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Quelle:

Nachklänge
Ferdinand von Saar
Neue Gedichte

Heidelberg 1899
Verlag Georg Weiß

I.
Lose Blätter

 

Genügen
Allgegenwart
Eisenbahnfahrt
Gesang der Armen im Winter
Wohltätigkeits-Redoute
Für den Leiermann
Die Gemälde
Enkelkinder
Neue Kunst


Genügen


Gar frühe schon mußt' ich verzichten,
Und bitter hab' ich oft entbehrt,
Mir war im Leben und im Dichten
Der Freude voller Kranz verwehrt;
Doch trug ich fast mit stiller Wonne,
Mit leisem Jubel meinen Schmerz —
Denn nur zum Trost ein wenig Sonne,
Ein wenig Sonne braucht mein Herz.

Ein leichtes Duften nur von Rosen,
Wie es der Morgenwind entführt,
Und nur ein sanftes Liebeskosen
Das flüchtig an die Lippe rührt;
So mischte stets ein Tropfen Wonne
Sich lindernd mir meinen Schmerz —
Denn nur zum Trost ein wenig Sonne,
Ein wenig Sonne braucht mein Herz.

Und fromm begnügt wünsch' ich auf Erden,
In meiner Weise stets belohnt,
Kaum mehr, es möchte anders werden,
Was ich zu tragen lang gewohnt;
Ich finde ja manch' leise Wonne,
Manch stille Freude allerwärts:
Denn nur zum Trost ein wenig Sonne,
Ein wenig Sonne braucht mein Herz.

Allgegenwart

Goldene Flocken in dunklen Geweben,
Schimmerden Erzen gleich im Gestein,
Findet verstreut sich in Zeit und Leben
Allwärts die Dichtung mit leuchtendem Schein.

Nimmer gab es so einsame Klippe,
Nimmer so öde war noch ein Strand,
Daß sie nicht klagte mit tönender Lippe,
Daß sie nicht lieblich sprießend erstand.

Nimmer gab's so verschlossene Herzen,
Daß sie das lösende Wort nicht sprach,
Und für die tiefsten, verborgensten Schmerzen
Fand sie auch stets ein bezeichnendes Ach.

Was da vergangen, kaum noch geboren,
Was da sank auf der Jahre Grund —
Taten, Gedanken, im All verloren,
Machen verschollene Dichter uns kund.

Goldene Flocken in dunklen Geweben,
Schimmerden Erzen gleich im Gestein,
Findet verstreut sich in Zeit und Leben
Allwärts die Dichtung mit leuchtendem Schein.

Eisenbahnfahrt

Eingeschlossen vom Waggon
Lehn' ich in der Ecke,
Und der Dampf trägt mich davon
Brausend auf der Strecke.

In die Gegend rings hinaus
Blick' ich so im Fahren,
Weithin breitet sie sich aus,
Blühend wie vor Jahren.

Ob des Zuges Hast auch steigt,
Scheint er doch zu weilen,
Nur vor meinem Auge zeigt
Sich ein Flieh'n und Eilen.

Dörfer, Felder, Wald und Au'n
Ziehn vorbei im Fluge,
Still, mit unverwandtem Schau'n,
Sinn' ich nach dem Truge.

Und in tiefster Seele klar
Wird mir dieses Leben,
Wo, was immer ist und war,
Scheint vorbei zu schweben.

Liebe, Glück und Jugendzeit,
Ach, sie alle weilen —
Nur der Mensch in Ewigkeit
Muß vorüber eilen.

Gesang der Armen im Winter

Hör', wie uns're Klagen schallen,
Lind're Himmel, unser Weh:
Laß herab dein Manna fallen —
Laß ihn fallen den weißen Schnee!

Starrer Frost stellt uns seit Wochen
Schon beim Bau die Arbeit ein —
Uns're Kraft, sie ist gebrochen,
Denn wir müssen müßig sein.

Sieh', dort hinter Spiegelscheiben
Freu'n auch Reiche sich schon lang
Auf der Flocken lust'ges Treiben,
Auf der Schlittenschelle Klang.

Ihren Tritten, ihren Wagen
Schaufeln dann die Bahn wir frei —
Und empor zu dir getragen,
Tönt der Armen Jubelschrei!

Doch geschlossen bleibt der Speicher,
Der uns gibt des Winters Brot,
Und es färbt stets bleich und bleicher
Unsere Kinder schon die Not. . .

Hör', wie uns're Klagen schallen,
Lind're Himmel, unser Weh:
Laß herab dein Manna fallen —
Laß ihn fallen den weißen Schnee!

Wohltätigkeits-Redoute

Also das ist die Redoute,
Die man gibt zum Wohl der Armen —
Blickt man um im weiten Saale,
Ist's auch wirklich zum Erbarmen!

Frohsinn, ach, das sieht man deutlich,
Ist schon längst der Welt entschwunden —
Oder hat ein Volk von Schatten
Hier zusammen sich gefunden?

Freilich tönt von Strauß ein Walzer,
Doch er geht nicht in die Füße;
Masken gibt es, reich geputzte,
Aber keine Maskengrüße.

Arm in Arm mit langen Mienen
Geh'n dahin die Herrenpaare,
Steif gestülpt die steifen Hüte
Auf die wohlfrisierten Haare.

Und sie halten, scheu mißtrauend,
Fern sich den verlarvten Schönen,
Die zuletzt in ödem Rundgang
Sich an Einsamkeit gewöhnen.

Stumpfen Blicks aus off'nen Logen
Schauen längst verblühte Weiber,
Blumenwälder in den Haaren,
Halb entblößt die welken Leiber.

Ehemänner und Lakeien
Schläfrig in den Ecken lehnen —
Durch die hellen, bunten Räume
Geht es wie ein großes Gähnen.

Für den Leiermann

Schmäht doch nicht den Leierkasten,
Den die Hand der Armut spielt —
Zieht die eu're von den Tasten,
Die nach eitlem Beispiel gielt!

Jene Töne, die verletzen
Euer kunstgeübtes Ohr:
Freude bringen sie, Ergetzen
Rings um euch genug hervor.

Blickt nur nach den Kinderstuben,
Wie das kleine Völkchen springt!
Schaut die Mädchen und die Buben,
Wenn im Hof der Walzer klingt!

Eu'ren Mägden fröhlich taugen
Mag ein Tänzchen, dreist und schnell,
Selbst in der Matrone Augen
Leuchtet's wie Erinn'rung hell.

Schreiber legen weg die Feder,
In der Werkstatt wird es still —
Und so lauscht zuletzt ein Jeder,
Der da gerne lauschen will;

Jeder, der vom Zukunftsdröhnen
Eu'rer Opern noch nichts weiß —
Oder alten, schlichten Tönen
Selbst im Mißklang gibt den Preis.

Virtuosen und Consorten,
Haltet euch die Ohren zu:
Aber nicht mit schnöden Worten
Herrscht den Leiermann zur Ruh!

Die Gemälde

In einer Villa Zimmer —
Ich schlief darin als Gast —
Fiel der helle Morgenschimmer
Auf gold'ner Rahmen Glast.

Ringsum, an allen Wänden,
War Bild an Bild gereiht,
Gemalt von Künstlerhänden
Aus kaum vergang'ner Zeit.

Da gab es die Historie,
Das Genre auch dabei;
Veduten in Sonnenglorie,
Stilleben mancherlei.

Fruchtstücke, Blumengarben —
Bis zum Gemüseblatt;
O Himmel, welche Farben!
So bunt und doch so matt!

Und diese Frauenköpfe,
Wie schwächlich ideal —
Die Helden, welche Tröpfe,
Selbst in des Sterbens Qual!

Und dann die Alltagsszenen,
Rührselig, weich und breit,
Und ohne Mark und Sehnen
Die Bauern im Sonntagskleid!

Und doch — die kleinen Geister,
Die all das Zeug gemalt,
Sie galten einst als Meister
Und wurden gut bezahlt.

Und hatten, wohl erwogen,
Talent auch nebenbei:
Vom Zeitgeschmack verzogen,
Ward keiner groß und frei.

Wer wohl zu ew'ger Dauer
Jetzt noch den Aufschwung nimmt? —
Zum Spotte nicht, zur Trauer
Ward ich zuletzt gestimmt.

Enkelkinder

Ja, sie hat es jetzt gut, die Jugend!
Früh schon ebnet man ihr den Pfad,
Der sie kann führen zu Ehr' und Gewinn.
Alle Quellen des Wissens erschließt man
Ihrem begehrlich neugierigen Geist,
Und entdecken mit forschender Liebe
Eltern am Kinde nur irgend ein kleines,
Noch so unscheinbares Talentchen,
Wird es mit Stolz auch gehegt und gepflegt.
Hohe Schulen und Akademien
Fassen kaum noch die Zahl der Jünger;
Ehrenpreise und Reisestipendien
Führen nach allen Stätten der Kunst,
Wo die werdenden Raffaele,
Buonarottis und Winckelmanns,
Männlich und weiblich in Scharen wandeln,
Malend, knetend und Bücher schreibend.

Lieber Himmel, zu meinen Zeiten,
Ach, wie war da noch Alles ganz anders!
Fibel, Bibel und Einmaleins
Nahm man als Durchschnitt des menschlichen Wissens;
Etwas Latein, ein wenig Griechisch —
Nun, das war für die Auserwählten,
Und im übrigen galt die Weisheit:
Schuster, bleibe bei deinen Leisten,
Weile im Lande und nähre dich redlich!
Ließ Einer dennoch Höheres merken,
Schüttelten Vettern und Basen die Köpfe,
Und bestand er auf seinem Sinn,
Stimmten sie an ein Rabengekrächze,
Sprachen so etwas von Narren und Lumpen;
Mutter weinte — indeß der Vater
Gleich bereit war mit seinem Fluch.

Was für die Menschheit das Bess're gewesen,
Wird dereinst die Zukunft erweisen,
Doch zum Heile der Künstler, vermein' ich,
Wurde bis jetzt nicht viel gewonnen:
Immer noch gilt es, sich durchzuschlagen;
Damals bestand die Welt aus Philistern,
Heute besteht sie aus lauter "Ästheten".

Neue Kunst

In geheimnisvoll
Umzirkten Zaubergärten
Blüht jetzt die Kunst.
Dort, im ewigem Sonnenlicht,
Schattenlos überwipfelt,
Hauchen den schweren Duft,
Leuchten in durchsichtiger Irispracht
Weitkelchige Liliacen und Tulipanen.
Falter, breitflüglig,
Stahlblau und flammenrot,
Umschweben sie,
Und auf des Rasens Smaragd,
Schwer lastenden Silbergefieders,
Schreiten weiße Pfauen.

Traumhaft
In zarter, schimmernder Gliederhoheit,
Das Haupt bekränzt mit Blumensternen,
Wandelt ein Menschenpaar.
Sanft an einander geschmiegt,
Wandelt es auf verschlungener Pfade Windungen
Höher, immer höher hinan —
Bis zum porphyr'nen Säulenhalbrund,
Das in des Himmels Azur ragt.
Rubine blitzen, Saphire und Opale
An den goldenen Kapitälen
Und an den goldenen Sockeln.
Auf hundertstufiger,
Weit ausgebuchteter Onyxterasse
Thront die Sphinx.
Mit marmor'ner Brust,
Doch den geschmeidigen Löwenleib
In jeder Faser glutdurchzittert,
Thront sie,
Großäugig ins Unendliche blickend,
Über den Rätselabgrund der Schönheit.