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III.
Welt 2

 

Erbschaft
Erwartung
Gedenken
Stimmungen
Der Verbitterte
Der Glückliche
Wo wird es sein?
Der unbegreifliche Muskel
Es mahnt
Herbst
Der Tag, der wird schon spat
Wandlung
Ich bereue nichts
Erwägung
Ich bin ein Mensch geworden

 
Des Weltkindes Besinnen
Es kommt dereinst ein dunkler Tag
Grab ein!
Volkslied
Lorbeer und Palme
Davongeflogene Seelen
Klingende Funken

 

Erbschaft


Der Winter, der starre,
Er liegt auf der Sterbe,
O lächelnder Erbe.
Wie üppig du erbst!
Den blühenden Frühling,
Den leuchtenden Sommer,
Den Kastenfüller,
Den goldenen Herbst.

Erwartung

Nun wandle übers Morgensonnenfeld.
In Ehrfurcht tritt zurück von deinem Weg
Die Alltagswelt.
Auf allen Auen heilige Ruh,
Über deinem Haupte hoch
Ein Falter fliegt im Kreise,
Die Perlen auf den Halmen zittern leise,
Und Blumen neigen ihren Kelch dir zu. —
O bebe, junge Brust,
O bete, banges Herz, in ahnungsvoller Lust,
Und laß dich weihen, laß dich segnen.
— Heute wird dein Schicksal dir begegnen.

Gedenken

Auf Bergeshöh' im Sonnenschein,
Wo Alpenrosen, rot und rein,
An Lust und Liebe mahnen;
Auf Bergeshöh' im Sonnenschein
Bin ich mit meinem Leid allein
Bei Rosen und Gentianen.

Die Erde, die mir das Liebste nahm,
Sie schaut mich, ach, so kindlich an
Mit ihren Blumenaugen:
"Und hab' ich dir gleich weh getan,
So denk, wie muß nach Qual und Wahn
Die kühle Erde taugen"

Stimmungen

                          1.

Freier Hand seit Tausenden von Jahren
Hat Natur an diesem Knochenkarren
Menschenleib voll Fleiß und Kraft gebaut.
Mit der Schöpfung Künsten wohl vertraut
Standen alle Stoffe ihr zur Wahl
Und ein Riesenarsenal.
Nimmermüde schuf sie durch Äonen,
Probte alle Formen, alle Zonen,
Brach entzwei, was etwa doch mißlungen,
Bis das Werk vollbracht, der Sieg errungen.
Und in dieser herrlichen Gestalt
Nahm die Menschenseele Aufenthalt.
Jauchzend brachte sie das Werk in Gang.
Und das heiße Herz in Wonne sprang!
— — Ach, wie balde hörte man im seinen
Blutdurchwogten Tempel — leise weinen . . . .

                          2.

               Der teure Kranke
               Ruht auf weichen Kissen,
               Und seine Lieben
               Hegen und pflegen
               Die müden Glieder
               In nimmer rastender,
               Zarter Sorgfalt,
               Und scheuchen bangend
               Trübe Schatten
               Emsig davon,
               Und haben milde,
               Schmeichelnde Worte
               Und frohen Trost
               Für sich und ihn.

               Und plötzlich rollt
               Zwischen Kirchhofskreuzen
               Von kundigen Armen
               Stummer Männer
               Rasch gesenkt
               Der Sarg zur Tiefe.
               Und hüllenlos
               In furchtbarer Wahrheit,
               Die Herzen erdrückend,
               Wie Steine den Toten,
               Steht die kalte, unerbittliche,
               Dämonische Herrlichkeit
               Natur.

                          3.

Das Leben ist ein böser Traum,
Doch willst du baß erschrecken,
Wenn jener mit der Hippe kommt,
Dich plötzlich aufzuwecken.

Und wenn der mit der Hippe kommt,
Und mäht die Nesseln nieder,
Gleich bittest ihn um so viel Frist,
Um sie zu säen wieder.

Und wenn der mit der Sanduhr kommt,
Dich mahnend, nicht zu säumen,
So flehst: 's ist zwar ein böser Traum,
Doch laß mich weiter träumen.

                          4.

Wie wird unser Himmel sich gestalten?
Was wird unsre Seligkeit enthalten?
Nichts von allem, was wir heute lieben,
Das ist endlos weit zurückgeblieben.
Heiße Lust bringt immer heißes Leid.
—  Schmerzlos Sein allein ist Seligkeit.

Der Verbitterte

Ach, wie ist mir wüst und weh
Auf der dummen Welt!
Dort, wo ich am liebsten geh',
Das, was ich am liebsten seh',
Ist mir längst vergällt.

Nicht vom Feinde stammt mein Leid,
Der macht mich nur stark.
Solche, denen war geweiht
Treu mein Herz zu aller Zeit,
Trafen mich ins Mark.

Was sie falsch mir angetan,
Stumm sei's wie das Grab.
Und des Grams geheimer Bann,
Den mir niemand lösen kann,
Drückt mich bald hinab.

Sonst ein Jauchzen — jetzt ein Schrei:
O du dumme Welt!
Wär' ich dieses Wahnes frei,
Hätt' ich nie auf Menschentreu'
Herz und Glück gestellt!

Hätt' ich nie auf Weibessinn
Nest und Not gebaut,
Flög' ich vogelfröhlich hin,
Freiheit wäre mein Gewinn,
Freude meine Braut.

Lieb' und Treue, blöder Wicht,
Hast du mir gewählt.
Liebe stirbt, Vertrauen bricht,
Was du meinst, das gibt es nicht
Auf der dummen Welt.

Einst war ich so froh und rein,
Wie ein Maientag,
Jetzt, o Nebel, hüll mich ein,
Weil ich Luft und Sonnenschein
Nimmer sehen mag.

Wie ein blätterloser Baum
Steh' ich auf der Heid',
Dürres Laub vom Waldessaum,
Starres Eis und Flockenflaum
Ist mein Hochzeitskleid.

Sterben ist ein' harte Buß',
Wem es nicht gefällt.
Mir ist's redlich zum Verdruß,
Daß ich heut noch l e b e n muß
Auf der dummen Welt.

Der Glückliche

Seit vielen Jahren genieß' ich die Welt,
Teils geistig und teils leiblich.
Daß so viel Glück ins Herz mir fliegt,
Ich kann's und kann's nicht finden, wo's liegt,
Es ist ganz unbeschreiblich.

Wir lieben die Lieb', wir nennen die Lieb',
Ob männlich oder weiblich.
Wir fühlen die Seligkeit, fühlen die Pein,
Und wissen nicht ja, und wissen nicht nein,
Es ist ganz unbeschreiblich.

Seit vierzig Jahren sann ich und schrieb —
Es war ganz unausbleiblich.
Und als ich geschrieben der vierzig Jahr',
Da stockt mir das Herz, da seh' ich es klar —
's ist alles unbeschreiblich.

Wo wird es sein?

Was hab' ich dich gesucht, du Unbekanntes,
Auf Erden dich gesucht und nicht gefunden.
Du mir Unfaßbares und doch Verwandtes.
Ich habe dich gesucht.

Im Gartenzelt und in der Felsenkrone,
Im engen Wald und auf den Meeresrunden,
In dunklen Nächten, in des Himmels Sonne,
Wie hab' ich dich gesucht!

In Einsamkeit, im prunkenden Gemenge,
Bei Freunden und bei Frauen tat ich fragen,
In stiller Luft, in rauschendem Gedränge
Wie hab' ich dich gesucht!

Wie grünte, blühte es in vielen Zweigen,
Doch keiner hat die heilige Frucht getragen.
Hier mußt' ich sinken, dort zur Höhe steigen,
Ich hab' es nicht erreicht!

Was war's, was ich gesucht? Ich kann's nicht sagen.
Für solche Größe ist das Wort zu klein,
Das Allergrößte kann die Welt nicht tragen.
Wo wird es sein!

Ich find' es doch, denn nichts ist halb gegeben.
Wenn Sehnsucht ist, ist auch der Sehnsucht Stillung,
Der demutsvollen Ahnung wird Erfüllung.
Und lebe ich, so muß auch j e n e s leben.
Ich find' es doch.

Der unbegreifliche Muskel

In Gluten und Fiebern lag ich dahin,
Der Doktor kam jeden Tag,
Befühlte den Puls und verschrieb mir Chinin,
Behorchte des Herzens Schlag.

Er horchte durchs Röhrchen, er legte das Ohr
Zur Stelle, wo's seltsamlich schlug,
Es zitterte leis, und es wogte so heiß,
Er wurde durchaus nicht klug.

Der Muskel, er hämmert mit bräutlicher Kraft,
Und doch ist's ein Todesringen!
Wie läßt sich nur mit der Wissenschaft
Das Ding in Einklang bringen?

— Und wenn ich dich soll belehren, Freund,
Ich sag' es nicht zum Scherze,
Was dir nur als ein Muskel erscheint:
Das ist — ein Dichterherze!

Es mahnt

Der Wind vom Kirschbaum Blütenblätter streut,
Der Frühling macht's dem Winter nach, es schneit,
So mahnt in Wonnetagen leis das Leid. —
Der Buchenwald in roten Feuern glüht,
Der Spätherbst tut's dem Frühling nach, er blüht,
So weht der Traum von Glück in herber Zeit.

Herbst

Jugendsonne kehrt nicht wieder.
Legst dich abends müde nieder,
Stehst du morgens trübe auf.
Teilnahmslos für all dein Walten
Nimmt die Sonne durch den kalten
Himmel ihren trägen Lauf.

Der Tag, der wird schon spat

Der Tag, der wird schon spat,
Mein Aug', das wird schon matt,
All Menschentreiben ist ein Traum,
Die Herrlichkeit, ich seh' sie kaum.
Mein Aug', das wird schon matt.

Mein Haar, das wird schon grau,
Und welche Zier ich schau,
Ob Lorbeerkranz, ob Dornenkron',
's ist beides wohlverdienter Lohn.
Mein Haar, das wird schon grau.

Mein Herz das wird schon alt,
Es wird schon hart und kalt,
Es fühlt nicht Nadel, fühlt nicht Speer,
Fühlt eure Bosheit nimmermehr.
Mein Herz das wird schon kalt.

Wandlung

Ich bin ein sündiger Adam,
Und habe vom Apfel gegessen,
Und über den üppigen Apfelbaum
Des Kreuzes fast vergessen.

Doch als die Früchte fielen,
Die Blätter sacht verschwanden,
Da sind die Äste des Apfelbaums
Als kahles Kreuz gestanden.

Ich bereue nichts

"Ich bereue nicht die Sünden, die ich je begangen,
Ich bereue nur die Sünden, die ich nicht begangen."
   Wohl, der Weltmann spricht's.

Ich bereue nicht die Sünden, die ich je begangen,
Ich bereue nicht die Sünden, die ich nicht begangen.
   Ich bereue nichts.

Nur das M u ß ist Herr, und sein die Schuld am Irren.
Erst die Reue würde mich zur Mitdschuld führen.
   Ich bereue nichts.

Erwägung

Mein Herz wollt' sein ein Edelstein
Und sich im Feuer härten.
Der Edelstein kann schneiden ein,
Doch nie geschnitten werden.

Ins h a r t e Bett wird trotzdem sich
Der schlimmste Teufel legen,
Ins harte Herz wird niemals sich
Der Gottes Bildnis prägen.

Ich bin ein Mensch geworden

Ich bin Mensch geworden in der weiten Welt,
Keiner steht von allen, die da leben,
Keiner über mir, keiner unter mir,
Ich bin jedem beigegeben.

Ich bin frei geworden in der weiten Welt.
Fesseln, die mich an das Leiden banden,
Oder an der Freude, an der Hoffnung Trug,
Alle schlug ich sie zuschanden.

Ich bin klug geworden in der weiten Welt,
Legte meine Kräfte und Gebresten
Zu der Menschheit ewigem Kapital — und schwieg
So fährt sich's am allerbesten.

Des Weltkindes Besinnen

Ein Traum? — Vielleicht. Was wär's sonst das?
Da träumte ich nun schon seit sechzig Jahren
Von Torheit, Bosheit, Lug und Haß,
So lebhaft schauend grell und kraß,
Als hätt' ich's am eigenen Leib erfahren. —
———
Ach, bist du w i r k l i c h, du wahnvolle Welt,
Dann hast du mir das Leben scheußlich vergällt. —
Wie kam ich zu dir voll Lust und Vertrauen,
Wollte nur Schönes und Braves bauen.
Da heucheltest du: desselben beflissen,
Und hast mir all Freud' beschmutzt und zerrissen.
Nun hab' ich mich reichlich matt geritten,
Satt gestritten, satt gelitten. —
Müd bin ich.
———
Vor kurzem war ich bei Göttern zu Tische.
Dort läßt man schweigend von allem decken;
Das Faule schiebt man beiseit', das Frische
Läßt man sich schmecken.
Man kann dabei gar viel profitieren,
Wie man mit feinen, noblen Manieren
Sich schicklich mag zu Ende führen.
Kein schrilles Schreien mehr, kein grelles Lachen.
Ich will es von jetzt ab besser machen,
Ein Leben führen, wie es genehmer ist.
Will sogar die Verse ohne Normen,
Ganz nach eignen Launen formen.
Weil es mir so bequemer ist.
———
Doch was andres will ich wagen
Mit Verstattung noch zu sagen.
Trotz des Sportes, aufzuklären,
Ist es finster, bleibt es finster,
Gute Lehren, Leut' bekehren,
Das sind blaue Hirngespinster.
Sagt's Mephisto oder Faust,
Wie man auf der Erde haust,
Es klingt nach in unserm Ohr,
Und wir bleiben wie zuvor.
Selbst Erfahrung wirkt bedingt
Nur so lange, als sie zwingt.
Wir sind hartgesottne Sünder,
Und ihr Frommen seid's nicht minder.
———
Doch, es wird spät.
Ich trinke den garstigen Trank zur Neige,
Und schweige.
Wie schön zu schauen auch der Götter Leben,
Es ist verzweifelt schwer, ihm nachzustreben.
Ich betracht' und beklag' als betrogener Zecher
Noch einmal die Welt,
Und schleudere den schillernden Becher
An der Ewigkeit eherne Wand,
Daß er zerschellt. —
———
Wie bin ich doch wirr, obschon aufgewacht.
Ich merke wohl, der giftige Trank
Hat mich betäubt gemacht,
Todesbetrübt und krank.
Und sollte doch jauchzen, daß er endlich leer ist,
Der vertrackte Humpen, und nicht mehr schwer ist.
Sollte ihn mit sanft laugendem Lethe ausspülen,
Ihn mit meiner eigenen Seele ausfüllen,
Mit der guten und schönen,
Wie sie ihm törichten Wähnen
Sich selber so gerne tat nennen;
Und sollt' mit solch köstlichem Inhalt
Den Becher stolz himmelwärts tragen! —
Wer ist verwegen? Wer darf das wagen?
Ich bin es nicht, kann es nicht sein.
Meine Seele hat von Welt getrunken
Und ist nicht mehr rein.
Auch hat sie die Liebe mit Undank betrogen,
Hat Haß mit erkünstelter Sanftmut belogen,
Torheit mit Torheit aufgewogen. —
———
O meine Seele, der Abend naht,
Willst du mir nicht das Scheiden verschönen
Mit herzfroher, tapferer Tat?
Willst du dich nicht mit der Welt versöhnen?
Wenn es ihr recht ist
Und du ihr nicht zu schlecht bist.
Im Grunde seid ihr doch einander würdig
Und ebenbürtig.
Gott Vater war schalkhaft, als er euch schuf,
Ihr krochet hervor aus Sumpf und Schlamm,
Woher auch die Lotosblume kam,
Und ist doch der Sonne liebstes Kind.
Laßt euch nur den Spaß nicht gereuen:
V e r z e i h e n, e r n e u e n, s i c h  f r e u e n!
Dann seid ihr, wie die Götter sind.
Nehmt nur nichts schwer und auch nichts krumm;
Seid nicht zu klug und nicht zu dumm,
Und bildet euch doch ja nicht ein,
Das rechte so mit Klugheit zu erfragen.
Ist schon die Weisheit zu erjagen,
So kann's eher noch mit einer Torheit sein.
Jeder forsche, was ihm tauge,
Vor jeder Wahrheit, die dich quält,
Verschließe ruhig Ohr und Auge,
Und d i c h t e dir die Welt
Wie sie dir gefällt.
Und träume weiter . . . .

Es kommt dereinst ein dunkler Tag

O freue dich, mein Brüderlein,
An deines Lebens Sonnenschein,
Doch trau' ihm nicht.
Es kommt dereinst ein dunkler Tag,
Noch eh' in unnennbarer Klag'
Dein Auge bricht.

Die Werke dein, so stolz erstehn,
Du wirst sie einst zerfallen sehn
Und sein ein Mann;
Doch schläft ein treues Herz im Schrein,
Dem du sein kurzes Erdensein
Hast weh getan:

Dann wirst du fröhlich nimmermehr,
Wirst um des Toten Wiederkehr
Vergeblich fleh'n.
Am Grabe werden Röslein blühn,
Dein armes Herz wird welken hin
Und still vergehn.

Grab ein!

Grab' ein, grab' ein
In uns'rer Mutter reichen Schrein,
Für alle Sorge und Beschwerde
Erliegt dein Lohn in treuer Erde.
Grab' ein, grab' ein.

Grab' einen Schuh
Mit starker Hand, so findest du
Dein Stücklein Brot aus Halmen sprießen,
O, mögest fröhlich es genießen!
Grab' einen Schuh!

Grab' zwei Schuh ein,
So wird dich einst ein Baum erfreun,
Der hier so tief die Wurzel breitet,
Und dessen Dach dir Schutz bereitet,
Grab' zwei Schuh ein

Grab' drei Schuh ein,
So sammelt sich darinnen rein
Vielleicht die Quelle frisch und helle,
Zur guten Lab' für Leib und Seele,
Grab' drei Schuh' ein!

Grab' vier Schuh' ein,
So ist's der Grund zum ersten Stein,
Wenn emsig du ein Haus dir bauest
Und hoffend in die Zukunft schauest,
Grab' vier Schuh' ein!

Grab' fünf Schuh ein,
So blitzt vielleicht des Silbers Schein,
Und tausend goldne Fäden weben
Sich herrlich durch dein ganzes Leben,
Grab' fünf Schuh' ein!

Grab' sechs Schuh' ein,
Wie leer mag da die Grube sein;
Oh, nimmermehr, da findest du
Das Beste, eine sanfte Ruh',
Grab' sechs Schuh ein!

Volkslied

Es springt ein guldener Bronnen
Aus heißem Herzen auf,
Und spiegelt in der Sonnen
Des Menschen Lebenslauf.

Es steigt ein ewiges Klingen
Zu Gottes Himmel an,
Das Höchste muss man singen,
Weil man's nicht sagen kann.

Kein Adler mag sich heben
So hoch zum Himmelszelt,
Als deine Lust am Leben
Im Jauchzen aufwärts gellt.

So tief legt sich der Müde
Zur letzten kühlen Rast,
Als du dein L e i d im Liede
Zur Ruh' gebettet hast.
 
Lorbeer und Palme

Strebst du nach Ruhm, o Sänger, so reize die Mitwelt nicht.
Siehe, im Fluch des Volkes welket der Lorbeerkranz.
Gibst du den Lorbeer froh für des Märtyrers Palme hin,
Dann erst grüß ich dich jauchzend, Sohn der Unsterblichkeit.

Davongeflogene Seelen

Ich komme just vom Leichensaal,
Dem schattengrauen, dem kalten.
Dort liegen die Kadaver all,
Die blassen Lehmgestalten.
Die Freund und Bruder ich genannt
Auf langen, fröhlichen Fahrten,
Die sind mir jetzt ganz unbekannt,
Wie Erde aus fremdem Garten.
So wird's im dunkeln Leichenhaus
Ein erstes Mal uns helle:
Die Seele macht den Menschen aus,
Die ewige, heilige Seele. —
Die Nester leer, die Seele fort
Auf unbekannten Straßen —
Wohin, wohin? Kein Sterbenswort
Sie haben sagen lassen.
Ich starre in der Blumen Glut,
Ich horche der Vöglein Lieder,
Da wehet leis durch Lebensflut
Ein Hauch der Toten wieder.
Und während die Seelen ohne Rast
Ich such' mit bangem Mute
— Sitzen im Herzen sie mir zu Gast
Und trinken von meinem Blute.

Klingende Funken

Immer glühen edle Herzen,
Leidversunken, freudetrunken,
Und selbst schnöde Alltagskerzen
Sprühen manchen Sternenfunken.

Lasset uns mit Äthersträngen
Glocken an die Sterne hängen,
Damit sie die stillen Feuer
Weitersenden in Gesängen.
———
Für das, was uns am höchsten steht,
Für das, was uns am nächsten geht,
Ward uns kein Lied zu eigen.
Da hat man nur ein fromm Gebet
Und — Schweigen.
———
Ich bin ein Kind
Und bleib' ein Kind,
Weil ich nur so
Den Himmel find'.
———
Dem wahren Spaziergänger schlägt keine Uhr.
Ein Glücklicher ist er im Reich der Natur.
Er denkt nicht an Zeit, und er frägt nicht nach Ziel,
Seine Lust ist der Weg — führt er hin, wo der Will'.
———
Wie wenig an Ungewöhnlichkeit
Verherrlicht die weite Erde!
Das Genie nur ist Persönlichkeit,
Alles andere ist Herde.
———
Geh kühl vorüber an des Reichtums Stätte.
Der die Welt hat, ist ärmer,
Als der — gern hätte.
Traue nicht den trügenden Gaben,
Das Hoffen ist köstlicher als das Haben.
———
In jedem Haus
Vor allem wert
Drei Dinge sind:
Eine starke Faust,
Ein warmer Herd,
Ein kleines Kind.
———
Bleibe, o Musensohn, eigen, wie die Natur dich gemacht hat,
Ziehe nicht fort mit dem Weltstrom des täglichen Lebens;
Sonst geht es dir, wie dem starken, dem mächtigen Bergfluß:
Sobald er dem Strom sich ergießt, verliert er den Namen!
———
Nach innen leben,
Nach außen weben,
Nach unten schauen,
Nach oben streben.
———
Ich sag' dir, armes Vögelein:
Der Liebling dieser Menschen sein
Ist schwerer Fehl, und wird bestraft
Mit lebenslanger Kerkerhaft.
———
O laßt das Denkmalsetzen gehen,
Bis letztes Wort gesprochen ist.
Ein Bild aus Erz kann erst entstehen,
Wenn das aus Ton zerbrochen ist.
———
Ich würde mich mit Menschen nie versöhnen,
Die nicht dienen wollen und nicht herrschen können.
———
Wer noch die Menge nicht als Bestie kennt,
Der seh' einmal die blutigen Bahnen,
Die unsere Weltgeschichte trauernd nennt,
Er wird es ahnen.
Den Volksbefreier preist sie jubelnd heut,
Und morgen den Tyrannen.
———
Zur Bändigung des Pöbels, laßt mal sehen,
War höllisch schwer des Teufels zu entraten.
Der Teufel kam auch billiger zu stehen
Als jetzt — die Millionen Soldaten.
———
Wenn du dich selber verdrießest,
Dein Herz ist lahm und wirr,
So wart' auf ein großes Leiden,
Das bringt dich wieder zu dir.
———
Wer heute Herr, ist morgen Knecht,
Wie Armut stärkt, so Reichtum schwächt.
———
Feinde zu verderben
Ist ein froher Ritt;
Um das Bräutchen werben
Ist ein banger Schritt;
Sterben, sterben, sterben
Ist ein bitt'rer Freud';
Erben, erben, erben
Ist ein süßes Leid.
Süßes Leid, ich mag dich nicht,
Bitt're Freud', ich klag' dich nicht,
Banger Schritt, ich mag' dich nicht,
Mit Menschenbrüder schlag dich nicht.
———
Wen stets die Güte und die Freude flieht,
Der wird sich bald gealtert sehen.
Wer seine Stirne oft in Falten zieht,
Dem bleiben sie beizeiten stehen.
———
Ist dir dein Bett nicht recht,
So kannst du dir's besser richten,
Ist dir die Welt zu schlecht,
So magst du dir eine bessere dichten.
———
Idealismus allein
Ist weder gut noch klug.
Vom Realen das beste
Ist ideal genug.
———
Der siegfrohe Herr, der rüde Gesell,
Sie herrschen nach ihrer Weise;
Der Feldwebel, traun, der schreit den Befehl,
Der König — der sagt ihn leise.
———
Ach, die Lyriker sind eigen,
Wenn sie nichts zu sagen finden,
Müssen sie es laut verkünden,
Daß — sie schweigen.
———
Im Leben es bunt treiben
Ist Brauch bei der Jugend;
Das Streben, gesund zu bleiben,
Ist auch eine Tugend.
———
Wie jagt der Mann nach fernsten Dingen
Und strebt und strebt ohn' Unterlaß,
Doch nimmer wird das Ringen bringen,
Was einst er ohne Müh' besaß.
———
Alles Leben ist ein Wunder,
Alles Totsein ein Geheimnis.
Lebst du ewig, ist ein Weilchen
Grabesschlummer kein Versäumnis.
———
Seit auf dem Sarg ich des redlichen Schusters
Den Lorbeer gesehen,
Flüstert jeglicher Lorbeerkranz,
Den sie mir spenden:
Freund, du hast — Stiefel geschrieben!
———
Vor deiner Nasen
Soll ich Nesseln grasen;
Hinter deinem Rücken
Will ich Trauben pflücken,
Solltest um dich wenden,
Will ich's rasch vollenden:
Und vor deiner Nasen
Wieder Nesseln grasen.
———
Schwarz-rot-gold immerdar!
Schwarz ist ihr Augenpaar,
Rot ist ihr süßer Mund,
Gold ist ihr Haar!
———
Ich bat das schönste Weib um einen Kuß,
Es hat versagt.
Ich zielt' nach meiner armen Brust den Schuß,
Er hat versagt.
Ich dachte, was das erstemal nicht wird,
Ist bloß vertagt.
Und war, als daß ich's noch einmal probiert,
Viel zu verzagt.
———
Das Weib ist eine Nuß,
Die man aufbeißen muß;
Dem Manne Gott genad,
Der keine Zähne mehr hat.
———
Das Schwert will nicht geschossen,
Es will geschliffen sein.
Das Lied will nicht verschlossen,
Es will gepfiffen sein.

Der Pfeil will nicht geschliffen,
Vielmehr geschossen sein.
Die Welt will nicht begriffen,
Sie will genossen sein.
———
Zu Straßburg trinkt man Schlechtesten und Besten,
In Danzing bin ich nüchtern nie geworden.
Getrunken wird im Osten und im Westen,
Gesoffen wird im Süden und im Norden.
Der Deutsche schwingt sich nicht mehr in die Sphäre
Der hohen Musen Thalia, Urania;
Ein goldner Becher kreist vom Fels zum Meere,
Und im Becher badet Frau Germania.
———
Wohlan, wer einstens dräute
Und nur den Waffen traute,
Sich selbst als Mensch nicht scheute,
Mit Trotz auf jeden schaute,
Und seiner Ehre Beute
Auf Säbelschneiden baute.
Doch Gassenbub', wer heute
Aus Vorwitz um sich haute.
— Ich schlage nicht die Leute,
Ich schlage nur die Laute.
———
Heute pocht sein Herz metrisch,
Heute klingelt seine Zungen,
Heute tanzen alle Musen
Um den ruhmesdurstigen Jungen.
Heute steigt er zum Parnasse,
Heute, glaubt er, glückt es sicher.
Sieh, da drehn sie ihm die Nase
Und entfliehen mit Gekicher.
———
Manches Genie
Ist vernünftig nie,
Immer Genie.
In Geistesbeschwerden
Ruft's ach und weh aus,
Fühlt sich fremd auf Erden
Und daheim — im Kaffeehaus.
———
In einem Eisenbahngelaß
Ein altes, stilles Männlein saß.
Und neben ihm zwei schwarze Herren,
Die wollten fleißig ihn bekehren,
Mit feinem Witz, mit leisem Hohn,
Und dann mit dringlichem Sermon;
Gestanden es auch endlich ein,
Daß sie — schon um den Heiligschein —
Von der Gesellschaft Jesu sei'n.
"Von der Gesellschaft Jesu," fragt
Der Alte, dem das nicht behagt.
"Doch von der ersten, ihr Geschätzten,
Oder etwa von der letzten?"
"Wieso?" darauf die klugen Herrn.
Der Alte, der erklärt sich gern:
"Nun, Ochs und Esel oder Schächern,
Den welchen mögt nach Art und Fächern
Ihr gern euch füglich zugesellen?"
— Und was geschah? Sich zu empfehlen
Beeilten sich die beiden schnelle,
Schon bei der nächsten Haltestelle.

Kecklich mit dem Schelm zu spaßen
Sollten Schelme bleiben lassen.
———
Siehe, Siziliens südliche Sonne
Scheint schön!
So strahlt sie, Schnee schmelzend, seit Sommern.
Sentimentale Seelen sind selig.
Sehen sie solcher Sonne schweren Schaden?
Segenlos sengt sie sämtliche Saaten,
Schadet schmächtigen Setzlingen sehr,
Selbst starken, strotzenden Stämmen.
Schmachtende Sänger — sonst singend —
Siechen, sinken, schreien sterbend:
Schreckliche Sonne!
———
"Wieder ist ein Jahr verflossen
In das Meer der Ewigkeit!"
Also Dichterlinge
Jedes Jahr zur selben Zeit.

Doch dem Geist im Setzerkasten
Ward das Späßchen endlich fade,
Heimlich tat er in der Lade
Nach den falschen Staben fassen.

"Wieder ist ein Meer verflossen
In das Jahr der Ewigkeit." —
Ob des niederträchtigen Wichts
Hat der Dichter sich erschossen,
Doch die Leser — merkten nichts.
———
Wie die Welt verschieden richtet,
Habt ihr's schon einmal erwogen?
Lügen wir, so heißt's gedichtet,
Dichtet ihr, so heißt's gelogen.