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II.
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Die Nonnen
Das tote Haus
Das Judenweib
Kontraste
Die Entarteten
Nachtbild

Die Nonnen


Bescheid'nes Klopfen ließ zur Tür mich gehn,
Zwei dunkle Nonnen sah ich draußen stehn.

Die Eine voll und rund, doch schon bei Jahren
Die in dem müden Antlitz sichtbar waren.

Die And're hoch und schlank, ein junges Reh,
In tief gesenkten Blicke scheues Weh.

"Schulschwestern sind wir. Für die armen Waisen!
Im Namen Gottes, den wir alle preisen!"

Die Ält're hielt die Sammelbüchse hin,
Im Täschchen kramt' ich mit verwirrtem Sinn.

Vom Reiz der Jungen war ich ganz befangen,
Indeß ihr selbst das Blut stieg in die Wangen.

Gegeben hatt' ich endlich meinen Zoll,
Die Schwestern gingen wieder demutsvoll.

"Der Himmel lohn's!" Die Eine sprach es sachte,
Die And're schwieg — ich weiß nicht, was sie dachte.

Das tote Haus
1879

Zu Wien auf belebtem Platze,
Da steht ein altes Haus,
Das nimmt sich zwischen den andern
Gar seltsam verlassen aus.

Das Wappen über der Einfahrt
Die römischen Schlüssel zeigt;
Der Flur, die Treppen, die Gänge —
Alles dämmert und schweigt.

Nur um die Mittagsstunde
Schüttert es unter dem Tor,
Es fährt mit dunklen Rossen
Ein dunkler Wagen hervor.

Betreßt Lakai uns Kutscher,
Abbilder stummer Pflicht —
Und tief gedrückt in der Ecke
Ein Monsignore-Gesicht.

Am stillsten wird im Sommer
Das Haus der Nuntiatur —
Ein alter Portier an der Pforte
Ist ihre alte Spur.

Beseitigt hat er den Staatsrock
Und den dreispitzigen Hut,
Sein Leib, der gebrechliche, hag're,
In einem Sessel ruht.

Er blickt in das sonnige Leben —
Und doch, er gewahrt es nicht;
Ein leises Lippengemurmel
Bewegt sein Angesicht.

Vielleicht träumt er vom Himmel,
Vielleicht vom Höllenpfuhl —
Mir aber ist, als säh ich
Sankt Peter auf seinem Stuhl.

Das Judenweib

Dort, in dicht belebter Gasse,
Steht ein armes Judenweib;
Scharf geschnitten ist das blasse
Antlitz und verschrumpft ihr Leib.

Still an eines Hauses Ecke,
Hemmend nicht der Menschen Gang,
Bietet sie auf dieser Strecke
Waren aus oft tagelang:

Feuerzeug, Zigarrenspitzen,
Achselbänder, bunt gewirkt,
Kleine Büchlein für Notizen —
Und was sonst ihr Korb noch birgt.

Wirft auch im Vorübereilen
Mancher einen Blick darauf,
Will doch niemand sich verweilen,
Und so wird verschmäht der Kauf.

Dennoch bleibt sie unverdrossen;
Nicht vom Mißerfolg gekränkt,
Steht sie, halb das Aug' geschlossen,
Wie in einem Traum versenkt.

Ja, sie träumt von sieben Kindern
In der Jugend Morgenrot,
Die ihr jeden Kummer lindern
Seit des Gatten frühen Tod.

Ward doch zwei'n von ihren Söhnen
Stellung schon im Bankgeschäft —
Sie doch darf sich nicht verwöhnen,
Ob sie hier auch selbst sich äfft.

Was die Beiden freudig geben,
Den Geschwistern kommt's zu gut,
Die bereits nach Höh'rem streben —
Ehrgeiz liegt in ihrem Blut.

Von den Töchtern singt die Eine,
Und vom Blatt die Zweite spielt,
Während schon die Dritte, Kleine,
Nach den Bühnenbrettern schielt.

Und die beiden jüngsten Knaben!
Ach, begabt're fand man nie —
Wie sie stolz im Auge haben
Wissenschaft und Poesie!

Welche Zukunft für Alle!
Ob die Mutter darbt dabei,
Wie auch ihr das Los noch falle:
Offen ist die Bahn und frei!

Dort blickt vom Steinbalkone
Des Palastes, hoch und licht —
Ist der jüngste der Barone,
Denn von gleichem Stamme nicht?

Und die Opernheroine,
Die so teuer man erkauft,
Sang sie nicht als arme Trine
Einst zur Probe umgetauft?

Von des Geistes Macht getragen
Nahe zu des Herrschers Thron —
Der Minister dort im Wagen
Selbst ist eines Juden Sohn! —

So, das Auge halb geschlossen,
Aufrecht den verschrumpften Leib,
Unentwegt und unverdrossen,
Träumt das arme Judenweib.

Glückt es noch in später Stunde,
Das sie einen Handel macht,
Jauchzt sie auf im Herzengrunde —
Und nach Haus eilt sie zur Nacht.

Kontraste

Über der Stadt blaut sonnig der Himmel,
Brütet des Mittags sengende Glut,
Träger bewegt sich das Menschengewinnel,
Wen nicht die Not treibt, der feiert und ruht.

Still, ganz still sind die vornehmen Gassen,
Fast scheinen sie unbewohnt,
Alle Häuser verödet, verlassen,
Wo im Winter der Reichtum thront.

Dort vor jenem erneut man das Pflaster,
Nützend des Sommers günstige Zeit;
Schweigend schau'n die stolzen Pilaster
Auf das Getriebe der Emsigkeit.

Dumpf erklingen die schweren Hauen,
Knirschend gräbt sich die Schaufel ein;
Von den Stirnen der Männer tauen
Tropfen der Arbeit und ihrer Pein.

Jetzt doch aus den schwieligen Händen
Legen das wuchtige Werkzeug sie hin,
Gönnen Rast den erschöpften Lenden,
Rüsten zum Mahl sich mit dumpfem Sinn.

Essen von knorriger Faust den Bissen,
Holen den Trunk sich vom nächsten Ort;
Kauernd auf Steinen, dem Boden entrissen,
Lagert die Gruppe mit spärlichem Wort.

Lehnend die Häupter an kantige Pfühle,
Schlummern endlich die Müden ein; —
Tiefer senkt sich die drückende Schwüle,
Nieder glänzt der Sonnenschein. . . . .

Horch! Was hat sich plötzlich erhoben?
Frauenstimmen mit hellstem Klang!
In der Opernschule da droben
Übt man schwellenden Chorgesang.

Es ist Schillers Lied an die Freude,
Wie es Beethoven in Töne gebracht;
Herrlich durchwogt es das hohe Gebäude,
Dringt durch die Fenster mit steigender Macht.

"Seid umschlungen Millionen!"
Bricht es in feurigem Einklang  hervor; —
Mögen es hören, die ringsum wohnen,
Nimmer berührt es der Schläfer Ohr.

"Alle Menschen werden Brüder!"
Schmelzend erklingt es jetzt und leis; —
Heut' ist Probe — und morgen wieder,
Bis der Applaus uns belohnt und der Preis!

Oben ein Schwelgen in Hochgefühlen,
Rostigste Träume der Kunst und des Ruhms —
Unten aber, auf kantigen Pfühlen,
Schwerstes Atmen des Menschentums.

Die Entarteten

Ruhlos wandeln sie auf Erden,
Schon als Embryos belastet,
Und in Purpur und in Lumpen
Tragen ihres Daseins Fluch sie.

Tragen ihn erhob'nem Hauptes,
Trotzig auf ihr Wesen pochend —
Oder scheu dem Licht entflohen,
Angstvoll vor sich selbst erschauernd.

Schon als Kinder stehn sie abseits
Von den frohen Mitgebor'nen,
Die der Unschuld Spiele spielen
Und nach bunten Faltern jagen.

Früh' in ihrem jungen Busen
Regen sich geheime Lüste,
Regen sich geheime Schmerzen —
Und im Hirn Gedankenfrevel.

Und es quält sie das Gewissen,
Eh' sie wirklich noch gesündigt —
Aber plötzlich, unerwartet,
Kommt der Offenbarung Stunde!

Und dann weiter, immer weiter,
Ohne Gnade, oh'n Erbarmen,
Ob sie drohen und vernichten,
Ob sie dulden und verzagen;

Immer weiter, bis im Siechbett
Oder in des Wahnsinns Krallen —
Bis sie unterm Beil des Henkers,
Oder durch sich selber enden. . . . .

Ruhlos wandeln sie auf Erden,
Schon als Embryos belastet,
Und in Purpur und in Lumpen
Tragen ihres Daseins Fluch sie.

Nachtbild

Seht ihr den Mann dort gehen,
Ihn schützt kein Dach, kein Haus;
An stillen Straßenecken
Legt seinen Kram er aus.

Er stellt die trüben Flaschen
Aufs Pflaster neben sich
Und fügt dazu die Brote,
So meint er, säuberlich.

Von Zeit zu Zeit erwärmt er
Die Hände — es ist kalt —
An einem kleinen Kessel,
Darin es kocht und wallt.

Und bald auch kommt's gegangen
Mit schwerem Schritt heran,
Die Frost und Hunger spüren,
Sie kommen Mann auf Mann.

Sie kommen, die die Gassen
Von Kot und Schnee befrei'n
Und ihre hag'ren Arme
Verfehmtem Werke leih'n.

Es schleicht mit scheuen Tritten
Das Laster auch herbei,
Der Jammer und die Schande —
Gestalten mancherlei.

Habt Acht, ihr lieben Leute,
Hier ißt und trinkt die Not;
Das Brot, das sie hier brechen,
Macht nicht die Wangen rot.

Der Wein, den sie genießen,
Das ist ein böser Geist,
Der längst als Geist des Grolles
In wüsten Hirnen kreist.

Und unter eklen Speise
Die Kohle, die da glüht:
Sie ist des Hasses Funke,
Der schon die Welt durchsprüht!