An Tirol
Zum Eröffnungstag der Arlbergbahn.
(1884.)
Tirol, du schönes, stolzes Land,
Du hüllest dich in Festgewand
Und jauchzest laut.
Durch Berg' und Tal der Posthornschall,
Er tönet heut' das letztemal
So süß und traut.
Das Posthorn klingt, wie Vogelsang
Dereinst auch an das Herz dir klang
In Sommernacht,
Als es — ein sehnend Walther-Lied —
Vom Liebsten, der in Treuen schied,
Den Gruß gebracht.
Es blies in schwer bedrängter Zeit
Das Notsignal zum Freiheitsstreit
Von Tal zu Tal;
Und auf dem blutigen Felde klang's
Erschütternd, wie des Grabgesang's
Posaunenschall.
Dem Spielmanns-, Senn- und Jägerhorn
Entstammt, ward es zum heiligen Born
Für Lust und Schmerz.
War's Willkomm', war es Scheidens Muß,
Das Horn, es hatte milden Gruß
Für unser Herz.
Das Lerchenlied — es ist vorbei.
Doch hörst du nicht des Geiers Schrei
Und schrillen Pfiff?
Ein schwarzer Drache schnaubt heran,
Und Feuer speit auf eherner Bahn
Das Lokomotiv.
Der Täler Frieden ist dahin,
Und bald der Welt Parol': Gewinn!
Wird herrschend sein.
Doch nimmer klagt und nimmer bangt,
Was eine große Zeit verlangt,
Wird sie auch weih'n.
So lang' noch Schwert und Kugel droht,
Der Völkerhaß gen Himmel loht,
So lang', so lang'
Die weite Welt nicht ist befreit,
Gibt's keine Rast in Einsamkeit,
Trotz Lerchensang.
Die neue Bahn, der weder Sprung
Noch hoher Berge Überschwung
Jemals gefiel:
Durch Nacht und Graus, auf kühnem Steg,
Geradeaus den Mittelweg,
Kommt sie ans Ziel.
Ans große Ziel, dem ich und du
Mit heißer Sehnsucht streben zu,
Und weher Not;
Dem Bruderbund von Hand zu Hand,
Von Herz zu Herz, von Land zu Land.
Das walte Gott!
Das Erdbeben in
Steiermark
in der Nacht zum 1. Mai 1883
Der sanfte Mai! So herb an unsere Mauern
Hat er noch nie gepocht, als diese Nacht.
Aus tiefem Winterschlafe jäh erwacht,
Erbebt die Erde in Empfängnisschauern?
Wir fuhren auf in mitternächtigem Schrecken,
An mondbestrahltem Fenster stand der Mai
Und lächelte herein: Ich war so frei,
Ein wenig eure Herzen aufzuwecken,
Daß hören sie, was schallt in allen Lüften,
Daß sehen sie, was ich mit Blumen schrieb:
Wie kurz die Lebenszeit! O habt euch lieb,
Die Toten pochen laut in ihren Grüften.
An den Lehrer
(Zum Lehrertag in Graz 1883.)
Als Sparta einst ein großes Fest beging,
Da kam ein Bote aus Athen gezogen,
Man hieß ihn treten in der Krieger Ring
Und fragte grüßend ihn mit Pfeil und Bogen:
"Was ist dein Zeichen, Freund, wir wollen's seh'n!"
"Gesittung, Friede!" sprach der von Athen.
Und so wie damals der Athener trat,
Der edle Geist, ins Land der rohen Sitten,
So bist auch du, mein Freund, nun in den Rat
Der rauhen, kampfeslustigen Zeit geschritten.
Es kocht der Haß der Völker und Partei'n
Und lädt zum blutigen Mahl der Rache ein.
Doch du erziehst mit Mut ein neu Geschlecht,
Und daß aus Wissen sein Gewissen tage,
Zu messen mit Gewissen Pflicht und Recht,
Gibst du ihm in die Hand die heilige Waage.
Gesittung, Friede seh' ich neu ersteh'n.
O sei willkommen, Bürger von Athen!
Ahasver an
seinen verklärten Dichter
(Zum 13. Juli 1889.)
Bist es du, der mich entsühnet als den Brudermörder Kain,
Welcher, weil des Todes Vater, nimmer dessen Kind kann sein?
Weh, das war ein banges Wandern durch die wilde, finst're
Zeit,
Wähnend, hastend, niemals rastend, um den Ring der Ewigkeit.
Seit jedoch der göttergleichen Schönheit leuchtend Gloriol
Aufgestellt zum Trosteszeichen, wo ich rasten darf und soll,
Seitdem will ich leben, leben, maienfroh zur Lust erwacht.
Liebe hat die Welt erlöset, Schönheit selig sie gemacht.
Du, mein Wanderbruder, standest einsam auf des Lebens Firn,
Als der Schönheit Hochpropheten einer, mit der Jovis-stirn;
Nun sind Beide wir unsterblich, wandern durch das bunte
Nichts,
Ich im Schattenreich der Erde, du im Äther ew'gen Lichts.
Gruß den Touristen
Den schönsten Blick in das Weltenrund
Hat man — ich ward es inne —
Vom tiefen, kühlen Kellersrund.
Das Leben kann vertieft, erhöht
Den Erdenpilger beseelen,
Gott schütz uns gnädig vor flacher Öd'
Und flachen Alltagsgesellen!
Des Menschen Geist gleich der Blume sprießt
Aus dunkler Tiefe nach oben,
Und unsere Jakobsleiter ist
Aus Fels und Gletschern gewoben.
Die Bergesspitze, sie sei jedoch
Als Endziel nicht unser Eigen,
Wohl ungeahnte Höhen noch
Die Menschheit hat zu ersteigen.
Ihr wandert gehobenen Herzens zu Fuß
Auf himmelansteigenden Wegen,
Ich reite auf hinkendem Pegasus
Dem leuchtenden Ziele entgegen.
Dichter der Heimat
Gottfried Ritter von Leitner
Zum 90. Geburtstag
Der teuren Steiermark hast du dein reiches Leben
In Rat und Tat, in Sag' und Sang gegeben,
Darum der Landesfarbenschmuck in hohen Jahren,
Der grüne Lorbeer auf den weißen Haaren.
Robert Hamerling
Das höchste Ideal, die glühend heiße Phantasie,
Die größte Lust, den tiefsten, unbegrenzten Schmerz,
Schon eins zu schwer für schwache Erdenpilger,
Gott' legt sie alle in dies Dichterherz.
Ludwig Anzengruber
Redakteur des "Figaro"
Der größte Tragiker unserer Zeit,
Der muß ein Witzblatt machen,
Ein tragischer Witz, bei meiner Seel',
Man möchte Tränen lachen!
Karl Morré
Ungezählt und ungewogen
Gab dir Gott mit voller Hand,
Ungezählt und ungewogen
Streust du Sätze in den Sand,
Doch gezählt und wohlgewogen
Wird dein Name sein im Land.
Dichtergassen
Bauet ihr den Dichtern Gassen,
Baut sie nicht an Häusermassen,
Nicht in staubdurchqualmter Enge,
Wo nach Mammon hetzt die Menge.
Bauet sie durch grüne Auen,
Wo die kühlen Wälder tauen,
Bauet sie nach Bergesspitzen,
Wo beim Mahl die Götter sitzen.
Und wenn auch in Niederungen
Fast ersticken Herz und Lungen,
Laßt den Plunder liegen, stehen,
Folgt den Dichtern zu den Höhen! —
Wer dies Märchen nicht kann fassen,
Der soll alles Dichtergassen-,
Dichterstraßentaufen lassen.
Musiksegen
An meinen Sohn
Die Musik, sie ist dein Heiland,
Sie ist ein Heiland auch mir,
Wenn sie als treuer Engel
Dich führend bleibt bei dir.
Wenn sie, mein Kind, dich behütet
Vor Lastern, den gemeinen,
Wenn sie dich hebt und leitet
Zu Freuden, zu den reinen.
Zieh unterm Lorbeerzweige
Auf klingendem, seligem Eiland,
Voll Dornen zwar sind die Steige,
Und ein Kreuz trägt jeder Heiland.
Dem Tiere zum Schutz
und dem Menschen zum Nutz
Ich hör eine alte Satzung lehren:
O Mensch, du sollst deine Eltern ehren!
Und ein neues Gesetz die Weisung gab:
O Mensch, du stammst vom Tiere ab!
Die Moral davon, die liegt nicht weit,
Du sollst achten die Tiere zu aller Zeit.
Und erkennst du sie schon als Stammeltern nicht,
So ist es als Mensch deine heilige Pflicht,
Den Tieren, die dir ihr Dasein weihn,
Ein gütiger, milder Schutzherr zu sein.
Das Tier hat ein fühlendes Herz wie du,
Das Tier hat Freude und Schmerz wie du.
Das Tier hat einen Hang zum Streben wie du,
Das Tier hat ein Recht zu leben wie du.
Nicht viel sind dir, Mensch, der Tage gegeben,
Doch kürzer noch ist des Tieres Leben.
Und muß es dein armer Sklave schon sein,
In dunkler Nacht wie im Sonnenschein,
Und opfert es dir seine Kraft und Ruh'
Und wendet dir all seine Neigung zu,
Oder flieht es dich angstvoll, weil es ihm scheint
Du seiest sein allergrößter Feind:
O sei sein Schutzherr! Es kann nicht klagen
Den Schmerz, kann dir seinen Dank nicht sagen.
O sieh sein flehendes Auge an,
Es blickt dich eine verwunschene Seele an.
Schon vor vieltausend Jahren die Alten
Haben deutsam an dem Glauben gehalten:
Die Menschenseele müsse wandern,
Von Tier zu Tier, von einem zum andern.
's ist Wahres dran; der Mensch ist geschaffen
Aus ähnlichem Stoff wie Vögel und Affen.
Die Tierexistenz und das Menschenleben
Ist einem und demselben Geschick untergeben;
Wir haben mit jedem Wurm gemein
Das Kämpfen und Ringen ums irdische Sein,
Und wenn wir auch manches Hohe erwerben,
Wir haben mit jedem Tiere gemein:
Das Leiden und Sterben! Das Leiden und Sterben!
O glaubt mir doch, es nimmt besseren Lauf,
Der Mensch hebt das Tier zu sich hinauf,
Als, er steige durch Roheit und unreine Taten
Zum niedrigsten Tiere hinab in den Schatten.
Einem
dramatischen Volksführer
1905
Das Volk bringst leicht du
Zum Lachen und Weinen,
Zum Jubeln und Greinen;
Zum launigen Spiele,
Es hüpft und es kriecht.
Froh dorthin, o Dichter,
Wo du es haben willst,
Wo du es retten kannst,
Bringst du es nicht.
Flüchtiges
Eine kurze Zeit wohl möcht' ich leben
Auf der Erde und dann selig sein.
Ohne Leid zu kennen, dürfte eben
Wahre Lust mir nicht recht stellig sein.
Auch der Himmel braucht vom Gegensatze,
Will er uns so ganz gefällig sein.
— — —
Das Heute war gestern: morgen,
Und morgen ist es schon: gestern.
Es lohnt sich nicht, um zu sorgen,
Nicht, um zu loben, zu lästern.
Die Freude an gestern, die Sorge um morgen,
Sind zwei müßige Schwestern,
Sylvester
Wie? Zur mitternächtlichen Stunde
Hör' ich laute Kreise tagen?
Sylvestergläser klingen,
Sylvesteruhren schlagen.
Essen, trinken, spielen, scherzen!
Ohne Sorge, ohne Reue
Taumeln sie von Jahr zu Jahre,
Und vom alten in das neue.
Ob auch ich dabei bin? — Nein.
Lasset mich mit mir allein.
Einsam in der Scheidestunde
Will ich Glücks und Leids gedenken,
Muß ich doch ein Stück von meinem
Leben in die Grube senken,
Muß ich doch mein wundes Herze
In die fremde Zukunft tragen.
Ist's denn möglich, daß man scherze,
Wenn verhüllte Zeiten tagen? —
Diese Weihestund' ist mein.
Lasset mich mit ihr allein.
Nagelprobe
Die irdene Schale ist nun leer.
Ich hab' mich restlos euch gegeben.
Ich legte mich in e u e r Leben,
Dem Tode bleibt nichts übrig mehr.
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