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III.
Meiner Mutter

 

Beim Anblick eines Kindes
Mein Glaube
Der kranken Mutter
Mein Lieblingsplätzchen
Die ersten Blumen
Nähe
Zum Sterbetage
Einst und jetzt

 

Beim Anblick eines Kindes


Daß ich dir oft ins Auge sehen
    Und immer wieder sehen muß,
Mein Kind, du kannst ihn nicht verstehen,
    Den wehmutsvollen, stummen Gruß.
So sieht man oft nach einem Sterne
In mitternächtig dunkler Ferne,
    Und es durchzittert das Gemüt;
So sucht man nach der Wunderblume
In Waldes stillem Heiligtume,
    Die einsam und verborgen blüht.

Mir ist, als klängen heil'ge Töne
    Bezaubernd an mein lauschend Ohr;
Als stiege in verklärter Schöne
    Die Kindheit aus dem Grab hervor,
Da in verrauschter Dämmerstunde
Ich hing an meiner Mutter Munde,
    Bis sie mir schloß das Auge zu;
Da goldne Locken, weich und lind,
Noch um mein Haupt geflossen sind
    Und ich so selig war wie du.

Ihr träumt von Paradieseswonnen,
    Wann sich der Mund auf ewig schließt,
Und ahnt nicht, daß schon längs zerronnen
    Das Glück des Paradieses ist.
Das ist's, was mein Gemüt durchzittert,
O Kind, wenn ich so weltverbittert
    Dir sende meiner Augen Gruß;
Doch du, du kannst es nicht verstehen,
Daß ich dir oft ins Auge sehen
    Und immer wieder sehen muß.

Mein Glaube

Ich muß so oft im sturmbewegten Leben
    Mit stiller Wehmut denken an die Zeit,
Da ich, ein Kind, dem Glauben noch ergeben,
    Zum Beichtstuhl trat in meinem schönsten Kleid,
Die Brust erfüllt mit glühendem Verlangen
Und doch mit eignem, nie gefühltem Bangen.

Und als gesprochen war des Priesters Segen
    Und ich, ein Engel, aus dem Stuhle schritt,
Da war es mir, ich wandelte auf Wegen,
    Wo Lilien sproßten unter meinem Tritt.
Und jauchzend, wie von erster Liebe trunken,
Bin ich dir, Mutter, in den Arm gesunken.

Du aber sahst mir bange in die Augen
    Und hauchtest Kuß an Kuß auf meinen Mund,
Als wolltest du den Himmel aus ihm saugen;
    Es war der schönste, weihevollste Bund.
Mein Kind! riefst du, und eine Welt voll Sorgen
Lag in dem Ton geheimnisvoll verborgen.

Es haben sich seit diesem goldnen Tage
    Die Bäume oft entblättert und belaubt,
Doch mich umtönt's wie langverklunge Sage
    Aus fernen Zeiten, daß ich einst geglaubt.
Und jetzt erst kann ich auch dein banges Flehen,
Lieb Mütterlein, von dazumal verstehen.

Und doch, ich darf auch in des Mannes rauhen
    Und ernsten Stunden fest und ungescheut,
O Mütterlein, dir in das Antlitz schauen,
    Wie in des Kindes unschuldvoller Zeit.
Noch kann ich hoffen, und ich kann noch lieben,
Und auch der Glaube ist mir noch geblieben.

Ich glaub' an dich, ich glaube an die Liebe,
    Die Kind und Mutter aneinander hält,
Den süßesten und seligsten der Triebe
    In dieser kalten, liebeleeren Welt.
Und dieser Glaube soll mich aufwärts heben
Und halten rings im sturmbewegten Leben.

Der kranken Mutter

Es rauscht um mich die grüne Erde,
    Die schwanken Wipfel sehn herein
Und flüstern, daß ich glücklich werde,
    Schmückt ja doch Frühling Flur und Hain.
Die warmen Lüfte wandeln wieder
In mein Gemach, und tausend Lieder
    Ertönen rings von Busch und Strauch;
Schon duftet Röslein in dem Garten
Und mahnt: Du sollst mich liebend warten,
    Ich bin so glücklich, sei es auch!

Ich kann, o Frühling, dir nicht sagen,
    Wie du mir lieb und teuer bist,
Nicht weil die Dornen Rosen tragen
    Und weil es singt und grünt und sprießt;
Nicht weil der Himmel blaut und Sonne
Herniederlacht in goldner Wonne:
    Nein, weil du mir das Liebste gabst
Und Mütterchen, das arme, kranke,
Mit deines Hauches Balsamtranke
    So wunderbar erquickst und labst.

Es war mir schon, als würden nimmer
    Die weißen Blüten dich umwehn,
Als sollte ich im Maienschimmer
    Hinaus zu deinem Grabe gehen,
Auf dem sich Blatt und Blume schaukeln
Und bunte Schmetterlinge gaukeln,
    Ein Bild des Lebens und der Lust;
Nun aber könn't ich jauchzend springen
Und in die Welt, die weite, singen:
    Sie lebt! O kommt an ihre Brust!

Und küßt das Antlitz ihr, das bleiche,
    Es ist so lieb, so gut, so traut.
O, wer nur einmal in das weiche,
    Tiefklare Auge dir geschaut,
Der fühlt, wie sehr mit deinem Scheiden
Einbricht die schönste aller Freuden,
    Die uns so karg die Erde gibt;
O Frühlingslicht, o Frühlingsleben!
Hat's je ein Mütterchen gegeben,
    Das so, wie ich, ein Kind geliebt?

Mein Lieblingsplätzchen

Es ist ein brauner Hügel nur,
    Drauf manch Blümlein sprießt;
Der rote Marmor sagt dir an,
    Was Liebes er verschließt.

Und wenn um mich die kleine Welt
    Der Bienen summt und schwirrt
Und über mir in blauer Luft
    Die Lerche sich verirrt;

Wenn Blumen nicken um das Haupt
    Des Engels* sanft verklärt,
Ist mir, o gutes Mütterchen,
    Ich stünd' an deinem Herd.

Mir wird so heilig ruhevoll,
    Ich kann nicht von dir gehn,
Und deine Grüße sind es auch,
    Die mir Zypressen wehn.

Es war ein wundervoller Trost,
    Den mir die Gute gab:
Wenn dich das Leben härmt und drückt,
    So komm' zu meinem Grab!

Ich küßte dir die Worte weg,
    Nicht ahnend, was du sprachst;
An deinem Hügel fühl' ich erst,
    Wie treu du mich bewachst.

Du warst ja stets, o Mütterlein,
    So herzensgut zu mir
Und bist es auch im Grabe noch:
    Ich danke dir dafür.

*Gemeint ist die Engelstatue auf dem Grabe der
Mutter im Friedhofe zu Kremsmünster.


Die ersten Blumen

Die ersten Blumen, die zum Kranz
    Der holde Lenz mir gab,
O legt in ihrem Duft und Glanz
    Sie auf der Mutter Grab!

O Frühlingszeit, o Frühlingszeit!
    Wie hehr bist du und schön!
Die Vöglein singen weit und breit,
    Schon grünen Tal und Höh'n.

Und alles jauchzt und alles springt,
    Nur mir das Herz zerbricht:
Der Frühling, der so vieles bringt,
    Die Mutter bringt er nicht.

Nähe

Nicht unter Gras und Blumen,
    Mir ist, du wärst bei mir
Und hieltest meine Hände,
    Wie damals, als ich dir
Mit unschuldvollen Augen
    Gestand die erste Schuld
Und du mich leise mahntest
    Voll mütterlicher Huld.

Und diese Tage wandeln
    So oft zu mir herein
Und zeigen die Verklärte
    In Traumes Dämmerschein;
Dann schließe ich die Augen
    Wie unwillkürlich zu:
Mir ist, ich höre flüstern . . .
    Bist du es, Mutter, du? —

Zum Sterbetage

Viermal sind auf deinem Hügel
Schon die Blumen aufgesprossen,
Seit du deine lieben Augen
Ach, für immer hast geschlossen;
Dennoch immer dunkler legen
Sich die Schatten um die Seele —
Bist es du, geliebte Mutter,
Daß ich Armer so mich quäle?
Möchtest du die warmen Hände
Einmal noch ums Haupt mir legen
Und ein Liebeswort mir flüstern,
Daß ich fühle deinen Segen!
Doch allein und unverstanden
Wandeln seines Lebens Bahnen —
Muß es nicht mit ew'gem Schmerze
An die Tote da mich mahnen?

Einst und jetzt

Wie der Falter über Blumen weilet
Und die Quelle über Kiesel setzt,
Blumen schelmisch bald die Augen netzt
Und dann munter wieder vorwärts eilet:

So verträumt' ich, in die Zukunft schauend,
Meine Jugend in dem Heimattal,
Bei der Abendsonne mildem Strahl
Goldne Schlösser in die Lüfte bauend;

Jetzt mit hellauf jauchzenden Genossen
Über Bäche springend, dann zum Kranz
Blumen windend, die im blauen Glanz
An dem Saum des Wiesenbachs entsprossen.

Ihr gehörten sie, zu der ich eilte,
Wann der Abend dunkelwangig kam
Und die Blüten sie entgegennahm,
Während lieb ihr Auge auf mir weilte.

So von treuem Mutterblick beschirmet,
In den Armen schwellender Natur,
Wo umsäumt von Wald und Wiesenflur
Sich die hohe Alpenmauer türmet;

Auf dem Hügel jene heil'ge Stätte,
Und in ihr die Mönche fromm und gut,
Wuchs ich auf in jugendfrischem Mut,
Faltend noch die Hände zum Gebete.

Und wie träumend ich sie jetzt noch falte,
Wann der Abend von den Bergen sinkt
Und der stillste aller Gärten winkt,
Wo ich Zwiesprach mit den Toten halte.

Mütterchen, wie warest du so munter,
Ob auch Sturm an Sturm dein Herz zerbrach;
Bunt Geranien und Rosen, ach!
Bringen meinen Gruß dir jetzt hinunter.

Von der Mutter wandle ich dann schweigend
Zwischen Gräbern epheuüberrankt,
Bleibe stehen, wo der Flieder wankt,
Über weißen Marmorstein sich neigend.

Und mir ist, als reichten die Genossen
Mir die Hand zu traulichem Willkomm,
Lausche jetzt dem liederreichen Strom,
Der dem Mund des Kinderfreunds entflossen;

Und dann wieder tragen mich die Träume
Zu dem Mädchen, das in Gartens Flur
Mir oft lächelnd durch die Haare fuhr,
Still vernehmend meine Kinderreime.

Tief und tiefer senkt indes die Flügel
Schon der Abend; von den Zweigen schlägt
Noch der Buchfink, und die Dämm'rung legt
Sich wie schlummernd über Kreuz und Hügel.

Doch mir ist, als ob in Grabeshülle
So ein Schlaf, von allen Sorgen frei,
Nicht das schlimmste aller Übel sei,
Und ich scheide mit dem Trostgefühle:

Daß ich lächle über all den Flitter:
Rang und Reichtum und der Jugend Macht;
Abend ist es, und die ganze Pracht
Pocht schon morgen an das Totengitter.