I. Gott
1. Gott ist die Liebe
"Sag' mir nur, was ist Gott?" — frug sinnend einst die Geliebte;
Und ich küßt' sie und sprach: "Gott ist die Liebe, mein
Kind!"
2. Eins und Alles
Eins und Alles ist Gott; erlebt unendlich in
Allem,
Und im menschlichen Geist faßt er bewußt sich in Eins.
II. Religion
Religion ist der Drang der ganzen Menschheit seit jeher,
Aber den mächtigen Drang — Selbstsucht sie beutet ihn aus;
Statt, mit hehrem Gesang begeistert feiern den Weltgeist,
Lehrt sie die Menschheit schlau, opfern dem irdischen Gott.
III. Menschentum
Der Gemütsmensch verlangt nach dem tröstenden Glauben der
Kirche,
Und der Verstandesmensch — lächelt, ja spottet wohl gar;
Doch der harmonische Mensch (was jeder, zu sein, sollt'
streben), —
Der auch dem Geist gibt das Recht und dem Gemüt nicht allein, —
Der harmonische Mensch fühlt innig und ganz sich befriedigt
Durch — o verdamm' nur Zelot'! — edles Empfinden und Tun!
IV. Materialismus
Gegner verwirren durch Trug des Wissens errungene Sätze! —
Zeigt mir doch — rufen sie frech — euers Gehirnes "Sekret"!
Als ob jemand gesagt, daß Denken ein stofflich Produkt sei,
Das man — wie höhnend ihr's wollt — schauend zu greifen
vermöcht'!
Heißt es nicht deutlich und klar: der Geist ist, notwendig und
einfach,
Einzig das Resultat des Organismus des Hirns? —
Und dann jene, die gar mit heuchelndem Ernste posaunen:
Ist eure Lehre bewährt — ach — dann, o Tugend, ade!
Als ob nicht just der Verstand am lautesten sagte zum Menschen:
Zeige dich würdig der Welt, deren Beherrscher du bist!
V. Lebensziel
Doppelt ist ewig die Pflicht des Menschen im Kampfe des Lebens —
Den mit dem Knäblein Lust kämpfet der Riese, das Leid: —
Streben mußt du zuerst, den guten Mut dir zu wahren,
Heiter lächelnd zu steh'n in der Entsagungen Schwall;
Trachten aber zugleich, daß dein Geist durch befruchtendes
Wirken
Ewig auf Erden hier lebt, gleich dem nie schwindenden Leib,
Der wohl in Moder zerfällt, ein Raub wild wogender Stürme,
Aber dem ewig die Ros' kommenden Lenzes entsproßt.
VI. Vom Leben und vom Tod
Gottlos nannt' man ihn meist, doch nannten ihn viele verrückt
gar,
Weil er vom Leben und Tod eig'ne Gedanken gehegt.
Heilig war ihm der Schritt, den schon, bewundert, die Alten
Aus Verzweiflung, aus Stolz — gegen ihr Leben getan.
Wunderlich schien es ihm stets, daß oft ein Leben sich
hinschleppt,
Bloß aus Mangel an Mut oder weil kindisch es hofft,
Doch noch ärger erschien ihm immer der schreckliche Eingriff,
Der de erlösenden Schritt, "rettend," zu hindern versucht.
Aber das ärgste war ihm des Richters blutiges Urteil, —
Wo man noch richtet den Leib, rief er, da herrscht noch die
Nacht,
Schmerzlich erfaßt' es ihn auch, zertrat eine Mutter ein
Würmlein,
Doch er betrachtete stets mild das verzweifelte Weib;
Den oft ehrlosen Fant, den schuldig erwiesenen Buben,
Der es brachte zum Fall, wollt' er nicht minder bestraft. —
Was ihn am meisten empörte, das war der übliche Zweikampf —
("Ehre" nennen sie's keck, lächerlich "Übung im Mut"); —
Ist's schon, rief er, der Fall, daß tödlich die Ehre getroffen,
Dann gilt's nicht einen Hieb, dann gilt es — ich oder du!
VII. Künstlerschaft
Wer, von der Gottheit entzückt, ein Kunstwerk jemals geschaffen
—
Sei's ein mächtiger Bau, sei es ein Tonbild, ein Lied, —
Bildner, Maler, Poet, ein jeder wohl kennt die Empfindung,
Daß es ihm ist, als wär', was er da schuf, nicht sein Werk.
Deutlich trägt er in sich das Gefühl, als wär' das Gebilde
Schon vorhanden — verhüllt; er doch befreit's aus dem Bann;
Er doch, der Künstler, erkennt die Gestalt in der deckenden
Hülle,
Löst das verborgne Gebild ans der Verhüllung heraus. —
Längst im carrarischen Block war schon gestaltet Apollo,
Bis der Geweihte erschien, welcher im Geiste ihn sah.
Von der Göttin geküßt, nahm er heiter sinnend den Meißel, —
Sieh! aus dem fallenden Staub stieg der unsterbliche Gott! —
Und so wird es auch klar, warum der Künstler so lebhaft
Stets empfindet: es mußt' werden, wie's ist, mein
Gebild'!
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