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Wilde Rosen 3
 


101.

Ich weiß nicht ob ihr Liebesleut' es wißt,
Daß Lieb' eine Traumdeuterin ist?

— Ich ging hinaus in's Gartenland,
Ein Baum wie schlummernd vor mir stand,
Ich sah den Baum, der Blüten trieb,
Und dachte mir: "Der träumt von Lieb',
Denn wenn der Baum von Liebe träumt,
Mit Blüten sich sein Antlitz säumt,
Und geht die Liebe glücklich aus,
Wird eine süße Frucht daraus,
Und wenn die Lieb' hat traurig End',
Die Blüte sich zur Erde wend't,
Und hängt nur matt am Zweiges - Saum!"
So deute ich des Baumes Traum!

Ich ging einst hin durch Berg und Tal,
Da rann ein Silber-Bächlein schmal,
Es murmelte, halb hörbar kaum,
Ich merkte schnell, es sprach im Traum,
Und deutete: "Der Bach
Im Traume nur von Liebe sprach,
Er sehnet sich hinaus auf's Land,
Wo Blumen stehen, liebentbrannt,
Und kleine Wellchen, zart und kraus,
Schickt er als Liebesbriefchen aus,
Geschrieben mit dem Silberschaum!" —
So deute ich des Baches Traum!

Ging wieder einst in Nacht hinein,
Und sah den Mond mit blassem Schein,
Und seinen Hof, wie Gold so blaß,
Und deutete: "Sein Traum ist das,
Er träumt von ihr, die ihn verließ,
Von Sonne, die ihn scheiden hieß,
Der Hof ist nur der Wiederstrahl
Von Mondes bleicher Sehnsuchtsqual,
Der träumend schifft durch Himmelsraum! —
So deute ich des Mondes Traum.

102.

Ein Wort hab' ich verloren,
Das sie zu mir gesprochen,
Ich denke und ich sinne,
Ich such' es Tag' und Wochen.

Es war ein Wort, ein kleines,
Noch tönt's in meinem Innern;
Doch wie das Wort geheißen?
Ich kann mich nicht erinnern!

Es klang so herzverlockend,
Es klang so süß, so leise,
Wie Engelgruß am Abend.
Wie Flötenspiel und Weise.

Es klang so einzig lieblich,
So eingehüllt in Demut,
Es füllte mich mit Rührung,
Es füllte mich mit Wehmut.

Das Wort hab' ich verloren!
Ich will die Holde fragen,
Ob sie mir dieses Wörtchen
"Gewiß!" wird wieder sagen?!

103.

Schicksal soll es sein und Fatum,
Ob man glücklich oder nicht,
Sternenschrift mit Himmelsdatum
Uns'res Lebens Inhalt spricht;

Laß' mich in den Sternen lesen,
Heb' Dein Aug', Du Himmel mein!
Etwas muß in meinem Wesen
Von einem Sternendeuter sein.

Laß' das Horoskop mich stellen,
Du gehst mir als "Venus" auf,
Und zu Deiner Bahn gesellen
And're Sterne ihren Lauf;

Günstig stehen alle Zeichen!
Meine "Venus" leuchtet mild,
Und die "Leier" gar nicht ferne,
Das bin ich im Sternenbild!

104.

Im Herzen steht mir eine Blum',
Sie sieht so aus wie Du;
Sie strebt bei Tag, sie strebt bei Nacht
Der Schwesterblume zu!

Die Blume in dem Herzen d'rin,
Die hat mir's angetan;
Es schlummert in der Blume d'rin
Ein eig'ner Zauberbann!

Wenn sie von ferne Dich erblickt,
So zieht sie mich zu Dir,
Und wenn sie Dich zwei Tag' nicht sieht,
So ruft sie: Komm' zu ihr!

Und wenn Du einmal an mich denkst,
Die Blume weiß es gleich;
Da strömt sie aus besondern Schein,
Und macht das Herz so reich!

Und wenn Du meiner gar nicht denkst,
Weiß es die Blum' im Nu;
Da senkt sie still das schöne Haupt
Und schließt die Blätter zu!

O ferne, holde Blume Du,
Wann wird dies Herz belohnt,
In dem so treu und liebend
Dir eine Schwester wohnt?

105.

Die hohle Hand!
Legst Du auf's Auge sie, das in bittern Tränen stand,
Umhüllt ein großes salzig Meer, doch ohne Sand,
Die hohle Hand!

Die hohle Hand!
Legst Du auf's Herz sie, das sich in Schmerzen wand,
Bedecket einen Ätna, eine Welt in Brand
Die hohle Hand!

Die hohle Hand!
Stützt Du auf sie der Stirne heißen Fieberrand,
Umschließt die Grenze zwischen Irrsinn und Verstand
Die hohle Hand!

Die hohle Hand!
Legst Du die beiden hohlen Hände ineinand,
Gesaltet, zum Gebet, dann umfaßt das bess're Land
Die hohle Hand!

106.

Ich lieb' die Rose, wenn sie frisch
Gesprengt das grüne Mieder,
Und Niemand sagt und Niemand fragt:
Liebt Dich die Rose wieder?

Ich lieb' den Stern, ich seh' nach ihm,
Ich sehne ihn hernieder,
Und Niemand sagt und Niemand fragt:
Liebt Dich der Stern denn wieder?

Ich lieb' den Frühling, wenn er geht
Durch Blumen, Laub und Flieder,
Und Niemand sagt und Niemand fragt:
Liebt Dich der Frühling wieder?

Die "wilde Rose" liebe ich,
Ich sing' ihr tausend Lieder,
Und frage auch mich selber nicht:
Liebt Dich die Rose wieder?

107.

Dichterherzen sind wie Bäume,
Schmachtend, durstend, stets begehrlich,
Treiben spät noch frische Keime,
Haben neuen Frühling jährlich.
Dichterherzen sind wie Bäume,
Haben viele, lange Arme,
Strecken sie in alle Räume,
Nach dem lieben Herzensschwarme;
Dichterherzen sind wie Bäume,
K e r n  im Grunde, Haupt im Lichte,
B l a t t  und B l ü t e n  seine T r ä u m e,
Und  G e d a n k e n  seine  F r ü c h t e!

108.

Der Rose wollt' ich erzählen mein Lieb und mein Leid,
Der sangs die Nachtigall schon längere Zeit:
Dem Wald wollt' ich klagen mein Leid nun vor,
Dem lispelt's die Weide längst schon in's Ohr;
Der Flur wollt' ich sagen, was Liebe vermag,
Ihr murmelt's der Bach bei Nacht und bei Tag;
Dem See wollt' ich singen von Lust und von Qual,
Ihm seufzt es das Schilf beständig zumal;
Dem eigenen Herzen vertraut' ich's sodann,
So innig wie dieses hört Niemand mich an!

109.

Blumen blühen, wachsen, sprießen
Aus der freien Sonnenflur,
Wie sie öffnen sich und schließen,
Werden sie zur "Blumenuhr."

Meine Blumenuhr hienieden
Ist ihr Herz nur ganz allein,
Was für Stunde mir beschieden,
Zeiget diese Uhr, so klein.

Wenn es offen mich begrüßet,
Zeigt's die schönste Stunde hier,
Wenn's die Blätter grausam schließet,
Schlägt die letzte Stunde mir!

110.

Wenn ein Mädchen noch so heimlich
In dem Busen trägt ein Veilchen,
Es verrät sich doch den Leuten,
Wie es aushaucht duft'ge Teilchen.

Solch ein Veilchen ist die Liebe,
Tief versteckt in Busens Sehnen,
Sie verrät sich doch den Leuten,
Weil sie ausströmt stille Tränen.

Solch ein Veilchen ist die Wehmut,
Tief versteckt im Sänger-Herzen,
Sie verrät sich doch den Leuten,
Weil sie austönt ew'ge Schmerzen!

111.

Frühling kam, und wilde Rosen
Wandelten auf grünen Wegen,
Frühling kam, und wilde Rosen
Schossen fragend mir entgegen.

Neckten mich mit grünen Fingern,
Neckten mich mit roten Lippen,
Steckten wie die Wurzelmännchen
Ihren Kopf aus Strauch und Klippen.

Sah'n mich an mit klugen Augen,
Und begehrten Wort und Rede,
Und die Dörnchen alle zupften
Mich am Wege, wie zur Fehde: —

— "Hat in Deinen off'nen Busen
Sich kein Frühling denn ergossen?
Sind in Deinem Herzensgarten
Wilde Rosen nicht gesprossen?" —

— "Wilde Rosen, eurem Herzen
Kommt ein neuer Frühling immer,
Neuer Tau von Hespers Lippen,
Und vom Himmel neuer Schimmer;

Meinem Herzen kam ein Frühling
Ohne Tau und ohne Schimmer,
Darum bracht' er wilde Dornen,
Aber wilde Rosen nimmer!"

112.

Hold maskiert als Strauß von Blumen,
Und als Blätter voll Empfängnis!
Schickte Grüße sie und Worte
Sinnig mir in das Gefängnis.

Kaum die Türe wird verschlossen,
Demaskieren sich die Rosen,
Um als süße Haftgefährten
Mich zu trösten, mir zu kosen.

Und ein Brief wird jede Blume,
Jedes Blatt ein Grußes-Engel,
Und ein Antlitz, liebelächelnd,
Schaukelt sich aus schlankem Stengel.

Ja, so lange Rosen blühen,
Lieder schallen, Sterne brennen,
Düfte wallen, Blumen wandern,
Kann man Lieb' von Lieb' nicht trennen!

113.

Den Frühling sucht' ich in dem Garten,
Der Frühling war entflogen;
Die Nachtigall sucht' ich im Laube,
Sie war davon gezogen.

Die Blumen sucht' ich an dem Fenster,
Die Blumen sind verschwunden;
D'raus such' ich, Holde, Dich von ferne,
Ich hab' Dich nicht gefunden! —

D'raus sucht' ich in dem eig'nen Herzen,
Da fand ich Frühling wieder,
Da fand ich alle Nachtigallen,
Sie sangen Liebeslieder;

Da fand ich alle Blumen wieder
In Sehnsuchtsfarben blitzen,
Da fand ich Dich, o Teure, wieder
Im tiefsten Herzen sitzen!

114.

Unter sonnensatten Bäumen
Wandelt Mittags sie im Schatten,
Die in meinen schönsten Träumen
Wiederkehret ohn' Ermatten.

Durch die grünen Blätterdächer
Schlüpfen Strahlen ihr zu Liebe,
Doch es sagt ihr kleiner Fächer:
"All' umsonst, ihr losen Diebe!" —

Wie sie wandelt durch die Reihe,
Scheint das Dunkel mir der Bäume
Dunkel einer Tempelweihe;
Sie die Göttin dieser Räume;

Ich ein Priester ihres Dienstes,
Der zum Altar ist getreten,
Und mein Lied, mein allerkühnstes,
Wagt es bloß sie anzubeten!

115.

Es singt bei Nacht die Nachtigall
Ihr Liedchen stets das kleine;
— Was singst Du, wenn Dich Niemand hört? —
— — Ich sing' für mich alleine! —

Der Mond geht auf am Himmelszelt
Mit seinem milden Scheine;
— Was scheinst Du, wenn die Erde schläft? —
— — Ich schein' für mich alleine! —

Das Veilchen füllt mit süßem Duft
Den stillsten Ort im Haine;
— Was duftest Du, wo Niemand geht? —
— — Ich duft' für mich alleine! —

Das Bächlein rauscht manch' sinnig Wort
Am fernen Wiesenraine;
— Was rausch'st Du, wo Dir Niemand lauscht? —
— — Ich rausch' für mich alleine! —

Die Weide senkt das Trauerhaupt,
Es scheint, als ob sie weine;
— Was weinst Du, Weide, ungeseh'n? —
— — Ich wein' für mich alleine! —

Ich liebe still und hoffnungslos,
Ich lieb' ein Herz von Steine;
— Was liebst Du, Herz, ohn' Gegenlieb'? —
— — Ich lieb' für mich alleine! —

116.

Wenn ich manchmal hab' getrunken
Einen Becher Ungarwein,
Mußte stets der erste Tropfen
Auf ihr Wohl getrunken sein;

Jetzt trink' ich den Tränenbecher
Einsam still in meinem Haus,
Bring bei jedem bittern Tropfen
Weinend auch ihr Wohlsein aus.

117.

Gleich dem Ozean ist meine Liebe,
Unermeßlich voll, zum Überfließen,
Dennoch immer neue Liebesströme
Täglich, stündlich sich in sie ergießen.

Gleich dem Schoß der Erd' ist meine Liebe,
Selber lichtlos, ohne Hoffnungs - Regen,
Dennoch schickt sie ihrer Lebens-Sonne
Tausend Blumen duftgefüllt entgegen.

Gleich dem Himmelszelt ist meine Liebe,
Übervoll von Sternen, kaum zu ahnen,
Dennoch tauchen immer neue Flammen
In ihr auf, zu neuen Liebesbahnen.

Gleich dem Denkergeist ist meine Liebe,
In sich selber wesenlos versunken,
Dennoch aus dem eig'nen Kraftvermögen
Holt sie ewig junge Lichtesfunken.

Gleich der Liebsten selbst ist meine Liebe,
Schenket nie mir einen Blick der Gnade,
Dennoch lenken sich allein zu ihr nur
Meines Lebens, meiner Lieder Pfade.

118.

Ein Rosenblatt und eine Träne,
Die sanft dem Aug' entglitt,
Gab Gott der stummen Liebe
Und sagte: "sprecht damit!"

Da nahm die Rosenblätter
Für sich beglückte Lieb';
Der unbeglückten Liebe
Nichts als die Träne blieb.

D'rum spricht sie nur in Tränen,
Was sie so denkt und meint,
Drum hab' ich ganze Bücher
Im Stillen schon geweint!

119.

Liebesschmerzen sind wie Bienen,
Flattern summend um die Herzen,
Flattern, schweben, kommen wieder
Mit dem Stich voll heißer Schmerzen.

Während sie so stechend flattern
In des Herzens off'ne Zelle,
Legen sie den Liederhonig
In des Stachels Wundenstelle.

120.

Wenn ein Baum will nicht mehr blühen,
Wenn die Blätter von ihm scheiden,
Muß man in sein Mark ihm Wunden,
Wunden in das Herz ihm schneiden.

Und der Baum erwacht durch Wunden
Aus der Stumpfheit seiner Kräfte,
Und durch Schmerz ersteht er wieder
Zu dem blühenden Geschäfte.

Weil ich ohne alle Blüten
Stehe in des Lebens Mitte,
Schnitt das Schicksal in mein Leben
Tiefe Wunden, tiefe Schnitte.

Darum treiben meine Blüten
Aus dem Schmerz, dem namenlosen,
Und die Wunden sind die Beete
Aller meiner wilden Rosen!

121.

Herzen haben gutes Wetter,
Herzen haben böses Wetter,
Wolken, Sonnenschein und Regen,
Stürme, Blitze, Donnerwetter.

Herzen haben Schauer, Hagel,
Wolkenbrüche und so weiter,
Und mangnet'sche Kraft darinnen
Als bewährte Wetterleiter.

Herzen haben Wetterwinkel,
Wieg' und Kessel wilder Triebe,
Dieser böse Wetterwinkel
Ist: die Liebe, böse Liebe.

122.

Wo süß're Schauer mich überkamen,
Wenn vor ihr selbst ich lebend stehe,
Wenn ich ihr Bild im gold'nen Rahmen
So süß an Reizen vor mir sehe?

Wenn nach ihr selbst die Blicke schauen,
Die bittgefüllten, scheuverweg'nen,
Wird nie aus ihrem Aug', dem blauen,
Ein Blick den meinigen begegnen.

Doch süßer ist es mit dem Bilde;
Wohin ich auch den Schritt mag wenden,
So scheint's den Blick, wie Frühling milde,
Mir suchend freundlich nachzusenden.

D'rum hab' ich in des Sanges Golde,
Und in des Liedes gold'nen Rainen,
Als Bild gefaßt die einzig Holde,
Sie eingefaßt in fremden Namen.

Damit als Bild sie milder denke,
Damit als Bild sie freundlich schaue,
Wenn Lied um Lied ich stets verschränke,
Und einen Tempel ihr erbaue!

123.

Stern, von mir gewendet,
Hörst Du, was die Liebe spricht?
Licht, mir fort gesendet,
Siehst Du meine Träne nicht?
Blick, zu ihr erhoben,
Dringet nicht an Ort und Stell'!
Gruß, aus Lied gewoben,
Dringet nicht in ihre Zell'!
Wunsch, für sie gesprochen,
Machet ihr das Aug' nicht naß,
Herz, für sie gebrochen,
Ach, vielleicht erfährt sie das!

124.

Zu dem Hause, weit entlegen,
Vor dem Tore draußen, ferne,
Führt es mich von allen Wegen,
Führt es mich doch gar zu gerne!

Und mich treibt's, hinaus zu gehen,
Wenn ich sie auch nicht erblicke,
Wand're rastlos, bleibe stehen,
Gehe weiter, kehr' zurücke;

"Gute Nacht!" sag' ich dem Hause,
"Gute Nacht!" sag' ich den Gassen,
Wiederhol's nach einer Pause,
Kann vom Hause doch nicht lassen!

"Lebe wohl!" sag' ich dem Tore,
Das mir wie ihr Herz verschlossen,
"Lebe wohl!" sag' ich dem Flore,
Der ihr Fenster hält umflossen!

"Lebe wohl!" sag' ich bis Morgen,
"Gasse, Fenster, süße Liebe!"
Bis ich wiederum verborgen
Nachts darauf dasselbe übe!

125.

Sommertage ohne Sonne,
Sommernächte ohne Wärme,
Wonnemonat ohne Wonne,
Rosen ohne Bienenschwärme!

Ohne Rosen lichtumschlungen
Geht aus ihrem Zelt Aurore,
Ohne laue Dämmerungen
Kommt die stille Abendhore.

Blasse Tage, bleiche Nächte,
Nachts ein sternenloser Himmel,
Und im Laubdach ist verschwunden
Sonnenstäubchens bunt Getümmel!

Doch wem Dichtkunst ist gegeben
Und die Lieb' im Herzensgrunde,
Der hat Sonne all' sein Leben,
Der hat Sonne jede Stunde.

Alle seine Stunden lachen
Wie der See beim Morgenkusse,
Wie in einem Blumen-Nachen
Schifft er auf dem Lebensflusse.

Denn in seinem Herzensreiche
Geht die Sonne niemals nieder,
Selbst die Nacht, die schattenbleiche,
Bringt ihm seine Sonne wieder.

Will er Blumenkränze pflücken,
Greift er in den eig'nen Busen,
Wo sie pflegen und beschicken
Gärtnerinnen, holde Musen.

Will er hören Harmonien,
Lautenklänge, süße Klagen,
Ist die Harfe ihm verliehen,
Die der Hirtensohn geschlagen.

Was er will und was er möchte,
Macht ihm seine Gottheit möglich,
Sonnenstrahl durch seine Nächte,
Helle Sterne sieht er täglich!

Freud' und Trost ist ihm gegeben
Frei zum eigenen Bedarfe,
Für die Freud' des Liebchens Leben,
Für den Trost die gold'ne Harfe!

126.

Lautlos stand und taglang schweigend
Memnonssäule in der Wüste,
Bis die Sonne, aufwärts steigend,
Mit dem heißen Strahl sie grüßte.

Es beginnt das Erz zu tönen,
Aus der Säule flüstern Klänge,
Als ob fern ein Chor von Schwänen
Seine Abschiedslieder sänge!

Unbegreiflich, unbegriffen
Bleibt das Rätsel dieser Weisen,
Wenn sie durch den Äther schiffen,
Schwalben gleich, die südwärts reisen.

In der Wüste meiner Tage
Lag das Herz mir, stumm, verschlossen,
Ohne Laut für Lust und Klage,
Liederstill und sangverdrossen;

Plötzlich fiel ein Strahl hernieder
Mir in's Herz aus Augensonnen,
Und mein Herz hat Wort und Lieder
Wieder Tag und Nacht gewonnen!

Kommt und gehet seine Sonne,
Tönt das Herz aus was es leidet,
Wenn sie nahet: b i t t r e  Wonne,
S ü ß e  S c h m e r z e n, wenn sie scheidet!

127.

Ein Buch nahm ich zur Hand,
Das einst ich mit ihr las,
Im Buche lag ein Band,
Das sie darin vergaß.

Am Bande stieg nun schnell,
Im lichten Rosenflor,
Aus tiefstem Herzensquell
Erinnerung empor.

Es knüpfte an das Band
Ihr holdes Bild sich an;
In Locke, Haar, Gewand
Band ich das Band ihr dann.

Das Band, so seidenweich,
Das Band, so rosablaß,
Zeigt mir ihr Antlitz bleich,
Als es von Tränen naß!

Und aus dem Band, fürwahr,
Lockt Lieb' und Lied, zum Strauß,
Am End' ein Bändchen noch,
Von "wilden Rosen" aus!

128.

Diese Ketten soll ich brechen,
Diese Fesseln rasch zerreißen;
Meinen sie, die Niedurchglühten,
Die sich nur die Klugen heißen!

Kann der Baum sich los denn stricken
Aus des Lichtes gold'nen Ketten?
Kann die Sonnenblum' zerreißen
Sonnenstrahlen, sich zu retten?!

So kann nimmer sich zerreißen
Dieses Lächeln, dieses Blicken,
Diese süßen Zauberstrahlen,
Die mich sonnenhaft umstricken.

129.

Der Ameise gleich gesammelt
Hab' ich Vorrat sommerüber,
Denn es naht ein langer Winter,
Ein entsonnter, wolkentrüber!

Will den Winter still erwarten,
Ohne Klagen, ohne Jammern,
Denn ich habe süße Nahrung
In des Herzens Vorratskammern!

Hab' gesammelt, eingetragen,
Von früh Morgen bis spät Abend,
Aufbewahrt für künft'ge Tage
Herzensnahrung, süß und labend.

Und da liegt nun aufgespeichert
Reiche Kost und reiche Nahrung,
Hier des Lächelns Zauberblümchen,
Dort des Auges Offenbarung!

Hier des Angesichtes Blume,
Dort des Leibes Marmorschöne,
Hier der Stirne edle Wölbung,
Dort des Wortes weiche Töne.

Weil ich habe Frühlingsvorrat,
Also viel in Herz und Seele,
Blüh'n im Herbst mir wilde Rosen,
Singt im Herbst mir Philomele.

Wenn der Lenz wird wiederkehren
Mit der schönsten Blume mein,
Wird mein Herz um keinen Winter
Kälter oder älter sein!

130.

Wer Sonne sieht auf Baum gewiegt,
Den Strahl, der sich durch Blätter schmiegt,
Das Licht, das durch die Zweiglein rinnt,
Dabei nichts fühlt, dabei nicht findt
Wie Gott durch seine Schöpfung geht,
Der wird sein Lebtag kein Poet!

Wer Blumen sieht und lächelt nicht,
Wer mit den Blumen gar nicht spricht,
Wer Blumen sieht, mit Licht gestickt,
Und sich nicht schnell zu ihnen bückt,
Wer Blumen sieht, vorübergeht,
Der wird sein Lebtag kein Poet!

Wer singen hört und d'rauf nicht lauscht,
An wem Gesang vorüberrauscht,
Wem Liederklang zu Herz nicht dringt,
Wer Lieder hört und nicht mit singt,
Wer fühllos unter Sängern steht,
Der wird sein Lebtag kein Poet!

Wer weinen sieht und weint nicht mit,
Wer Tränen sah und Leid nicht litt,
Wer Augen sieht, von Tränen rot,
Und Weh nicht fühlt als wär's der Tod,
Wer fremde Tränen nicht versteht,
Der wird sein Lebtag kein Poet!

Wer Dich geseh'n, Du Sonnenblum',
Du Blumenstrahl, Du Liedertum!
Wer Dich geseh'n und Dich nicht liebt,
Nicht jetzund froh und jetzt betrübt,
Viel Lieder singt von Lieb' durchweht,
Der wird sein Lebtag kein Poet!

131.

Eine Stimme ging einst durch meine Brust,
Freudig in Lust;
Immer rief sie mir zu weich und süß:
"Leb' und genieß'!"

Bei den Blumen rief sie so lieblich und hell:
"Pflücke sie schnell!"
Bei den Schönen sprach die Stimme geschwind:
"Wagen gewinnt!"

Lang hab' ich die Stimme nicht mehr gehört,
Die mich betört:
Weil die Stimme, nun ward es mir klar,
"Jugend" nur war!

Jetzt hör' ich die Stimme schon wiederum;
Wißt ihr warum?
Weil Gott dem Herzen, das liebt,
J u g e n d  auch gibt!

132.

Die Nacht des Neujahrs ist gekommen,
Die zwölfte Stund' ist Scheidewand,
Darüber reichen beide Jahre
Wehmütig still sich ihre Hand.

Ich habe Dir im alten Jahre
Gesungen manches neue Lied,
Und singe Dir zum Jahr, dem neuen,
Wie alte Lieb mich zu Dir zieht!

Vor meinen innern Augen stehen:
Vergangenheit im Dämmerlicht,
Die Zukunft mit geschloss'nen Augen,
Und Gegenwart mit blassem Angesicht.

Ich küsse die verstummte Lippe
Der sterbenden Vergangenheit,
Und schaue in die feuchten Augen
Der Gegenwart noch kurze Zeit;

Der Zukunft aber streck' die Arme
Entgegen ich zu jeder Frist,
Weil nur in Dir und Deiner Liebe
All' meines Lebens Zukunft ist!

133.

Wenn die Erde bebt und zittert,
Geben Glocken davon Kunde,
Tönen aus geheime Töne,
Aber schlagen keine Stunde!

Wenn das Herz erbebt im Innern,
Tönt das Lied vom Sängermunde,
Tönet aus geheime Töne,
Aber nichts von Zeit und Stunde!

Denn das Lied ist nur ein Zeichen
Daß das Herz erbebt im Grunde;
Herzen haben keine Jahre,
Lieder haben keine Stunde!

134.

Viel Tausend schon haben von Liebe gesungen,
Viel Tausende singen sie noch,
Und Tausende werden von Liebe noch singen,
Sie bleibt unbesungen dennoch!

Viel tausend von Blumen verblühten,
Viel tausend blüh'n jetzt in der Luft,
Viel tausende werden noch blühen,
Ist deshalb verringert ihr Duft?

Viel tausend von Sternen erscheinen,
Viel tausend erscheinen zur Nacht,
Viel tausende werden noch kommen,
Ist deshalb verbleicht ihre Pracht?

Viel tausend sind Herzen gebrochen,
Viel tausend brechen noch heut';
Viel tausende werden noch brechen,
Das Herz liebt doch jeglicher Zeit!

135.

Vom Himmel fällt der Schnee herab,
Am Frühlingsstrahl zerrinnt er,
Vom Himmel fällt die Lieb' herab,
Und bleibt im Sommer und Winter.

Die Schwalbe baut am Dach ihr Nest,
Im Herbst zieht sie von hinnen,
Die Liebe baut in's Herz ihr Nest,
Um nie mehr zu entrinnen.

Der Spätherbst färbt die Blätter rot,
Sie fallen ab im Harme;
Mein Herzkuß färbt die Liebste rot,
Sie sinkt in meine Arme!

Ob Winter, Herbst, ob Sommer, Lenz,
Ob Kälte oder Hitze,
Das Weltall blüht, der Himmel lacht,
Wenn ich zur Seit' ihr sitze.

Die Stunden geh'n, die Wolken flieh'n,
Der Tag sinkt bald hinunter,
Doch wem in's Herz die Liebe scheint,
Dem geht der Tag nicht unter!

136.

Es wirft der Lenz sein grünes Tuch
Der Erde um die Glieder,
Und wer im Tuch die Erde sieht,
Der setzt zu ihr sich nieder.

Es wirft der Lenz sein Liederbuch
Aus Bäum' und Blumrabatte,
Da fliegen kleine Sänger her
Und singen frisch vom Blatte.

Es gießt der Lenz sein Duftflacon
In's Miederchen der Rose,
Das riecht, eh' noch der Tag beginnt,
Der Schmetterling, der lose.

Er steckt den Kranz, den Liebesstrauß
Der Schöpfung an den Busen;
Den stehlen ihr vom Busen weg
Die Dichter und die Musen.

Und würde jährlich zehn Mal Lenz
Und wenn es ewig Lenz auch bliebe,
Stets neuen Duft, stets neues Lied
Reicht er dem Sänger der Liebe!

137.

In den Kelch der dunklen Rose
Schau' ich sinnend manche Stunde;
Denn es wohnt ein sinnig Rätsel
In dem tiefen Zaubergrunde;

Schaut' mich an mit klugen Augen,
Daß ich sinne, daß ich denke,
Daß ich mich in sein Geheimnis
Ganz vertiefe, ganz versenke!

Ist's des Duftes, ist's der Würze
Süßbetäubend Zauberweben?
Ist's der rote Wein im Kelche?
Ist's der Rose traumhaft Leben?

Nein! Es ist der Geist der Liebe,
Der gebannt liegt in der Rose,
Der gefesselt aus dem Boden
Liegt, für's Herz, das liebelose!

Und er harrt mit stummen Blicken,
Und er fleht mit stummen Worten,
Daß man endlich ihn erlöse
Aus des Kelch's verschloss'nen Pforten;

Wenn die wahrhaft echte Liebe
Hat die Rose abgebrochen,
Wenn den hohen Rosensegen
Sängerwort dazu gesprochen;

Wenn vom Sängerlied begleitet
Sie der Liebsten wird geschickt,
Und der Liebsten schönes Auge
In den Kelch der Rose blickt;

Dann ist der Geist der Lieb' erlöset
Aus der Haft im Kelchesgrunde,
Und mit Segen und mit Heil'gung
Wird der Dritte er im Bunde.

138.

Die Lieb' ist heut' gesprächig
Und morgen ist sie stumm,
Nimmt heute Alles g'rade,
Nimmt morgen Alles krumm;
Doch frage nicht: Warum? warum?

Bei Tag ist Liebe Sternenschein,
Und Sonnenschein bei Nacht;
Des Morgens geht sie träumen,
Des Abends sie erwacht;
Doch frage nicht: Wieso? wieso?

Die Liebe lacht in Tränen,
Und weint, wenn sie voll Freud',
Ist weise, wenn sie närrisch,
Und dumm, wenn sie gescheit;
Doch frage nicht: Woher? woher?

Heut ist der Himmel dunkel,
Und morgen ist er hell;
Heut' ist die Blume duftig,
Und morgen welkt sie schnell;
Bei Märzenschnee, Aprilenluft,
Bei Frauengunst und Blumenduft,
Bei "Stelldichein" und "Sieh'-Dich-um,"
Da frag' kein Mensch: Warum? warum?!

139.

Wenn man etwas zärtlich liebt,
Tausend Namen man ihm gibt,
Und des Herzens Zärtlichkeit,
Hat stets neue noch bereit,
An Erfindung überreich
Find't sie süße Namen gleich.
So auch nennt dies Blümchen klein
Viele holde Namen sein,
Wenn es steht bald weiß, bald rot,
In des Frühlings Aufgebot,
"Tausendschön" wird es galant
Von gar Vielen wohl genannt.
And're sagen, wenn sie's seh'n:
"Seht so hold das 'Maßlieb' steh'n!"
Mancher, der das Blümchen preis't,
Wiederum es "Zeitlose" heißt.
Doch das Herz, das heilig liebt,
Ihm den frömmsten Namen gibt,
Wenn er's gepflückt von stiller Flur,
Nennt's "Marienblümchen" nur,
Weil man gerne hält,
Was dem Herzen wohlgefällt!
D'rum "Marienblümchen" sprich!
Auch ein kleines Wort für mich,
Sag', daß ich mich tief gebückt,
Als für sie ich dich gepflückt,
Wie am Ort, wo zum Gebet
Ein "Marien-Bildnis" steht.

140.

Liebe, wohnst Du in dem Blicke,
Liebe, wohnst im Lächeln Du?
Aus dem Blicke fliegt mir Liebe,
Aus dem Lächeln Liebe zu!

Liebe, wohnst Du in der Freude?
Liebe, wohnst Du in dem Leid?
Wenn sie fröhlich, wenn sie traurig,
Lieb' bleibt Lieb' zu jeder Zeit.

Liebe, wohnst Du in dem Schweigen?
Liebe, wohnst Du in dem Wort?
So beim Schweigen, so beim Sprechen,
Lieb' ist stets an ihrem Ort!

Liebe, wohnst Du im Verneinen?
Liebe, wohnst Du im Bejah'n?
Sie mag  w e h r e n  und  g e w ä h r e n,
Lieb' ist stets ihr Untertan!

Seele, füllst du mir das Auge?
Träne, füllst Du mir das Herz?
Aug' und Seele; Herz und Träne
Sind nur Eins im Liebesschmerz!

141.

Die Lieb' hat keinen Ruhepunkt,
Die Lieb' find't keine Rast,
Der Möwe gleich, die über'm Meer
Nicht Schiff sieht und nicht Mast!

Was Ruhe ist, weiß Liebe nicht,
Wie käm' sie auch dazu?
Ein liebend Herz ist nicht der Ort
Der Sicherheit und Ruh'!

Sie ist wie jener Leidensmann
Zu wandern stets verflucht,
Sie sucht, was sie nicht finden kann,
Und find't, was sie nicht sucht!

Es ist ein Irren hin und her,
Ein Kommen und ein Geh'n;
In Eile stets und stets in Hast,
Als wär's um uns gescheh'n!

Man möcht' entflieh'n und kann es nicht,
Gezogen ist der Kreis;
Man geht rundum und kehrt zurück,
Eh' man es selber weiß!

Die Unruh' macht die Uhr zur Uhr,
Und nicht ihr Gold und Stein;
Und stellt sich Lieb' ohn' Unruh' ein,
Kann's rechte Lieb' nicht sein!

142.

Wenn im Herzen drinnen Liebe entsteht,
So schlagt es:
Wenn Herz vom Herzen Liebe erfleht,
So zagt es;
Wenn Herz vom Herzen ungeliebt geht,
So klagt es:
"Aus was denn Liebe im Grunde besteht?"
So fragt es;
Und wenn ein Herz das Herz nur versteht,
So sagt es:
"Die Blume besteht aus Weiß' und aus Rot,
Die Liebe besteht aus Glück und aus Not;
Die Rose besteht aus Duft und aus Dorn,
Die Liebe besteht aus Freud' und aus Zorn;
Der Demant besteht aus Feuer und Flut,
Die Liebe besteht aus Tränen und Glut;
Der Himmel besteht aus Wolken und Strahl,
Die Liebe besteht aus Wonnen und Qual;
Der Maimond besteht aus Blumen und Eis,
Die Liebe besteht aus Vorwurf und Preis;
Die Harfe besteht aus Saiten und Klang,
Die Liebe besteht aus Lied und aus Sang;
Das Leben besteht aus Leben und Schein,
Die Liebe besteht aus Liebe allein!"

143.

Als Liebe zum Geburtsort
Das Auge sich erkoren,
Da ward im Augen-Winkel
Die Träne auch geboren.

D'rum haben Lieb' und Träne
Als Schwestern sich so gerne;
Und kommt nur erst die Liebe,
Bleibt Träne auch nicht ferne!

144.

Kränze hängen an den Wänden,
Lorbeerzweige, bandumschlungen,
Lieder auch aus weißer Seide,
Mir zu Ehren oft gesungen;

Blasse Schatten blasser Ehre!
Leere Kleider eitler Stunden!
Ohn' Empfindung uns gegeben.
Und genommen unempfunden!

Doch daneben hängt ein Blümchen,
Das verloren sie am Wege,
Das ich auflas und verehre,
Das ich liebe, das ich pflege.

Das hat Geist und das hat Seele,
Das hat Wort und Antwort wieder,
Wenn ich's anschau', wenn ich's anred',
Wenn ich sing' ihm kleine Lieder.

Nur für Liebesangedenken,
Nur für Liebesherzvermächtnis
Haben Seelen ein Erinnern,
Haben Herzen ein Gedächtnis!

145.

Das Fischlein schwimmt im Glase,
Die Rose steht im Licht,
Das Fischlein zieht's zur Rose,
Doch sprechen kann es nicht!

Das Fischlein denkt im Stillen:
"Wenn nur das Glas zerbricht!"
Einst war sein Glas zerbrochen,
Doch sprechen kann es nicht!

Die Liebe ist das Fischlein,
Wenn auch das Herz mir bricht,
So kann sie weinen, sterben,
Doch sprechen kann sie nicht!

146.

Sie Liebe ist dem Spiegel gleich,
Dem Spiegel aus dem klaren Teich,
Man schaut hinein, man sieht sich d'rin,
Das schmeichelt lieblich unser'm Sinn;
Dann zieht's uns an, dann lockt's uns an,
Wir baden in der Flut sodann,
Dann zieht es uns vollends hinab,
Und Lieb' und Flut wird unser Grab!
Die Liebe ist dem Kinde gleich,
Weil immerfort sie ist um Euch,
Weil sie mit Euch umher stets irrt,
So merkt Ihr nicht wie groß sie wird;
Bis sie auf einmal von dem Schoß
Herunterspringt und ist so groß,
So wundergroß, daß Ihr ganz klein,
Ein kleines Kind gedenkt zu sein;
Und wie ein Kind seid Ihr mich bald
In großer Liebe Allgewalt;
Das Knäblein lacht, das Kindlein weint,
Wie Lieb' bejaht, wie Lieb' verneint!

147.

Schenkt der Himmel eine Träne,
Ist's, daß sie zum Heil uns werde,
Denn sie wird zum hellen Demant,
Fällt sie in den Schoß der Erde.

Denn sie wird zur hellen Perle,
Fällt sie in des Weltmeers Schoße;
Denn sie wird zum süßen Ambra,
Fällt sie in den Kelch der Rose.

Solche Träne ist die Liebe,
Die der Himmel uns geschenket,
Und sie wird zum hellen Demant,
Wo sie in die Brust sich senket.

Und sie wird zur schönsten Perle,
Die der Schöpfung je entronnen,
Wenn sie fällt vom klaren Himmel,
In das Meer der Lebenswonnen,

Doch sie wird zum reinsten Ambra,
Wenn sie fällt in Dichterherzen,
Duft und Lied wird aus der Träne,
Duft und Lied aus ihren Schmerzen!

148.

Bevor ich liebte, war ich reich,
Doch Liebe bracht' Bedrängnis;
Bevor ich liebte, war ich frei,
Doch Liebe bracht' Gefängnis;

Bevor ich liebte, war ich stolz,
Doch Liebe brachte Demut;
Bevor ich liebte, war ich froh,
Doch Liebe brachte Wehmut;

Bevor ich liebte, war ich träg',
Doch Liebe brachte Schwingen;
Bevor ich liebte, war ich stumm,
Doch Liebe brachte Singen.

Bedrängnis macht mich mild,
Der Herrin mich zu schicken;
Gefängnis hält mich fest
In meiner Herrin Blicken;

Und Demut macht mich lieb
In meiner Herrin Augen,
Und Wehmut macht mich sanft,
Der Herrin mehr zu taugen;

Und Schwingen sind mein Glück,
Sie immer zu umkreisen;
Und Singen tut mir Not,
In Liedern sie zu preisen;

So bringet Liebe selbst,
Was Liebe braucht zum Lieben!
Wie kommt's, daß ich dennoch
Bin ungeliebt geblieben!

149.

Vom Himmel fiel ein Bildnis
Herab in einen Wald,
Voll Hulden und voll Mildnis,
Voll lieblicher Gestalt.

Ein Leib als wie ein Stengel,
Aus dem der Kelch sich wiegt;
Ein Antlitz wie ein Engel,
Der über Kinder fliegt.

Ein Aug' wie ein Karfunkel
In goldener Monstranz',
So tief, so tempeldunkel,
Und doch so voller Glanz,

Im Blick ein Stern, ein klarer,
Als wie der Stern hoch schwebt,
Zu dem der Meerbefahrer
Im Sturm den Blick erhebt!

Und durch den Wald gegangen
Ein Mann, ein kranker, kam.
Mit Siechtum auf den Wangen,
Mit Leid' im Aug' und Gram.

Der fand im tiefen Walde
Das wunderbare Bild,
Aus dem zu ihm alsbalde
Ein heilig Leuchten quillt.

Seit er das Bild gefunden,
Seit er das Bild erblickt,
Fängt er an zu gesunden,
Fühlt er sich frisch erquickt.

Sein Siechtum ist vergangen,
Sein Auge ist erhellt,
Es blühen seine Wangen,
Es blüht für ihn die Welt!

Die Brust wird ihm stets weiter,
Das Herz wird ihm so leicht,
Das Aug' wird ihm so heiter,
Von froher Träne feucht.

Er nimmt das Bild nach Hause,
Er hält es hoch und wert,
Er baut ihm eine Klause,
Wo er es fromm verehrt!

Und weit in alle Lande
Verbreitet sich die Mähr',
Vom fernen Meeresstrande,
Ziehen fromme Pilger her.

Und wer die Klaus' betretet,
Und gießt sein Herz da aus,
Und wer zum Bildnis betet,
Der geht voll Heil nach Haus,

Man hat mir diese Sage,
Als ich ein Kind, erzählt,
Doch hat mir mein Lebtage
Der Sinn dafür gefehlt.

Mir fehlte frommer Glaube,
Mir fehlte fromm' Gemüt,
Mit dem man aus dem Staube
In's Reich der Gottheit sieht! —

Da hab' ich sie gefunden,
Ein Bild so wunderbar;
Das Dunkel war verschwunden,
Die Sage wird mir klar!

Seit mir vom Himmel nieder
Dies Frauenbildnis fiel,
Fühl' ich im Busen wieder
Der Musen gold'nes Spiel.

Tief innen ist ein Sprossen,
Ein Grünen und ein Blüh'n;
Ich schwimm' mit frischen Flossen
In's Meer der Melodien!

Der Tag bringt süße Pflichten,
Die Nacht bringt holden Traum,
Es webt in mir ein Dichten
Wie Blätterspiel im Baum.

Nun weiß es auch mein Wesen,
Was jener Glaube gilt,
Und wie man kann genesen
Von einem Wunderbild!

Für Welt und Menschen schreibe
Ich's an den Himmel gern:
Kommt nur vorerst die Liebe,
Ist Glaube nicht mehr fern!

150.

Im engen Raume schlief
Der Most im Keller tief,
Da fällt auf ihn herein
Ein Strahl von Sonnenschein.
D'raus träumet er von Tanz,
Von Licht und Sonnenglanz,
Vom Kreuz mit Weinlaub d'rin,
Vom Lied der Winzerin;
Da wird ihm eng die Haft,
Es schäumt der Feuersaft,
Er möcht' aus engem Haus
Zu Licht und Sonn' hinaus! —
— In meinem Herzen tief
Der Most der Liebe schlief;
Da fällt ein Sonnenschein
Aus einem Aug' hinein,
Da träumt im engen Raum
Die Liebe einen Traum,
Sie träumt vom Jugendtrieb,
Von Glück und Gegenlieb',
Sie träumt vom Sehnsuchtsleid,
Von Mondschein, Kuß und Streit,
Von Sang und Liederspiel,
Von kleinen Brieflein viel;
Dann drängt es sie hinaus,
Aus Herz, dem kleinen Haus,
Im Traume sie erwacht
Und wandelt durch die Nacht,
Und singt zu ihr wie einst:
"Was lachst Du und was weinst?"
Geht sorglos Steg und Pfad,
Die sonst kein Fuß betrat! —
— O, laßt ihr ihren Lauf!
O, wecket sie nicht auf!
O, rufet sie nicht an,
Sonst ist's um sie getan!



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