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Wanderbuch eines Wiener Poeten
Rollett Hermann

Lyrisches Wanderbuch

Frankfurt am Main 1846
Literarische Anstalt

Ich weiß, wir werden durch das Lied
Die Freiheit nicht ersingen, —
Doch in des Volkes Seele zieht
Der Mut auf Liederschwingen!

 


Wien

Wanderlied

Es bricht aus allen Zweigen
Des Lebens voller Drang,
Entzückte Lerchen steigen
Mit Auferstehungsgesang.
Erwachende Keime streben
Freudig zum Licht empor,
Und es quillt aus allem Leben
Der Geist der Liebe hervor.

Nur du magst dich nicht ringen,
O Heimat, aus deiner Nacht,
Nur uns soll noch nicht klingen
Der Frühlingsruf: Erwacht!
Nur du willst nimmer sprossen,
Vom Hauch des Lebens beseelt,
Nun hab ich es beschloßen, —
Ich muß hinaus in die Welt!

Ich hab nun genug gesehen
Deine Schmach, o Vaterland,
Nun will ich als Pilger gehen,
Singend durch Stadt und Land.
Ich will es in Lieder bringen,
Was deinen Jammer schuf,
Und will es dir liebend singen
Als Auferweckungsruf!

Ich zieh aus deinen Mauern,
Du träumendes, schäumendes Wien,
Durchweht von dunkeln Schauern,
Ins freie Leben hin.
Ich hab nun genug getrauert,
Von drückender Luft umkreist,
Nun hat es mich durchschauert,
Als wär es Gottes Geist!

Mich zieht es voll Verlangen
Aus deinem Freudenhaus,
Mit Hoffen und mit Bangen,
In den Ernst der Welt hinaus.
Es drängt mich von deinem Herzen,
Du mein schönes Österreich:
Weil du zu reich bist an Schmerzen,
Und weil du an Lust zu reich!

Es treibt mich hinauszufliehen,
O Heimat, aus deiner Qual,
Und als Pilger will ich ziehen,
Singend durch Berg und Tal.
Ich will es in Lieder bringen,
Was Glück und Leben schuf,
Und will dirs mit Jubel singen
Als Auferweckungsruf!

Auf der Bastei

Bevor ich scheide, dunkles Wien,
Aus deinem schwülen Traum,
Muß ich noch einmal lauschend ziehn
Zu jenem Lindenbaum.

Zu jenem Baum, der einst erklang
Im Fluch der Tyrannei,
Der Metternich ein Grablied sang
Zu Wien auf der Bastei*

Hab damals still dem Baum gelauscht,
Der durch der Zweige Duft
Des Schmerzes tiefsten Fluch gerauscht,
In heller Frühlingsluft.

Der brausend rief: "Du beugtest nur,
Was strebte himmelwärts, —
Versink, versink in ewige Nacht,
Du längstversunknes Herz!" —

Nun stand ich wieder vor dem Baum,
Hab wieder still gelauscht,
Und wieder hat im Frühlingstraum
Sein grün Gezweig gerauscht.

Die Äste, blatt- und blütenvoll,
Bewegte tiefer Drang,
Ein Windhauch durch die Zweige quoll —
Ich schwieg — und es erklang:

Nun ists ein Jahr, seit ich voll Schmerz,
O Fürst, im Zorn dir sang: —
"Du altes, welkes, starres Herz —
Dir blüh ich nimmer lang!

Es wehn dich meine Zweige grün
Bald ein zur ewigen Ruh" —
Heut aber sing ich mit Erglühn:
Nein! lebe! leb nur zu!

Heut sing ich dir, o Fürst der Nacht,
Ein Lied des Lebens laut,
Ja, lebe noch, bis auferwacht
Des Tages lichte Braut.

Du sollst erleben noch den Tag,
An dem die Freiheit siegt, —
Wie deines Herzens dumpfer Schlag
Auch jeden Strahl bekriegt!

Du sollst dein Leben fristen noch
Bis zu des Volks Erstehn,
Bis laut es ruft: Wir siegten doch
Trotz deines Atems Wehn!

Ja leb! so lang uns noch dein Herz
Vergebens drängt zurück, —
Erleb noch deinen größten Schmerz:
Des freien Volkes Glück!

*Metternichs Linde" nachzulesen am
Ende der Gedichte!

Abschied
An Marie

Noch einen heißen, heißen Kuß,
Noch einen tiefen Blick,
Weil ich auf lang verlassen muß
Dein Glück und dein Geschick.
Weil ich dich lang nicht wiederseh,
Vielleicht, vielleicht auch nie, —
O küsse mich, mir ist so weh,
Leb wohl, Marie!

Als dich mein Aug zuerst geschaut
Da glaubt ich es wohl nicht,
Daß mir so bald der Abend graut
Nach hellem Tageslicht;
Daß ich auf deines Auges See
So schnell vorüberzieh —
O küsse mich, mir ist so weh,
Leb wohl, Marie!

In deiner Liebe mildem Schein
Verklärte sich, entzückt,
Mein Herz zu einem schönern Sein,
Du hast es reich geschmückt.
Es quoll und schwoll in deiner . .
Und schlug wie ehmals nie —
O küsse mich, mir ist so weh,
Leb wohl, Marie!

Was ich in meiner Seele Traum
Als Ahnung nur gesehn,
Du bist es! doch, erstanden kaum,
Mußt du mir schon vergehn! —
Ob ich dich einstmal wiederseh! —
Du weinst? du fürchtest nie?
O küsse mich, mir ist so weh,
Leb wohl, Marie!

Doch sei getrost und weine nicht,
Mein Kind, du weißt es ja,
Was auch der Schmerz von Trennung spricht,
Ich bin dir immer nah!
Und wenn ich dich so weinen seh,
Da wein ich selber — sieh!
O küsse mich, mir ist so weh,
Leb wohl, Marie!

Nun ist es Zeit, leb wohl Marie,
Es klirrt mein Liederschwert,
Ich kehre siegend oder nie, —
Und dann erst bin ich wert,
Daß hell durch meiner Liebe Meer
Dein Herz als Perle zieh, —
O küsse mich, mir ist so schwer,
Leb wohl, leb wohl, Marie!

Ein Traumbild
Baden

So bin ich fortgezogen
Frei in die Welt hinaus,
Viel heiße Wünsche flogen
Mir nach vom Heimathaus.

Viel Hoffen und viel Sehnen
Aus manchem Auge sprach, —
Vielleicht auch flößen mir Tränen
Des bittersten Schmerzes nach.

Wenn alle getröstet waren, —
Ein Auge nicht trocken blieb
Doch ich könnt es nicht ersparen
Der innigsten Mutterlieb!

Ich mußte sie betrüben,
So schwer es dem Herzen kam,
Ich mußte die Seele üben
In der Entsagung Gram! —

Noch einmal sah ich vom Hügel
Auf der Heimat kleine Welt,
Die einst meiner Seele Flügel
Mit Lieb und mit Luft geschwellt.

Die einst meiner Kindheit Träume
In Lust und in Liebe genährt
Und es lagen die stillen Räume
Vor meinem Aug wie verklärt.

Und aus dem hellen Schimmer,
Der glühend lag im Tal,
Da funkelte ein Geflimmer
Mit wunderbarem Strahl.

Da sah ich in lichtem Wehen,
In Hoheit und in Glanz;
Ein ernstes Weib erstehen,
Geschmückt mit grünem Kranz.

Sie winkte mit ihrem hellen,
Tiefblauen Augenpaar,
Und es wallte in goldenen Wellen
Herab ihr reiches Haar.

Sie hielt in ihrer Rechten
Einen Strauß voll Duft und Glanz,
Und ich sah sie im Lichte flechten
Einen winkenden Blumenkranz.

Und als sie den Kranz geschlungen
Da lachte sie hold mich an,
Und es war mir, als hätt es gelungen
"Geh mutig deine Bahn!" —

Die süßen Worte zerflossen
Und ich stand am Hügelsaum,
Und bebend hielt ich umschlossen
Der Sehnsucht lieblichen Traum.

Und selig mocht ich versinken
In der Worte stärkenden Klang
Um Kraft aus ihnen zu trinken
Für meinen schweren Gang. —

Bald war das Traumbild entflogen
Im dämmernden Abendschein, —
Und also bin ich gezogen
Mutig ins Leben hinein!

Im Bahnhof

Der Reisebündel war geschnürt,
Es dampfte schon der Wagen,
Der aus der Heimat mich entführt,
Der mich ins Leben getragen.

Ich stieg beklommen in den Raum
Des brausenden Dampfgespannes, —
Ich fühlte verschweben des Jünglings Traum
Und beginnen den Kampf des Mannes.

Es schnaubte das Dampfroß ins Gebiß
Mit stampfender Kraftgebärde,
Und offen klaffte nun bald der Riß,
Der mich trennte vom Heimatherde.

Da sah ich noch einmal das Häusermeer
Und all das Leben und Treiben, —
Und es ward mir so leicht und es ward mir so schwer,
Als ich sah durch die zitternden Scheiben.

Und ich schaute bewegt in den Himmel hinaus
In den glühenden, morgenroten,
Und ich drückte ans Herz meinen Lieder - Strauß:
Meine wandernden "Frühlingsboten."

Ich trug sie verborgen an meiner Brust,
Ich trug sie mit frohem Mute,
Die Lieder, geschrieben in Schmerz und in Lust,
Geschrieben mit meinem Blute. —

Da trat an den Wagen, in dem ich saß,
Ein Mann der Gedanken-Feme,
O Gott! — und ich wurde vor Schreck wohl blaß
Wenn der so um dich nun käme!?

Wenn der den ziehenden Sänger sucht,
Wenn verraten die fliehenden Lieder,
Wenn er sie zurückhält von ihrer Flucht
Dich zwingt in die Bande wieder!?

Er kommt! er drängt sich zu mir heran,
Ich seh sein nahendes Winken!
Und ich seh ihn mit forschenden Blicken an,
Und hätte mögen versinken.

Nun steht er vor mir, er faßt mich und spricht
Ich dacht ja, sie noch zu finden!
Sie gehn wohl nach Prag, Verehrter, nicht?
Sie könnten mich sehr verbinden!

O sagen sie meinem Freund N. N. —
Da scharrt das Dampfroß im Gleise,
Es gellt ein Pfiff, — nun muß er gehen
Ruft nur noch: Glückliche Reise.

Metternichs Linde
1842

Vor seinem Haus auf der Bastei
Da steht ein Lindenbaum,
Der träumt mit jedem jungen Lenz
Den schönsten Frühlingstraum.

Er strahlt vor seinem Fenster still
Zu Wien auf der Bastei —
Die guten Leute wandeln froh
Am Lindenbaum vorbei.

Nur manchmal blickt ein Aug voll Glut
Hinüber auf den Baum,
Der still mit jedem Lenze träumt
Den schönsten Frühlingstraum.

Und manchmal nur mit welkem Blick
Im Morgensonnenschein
Der alte Fürst am Fenster sinnt:
O Frühling, komm herein!

Da klingt es aber durchs Gezweig
Mit wehmutvollem Sang:
Du altes, welkes, schwaches Herz —
Dir blüh ich nimmer lang!

Es wehn dich meine Zweige grün
Bald ein zur ewigen Ruh,
Ich singe dir ein Totenlied —
O schweig! und höre zu:

Versink, versink' in ewige Nacht,
Du altes, schwaches Herz,
Dann hauch ich doppelt süßen Duft
Im Lenze himmelwärts!

Den Keim, aus dem ich auferstieg
In dunklem Häusermeer,
Den trug durch blaue Frühlingslüft
Des Weltgeists Hauch daher.

Mein Auferstehen, mein frisches Grün
Nach jedem Winterzwang,
Das, siegend, durch das Eisgewand
Aus mutigem Zweigen drang,

Es sollte dir ein Zeichen sein,
Daß in des Zweiges Macht
Der echte Mut, die rechte Glut
Nur kräftiger erwacht,

Und eine Mahnung sollt es sein
Für deinen bösen Geist,
Daß jede Knospe — kommt der Lenz
Den Herrn als Blüte preist!

Du aber hast es nicht gehört,
Was ich im Lenze sprach,
Und darum folgt dir in dein Grab
Auch keine Träne nach.

Du beugtest nur, du drücktest nur,
Was strebte himmelwärts —
Versink, versink in ewige Nacht
Du längst versunknes Herz!