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V.
Himmel

 
Die Gottsucher
Willst du jene Höh' erreichen
Wie keimt dein Geschick
Stimmung
Ist der Mensch nicht wie eine Schwalbe?
Mir graut vor dem Gemeinen
Die Sehnsucht
Steigende Bahn
Zu Gastein am Wasserfall
Es war einmal ein Bettelmann
Der Blinde
Den Armen
Drei himmlische Schreine
Letzter Wunsch
Ruhendes Sein

 
Unfaßbar
Ewiges Sein
Auch der andere, der bist du
An Gottes Herz
Wanderlied
Die Stunde
Am Grabe eines Idealisten

 

Die Gottsucher

Unendlich der Raum,
Unendlich die Zeit,
Kein Ziel und Halt
In Ewigkeit.
Die Kinder des Leides, sie sehnen und rufen,
Sie irren und zweifeln in Nacht und Not
Und suchen nach Gott,

Sie suchen im Buchstaben,
Sie suchen im Bild,
Sie beten und bluten,
Sie streiten wild,
Entzünden die Scheiter zur lodernden Fackel,
Sie suchen im Kelch und suchen im Brot:
"Wo bist du, Gott?"

Sie suchen im Leben,
Sie suchen in Kunst,
Sie suchen in Grübeln
Und Liebesbrunst,
Sie suchen im düsteren Schatten der Tempel,
Sie rufen in der Freiheit Morgenrot:
"Wo bist du, Gott?"

Die Armen, sie wandern
Am Pilgerstab,
Die Weisen, sie suchen
Die Himmel ab,
Sie suchen im schuldlosen Kindesherzen,
Und fragen mit Grauen den starren Tod:
"Wo bist du, Gott?"

Und sieh, im Suchen
Und heißen Streit
Steht immer der Herr
An ihrer Seit',
Und klopft ihnen lächelnd wohl auf die Achsel:
"Ihr Kinder, schaut euch doch einmal um!
Seid nicht so dumm."

Willst du jene Höh' erreichen

Willst du jene Höh erreichen,
Wo im Schatten kühler Eichen
Sündenlos die Helden steh'n:
Laß dich nicht von Lust berücken,
Laß dich nicht vom Weib umstricken,
Oder du mußt untergeh'n.
Wähne nicht, das Blut zu dämmen,
Blut entströmt gleich andern Strömen
Von der Höh' ins tiefe Tal.
Willst du aufwärts, mußt dich klammen
An des Geistes reine Flammen,
Streben nach dem Ideal.

Wie keimt dein Geschick

Wie keimt dein Geschick
Dir, Mensch in der Brust?
Aus dem Lichte das Glück,
Aus dem Dunkel die Lust.

Wenn plötzlich ein Blitz
Das Dunkel erhellt,
Bist du in Besitz
Von Gott und Welt.

Stimmung

Das Schönste, was im Innern ich empfunden,
Das ist so rein und zart, läßt sich kaum denken,
Und will ich mich im Sinnen, traun, versenken,
So ist mir das Gefühlte schnöd verschwunden.

Und was es ist, das mir so zart entsprossen?
Ich weiß es nicht und kann es nicht enthüllen;
Der Seele reinster Teil nur kann es fühlen,
Und tief in meinem Herzen liegt's verschlossen.

Ist der Mensch nicht wie eine Schwalbe?

Ist der Mensch nicht wie die Schwalbe? —
Mit dem Lenze fliegt er an
Und verjubelt einen Frühling;
— Heißer Sommer quält den Mann.
Wie die Schwalbe an dem Neste,
Baut er flink an seinem Glück,
Muß um seine Reiser, Blätter
Ringen mit dem Mißgeschick. —
Leise kommt der Herbst geschlichen;
Von des Lebens reifem Baum
Reißt der Sturm die Frucht des Schaffens,
Und der Mensch erwacht vom Traum.
Sieh', am Scheitel seines Hauptes
Wird es weiß — der erste Schnee;
Matt und düster blickt das Auge,
Ach, es friert der klare See. —
Und er fühlt ein eigen Heimweh,
Fremd wird ihm die Bruderhand; —
Wie im Herbst die Schwalbe, zieht er
Heim ins ewige Frühlingsland.

Mir graut vor dem Gemeinen

Ach, mir graut vor dem Gemeinen,
Das mich stets durch neue Peinen
Und durch alte Sünden schleift.
Heimweh, Heimweh nach dem Reinen,
Nach den kühlen Friedenshainen,
Wo die Seele göttlich reift.

Ach, wo soll ich göttlich reifen!
Nur im Schwalle wüster Träufen
Lernst du das Gemeine fliehn.
Nur mit Kämpfen kannst du siegen,
Und im Fallen lernst du fliegen
Zu den seligen Göttern hin.

Die Sehnsucht

Die Berge je höher,
Dem Himmel je näher,
Dem Herzen je weher,
Weil's nicht kann hinein;
Weil es an die schwere,
Die träge Matere
Wie an die Galeere
Geschmiedet muß sein,
Was löst unter Peinen
Uns los vom Gemeinen?
Die Sehnsucht nach Reinen,
Die Sehsucht allein.

Steigende Bahn

Um aus der Wirrnis die Völker zu retten
Hellet oft plötzlich der Blitz des Propheten
Künftigen Helden die steigende Bahn.
Was noch die Väter säumig beraten,
Steigt in der Söhne mutigen Taten
Fröhlich und siegreich zur Höhe hinan.
Rufe den Menschen, Prophetenwort, rufe
Ihn aus der Tierheit von Stufe zu Stufe,
Bis er erwacht vor des Heiligsten Thron,
Schauend die Wahrheit im Kranze der Sonnen,
Trinkend die Liebe aus feurigen Bronnen —
Ewig des Ewigen seliger Sohn.

Zu Gastein am Wasserfall

Wie du, o Mensch, mußt fallen
Zu schuld und Gram und Grab,
So fallen wirbelnd und weinend
Die heiligen Wasser hinab. —
Doch sieh, aus dunkelm Abgrund
Steigen in stiller Ruh'
Die lichten Nebel kreisend
Dem Himmel zu —
Den Weg dir weisend.

Es war einmal ein Bettelmann

Es war einmal ein Bettelmann,
Der hatt' einen goldenen Ring,
Sein einzig Eigen war dies Ding
Noch von der Mutter her.
Das Eigentum ward ihm zu schwer,
Er wankte fort zur Morgenstund',
Zu schleudern in den tiefen Grund
Sein Kleinod, daß in Glück und Mai
Die Gottheit ihm nicht neidisch sei.
Ein Weiser siehet voll Erbarmen
Den alten Mann, den siechen, armen,
Und fragt: "Du guter Bruder mein,
Um was soll sie dir neidisch sein,
Die Gottheit? Sprich!"
"Um was? Um was denn sonst?
Um mich.
Sonst hab' ich nichts, weil ich nichts brauch';
Was Glut ihr nennt, das ist doch Rauch.
Was Gut ihr nennt, erstickt die Lust;
Doch unermeßlich ist der Reichtum
Meiner Brust."
Der Weise blickt den Bettelmann
Mit gut gespieltem Mitleid an.
Der andre merkt's und lächelt so,
Als wär' er seiner Armut froh:
"Ich daure euch, ihr dauert mich!
Ihr sagt auch, ich sei lahm und siech.
Ich weiß es nicht. Mein froher Sinn
Fliegt selig durch den Himmel hin."
Der Weise spricht: "Dein Reichtum groß
Kam nicht dir aus der Erde Schoß.
Und was die Götter dir geschenkt,
Das nehmen sie nicht mehr zurück,
Und neidlos bleibt zu eigen dir
Dein erdenfreies Glück. —
Nur wer, der rohen Triebe Knecht,
Aus irdischer Hand sein Heil empfing,
Der opfere bang und demutsvoll
Den Göttern seinen Ring."

Der Blinde

Als Gott der Herr die Welt erschuf,
Da war sein erster, heiliger Ruf:
Es werde Licht!
Das Gnadenmeer vom Himmel floß
Und sich in alle Herzen goß,
— In meines nicht.

Und auf zum ewigen Sternenzelt
Blickt jedes Aug, dem Herrn der Welt
Ins Angesicht.
Und jedes Blümlein auf dem Plan
Lacht eure Augen freundlich an,
— Das meine nicht.

Der Mutterblick, der holde Stern,
Er blieb mir unermeßlich fern.
Dem Ärmsten flicht
Der Herr aus goldnem Sonnenglanz
Ums Haupt den bunten Farbenkranz,
— Um meines nicht.

Du treuer Engel Gottes, sag,
Was hab' an diesem Erdentag
Ich denn vollbracht,
Daß mitten unter Strahl und Schein
Verstoßen ich bin ganz allein
In ewige Nacht?

Der Engel sprach: Der Strahl, das Licht
Von außen ist das Höchste nicht
Zur Menschen Lust.
Statt Glanz die Glut, ein warm Gemüt,
Das wie ein sonniger Frühling blüht
In deiner Brust.

Wohl muß in deinem Aug ich sehn
Als einzigen Glanz die Träne stehn.
Doch weine nicht!
Noch leben treue Menschen hier,
Und Gottes Ruf erschallt auch dir:
Es werde Licht!

Den Armen

Um Mitternacht, als alles schlief,
Nur meine Zweifel wachten,
Und Weltverdruß mir drohte tief
Die Seele zu umnachten,
Da schlug ich auf ein altes Buch,
Zu späh'n nach einem Labespruch,
Um ganz nicht zu verschmachten.

Und sieh, da hat mich sanft ein Wort
Befreit von bangen Banden:
"O suche die Erlösung dort,
Wo sie schon viele fanden;
Nicht was du haschest, wird dein Teil,
Aus Opferfreude kommt dein Heil." —
Doch hab' ich's falsch verstanden.

Ich stieg in Sehnsucht himmelwärts,
Den Heiland zu verehren.
Der winkte mir, ich sollt mein Herz
Zurück zur Erde kehren:
"Was du den Armen Gutes tust,
Das dringt zu meiner Vaterbrust.
Kannst du mir es verwehren?"

Die Botschaft war's. Und seitdem mag
Es sonnen oder regnen,
So kann mir doch an jedem Tag
Der liebe Gott begegnen.
Aus jedem Kind und armen Mann
Blickt mich mein treuer Heiland an,
Bereit, mein Werk zu segnen.

Wenn keines Kindes Aug' einst schwimmt
In Dankesfreudenzähren,
Wenn keines Bruders Hand mehr nimmt,
Was du ihm willst bescheren,
O, dann erst hat sich Gott vom Land
Des Sündenfluches abgewandt,
Und wird auch nimmer kehren.

Drum laßt, so lang' noch Arme flehn, —
Uns lindern ihre Leiden.
Die Hungernden bei Tische sehn,
Die Frierenden bekleiden!
Dann wird für Reich und Arm zumal
Dies grabdurchfurchte Jammertal
Zur Quelle reiner Freuden.

Drei himmlische Schreine

Drei heilige Räume
Unter himmlischen Sonnen
Stehen hienieden:
Eine Wiege voll Träume,
Ein Bett voll Wonnen,
Ein Sarg voll Frieden.

Letzter Wunsch

Was wäre wohl mein letzter Wunsch,
Wenn ich dereinst zur Grube fahr'?
Aus lichter, kühler Bergeshöh'
Eine traute, einsam stille Bahr'.
Auf jener Höh', wo ich als Kind
Gehört den ersten Lerchenschlag,
Gesehn den reinen Sonnenstern
An einem süßen Maientag.
Doch jenes Kreuz, das ewig klagt
Die Menschheit ihres Frevels an,
Mir pflanzt es nicht, weil ich am Pfahl,
An dem er litt, nicht rasten kann!
Mir pflanzet einen jungen Baum,
Der frisch und frei gen Himmel steigt,
Und der, wenn einst die Menschheit reif,
Zu ihr sein Haupt in Freude neigt.
Vielleicht kommt noch ein Zimmermann,
Der ihn zu einer Wiege schlägt,
Vielleicht kommt eine Mutter, die
Ihr Kindlein in die Wiege legt.
Ihr Kind, das als des Menschen Sohn
Die Welt erlöst ein zweites Mal,
Und nicht dafür in Haß und Hohn
Erhöhet wird zum Marterpfahl.
Denn nicht, daß mein Erlöser starb,
Ist meines dunkeln Grabes Licht,
Doch daß er lebt und ewig lebt,
Ist meiner Seele Zuversicht.

Ruhendes Sein

Die Luft wie das Leiden,
Sie quälen die Seele;
Sie sind wie die Unrast
Auf stürmischer Welle;
Sie sind eine Botschaft
Vom nahen Vergehen.
Ein Eilen zum Ende
Ist alles Geschehen.
Nach Rast strebt der Pendel
Und jegliche Regung.
Und Sehnsucht nach Ruhe
Ist alle Bewegung.
Die Seele der Gottheit
Ist ruhendes Sein,
Ist wunschlos und streitlos,
Ist raumlos und zeitlos,
Ist Frieden allein.

Unfaßbar

Nahe ist Werden und Leben und Sterben beisammen,
Früher die endlose Zeit — später die endlose Zeit.
Kurz vor den Tagen, in welchen ich fühle und denke,
War ich ein formloses Nichts, war es von Ewigkeit her.
Kurz nach den Tagen, in welchen ich walte und webe,
Bin ich ein formloses Nichts, werd' es in Ewigkeit sein.
Wie er doch sein kann, der winzige Punkt, wo ich stehe,
Wie es nur möglich, denselben zu fühlen just jetzt?
War es nicht immer der gleiche, weltenumgaukelte Schwerpunkt?
Wußt' ich's nicht ewig, fühl' ich's nicht ewig: Ich bin?

Ewiges Sein

"Wer soll sich nicht heute
Noch freuen des Lichts?
Wir sinken schon morgen
Ins ewige Nichts."

Hat je sich der Galgenfrist
Einer gefreut,
Der unwendbar morgen
Dem Henker geweiht?

Die Freude an heute
Hat nur einen Wert,
Wenn ewig und ewig
Sie uns wiederkehrt.

Im Hasten des Tags
Wird das Herze bald matt,
Des inneren Glücks
Wirst du nimmermehr satt.

Das Nichtige freut sie
Am flüchtigen Schein,
Das Echte an dir
Verlangt ewiges Sein.

Auch der andere, der bist du

Was die Erde mir geliehen,
Fordert sie schon jetzt zurück.
Naht sich, mir vom Leib zu ziehen
Sanft entwindend Stück für Stück.
Um so mehr, als ich gelitten,
Um so schöner ward die Welt.
Seltsam, daß, was ich erstritten,
Sachte aus der Hand mir fällt.
Um so leichter, als ich werde,
Um so schwerer trag' ich mich.
Kannst du mich, du reiche Erde,
Nicht entbehren? frag' ich dich. —
"Nein, ich kann dich nicht entbehren,
Muß aus dir ein' andern bauen,
Muß mit dir ein' andern nähren,
Soll sich auch die Welt anschauen.
Doch getröste dich in Ruh'.
Auch der andre, der bist du."

An Gottes Herz

Wir Eintagsfliegen spielen heut
Gern mit dem Wörtlein: Ewigkeit.
Man frägt: warum? wozu? was dann?
Und manchen geht das Grausen an. —

O Menschenseele, leg dich du
An Gottes Herz zur trauten Ruh'
Und laß nicht kümmern deinen Sinn,
Daß du nicht weißt, woher, wohin.

Wanderlied

Mein Leib ist schon dem Tod geweiht,
Die Seele noch voll Lebensfreud'.
Mein Sterben ist ein Wandern
Eine Reis' im Kreis, von Stern zu Stern,
Von euch zu euch, vom Herrn zum Herrn,
Von einem Himmel zum andern.

Die Stunde

Tick-tack! Tick-tack!
Die Stunde geht in Zickzack.
In Zickzack geht die Stunde,
Der Zeiger schreibt die Runde.
Es nachtet und es tagt,
Es wintert und es frühet,
Die Zeit entfliehet
Und ist doch immer da.
Der Zahn der Zeit
Nagt an der Zeit.
Er nagt umsunst,
Die Zeit, die Stund' um Stunde reiht,
Ist ewige, ewige Ewigkeit.

Tick-tack! Tick-tack!
Das Schicksal geht in Zickzack.
Ein Vorwärts und ein Rückfall,
In Zickzack geht das Schicksal.
Der Zahn der Zeit,
Man sagt, er nagt
An meinem Sein.
Er nagt schon lang,
Mir ist nicht bang,
Er nagt umsunst,
Das Sein ist mein.
Mein Sein war einst, mein Sein ist heut,
Mein Sein ist ewige Ewigkeit.

Am Grabe eines Idealisten

Ein glücklicher Mensch steigt hier zur Ruh',
Von einem Himmel zum andern;
In hehren Gestalten zieht er durchs All,
Wie selige Geister wandern.

Er hat ein reicheres Dasein geführt,
Als all' Ihr Schlemmer und Prasser,
Er hat ein edleres Feuer genährt,
Als alle die Hetzer und Hasser.

Er hat das Elend in Liebe geweiht,
Der Jämmerlichkeit sich verschlossen,
Er hat mit dem Blut von eurem Blut
Ein höheres Leben genossen.

Er hat genossen in fröhlicher Ruh',
Was ihr selbst im Kampf nicht erjagtet;
Er hat gebetet, gehofft und gejauchzt,
Dieweilen ihr klagtet und zagtet.

Dieweilen ihr geifernd das Leben verflucht,
Und geifernd darnach habt gehastet,
Hat er sich im Lichte des Himmels gesonnt,
Im Schatten des Waldes gerastet.

Ihm war ein heiterer Traum dieses Sein,
Das euch ein bedrückender Alp ist;
Das kommt, weil euch der Magen beschwert
Vom Fraße am goldenen Kalb ist.

Dieweil ihr auf allen Vieren kriecht,
Er fuhr auf dem Sternenwagen,
Ihn hat die göttliche Phantasie
Durch Ewigkeiten getragen.

Ihr sinket als Aas in das finstere Grab,
Als Samenkorn fällt er zur Erde. —
Hab' einst ich im neuen Sein die Wahl,
Mit wem ich's wohl halten werde?

Ein glücklicher Mensch steigt hier zur Ruh',
Von einem Himmel zum andern;
In hehren Gestalten zieht er durchs All,
Wie selige Geister wandern.