malve
Schreibt mit den Astern und dem letzten Mohn
In bunten Lettern für den Herbst eine Salve.

Der Arbeiter

Du hast geschafft, du hast gewacht,
Die Arme sehnsuchtvoll geweitet,
Dein Weib, dein Kind dir überdacht
Und ihnen Mahl und Bett bereitet.

Du schautest kaum zur Himmelpracht,
Die ihre blauen Fahnen breitet; —
Wenn du dein Tagwerk gemacht,
Dir fromm die Abendglocke läutet.

Dann kommt die silberhelle Nacht,
Die auf den stillen Sohlen schreitet —
Du merkst es nicht, daß sanft und sacht
Die Zeit zur Ewigkeit vergleitet.

Herbstgang

Nun wühlt der Herbstwind in den braunen Gräsern,
Das letzte Almvieh läutet in das Tal.
Nun sind sie fort, die mit den Operngläsern
Sich fingen ein der Höhensonne Strahl.
Nun will auch ich zum Berge wieder steigen,
Mit Gott da droben ganz allein zu sein —
Nun ist die Heimat wiederum mein Eigen,
Nun sind sie fort — nun ist die Heimat mein.

Am Rindenkännel ist vereist die Quelle,
Die Lärche schüttelt Goldhaar auf den Grund,
Und längst verblüht ist Speik und Blutbrunelle,
Kein Jodelschrei gibt Almenfreude kund.
Statt Glockenläuten ist ein tiefes Schweigen,
Es schlief das Murmeltier im Kare ein.
Ich jub'le laut: Die Heimat ist mein Eigen,
Nun sind sie fort — nun ist die Heimat mein!

So zitterleise senkt den Schleier nieder
Der wellenarme Schrofenwasserfall,
Jedoch die alten Felsen haben wieder
Für meine Lieder alten Widerhall.
Euch ruf ich's zu: Nun ist der Fremdenreigen
Endlich vorbei, und ich darf glücklich sein —
Nun ist die Heimat wiederum mein Eigen,
Nun sind sie fort — nun ist die Heimat mein.

Steigeisen an! Der Hang ist hart gefroren,
Empor, empor! Was hindert Hurst und Eis?
Der Winter leuchtet schon auf allen Koren,
Des Schneehuhns Schwinge ist schon firnenweiß.
Und dichte Wolken sich herniederneigen,
Und silberlichte Sterne mich umschnei'n —
Nun ist die Heimat wiederum mein Eigen,
Nun sind sie fort — nun ist die Heimat mein.

Empor durch Flockenfall und Nebelwirren!
Nun ist erreicht der allerhöchste Knott. —
Nun redet Er! — Er ist's! — Es gilt kein Irren —
Der jetzo redet ist der alte Gott:
"Nun kommst du endlich? — Du kannst ruhig schweigen,
Ich weiß es alles; du willst Kläger sein,
Du sagst und klagst: — Sie nahmen mir mein Eigen,
Erst wenn sie fort sind, ist die Heimat mein.

Bis zu den Alpenrosen steige nieder,
Du findest sie schon knospensprungbereit;
Vertrau' dem Gotte deiner Heimat wieder,
Und warte stille auf die heilige Zeit.
Und blüht es rosenrot an allen Zweigen
Dir unter deines Weihnachtsbaumes Schein,
So bete fromm: Die Heimat bleibt mein Eigen,
Der liebe Gott wird ihr Hüter sein."

Regen
Zürich 1894

An das Fenster leise klopfen
Tausende von Regentropfen,
Und mir ist's, als hört' ich jeden
Von der fernen Heimat reden.

"Weg von meiner Alpenrose
Küßte mich der Sonnenstrahl."
"Aus des Gletscherstroms Getose
Schwang ins Blau ich mich zumal."

"Ich war in des Dorfes Brunnen,
Und ich hört' von manchem Kind,
Was im Winter sie gespunnen,
Und wie ihre Nelken sind."

"Ich im Bergsee war, im blauen,
Und die Senn'rin schaute drein,
Ließ versunk'nen Schatz sie schauen,
Zaubergold und Edelstein."

"In den eisgeword'nen Wogen
War gebannt ich in Kristall,
Tausendfach kam Licht gezogen,
Und es riß mich in das All."

"Von dem Mühlrad fiel ich splitternd,
Als die ferne Sonne schied,
Und ich bring dir leise zitternd
Ein vertrautes altes Lied."

"Kennst die Maid, die schlanke, braune,
Dorten wo der Mühlbach rollt?
Brach ein Röslein sich vom Zaune,
Das sie einem geben wollt . . .

Daß ihr Herz nach dir sich sehne,
Weiß ich banger Kunde viel,
War in ihrem Aug' die Träne,
Welche auf die Rose fiel."

Also sprach's. — Der Sonne Strahlen
Einen Regenbogen malen,
Und ich kann kein Wort erwidern,
Doch das Herzweh wird zu Liedern.

Abend
Achental 1895

Vom fernen Dorf ein Abendglockensegen,
Dann ist es still. Die ersten Schatten legen
Sich auf die Flächen. An der Bergeskante
Erscheint der Mond, die Sterne sind entklommen.

Und meine Seele hat den Flug genommen
Hinauf ins Große, Freie, Unbekannte,
Und aus dem silbernen Wald
Die Märchen kommen.

Liebe

Aus der Ferne kam ich wieder her,
Und so dunkel sind die alten Gassen,
Und die Häuserschatten sind so schwer,
Und der Marktplatz ist so still und leer —
Und die Eine finde ich nicht mehr,
Die ich nicht vergessen kann, noch lassen.

Und die Brunnen rauschen wunderlich
Und erzählen sich viel selt'ne Dinge,
Und am dunkeln Tore flüchten sich
Aufgescheucht zwei Abendschmetterlinge.

An dem kleinen Fenster war es licht,
Vor du jenem deine Hand gegeben —
Heut' erhellt sich mir das Fenster nicht
Und bleibt dunkel wie mein ganzes Leben.

Ein Tag im Jahre

Als ob der Alltag heute wär' vergessen,
Als hätte jedes die Geschäfte satt,
So rauscht es festlich unter den Zypressen,
Heut' geht das Leben durch die Totenstadt.
Geputzte Frauen, Herren im Zylinder,
Die niemals sonst die Gräber angeblickt,
Sie führen in den Friedhof ihre Kinder,
Heut' ist man traurig, weil sich's heute schickt.

Den Reichtum und die Kunst, den Menschendünkel
An den geputzten Gräbern man bestaunt,
Indessen scheu in irgend einem Winkel
Die Liebe still erschrock'ne Worte raunt.
Hier Porphyrröte, drüben Marmorblankheit,
Ein Mooskranz da, der Palmenwedel dort,
Hier eine christlich-schmerzverzerrte Schlankheit
Und dort der Griechen fleischgeword'nes Wort.

An einem Grabe flackern Unschlittkerzen
Bei Rosen aus Papier, so starr und blaß,
Und ängstlich schlagen bange Kinderherzen
Und wunderklare Augen werden naß.
Die Menge flutet schwer, ihr eigner Treiber,
Zum neuen Denkmal in dem Ampelglanz,
An dessen Stufen zwei bezahlte Weiber
Herunterleiern ihren Rosenkranz.

Ein leises Flockenrieseln sinkt vom Himmel,
Auf einmal klirrt ein banger Glockenton
Und löst sich auf in zitterndes Gebimmel,
Mechanisch betend kommt die Prozession.
Nun fliegt die Trauer auf die frost'gen Mienen —
Ist's Seelentrauer oder Heuchelei?
Wie viele sind wohl Beter unter ihnen?
Wie viele sind wohl Liebende dabei?

Vielleicht der Greis dort an der Gattin Grabe?
Zum Himmel wendet er den Blick und spricht:
"Ich bin gewandert lang genug am Stabe,
Ich bin allein, — o Herr, vergiß mein nicht!"
Und dort wo alle Hügel sind zertreten,
Wo keine Kerzen, keine Blumen sind,
"Ich will zur Mutter", Herrgott, hörst du beten
Ein armes, frierendes, verweintes Kind?"

Nun packen sie die Kerzen und die Schleifen
Mit einer rohen, liebelosen Hast,
Die Kränze sie mit schnellen Händen greifen —
Die Trauer hat ein Jahr lang wieder Rast! —
Zu seinem Stammtisch wandert rasch der Vater,
Weil seine Freunde schon versammelt sind,
Die Mutter geht am Abend ins Theater
Und ist gerührt bei "Müller und sein Kind".

Es kommt die Nacht. Ganz leise Flocken fallen,
Der Wärter still das Friedhofgitter schließt,
Nun zieht das Schweigen wieder in die Hallen
Und Silberfrieden um die Kränze fließt. —
Schlaft ein, ihr Toten, drunten in der Truhe,
Was habt ihr heute alles angehört!
Was ward euch an dem einen Tag die Ruhe
Durch menschliche Erbärmlichkeit gestört?

Goethe

Heut' saß ich einsam in der Goethestube,
Des Dichters Auge sah vom Bild herab . . .
Es war dereinst, zum Jüngling wuchs der Bube,
Als Goethe mir den ersten Segen gab.

Als damals fiebernd ich den Faust gelesen,
Erschien mir alle and're Weisheit Spott;
Ich wußte nun, was "Schall und Rauch" gewesen:
"Gefühl ist alles" — ist der neue Gott. — —

Du schrittest unter diesem Laubenbogen,
Im Tagebuche blätterte die Hand,
Als du zur ersten Zirbel bist gezogen
Und dann zum Lorbeer in der Künste Land.

Von hundert Jahren — am Marientage
Nach Süden flogen alle Schwalben hin —
Auf deinen Lippen zitterte die Frage:
"Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n?"

Dein Wagen rollte durch die Winkelgassen,
Als du so eilig fortgefahren bist —
Du aber hast uns doch nicht ganz verlassen,
Weil Goethes Geist allgegenwärtig ist . . .

Und heute saß ich unter deinem Bilde,
Im Becher funkelte der rote Wein: —
Du sahst die Wahrheit und dein Aug' ist milde,
In deinem Glauben will ich selig sein!

Waldwinter

Still ist die Nacht. Der blasse Schnee
Liegt auf des Waldes dunklen Steigen,
Und Eis umzieht den toten See
Und bannt den Elfenreigen

Es glänzt kein Mondenstrahl, kein Stern,
Der Frost weiß keine Märchenkunde.
Erstarrt und tot. Im Dorfe fern
Schlägt eine bange Stunde.

Es stürzt ein Ast, schwer überschneit,
Ein müdes Lied klingt in den Ohren,
Als hätt' ich meiner schönsten Zeit
Erinnerung verloren.

Weihnacht

Es flockt der Schnee so silbersacht,
Es wird kein Schritt vernommen,
Unmerklich ist die Weihenacht
Zu uns ins Land gekommen;
Der Ofen flüstert alten Sang
Von einem Kindheitstraume,
Von einem hellen Glockenklang,
Von einem Tannenbaume.

Von Zuckerwerk und Äpfelein
Und von den gold'nen Sternen,
Und wie beim hellen Kerzenschein
Die Kinder lieben lernen!
Die Liebe geht von Haus zu Haus
Und zündet ihre Lichter,
Und froh und heilig schauen aus
Die menschlichen Gesichter.

Ihr kalten Menschen, glaubt es nur,
Was wir vom Wunder sagen,
Statt der gewohnten Alltagsuhr
Hört man die Herzen schlagen!
Heut sind die Menschen alle gut
Und freuen sich und schenken,
Und still in jeder Seele ruht
Ein heiliges Gedenken.

Sollt' alles dir gestorben sein,
Gib acht, heut kommt es wieder
In stiller Stund' zur Tür herein
Und beugt die Zweige nieder,
Und schmückt sie mit dem alten Glück
Und leuchtendem Empfinden;
Was dein gewesen, Stück für Stück
Wirst du's am Baume finden.

Ein jeder hat dieselbe Pflicht,
Des andern Glück zu gründen,
Am Baum für jede Not ein Licht
Der Menschheit zu entzünden.
Bist einsam du im Kerzenglanz,
So folge doch der Kunde:
Sei Liebe, Liebe, Liebe ganz
Nur diese eine Stunde!