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Sämtliche Werke
Ferdinand von Saar

Hrsg. Jakob Minor
Leipzig 1908
Max Hesses Verlag

Nachlese und Nachlaß
 

Lied
Das Brünnlein
Das Korn
Wipfelrauschen
In trüben Tagen
Ja, das ist dieselbe Gasse
Das Geheimnis
Der Reiter
Einer Braut
Zu einer Hochzeit
Abschied von Kaltenleutgeben

 
Pfingstrose
Simple Betrachtung
Gewisse Dinge müssen kommen
Der neue Vorort
Vorgefühl

 

Lied
(In jungen Jahren gedichtet)

Morgensonnig liegt die Welt
Offen da vor meinen Blicken —
Streif' ich weiter durch das Feld?
Soll ich mich im Wald erquicken?

O, wie glitzert dort der Rain,
Den ich schreite, hell im Taue,
O, wie glänzt im Sonnenschein
Rings das Korn, so weit ich schaue!

Ach, die Wachtel lockt mich hin,
Und zum Strauß sich gern gewähren
Meinem frohen Dichtersinn
Bunte Blumen in den Ähren. —

Doch mit seinem frischen Wehn
Jener dunkle Wald dort drüben —
Eifersüchtig längst gesehn
Hat er schon den Wandrer hüben!

Denn er sendet Duft um Duft
Und stets dringenderes Rauschen
Meinen Sinnen durch die Luft —
Wie, soll ich die Wege tauschen?

Ährenpracht und Wachtelschlag —
Laubesdunkel, Drosselsingen —
Wer sich da entscheiden mag:
Alles, alles will mich zwingen!

           
Hruschovann

Das Brünnlein

Fließe, liebes Brünnlein,
Fließe hell und klar,
Labst du mich auch nimmer
Wie vor manchem Jahr.

So recht herzhaft dürsten
Will mich heut nicht mehr;
Roll' ich doch im Wagen
Straßen hin und her,

Und auf Wandergängen
Bin ich Wirtes Gast;
Halt' bei deinem Plätschern
Nicht mehr süße Rast.

Wär' ich doch der Bursche,
Den dein Naß erquickt,
Wenn bestäubt am Wege
Er zu dir sich bückt.

Wär' ich wie das Dirnlein,
Das den Eimer spült
Und mit deinem Wasser
Brust und Nacken kühlt.

Wär' — mit einem Worte —
Wär' ich wieder jung,
Lebt' ich bloß, wie heute,
Von Erinnerung!

Fließe, liebes Brünnlein,
Fließe hell und klar,
Labst du mich auch nimmer
Wie vor manchem Jahr!

Das Korn

Gedüngt mit Pflügers Schweiß,
Leise bewegt vom Wind,
Auf den Feldern im Kreis
Wogest du sanft und lind.

Getränkt von des Himmels Born,
Reifend in seinem Strahl,
Nährest du Liebe wie Zorn,
Nährest du Lust wie Qual.

Wachse und blühe hinfort,
Woge und walle nur zu:
Unseres Daseins Hort,
Goldene Frucht, bist du!

Wipfelrauschen

Wie deine Wipfel rauschen,
Wald, du wogendes Meer!
Mit entzückem Lauschen
Schreit' ich in dir einher.

Mächtig tragen nach oben
Will mich das heil'ge Gebraus —
Von ihren Flügeln gehoben
Schwingt sich die Seele voraus!

In trüben Tagen

Gar zu einsam, trüb und kalt,
Gar zu traurig sind die Tage;
Wer bezwingt des Herzens Klage,
Wenn's nicht duftet, klingt und schallt
In der Blütezeit?!

Ist's denn, eh' noch Sommer war,
Plötzlich wieder Herbst geworden?
Willst du, rauher Sturm aus Norden,
Reißen dieses junge Jahr
Aus dem Schoß der Zeit?

Läßt schon müde die Natur
Ihren letzten Kranz den Winden?
Lässest du uns schon empfinden,
Schaurig deine erste Spur,
Leere Ewigkeit? —

Ja, das ist dieselbe Gasse . . . .

Ja, das ist dieselbe Gasse,
Ja, das ist dasselbe Haus;
Durch dies Fenster sah das blasse
Antlitz oft nach mir heraus.

Selbst noch die Gardinen sind es,
Leise hin und her bewegt
Von demselben Spiel des Windes,
Der sich einstens d'rin geregt.

Und auch weiterhin im Zimmer
Alles noch am selben Ort —
Ach wie oft, beim Lampenschimmer,
Saß ich auf dem Sofa dort!

Lag ich dort zu stolzen Füßen,
Bald die Seele wund und krank —
Bald berauscht von heißen Küssen,
Die ich wie im Fieber trank.

Ja, ihr stillen schlichten Räume,
Ja, ihr kanntet meinen Tritt —
Und davor, ihr Ahornbäume,
Ach ihr wußtet, was ich litt!

Alles ist dahin gezogen;
Längst versank die schöne Frau
Fernab in des Lebens Wogen,
Und mein Haupt ist müd' und grau.

Längst schon ist in mir besiegelt
Alte Liebe, alte Qual —
Doch in jenen Scheiben spiegelt
Sich ein Zukunftssonnenstrahl.

Und ich seh' es, wie der klare,
Leise funkelnd schon umblitzt
Eines Mädchens blonde Haare,
Das dort hinter Blumen sitzt.

Das Geheimnis

Ach wie töricht, holdes Kind!
Dieser Herzbezwinger —
Hältst du ihn auch jetzt für blind —
Guckt dir durch die Finger:

Wahrlich nicht von ungefähr
Hat sein Pfeil getroffen,
Und so darfst du nimmermehr
Ihn zu täuschen hoffen.

Wenn den kleinen Gott du kränkst,
Kann er sich auch rächen,
Läßt zur Strafe, eh' du's denkst,
Dein Geheimnis sprechen.

Hält's die grüne Waldesnacht
Heute noch umsponnen —
Morgen kommt es, gib nur acht,
Dennoch an die Sonnen!

Der Reiter

Hinaus zum Stall den Ackergaul!
Doch der will sich nicht sputen:
Es scheint vielmehr sein hartes Maul
Noch Futter anzumuten.
Da rühret Hans, der kleine, sich
Mit jubelnder Gebärde:
Ach Vater, Bruder, hebet mich
Zu Pferde hoch, zu Pferde!

Und als vergangen manch ein Jahr,
Folgt er dem Gaul am Pfluge;
Da saust vorbei die Reiterschar
In blinkend hellem Fluge.
Von Waffen- und vom Hufgedröhn'
Erzittert rings die Erde —
Wie lebt es sich so leicht, so schön
Zu Pferde, hei, zu Pferde!

So denkt der Hans — und siehe da,
Eh' noch das Korn geschnitten,
Sind auch dem Dorf die Werber nah
Und fordert jeden Dritten.
Zum Dreschen kommt er nimmermehr;
Daß er ein Reiter werde,
Ein tapfrer, schmucker — sitzet er
Zu Pferde schon, zu Pferde!

Wie tät er nun mit blankem Helm
Gar stolz im Sattel rucken,
Sieht er doch manchen lieben Schelm
Von Mädel nach ihm gucken!
Und gibt es oft auch schmale Kost
Und mancherlei Beschwerde —
Man trägt sie allesamt getrost
Zu Pferde, wohl zu Pferde!

Da naht ein Tag — es schmettert laut
Und Trommelwirbel schallen;
Ade! Ade, Soldatenbraut,
Der Würfel ist gefallen!
Entgegen geht's dem ersten Strauß,
So fern vom heim'schen Herde,
Dem lahmen Fußvolk weit voraus
Zu Pferde stets, zu Pferde!

Hei! wie des Krieges Wetter braust!
Wie die Gewehre knattern!
Die Kugel pfeift, der Säbel saust
Und die Standarten flattern.
Und drauf und dran mit frischem Mut
Trotz jeglicher Gefährde —
Es kämpft sich ja so leicht, so gut
Zu Pferde, hoch zu Pferde! —

Zerstoben ist der Pulverdampf,
Fern rasseln die Kanonen;
Beendet ist der heiße Kampf —
Wo ziehn jetzt die Schwadronen?
Der Mond bescheint in düst'rer Pracht
Die blutgetränkte Erde —
Wie schaurig ist die letzte Nacht —
Zu Pferde — ach, zu Pferde!

Einer Braut

Den Strahl der Liebe glänzen
Seh' ich im Aug' dir klar.
Der schönste von den Kränzen
Schmückt heut dein blondes Haar.

Schon früh im jungen Leben
Ward dir ein hohes Glück;
Das Schicksal hat gegeben
Es nehme nichts zurück.

Bleibt auch in spätren Tagen
Nicht ferne dir das Leid —
Die Liebe kann's ertragen,
Die Liebe macht gefeit.

Drum sei dein Bund gesegnet
Von eines Dichters Wort:
Was immer dir begegnet,
Die Liebe sei dein Hort!

Zu einer Hochzeit

Wer schwiege nicht bei solcher Feier,
Beseligt tief im Herzensgrund?
Die Myrte bebt, es wallt der Schleier,
Und still gesegnet wird ein Bund.
Wer wagte laut hinauszusingen,
Wo Aug' in Auge sich versenkt —
Wo sich zwei Menschen stumm umschlingen,
Die sich einander ganz geschenkt.

Hier ziemt ja nur ein wonnig Schauen,
Ein Wunsch, im Innern fromm gedacht —
Und muß schon eine Träne tauen,
Sei sie als Opfer dargebracht.
Jedoch kein Wort, das, ird'schen Klanges,
Des jungen Glückes Träume stört —
Und selbst auf Flügeln des Gesanges
Noch zu des Lebens Drang gehört.

Denn wie ein Lied auch herrlich töne,
Es klingt hindurch des Werdens Qual,
Und stets, in unerreichter Schöne,
Fleugt ihm voraus das Ideal.
Es mahnte nur an Kampf und Ringen,
Wo schön verebbt die hohe Flut,
Und jeder Wunsch, nun ohne Schwingen,
In seliger Erfüllung ruht;

Wo jeder Schatten still entwichen,
Wo jeder Mißklang still verweht,
Und sonnenhell und ausgeglichen
Das Dasein rings in Blüten steht;
Wo sich der Duft von tausend Lenzen
In eine holde Stunde drängt,
Die mit dem schönsten von den Kränzen
Die schönste Mädchenstirn beschenkt. . . .

Doch halt! Da regte sich schon leisen
Getöns in mir des Sanges Quell —
Und möchte jetzt, solch Glück zu preisen,
Aufrauschen mächtig, voll und hell.
Wie reich sich noch mein Lied entbände,
Ich muß des Klanges Dämpfer sein
Und presse fest aufs Herz die Hände —
Und singe still in mich hinein.

Abschied von Kaltenleutgeben
Ostern 1890. Bei meinem Scheiden aus der Wasser-Heilanstalt.

Als ich dich krank betreten,
Du traulich stilles Tal,
Da schien mit bleichem Schimmern
Der Wintersonne Strahl.

Die Hügel und die Wälder
Sie lagen kahl und fahl —
Die öde Landschaft stimmte
Zu meiner öden Qual.

Und rauhe Stürme kamen,
Sie brachten Schnee und Eis,
So weit das Auge reichte:
Die Decke, kalt und weiß.

Doch wie ein Frühlingsahnen
War es in mir erwacht;
Genesungsquellen rauschen
Hört' ich in stiller Nacht.

Es lösten sich die Schmerzen,
Die mich so lang gequält:
Von Mut und neuer Hoffnung
Ward wieder ich beseelt. —

Nun schallen Osterglocken;
Gekräftigt zieh' ich fort,
Gekräftigt und genesen —
Leb' wohl, du trauter Ort!

Leb' wohl, du Heim der Kranken,
Von sichrem Blick gelenkt,
Der in der Menschheit Leiden
Tief forschend sich versenkt!

Seit fünfundzwanzig Jahren,
Gesucht von fern und nah,
Ein freundlich "Quisisana",
Stehst du verheißend da.

Es schimmern deine Villen
Im ersten Lenzesglanz,
Schon will es leise blühen
In deiner Gärten Kranz.

Zu deiner Jubelfeier
In schöner Rosenzeit
Sei treuen Sinns vom Dichter
Dir dieses Lied geweiht!

Pfingstrose

Verhaucht sein stärkstes Düften
Hat rings der bunte Flor,
Und leiser in den Lüften
Erschallt der Vögel Chor.

Des Frühlings reichstes Prangen
Fast ist es schon verblüht —
Die zeitig aufgegangen,
Die Rosen sind verblüht.

Doch leuchtend will entfalten
Päonie ihre Pracht,
Von hehren Pfingstgewalten
Im tiefsten angefacht.

Gleich einer späten Liebe,
Die lang in sich geruht,
Bricht sie mit mächt'gem Triebe
Jetzt aus in Purpurglut.

Simple Betrachtung

Alles um sich her begehren,
Aber geben nichts,
Wunsch und Bitte jedem wehren
Kühlen Angesichts;

Gern mit bösem Spotte kränken
Und mit Vorwurf hart,
Eigne Mängel nicht bedenken —
Das ist Menschenart.

Stets für weise selbst sich halten,
Andere für dumm,
Nur des eignen Vorteils walten,
Andre schelten drum;

Wissen zieh'n aus allen Fernen
Im Oktav und Quart —
Dennoch nie verstehen lernen:
Das ist Menschenart.

Wien-Döbling, 18. August 1901.

Gewisse Dinge müssen kommen . . . . .

Gewisse Dinge müssen kommen,
Gewisse Dinge müssen werden;
Da kann kein Vorbedenken frommen,
Was man auch tun mag hier auf Erden:
Gewisse Dinge müssen werden,
Erfahren kannst du's an dir selbst.

Gewisse Dinge müssen kommen;
Was soll in Worten und Gebärden
Da noch ein später Vorwurf frommen?
Gewisse Dinge müssen werden,
Darum kannst du verzeihn auf Erden
Getrost den andern — und dir selbst!

Der neue Vorort

Ganz erstaunlich! Noch im Vorjahr
War hier bloß ein wüster Anger —
Und nun hat sich drauf erhoben —
Seh' ich recht? — ein ganzer Stadtteil!

An den Häusern freilich
Sind geborsten schon die Mauern,
Mörtelnaß sind noch die Zimmer —
Doch bewohnt in Überfülle.

Selbst in allen Kellerräumen
Wimmelt's wie in einem Pferche;
Männlich, weiblich durcheinander —
Und vor allem viele Kinder.

Zwar an Skrofeln und Rachitis
Leiden sie, die lieben Kleinen,
Und die Mütter sind anämisch —
Doch das Volk, es propagiert sich.

Seine Nahrung auch bezieht es
Aus den Buden in der Runde;
Sind verfälscht die Lebensmittel —
Chemisch weisen sie auf Fortschritt.

Eine Schule auch gewahr' ich,
Irr' ich nicht, im got'schen Stile,
Wo hochweise Lehrer lehren
Und hyster'sche Lehrerinnen.

Das Geschlecht, das hier emporwächst,
Wird dereinst die Welt regieren
Und Gesetze wird es schaffen,
Die ans Ziel die Menschheit bringen.

Wohl bekomm' es! Ich indessen
Tröste mich, daß ich schon alt bin,
Und mit schauderndem Behagen
Denk' ich: nun, nach mir die Sintflut!

Vorgefühl

Nun leuchten wieder Sonnenblumen,
Und Malven stehn mit blassem Rot,
Sie künden mit beredtem Schweigen
Des späten Sommers nahen Tod.

Stets liebt' ich euch, ihr Hohen, Schlanken,
Die ihr in ernster Schönheit prangt —
Ich liebt' euch schon zu jenen Zeiten,
Wo man nach Rosen sonst verlangt.

Und leise Sehnsucht tief im Herzen,
Erharrt' ich euch von Jahr zu Jahr —
Vereinsamt schien mir euer Blühen,
Vereinsamt wie ich selber war.

Jetzt, da ich wieder euch gewahre
Aufschimmern in der Sonne Strahl,
Durchschauert's mich wie ein Empfinden,
Daß ich euch seh' zum letztenmal!