Erbschaft
Der Winter, der starre,
Er liegt auf der Sterbe,
O lächelnder Erbe.
Wie üppig du erbst!
Den blühenden Frühling,
Den leuchtenden Sommer,
Den Kastenfüller,
Den goldenen Herbst.
Erwartung
Nun wandle übers Morgensonnenfeld.
In Ehrfurcht tritt zurück von deinem Weg
Die Alltagswelt.
Auf allen Auen heilige Ruh,
Über deinem Haupte hoch
Ein Falter fliegt im Kreise,
Die Perlen auf den Halmen zittern leise,
Und Blumen neigen ihren Kelch dir zu. —
O bebe, junge Brust,
O bete, banges Herz, in ahnungsvoller Lust,
Und laß dich weihen, laß dich segnen.
— Heute wird dein Schicksal dir begegnen.
Gedenken
Auf Bergeshöh' im Sonnenschein,
Wo Alpenrosen, rot und rein,
An Lust und Liebe mahnen;
Auf Bergeshöh' im Sonnenschein
Bin ich mit meinem Leid allein
Bei Rosen und Gentianen.
Die Erde, die mir das Liebste nahm,
Sie schaut mich, ach, so kindlich an
Mit ihren Blumenaugen:
"Und hab' ich dir gleich weh getan,
So denk, wie muß nach Qual und Wahn
Die kühle Erde taugen"
Stimmungen
1.
Freier Hand seit Tausenden von Jahren
Hat Natur an diesem Knochenkarren
Menschenleib voll Fleiß und Kraft gebaut.
Mit der Schöpfung Künsten wohl vertraut
Standen alle Stoffe ihr zur Wahl
Und ein Riesenarsenal.
Nimmermüde schuf sie durch Äonen,
Probte alle Formen, alle Zonen,
Brach entzwei, was etwa doch mißlungen,
Bis das Werk vollbracht, der Sieg errungen.
Und in dieser herrlichen Gestalt
Nahm die Menschenseele Aufenthalt.
Jauchzend brachte sie das Werk in Gang.
Und das heiße Herz in Wonne sprang!
— — Ach, wie balde hörte man im seinen
Blutdurchwogten Tempel — leise weinen . . . .
2.
Der teure Kranke
Ruht auf weichen Kissen,
Und seine Lieben
Hegen und pflegen
Die müden Glieder
In nimmer rastender,
Zarter Sorgfalt,
Und scheuchen bangend
Trübe Schatten
Emsig davon,
Und haben milde,
Schmeichelnde Worte
Und frohen Trost
Für sich und ihn.
Und plötzlich rollt
Zwischen Kirchhofskreuzen
Von kundigen Armen
Stummer Männer
Rasch gesenkt
Der Sarg zur Tiefe.
Und hüllenlos
In furchtbarer Wahrheit,
Die Herzen erdrückend,
Wie Steine den Toten,
Steht die kalte, unerbittliche,
Dämonische Herrlichkeit
Natur.
3.
Das Leben ist ein böser Traum,
Doch willst du baß erschrecken,
Wenn jener mit der Hippe kommt,
Dich plötzlich aufzuwecken.
Und wenn der mit der Hippe kommt,
Und mäht die Nesseln nieder,
Gleich bittest ihn um so viel Frist,
Um sie zu säen wieder.
Und wenn der mit der Sanduhr kommt,
Dich mahnend, nicht zu säumen,
So flehst: 's ist zwar ein böser Traum,
Doch laß mich weiter träumen.
4.
Wie wird unser Himmel sich gestalten?
Was wird unsre Seligkeit enthalten?
Nichts von allem, was wir heute lieben,
Das ist endlos weit zurückgeblieben.
Heiße Lust bringt immer heißes Leid.
— Schmerzlos Sein allein ist Seligkeit.
Der Verbitterte
Ach, wie ist mir wüst und weh
Auf der dummen Welt!
Dort, wo ich am liebsten geh',
Das, was ich am liebsten seh',
Ist mir längst vergällt.
Nicht vom Feinde stammt mein Leid,
Der macht mich nur stark.
Solche, denen war geweiht
Treu mein Herz zu aller Zeit,
Trafen mich ins Mark.
Was sie falsch mir angetan,
Stumm sei's wie das Grab.
Und des Grams geheimer Bann,
Den mir niemand lösen kann,
Drückt mich bald hinab.
Sonst ein Jauchzen — jetzt ein Schrei:
O du dumme Welt!
Wär' ich dieses Wahnes frei,
Hätt' ich nie auf Menschentreu'
Herz und Glück gestellt!
Hätt' ich nie auf Weibessinn
Nest und Not gebaut,
Flög' ich vogelfröhlich hin,
Freiheit wäre mein Gewinn,
Freude meine Braut.
Lieb' und Treue, blöder Wicht,
Hast du mir gewählt.
Liebe stirbt, Vertrauen bricht,
Was du meinst, das gibt es nicht
Auf der dummen Welt.
Einst war ich so froh und rein,
Wie ein Maientag,
Jetzt, o Nebel, hüll mich ein,
Weil ich Luft und Sonnenschein
Nimmer sehen mag.
Wie ein blätterloser Baum
Steh' ich auf der Heid',
Dürres Laub vom Waldessaum,
Starres Eis und Flockenflaum
Ist mein Hochzeitskleid.
Sterben ist ein' harte Buß',
Wem es nicht gefällt.
Mir ist's redlich zum Verdruß,
Daß ich heut noch l e b e n muß
Auf der dummen Welt.
Der Glückliche
Seit vielen Jahren genieß' ich die Welt,
Teils geistig und teils leiblich.
Daß so viel Glück ins Herz mir fliegt,
Ich kann's und kann's nicht finden, wo's liegt,
Es ist ganz unbeschreiblich.
Wir lieben die Lieb', wir nennen die Lieb',
Ob männlich oder weiblich.
Wir fühlen die Seligkeit, fühlen die Pein,
Und wissen nicht ja, und wissen nicht nein,
Es ist ganz unbeschreiblich.
Seit vierzig Jahren sann ich und schrieb —
Es war ganz unausbleiblich.
Und als ich geschrieben der vierzig Jahr',
Da stockt mir das Herz, da seh' ich es klar —
's ist alles unbeschreiblich.
Wo wird es sein?
Was hab' ich dich gesucht, du Unbekanntes,
Auf Erden dich gesucht und nicht gefunden.
Du mir Unfaßbares und doch Verwandtes.
Ich habe dich gesucht.
Im Gartenzelt und in der Felsenkrone,
Im engen Wald und auf den Meeresrunden,
In dunklen Nächten, in des Himmels Sonne,
Wie hab' ich dich gesucht!
In Einsamkeit, im prunkenden Gemenge,
Bei Freunden und bei Frauen tat ich fragen,
In stiller Luft, in rauschendem Gedränge
Wie hab' ich dich gesucht!
Wie grünte, blühte es in vielen Zweigen,
Doch keiner hat die heilige Frucht getragen.
Hier mußt' ich sinken, dort zur Höhe steigen,
Ich hab' es nicht erreicht!
Was war's, was ich gesucht? Ich kann's nicht sagen.
Für solche Größe ist das Wort zu klein,
Das Allergrößte kann die Welt nicht tragen.
Wo wird es sein!
Ich find' es doch, denn nichts ist halb gegeben.
Wenn Sehnsucht ist, ist auch der Sehnsucht Stillung,
Der demutsvollen Ahnung wird Erfüllung.
Und lebe ich, so muß auch j e n e s leben.
Ich find' es doch.
Der unbegreifliche Muskel
In Gluten und Fiebern lag ich dahin,
Der Doktor kam jeden Tag,
Befühlte den Puls und verschrieb mir Chinin,
Behorchte des Herzens Schlag.
Er horchte durchs Röhrchen, er legte das Ohr
Zur Stelle, wo's seltsamlich schlug,
Es zitterte leis, und es wogte so heiß,
Er wurde durchaus nicht klug.
Der Muskel, er hämmert mit bräutlicher Kraft,
Und doch ist's ein Todesringen!
Wie läßt sich nur mit der Wissenschaft
Das Ding in Einklang bringen?
— Und wenn ich dich soll belehren, Freund,
Ich sag' es nicht zum Scherze,
Was dir nur als ein Muskel erscheint:
Das ist — ein Dichterherze!
Es mahnt
Der Wind vom Kirschbaum Blütenblätter streut,
Der Frühling macht's dem Winter nach, es schneit,
So mahnt in Wonnetagen leis das Leid. —
Der Buchenwald in roten Feuern glüht,
Der Spätherbst tut's dem Frühling nach, er blüht,
So weht der Traum von Glück in herber Zeit.
Herbst
Jugendsonne kehrt nicht wieder.
Legst dich abends müde nieder,
Stehst du morgens trübe auf.
Teilnahmslos für all dein Walten
Nimmt die Sonne durch den kalten
Himmel ihren trägen Lauf.
Der Tag, der wird
schon spat
Der Tag, der wird schon spat,
Mein Aug', das wird schon matt,
All Menschentreiben ist ein Traum,
Die Herrlichkeit, ich seh' sie kaum.
Mein Aug', das wird schon matt.
Mein Haar, das wird schon grau,
Und welche Zier ich schau,
Ob Lorbeerkranz, ob Dornenkron',
's ist beides wohlverdienter Lohn.
Mein Haar, das wird schon grau.
Mein Herz das wird schon alt,
Es wird schon hart und kalt,
Es fühlt nicht Nadel, fühlt nicht Speer,
Fühlt eure Bosheit nimmermehr.
Mein Herz das wird schon kalt.
Wandlung
Ich bin ein sündiger Adam,
Und habe vom Apfel gegessen,
Und über den üppigen Apfelbaum
Des Kreuzes fast vergessen.
Doch als die Früchte fielen,
Die Blätter sacht verschwanden,
Da sind die Äste des Apfelbaums
Als kahles Kreuz gestanden.
Ich bereue nichts
"Ich bereue nicht die Sünden, die ich je begangen,
Ich bereue nur die Sünden, die ich nicht begangen."
Wohl, der Weltmann spricht's.
Ich bereue nicht die Sünden, die ich je begangen,
Ich bereue nicht die Sünden, die ich nicht begangen.
Ich bereue nichts.
Nur das M u ß ist Herr, und sein die Schuld am Irren.
Erst die Reue würde mich zur Mitdschuld führen.
Ich bereue nichts.
Erwägung
Mein Herz wollt' sein ein Edelstein
Und sich im Feuer härten.
Der Edelstein kann schneiden ein,
Doch nie geschnitten werden.
Ins h a r t e Bett wird trotzdem sich
Der schlimmste Teufel legen,
Ins harte Herz wird niemals sich
Der Gottes Bildnis prägen.
Ich bin ein Mensch
geworden
Ich bin Mensch geworden in der weiten Welt,
Keiner steht von allen, die da leben,
Keiner über mir, keiner unter mir,
Ich bin jedem beigegeben.
Ich bin frei geworden in der weiten Welt.
Fesseln, die mich an das Leiden banden,
Oder an der Freude, an der Hoffnung Trug,
Alle schlug ich sie zuschanden.
Ich bin klug geworden in der weiten Welt,
Legte meine Kräfte und Gebresten
Zu der Menschheit ewigem Kapital — und schwieg
So fährt sich's am allerbesten.
Des Weltkindes Besinnen
Ein Traum? — Vielleicht. Was wär's sonst das?
Da träumte ich nun schon seit sechzig Jahren
Von Torheit, Bosheit, Lug und Haß,
So lebhaft schauend grell und kraß,
Als hätt' ich's am eigenen Leib erfahren. —
———
Ach, bist du w i r k l i c h, du wahnvolle Welt,
Dann hast du mir das Leben scheußlich vergällt. —
Wie kam ich zu dir voll Lust und Vertrauen,
Wollte nur Schönes und Braves bauen.
Da heucheltest du: desselben beflissen,
Und hast mir all Freud' beschmutzt und zerrissen.
Nun hab' ich mich reichlich matt geritten,
Satt gestritten, satt gelitten. —
Müd bin ich.
———
Vor kurzem war ich bei Göttern zu Tische.
Dort läßt man schweigend von allem decken;
Das Faule schiebt man beiseit', das Frische
Läßt man sich schmecken.
Man kann dabei gar viel profitieren,
Wie man mit feinen, noblen Manieren
Sich schicklich mag zu Ende führen.
Kein schrilles Schreien mehr, kein grelles Lachen.
Ich will es von jetzt ab besser machen,
Ein Leben führen, wie es genehmer ist.
Will sogar die Verse ohne Normen,
Ganz nach eignen Launen formen.
Weil es mir so bequemer ist.
———
Doch was andres will ich wagen
Mit Verstattung noch zu sagen.
Trotz des Sportes, aufzuklären,
Ist es finster, bleibt es finster,
Gute Lehren, Leut' bekehren,
Das sind blaue Hirngespinster.
Sagt's Mephisto oder Faust,
Wie man auf der Erde haust,
Es klingt nach in unserm Ohr,
Und wir bleiben wie zuvor.
Selbst Erfahrung wirkt bedingt
Nur so lange, als sie zwingt.
Wir sind hartgesottne Sünder,
Und ihr Frommen seid's nicht minder.
———
Doch, es wird spät.
Ich trinke den garstigen Trank zur Neige,
Und schweige.
Wie schön zu schauen auch der Götter Leben,
Es ist verzweifelt schwer, ihm nachzustreben.
Ich betracht' und beklag' als betrogener Zecher
Noch einmal die Welt,
Und schleudere den schillernden Becher
An der Ewigkeit eherne Wand,
Daß er zerschellt. —
———
Wie bin ich doch wirr, obschon aufgewacht.
Ich merke wohl, der giftige Trank
Hat mich betäubt gemacht,
Todesbetrübt und krank.
Und sollte doch jauchzen, daß er endlich leer ist,
Der vertrackte Humpen, und nicht mehr schwer ist.
Sollte ihn mit sanft laugendem Lethe ausspülen,
Ihn mit meiner eigenen Seele ausfüllen,
Mit der guten und schönen,
Wie sie ihm törichten Wähnen
Sich selber so gerne tat nennen;
Und sollt' mit solch köstlichem Inhalt
Den Becher stolz himmelwärts tragen! —
Wer ist verwegen? Wer darf das wagen?
Ich bin es nicht, kann es nicht sein.
Meine Seele hat von Welt getrunken
Und ist nicht mehr rein.
Auch hat sie die Liebe mit Undank betrogen,
Hat Haß mit erkünstelter Sanftmut belogen,
Torheit mit Torheit aufgewogen. —
———
O meine Seele, der Abend naht,
Willst du mir nicht das Scheiden verschönen
Mit herzfroher, tapferer Tat?
Willst du dich nicht mit der Welt versöhnen?
Wenn es ihr recht ist
Und du ihr nicht zu schlecht bist.
Im Grunde seid ihr doch einander würdig
Und ebenbürtig.
Gott Vater war schalkhaft, als er euch schuf,
Ihr krochet hervor aus Sumpf und Schlamm,
Woher auch die Lotosblume kam,
Und ist doch der Sonne liebstes Kind.
Laßt euch nur den Spaß nicht gereuen:
V e r z e i h e n, e r n e u e n, s i c h f r e u e n!
Dann seid ihr, wie die Götter sind.
Nehmt nur nichts schwer und auch nichts krumm;
Seid nicht zu klug und nicht zu dumm,
Und bildet euch doch ja nicht ein,
Das rechte so mit Klugheit zu erfragen.
Ist schon die Weisheit zu erjagen,
So kann's eher noch mit einer Torheit sein.
Jeder forsche, was ihm tauge,
Vor jeder Wahrheit, die dich quält,
Verschließe ruhig Ohr und Auge,
Und d i c h t e dir die Welt
Wie sie dir gefällt.
Und träume weiter . . . .
Es kommt dereinst
ein dunkler Tag
O freue dich, mein Brüderlein,
An deines Lebens Sonnenschein,
Doch trau' ihm nicht.
Es kommt dereinst ein dunkler Tag,
Noch eh' in unnennbarer Klag'
Dein Auge bricht.
Die Werke dein, so stolz erstehn,
Du wirst sie einst zerfallen sehn
Und sein ein Mann;
Doch schläft ein treues Herz im Schrein,
Dem du sein kurzes Erdensein
Hast weh getan:
Dann wirst du fröhlich nimmermehr,
Wirst um des Toten Wiederkehr
Vergeblich fleh'n.
Am Grabe werden Röslein blühn,
Dein armes Herz wird welken hin
Und still vergehn.
Grab ein!
Grab' ein, grab' ein
In uns'rer Mutter reichen Schrein,
Für alle Sorge und Beschwerde
Erliegt dein Lohn in treuer Erde.
Grab' ein, grab' ein.
Grab' einen Schuh
Mit starker Hand, so findest du
Dein Stücklein Brot aus Halmen sprießen,
O, mögest fröhlich es genießen!
Grab' einen Schuh!
Grab' zwei Schuh ein,
So wird dich einst ein Baum erfreun,
Der hier so tief die Wurzel breitet,
Und dessen Dach dir Schutz bereitet,
Grab' zwei Schuh ein
Grab' drei Schuh ein,
So sammelt sich darinnen rein
Vielleicht die Quelle frisch und helle,
Zur guten Lab' für Leib und Seele,
Grab' drei Schuh' ein!
Grab' vier Schuh' ein,
So ist's der Grund zum ersten Stein,
Wenn emsig du ein Haus dir bauest
Und hoffend in die Zukunft schauest,
Grab' vier Schuh' ein!
Grab' fünf Schuh ein,
So blitzt vielleicht des Silbers Schein,
Und tausend goldne Fäden weben
Sich herrlich durch dein ganzes Leben,
Grab' fünf Schuh' ein!
Grab' sechs Schuh' ein,
Wie leer mag da die Grube sein;
Oh, nimmermehr, da findest du
Das Beste, eine sanfte Ruh',
Grab' sechs Schuh ein!
Volkslied
Es springt ein guldener Bronnen
Aus heißem Herzen auf,
Und spiegelt in der Sonnen
Des Menschen Lebenslauf.
Es steigt ein ewiges Klingen
Zu Gottes Himmel an,
Das Höchste muss man singen,
Weil man's nicht sagen kann.
Kein Adler mag sich heben
So hoch zum Himmelszelt,
Als deine Lust am Leben
Im Jauchzen aufwärts gellt.
So tief legt sich der Müde
Zur letzten kühlen Rast,
Als du dein L e i d im Liede
Zur Ruh' gebettet hast.
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