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Wilde Rosen 1

 


1.

Ein Buch liegt tief begraben
In meiner Brust, auf seinen Blättern
Da steh'n des Schicksals dunkle Gaben
Verzeichnet, mit verzog'nen Lettern:
Des Buches Inhalt zu entfalten,
Dazu treibt mich ein höh'res Walten.

Und wie ich blätt're in den Seiten,
Den stummen Inhalt seiner Zeilen,
Im lauten Klang der Silber-Saiten,
Dem Licht des Tages mitzuteilen,
Entsteigen den verworr'nen Zügen
So süßer Schmerz als wild Vergnügen!

Und wie die Blätter wieder rauschen,
Und wie sich um die Blätter schlagen,
Muß ich den Zeichen sinnend lauschen
Von Freud' und Lust aus frühern Tagen;
Was sie in Lust und Schmerz gegeben,
Muß noch einmal ich dann erleben.

Doch auf dem Blatt' der jetz'gen Stunde
Ist nur ein einzig Wort geschrieben,
Mit Blut aus meines Herzens Wunde,
Ein einzig Wort, es heißet: lieben!
Doch dieses kleine Wörtchen eben,
Es ist ein Buch für's ganze Leben!

Und dieses Buches Geist und Wesen,
Ist dir gewidmet, ganz dir eigen,
Willst du es auch nicht mit mir lesen,
So wirst du doch dich lauschend neigen,
Wenn ich die Lieder will erwählen
Das Buch dir singend zu erzählen!

2.

Wenn eine Perle wär' das Wort,
Und Perlenschnur das Lied,
Dann reiht' ich Perlen immerfort,
Und würde nimmer müd',
Und schlänge so das ganze Jahr
Die Schnüre in ihr gold'nes Haar.

Wenn Silber wär' mein Sang,
Und Gold mein Saitenspiel,
Ich sänge fort mein Lebenlang,
Und hätt' es nie zu viel;
Und das Geschmeid', ich hing es ihr
An Hals und Brust, zur süßen Zier.

Wenn all mein Denken wär' Gespinst,
D'rein sie nur webt und lebt,
Ich hätt' ein Kleid ihr zum Gewinnst
Aus Denken schon gewebt;
Und hätte dies Gedankenkleid
Der Holdesten zum Putz geweiht.

Wenn jeder Wunsch ein Engel wär',
Und jegliches Gebet,
Ich hätte schon ein Engelheer
Vom Himmel ihr erfleht,
Und all die Engel hielten Wacht
Bei meinem Engel Tag und Nacht!

3.

Reichtum heißt nicht Gold erlangen,
Reichtum heißt nicht Schätze graben,
Reichtum heißt als sein umfangen,
Was wir lieb im Herzen haben.

Armut heißt nicht Schätze missen,
Armut heißt nicht Gold verfehlen,
Armut heißt: entbehren müssen,
Was wir tief im Herzen hehlen!

Ärmer so von Tag zu Tage
Komme ich an ihre Schwelle,
Ohne Wunsch und ohne Klage
Sieht mich stets dieselbe Stelle;
Denn mein Reichtum ist's auf Erden:
Sie zu seh'n und — ärmer werden!

4.

Lieb' hat eine treue Schwester:
Sehnsucht, die in Träumen sinnt;
Lieb' hat eine schöne Tochter:
Hoffnung, ein verklärtes Kind.

Hat am Hals der treuen Schwester
Sich die Liebe ausgeweint,
Kommt die Hoffnung mit dem Troste,
Der die Träne mild bescheint.

Meiner Liebe ist gestorben
Hoffnung, ihr alleinzig Kind,
Und die Schwestern alle beide
Weinen, weinen sich nun blind!

5.

Liebesglück hat tausend Zungen,
Liebesglück spricht immer fort,
Blatt um Blatt, zum Kranz geschlungen,
Und zum Liebe Wort um Wort;
Nicht beglückter Lieb' ist's eigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen!

Liebesglück in tausend Sprachen
Spricht mit seinem Gegenstand,
Blätter, die aus Knospen brachen,
Werden Wort in Liebeshand,
Liebesglück find't aller Orten
Treuen Dolmetsch seinen Worten!

Liebesglück kann nimmer zaudern,
Auszutönen seine Lust,
Um von seinem Glück zu plaudern,
Nimmt die Welt es an die Brust;
Nicht beglückter Lieb' ist's eigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen.

Liebesglück, in tausend losen,
Heitern Scherzen spricht sich's aus,
Putzt mit Lichtern und mit Rosen,
Wie die Christnacht sich heraus,
Und es steh'n in seinem Solde,
Ringe, Locken, Blum' und Dolde.

Liebesglück zieht immer wieder
Singend vor des Liebchens Haus,
Tausend kleine nette Lieder
Flattern aus dem Herzen aus;
Nicht beglückter Lieb' ist's eigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen!

Schweigend lieben, liebend schweigen
Stiller Mund bei stillem Schmerz!
Fremd der Lust, dem Weh zu eigen,
Lebt der toten Lieb' das Herz,
Wird, bis es in's Grab wird steigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen.

6.
Sterne steh'n in ihren Augen,
Unstern' sind sie mir allein,
Rosen blüh'n auf ihren Wangen,
Ihre Dornen nur sind mein.

Anmut wohnt um ihre Lippe,
Unmut hat sie nur für mich;
Liebevoll ist all ihr Wesen
Liebelos zeigt's mir nur sich!

7.

Lang' hatt' ich sie nicht gesehen
Und sie fragte kalt: "warum?"
Und mir trat die Trän' in's Auge,
Doch die Lippen blieben stumm.

Solche Antwort kann nur Liebe,
Lieb' nur sehen und versteh'n,
Drum hat sie meine Antwort
Nicht verstanden, nicht geseh'n.

8.

Holde Nacht, du Mohrenfürstin,
Hast um Hals und Haar und Wangen
Tausend Sterne, wie die Perlen,
Und wie Diamanten hangen.

Holde Nacht, du schwarze Rose,
Trägst auf deinen dunklen Blättern
Gleich des Glühwurms mildem Leuchten,
Viele tausend Sternenlettern!

Holde Nacht, du Tageswitwe,
Eingehüllt im schwarzen Schleier,
Hast als Trauerkerzen brennen,
Sterne bei der Totenfeier.

Glücklich dennoch, denn beim Scheiden
Küßte Tag doch deine Lippen:
Kommt er wieder, wirst du fliegend,
Flüchtig seinen Kuß doch nippen.

Doch die Nacht in meinem Herzen,
Wird von Sternen nicht durchglänzet,
Und kein Gestern und kein Morgen
Hält mit Dämm'rung sie umkränzet!

Nicht Erinn'rung liegt als Gestern
Hinter ihr mit Tagesstrahlen,
Und nicht Hoffnung kommt als Morgen
Eine Zukunft ihr zu malen.

Nur ihr Bild zerreißt zuweilen
Wie ein Blitz die Nacht, die dichte,
Daß die Finsternis, die tiefe,
Sichtbar werde in dem Lichte!

9.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit einem zarten Kinde,
Bunte Träume, bunte Wünsche
Gab ich ihr zum Angebinde!

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit einem teuren Kranken,
Gab ihr Hoffnung, gab ihr Tröstung,
Gab ihr kühlende Gedanken.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit einer armen Waise,
Sang vom Himmel und von Jenseits
Ihr so manche zarte Weise.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit einer Heimatlosen,
Gab die Dichtkunst ihr zur Hütte,
Und zum Lager wilde Rosen.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit meiner letzten Stunde,
Gab ihr von dem bessern Leben,
Und vom Wiedersehen Kunde.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Bis mir selbst die Sprache fehlte
Die mich selbst zum Kinde, Kranken,
Waisen, Heimatlosen zählte.

10.

Im Garten, wo die Holde wohnt,
Steh'n Blumen aller Arten,
Die Blumen alle lieben sie,
Die Blumen aller Sorten.

Die Bäume und die Sträuche auch,
In Gruppen und Alleen,
Sie bücken sich und neigen sich,
Ihr liebend nachzusehen.

Und weil ich ihnen anvertraut,
Wie sie mein Herz erwählet,
So haben von der Holden sie
Mir Mancherlei erzählet.

— "Ich stand," erzählte der Jasmin
Mit seinem Blatt aus Seide,
"Ich stand wohl gestern Abend hier
In meinem grünen Kleide;

Sie ging vorbei, berührte mich,
Als ich das Aug' geschlossen,
Und ich erwacht' im weißen Kleid,
Von Blüten übergossen.

Denn weil ein Engel mich berührt
Als ich im Traumesbande,
Da wurde schnell mein irdisch Kleid
Zum himmlischen Gewande!" —

— Die Nachtviole spricht: "Mein Duft
Will bis zum Abend warten,
Da wandelt sie voll Reiz und Zier,
Herum in diesem Garten.

Da sieht sie uns zu Tausend steh'n,
Und weilt, uns zu betrachten,
Wir duften: "Tausend gute Nacht!"
Und duften und verschmachten!" —

— Die Rose spricht: "Als Knospe sah
Ich früh vom Strauch hernieder,
Doch als sie kam in meine Näh',
Ward mir zu eng das Mieder;

Ich sprengte es und schwoll hervor,
Mein Herz ihr zu enthüllen,
Und sah sie an und war beschämt —
Und glüh' nun fort im Stillen!" —

— "Das Maßlieb spricht: "Wenn ich sie seh'
Bin ich wie selbstvergessen,
Bei ihrem Anblick fühle ich,
Daß Lieb' ist ungemessen." —

— Die Glocken sagen: "Stellen wir
Uns auf zu beiden Seiten,
Um, wenn die Holde nahe kommt,
Sie festlich einzuläuten!" —

Von Blum' zu Blume also tönt,
Der Sang von meiner Holden,
Es singt vom Blatt, es singt vom Kelch,
Es singt aus allen Dolden.

Die "wilde Rose" nur allein,
Das Kind der freien Laune,
Sie steht, von ihr nicht angeblickt,
Ganz einsam an dem Zaune:

Sie wird vom Gärtner nicht gepflegt,
Und Niemand mag sie pflücken,
So kann sie, selbst gebrochen, nicht
Die Brust der Teuren schmücken,

D'rum senkt sie auf die Dornenbrust
Das Haupt, das tränenschwere,
Und blutet und verblutet sich
Im eignen Dornenmeere!

11.

Ich nahm von ihr ein Röschen mit,
Weiß nicht, wie ich's bekommen,
Sie gab mir dieses Röschen nicht,
Ich hab' es nicht genommen;

Und doch kam es aus ihrer Hand,
Und ich nahm's mit am Morgen,
Und tat es in ein gülden Glas,
Um stets dafür zu sorgen.

Und stand vielmal vom Schreiben auf,
Das Röschen zu befragen,
Aus welche Weis' ich meine Lieb'
Der Holden sollte sagen;

Da senkte traurig es sein Haupt
Hinunter in das Wasser,
Da sah es d'rin sein schönes Bild
Mit jeder Stunde blasser.

Es sehnte nach der Holden sich,
Ein Heimweh hat's ergriffen,
Ich habe seinen Sehnsuchtstod
Empfunden und begriffen.

So haucht es aus den letzten Duft,
Die Blätter fielen nieder,
Der Geist des toten Röschens klagt
Noch lang durch meine Lieder!

12.

In ihrem Garten, in der grünen Wiege
Des Frühlings, wieget sich die Holde,
Um ihre Locken wiegen sich die Blüten,
Um ihren Fuß wiegt sich die Dolde.

Gleich einer Rose in smaragd'ner Schale,
Gleich einer Blum' in Blattesräumen,
Gleich einer Blüte, halberschlossen,
Versteckt in zweigenreichen Bäumen,

Gleich einer Knospe, die, nur halbgeöffnet,
Dem grünen Netz sich will entstricken,
Gleich Erdbeerblüten aus dem Samt der Moose
Errötend und bescheiden blicken,

Gleich Vestaflamme, die aus Jaspisampel
Im Tempel glüht, mit keuschen Strahlen,
So wär' wenn sie erscheint in ihrem Garten,
Der Holden einzig Bild zu malen!

So sing' ich, wenn ich von der Holden singe,
Zugleich vom Frühling und von Blume,
Und wenn vom Lenz und Ros' ich singe,
So gilt es ihr zugleich zum Ruhme!

Der Lenz ist kalt, doch muß er wärmer werden,
Die Ros', noch zu, muß sich entfalten,
Nur sie allein bleibt kalt und bleibt verschlossen;
Trotz Liebessonn' und Liedsgewalten.

13.

Ein Mann geht durch die Wüstenei,
Da trifft ihn an die schönste Fei,
Verschmachtend fleht der arme Mann
Die schöne Fei um Labung an.
Sie führt ihn d'rauf in ihr Geschloß,
Wo Silber in den Bächen floß.
Sie sperrt ihm auf ihr Prunkgemach,
Da schimmert Gold in Schrein und Fach;
Sie führt ihn in des Gartens Raum,
Da trägt Demanten jeder Baum.
Sie führt in eine Laube ihn,
Da sieht er grün Smaragden blüh'n:
Jedoch der Mann verschmachtend spricht:
"Mir stillt den Durst dein Steinreich nicht,
Für Gold und Demant habe Dank,
Mich rettet nur ein Labetrank!" —
Jedoch die schöne, schöne Fei,
Bringt stets nur Edelstein' herbei,
Bis bei dem Schimmer alsodann
Verschmachtet lag der arme Mann! —
Der Mann bin ich, sie ist die Fee,
Ich schmachte stets nach ihrer Näh',
Ich fleh' um Labetrunk sie an,
Sie aber zeigt zum Trunk mir an:
Die Achtung, diesen Edelstein,
Die Freundschaft, ein Juwel ganz fein,
Bewunderung, gediegen Gold;
Sind lauter Schätze, lieb und hold! —
"Doch hab' für Gold und Demant Dank,
Mich rettet nur ein Labetrank!"

14.

Es steht der Berg im grünen Kleid,
Mit Blüten ist sein Haupt beschneit:
In seinem Innern volle Adern klingen,
Sie drängen sich an's Tageslicht zu springen.

Es schlitzt der Bergmann dies Gewand,
Zersprengt die grüne Frühlingswand:
Und ruft hervor die Lebensgeister alle,
Die wunderhellen, singenden Metalle,

Dem Berg fällt ab sein grünes Kleid,
Die Blumenbrust klafft auf, ganz weit,
Die Tiefe, wo so lieblich es geklungen,
Ist wund und leer und öd' und weit zersprungen!

Der grüne Berg ist Jugendlust,
Das Blumenkleid die Hoffnungsbrust,
Und in dem Busen die metallnen Klänge,
Es waren süßer Liebe Hochgesänge!

Der Berg zerriß, die Brust zersprang,
Und ausgegraben jeder Klang,
Der Busen, der die Lieder hat gegeben,
Steht wund und leer im liebelosen Leben!

15.

Wenn sich die Wolke bricht mit Schauern,
Der Last entladend sich in Wettern,
Wenn Meere, aufgepeitscht vom Sturme,
Die Wogen an das Ufer schmettern,
Da faßt's den Menschen an mit Grauen,
Entsetzt ist er, dies Schauspiel anzuschauen.

Wenn sich der Waldstrom stürzt vom Gipfel,
Den Schaum zerschlägt an Felsenrippen,
Wenn Gletscher durch die Lüfte donnern,
Der Sturmwind heult um Wälderklippen,
Da faßt's den Menschen an mit Grauen,
Entsetzt ist er, dies Schauspiel anzuschauen.

Wenn durch die Nacht ein Haus in Flammen
Das Gluthaar läßt im Winde rasen,
Wenn ein Vesuv die Flammen schleudert,
Als wollt' er Berge überglasen,
Da faßt's den Menschen an mit Grauen,
Entsetzt ist er, dies Schauspiel anzuschauen.

Doch wenn ein Auge bricht in Tränen,
Wenn Wogen in der Brust sich türmen,
Wenn Flammen schlagen aus dem Herzen,
Wenn in der Brust Vulkane stürmen,
Das können kalt und ohne Grauen,
Die Menschen bei den Menschen schauen!

16.

Soll ich fliehen? Soll ich weilen?
Von ihr eilen? Nach ihr ziehen? —
Tollkühn ist's, Gefahr zu suchen,
Feigheit ist's, Gefahr zu fliehen.

Soll ich reden? Schweigsam bleiben?
Fröhlich plaudern? Traurig schweigen? —
Falschheit ist es: sich verstellen,
Torheit ist es: wahr sich zeigen.

Soll ich hoffen? Resignieren?
Träume spinnen? Endschluß fassen? —
Wahnsinn ist es: Hoffnung nähren,
Irrsinn ist es: Hoffnung lassen.

Soll sie's wissen? Nicht erfahren?
Soll ich reden? Mich bezähmen? —
Weibisch wär's, sich nicht bemeistern,
Kindisch wär's, der Lieb' sich schämen!

Ob ich rede, ob ich schweige,
Ob sie suche, ob sie meide,
Mit mir geht der Schmerz der Liebe,
Und die Lieb' spricht stets vom Leide,

17.

Die Ros' ist schön, doch ist sie schöner,
Wenn eine Trän' im Kelche glänzet, —
Die Hoffnung ist so süß, doch süßer
Wenn sie von Furcht wird rings bekränzet.

Das Aug' ist hold, doch ist es holder,
Wenn Scham die Wimper drüber senket;
Geständnis ist so süß, doch süßer
Wenn halb vom Zagen es beschränket.

Das Morgenrot ist mild, doch milder,
Wenn es durch Blässe zart entglommen: —
Ein Kuß ist süß, doch ist er süßer
Wenn unter Sträuben er genommen.

Die Sonn' ist hell, doch scheint sie heller
Seh'n wir durch Wolkenflor sie schreiten; —
Die Lieb' ist süß, doch ist sie süßer
Wenn sie vermischt mit Bitterkeiten!

18.

Wie in einer kleinen Knospe
Rosenblätter enggebettet liegen,
Im Gedränge unbeschädigt,
Freundlich kosend, schwesterlich sich schmiegen;

So in meinem tiefsten Herzen
Gedanken an Gedanken wohnen,
Tausend wohnen da zusammen,
Schmiegsam gegenseitig sich zu schonen.

Soll der Strahl denn niemals kommen
Der die Herzensknospe wird erschließen,
Daß sich die Gedankenblätter
Rosig blühend an das Licht ergießen?

Soll denn keines dieser Blätter
Aus dem vollen Herzenskelche schlagen?
Soll kein Zephir nur ein Blättchen
An die Brust der einzig Holden tragen?

Sollen die Gedanken sterben,
Eh' sie noch das Sonnenlicht erblicket?
Soll im grünen Knospensarge
Junges Rosenleben sein ersticket?!!

19.

Gerne möcht' ich Lieder singen,
So unsterblich wie die Liebe,
Daß der Name der Geliebten
Mit Lied und Lieb' unsterblich bliebe.

Möchte flechten lauter Lieder,
Und zur Kette sie dann fassen,
Und an ihr den holden Namen
In die Zukunft tauchen lassen,

Daß ihr Name späten Tagen
Diene als ein helles Zeichen,
Wenn man spricht von süßen Frauen,
Und von Anmut sonder gleichen;

Daß ihr Name dien' in Zukunft,
Um in einem Wort' zu sagen,
Wie geliebt und wie verehret
Wir ein Bild im Herzen tragen;

Daß ihr Name sei gepriesen
Von den spät'sten Minne-Dichtern,
Daß ihr Name sei gezählet
Zu der Vorzeit schönsten Lichtern;

Daß man ihren Name nenne,
Wenn man nennen wird den Meinen,
Daß der Sarg der dunkeln Zukunft
Uns're Namen mög' vereinen!

20.

Wie lang der Mensch wohl leben könnte,
Wenn ohne Luft er müßte leben?
Wie lang der Mensch wohl leben könnte,
Wenn seiner Welt kein Licht gegeben?

Ich weiß es nicht, doch glaub' ich: lange,
Ja, lange kann's der Mensch ertragen,
Dieweil ich leb', und sah sie nicht
In langen, langen, langen Tagen!

21.

Wo süß're Schau'r mich überkamen,
Wenn vor ihr selbst ich bebend stehe,
Wenn ich ihr Bild im goldnen Rahmen,
So süß an Reizen vor mir sehe?

Wenn nach ihr selbst die Blicke schauen,
Die bittgefüllten, scheuverwegnen,
Wird nie aus ihrem Aug', dem blauen,
Ein Blick den meinigen begegnen.

Doch süßer ist es mit dem Bilde,
Wohin ich auch den Schritt mag wenden,
So scheint's den Blick, wie Frühling milde,
Mir suchend freundlich nachzusenden.

D'rum hab' ich in des Sanges Golde,
Und in des Liedes gold'nen Rahmen,
Als Bild gefaßt die einzig Holde,
Sie eingefaßt in fremden Namen.

Damit als Bild sie milder lenke,
Damit als Bild sie freundlich schaue,
Wenn Lied um Lied ich stets verschränke,
Und einen Tempel ihr erbaue!

22.

Der Tag verschied, die goldne Bahre
Ward auf den Berg zu Grab getragen,
Und Nacht, die blasse Königswittib,
Kam hinterher im Trauerwagen.

Und eingesponnen in den Fäden
Von Dämmerlicht, saß ich im Garten,
Wo, mit gebeugtem Haupt, die Blumen
Der dunkeln Nacht entgegen harrten.

Des Mondes sanfte Wasserblume
Schwamm blaß im blauen Azur-Reiche,
Wie gold'ne Fischlein trieben Sterne
Herum im klaren Äther-Teiche.

Die Blumen all gewannen Sprache,
Ihr Knospenmund war aufgesprungen,
Die Rose mit den Purpur-Lippen,
Die Lilie mit den Silberzungen.

Sie sprachen wunderbare Worte,
Sie sangen wunderbare Lieder,
Vom Schlehdorn, den sie abgewiesen,
Und vom verliebten blauen Flieder;

Vom Veilchen, das am hellen Tage
Verschämt die Äuglein tät verschließen,
Damit das Blümchen dann am Abend
Die Liebe süßer kann genießen;

Von Dornen, die man haben müßte,
Zur Waffe, nicht um zu beleid'gen,
Denn es bestand' die Kunst der Liebe
Nur in der Kunst: sich zu verteid'gen.

So sangen sie gar viele Weisen,
Und weil sie glaubten, daß ich schliefe,
Verrieten sie gar süße Laute
Aus ihres Herzens tiefster Tiefe.

Und Ohr und Herz voll von Gesängen,
Ging früh ich aus dem Liedertume,
Vorbei am Häuschen, wo darinnen
Im Schlaf noch lag die schönste Blume.

Da flogen plötzlich alle Lieder,
Die schönen, süßen Blumenlieder,
Sie flogen plötzlich zu der Holden,
Sie ließen sich am Fenster nieder. —

Die Lieder bleiben, und zu gehen
Muß ich allein mich dann entschließen,
Wenn sie das Fenster öffnet, werden
Die süßen Lieder sie begrüßen.

23.

In meinem schönen Vaterlande,
In Ungarn, herrscht die holde Sage,
Daß jedes Sternlein einen Engel
Von einem Mädchen in sich trage.

Und wenn von ihm sein guter Engel
Auf Erden weinend ist gewichen,
Dann fällt herunter auch sein Sternbild,
Und all sein Schimmer ist verblichen.

D'rum wach' ich alle laue Nächte,
Und blick' empor zum Blatt der Sterne,
Den Stern der Einzigauserkornen,
Den schönsten Stern erblickt' ich gerne!

Und wo ich einen Stern erblicke,
Der so verklärt und lieblich funkelt,
Daß mit dem reinen, keuschen Lichte
Die andern Sterne er verdunkelt,

Denk' ich: das ist der Stern der Holden,
Das ist der Engel ihrer Tage,
Und ich vertrau' ihm Lieben, Hoffen,
Erwarten, Fürchten, Wunsch und Klage!

Allnächtlich, wenn er wiederkehret,
Läßt mich ein süßer Irrsinn denken:
Es würde nun von ihrem Sterne
Ein Hoffnungsstrahl sich zu mir senken!

24.

Geschmücket mit dem reinsten Tau
Prangst, süße Blume, du im Blätterschoße,
Und milder Glanz entströmt auf Wies und Au,
Aus dir, du junge Rose!

Mein Aug' auf deinem Blätterscharlach ruht,
Er teilt mit meiner Hoffnung gleiche Lose,
Er wird und stirbt an einer Sonne Glut,
Du schnellverwelkte Rose!

So geh' denn meiner Lebensrose zu,
So rein und zart wie du, doch dornenlose,
An ihrer Brust legst du dein Haupt zur Ruh',
Du totbeglückte Rose!

Da trinkst den Odem du aus ihrem Mund,
Ihr Seufzer, mir versagt, er stiehlt sich leise
In deines Kelchs geheimnisvollen Grund,
Beneidenswerte Rose!

25.

Wie eine schöne Braut, die plötzlich
Vor ihrer Hochzeitsnacht gestorben,
Im Sarge ruht mit allen Kränzen,
Die sie in Wonne hat erworben;

Mit dem Geschmeid' am weißen Halse,
Und mit den gold'nen Freuden-Spangen,
Mit der Erwartung roter Rose,
Noch glühend auf den zarten Wangen;

So meine Hoffnung ist gestorben,
Die Hoffnung auf die Auserwählte,
Als g'rade sie dem süßen Glauben
Auf Gegenliebe sich vermählte.

Mit bunten Kränzen, gold'nen Spangen,
Mit Blumen in dem langen Haare,
Zum Fest geschmücket liegt die Hoffnung
Fast atmend noch auf ihrer Bahre!

Und all die tausend Liederflammen,
Bereit zur Hochzeit anzuzünden,
Sie brennen jetzt als Leichenkerzen,
Den Heimgang meines Glücks zu künden!

26.

Von dem Zweige pflückst du Blätter,
Als Orakel, flüsterst leise:
"Liebt mich, liebet mich vom Herzen,"
Und so fort nach jener Weise;

Willst du denn an Blätter glauben,
Die von blinder Kraft getrieben?
Glaube lieber diesen Blättern,
Die mit Herzblut sind geschrieben;

Diesen Blättern, die: "vom Herzen,"
Und: "mit Schmerzen" dir nur
Doch: "ein wenig, oder gar nicht,"
Nimmer in dem Busen tragen.

Glaube lieber diesen Blättern,
Die, voll zärtlichen Bestrebens,
Ich gepflückt, zu treuen Boten,
Von dem Baume meines Lebens;

Diesen Blättern, die ich streue,
Süße Herrin, dir zu Füßen —
Dich mit Liebe, dich "vom Herzen,"
Dich "mit Schmerzen" zu begrüßen!

27.

Bevor ich liebte war ich reich,
Doch Liebe bracht' Bedrängnis;
Bevor ich liebte war ich frei,
Doch Liebe bracht' Gefängnis;

Bevor ich liebte war ich stolz,
Doch Liebe brachte Demut;
Bevor ich liebte war ich froh,
Doch Liebe brachte Wehmut;

Bevor ich liebte war ich träg',
Doch Liebe brachte Schwingen!
Bevor ich liebte war ich stumm,
Doch Liebe brachte Singen.

Bedrängnis macht mich mild,
Der Herrin mich zu schicken;
Gefängnis hält mich fest
In meiner Herrin Blicken;

Und Demut macht mich lieb
In meiner Herrin Augen,
Und Wehmut macht mich sanft,
Der Herrin nur zu taugen;

Und Schwingen sind mein Glück,
Sie immer zu umkreisen;
Und Singen tut mir Not,
In Liedern sie zu preisen;

So bringet Liebe selbst,
Was Liebe braucht zum Lieben,
Wie kommt's, daß ich dennoch
Bin ungeliebt geblieben?!

28.

Einen Strauß wand ich früh Morgens,
Aus den Blumen auf dem Felde,
Daß er süßen guten Morgen
Heute noch der Teuren melde.

Wand ihn nicht aus Gartenrosen,
Nicht aus Nelk' und Tulipanen,
Wand ihn nur aus wilden Rosen
Und aus lustigen Cyanen.

Denn nicht kunstgezog'ne Flammen
Sollten aus dem Strauße schlagen,
Schmucklos sollt' er Liebefühlen,
Wahr und schmucklos wieder sagen.

Ich umschlang ihn nicht mit Bändern,
War mit Bandgras nur umwunden,
Sollt' er doch nicht Wunsch und Hoffen,
Sollte Sehnsucht nur bekunden.

Herzte dann die lieben Blümlein,
Sprach mit ihnen leise, leise,
Küßte sie mit nassem Auge,
Wie beim Abschied vor der Reise.

Und sie gingen zu der Holden,
Eh' der Tag noch angeglommen,
Doch an dem ersehnten Ziele
Sind sie niemals angekommen.

Und die Blümlein fand ich wieder,
Abgehärmet, halbvergangen,
Lichtlos die Cyanenaugen,
Bleich der wilden Rose Wangen!

Und das Bandgras, ganz vertrocknet
Und verschmachtet, schien zu sagen:
"Hast der Erde uns entrissen,
Wolltest uns in Himmel tragen,"

Zwischen Erd' und Himmel, einsam,
Ließ man sterbend uns vergehen,
Kannst daraus dein eig'nes Schicksal,
Und dein Ende auch ersehen!"

29.

In das große, weite Meer,
Fließen Ströme, täglich, stündlich
Und das Meer nimmt alle auf,
Denn sein Reich ist unergründlich;

Neue Sterne schießen auf,
Viel Kometen unvergeßlich,
Und der Himmel faßt sie All',
Denn sein Plan ist unermeßlich;

Neue Pflanzen treibt Natur,
Tausend Blumen, buntgestaltig,
Und die Erd' ernährt sie All',
Denn ihr Schoß ist allgewaltig;

Neuer Lichtstrahl fällt in's Aug',
Farb' und Schimmer, nie erblassend,
Und das Aug' wird doch nicht satt,
Denn sein Kreis ist allumfassend;

Neue Welten schimmern auf
In dem Geiste, lichtumflossen,
Und der Geist belebt sie All',
Denn sein Hauch ist Gott entsprossen;

So strömt neue Lieb' zu Lieb'
In das Meer von meinem Triebe;
So auch tauchen Sterne auf,
An dem Himmel meiner Liebe;

So treibt neue Blumenwelt
Aus dem Grund von meinem Herzen,
So fällt neuer Lichtstrahl stets
In den Kreis von meinen Schmerzen;

So ringt sich aus meinem Geist
Welt um Welt von Liebesklagen,
Doch hat Lieb' nie Lieb' genug,
Um genug von Lieb' zu sagen!

30.

Das Kind ist krank, dem Kind ist weh,
Es tut kein Äuglein zu;
Die Mutter sitzt an seinem Bett,
Und weint und singt dazu.

Zum Sang ist sie wohl nicht gestimmt,
Doch singt sie Tag und Nacht,
Und singet, wenn das Kind voll Schmerz
Die Nächte krank durchwacht.

Und weint und singt die Nacht entlang
Mit blassem Angesicht,
Bis unter lautem Lied und Sang
Das Aug' des Kindes bricht. —

Mein Herz ist krank, ihm ist so weh,
Es hat nicht Rast noch Ruh,
Ich sitz' am kranken Herzen nun,
Und wein' und sing' dazu.

Zum Sang bin ich wohl nicht gestimmt,
Doch sing' ich Tag und Nacht,
Und singe, wenn mein Herz voll Weh
Des Lebens Tag durchwacht.

Und sing' dem Herzen Lieder vor,
Mit Gram im Angesicht,
Bis unter lautem Lied und Sang
Das kranke Herz mir bricht.

31.

Den Frühling sucht' ich in dem Garten,
Der Frühling war entflogen,
Die Nachtigall sucht' ich im Laube,
Sie war davon gezogen.

Die Blumen sucht' ich an dem Fenster,
Die Blumen sind verschwunden,
D'rauf such' ich, Holde, dich von ferne,
Ich hab' dich nicht gefunden! —

D'rauf sucht' ich in dem eignen Herzen,
Da fand ich Frühling wieder;
Da fand ich alle Nachtigallen,
Sie sangen Liebeslieder;

Da fand ich alle Blumen wieder
In Sehnsuchtsfarben blitzen,
Da fand ich dich, o Teure, wieder
Im tiefsten Herzen sitzen!

32.

Da stehen hohe Georginen,
Wie schlanke Mädchen aufgeschossen;
Sie wiegen ihre schönen Köpfe,
Als wären sie noch unentschlossen.

Die weißen sanft, mit frommen Augen,
Sie seh'n mich an mit klugen Blicken,
Wie Hertha selbst die milden Blicke
Aus klarem Auge pflegt zu schicken.

Die roten, wo in dunklen Blättern
Geheime Wünsche durstend hängen,
Sie wollen mit den Glutenlippen
Sich aus des Kelchs Geheimnis drängen.

Und ich verweile denkend, sinnend,
Und lausche auf die Geistersagen,
Die aus den großen, glatten Blättern
In's aufgeschlossene Herz mir schlagen;

Viel' kleine Minnemärchen glänzen
Auf Blätterpergament geschrieben,
Doch lesen können diese Märchen
Diejenigen allein, die lieben.

Ich las die tausend Liebesmärchen,
Und hab' sie treulich abgeschrieben;
Willst du sie, Holde, wieder hören,
Und sie versteh'n, so lerne: Lieben!

33.

Einen Zaubertraum hab' ich gesehen,
Eine Wiese, grün wie Samt und Seide,
Und inmitten meinen eig'nen Namen,
Glänzend strahlen wie ein Goldgeschmeide.

Und von unsichtbaren Feenhänden
Durchgewebet eine gold'ne Krone,
Arabesken, Fabelblumen,
Runenblätter fremder Zone.

Dann in einem reinen Schneegefilde
Einen Kranz aus Rosen, wilden,
Deinen süßen Namen sanft umschlingend,
Wie in reichen Wappenschilden.

Zwischen diesen Wunder-Arabesken
Blühten unsichtbare Bäume,
Zwischen diesen schönen Fabelblumen
Flatterten verliebte Träume;

Zwischen diesen buntgefärbten Blättern,
Schlugen tausend Nachtigallen,
Zwischen diesen glutgefüllten Knospen
Sah' ich Liebesgötter wallen;

Zwischen diesen blumenreichen Lettern,
Wie mit gold'nem Haar gezogen,
Bauten tanzend kleine Hoffnungsengel
Ihren reichen Farbenbogen;

Zwischen diesen wilden, wilden Rosen,
Sah dein Antlitz so anmutig,
Zwischen dem Gewind' aus seid'nen Dornen,
Lag mein Herz, zerrissen, blutig.

Zaubertraum, ob Wahnbild oder Wahrheit,
Sei mit beiden mir willkommen,
Bleibt uns doch bei jedem süßen Traume
Traumesdeutung unbenommen.

34.

Mein Herz ist eine Glocke,
Gegossen aus gedieg'nem Blut,
Die in der finstern Wölbung
Des schwarzbehängten Busens ruht.

Als Liebe ward geboren
In meinem Busen, süß und bang,
Da tönte diese Glocke,
Im hellen, feierlichen Klang.

Als ich die Liebe traute,
Vertraute dem geliebten Bild
Da tönte diese Glocke
So lieblich, feierlich und mild.

Als ich die Lieb' begraben,
Gestattete zur Schmerzensruh',
Da tönte diese Glocke
Den dumpfen Sterbeklang dazu.

Und seitdem tönt die Glocke
Nur diesen Sterbeklang allein,
In früher Morgenröte
Und spät in Abends Dämmerschein.

So sitze ich und lausche
Dem Sterbeklang, mit Weh' und Lust,
Der dumpfen Trauerglocke,
In meiner ewig öden Brust;

Und immer weiter reißet
Vom Klang die Glocke selbst entzwei,
Bald ist sie durchgerissen,
Und Klang und Ton ist bald vorbei!

35.

Es wohnen in der Rose
Viel zärtliche Gedanken,
Die mit den vielen Dornen,
Die sie umgeben, zanken.

Die Rose spricht mit Farben,
Die Dornen bloß mit Spitzen,
Die bald das Herz der Rose,
Das zarte Blatt, zerritzen.

Da sinket in die Dornen
Die Rose matt hernieder,
Und schlingt die Dornenkrone
Sich sterbend um die Glieder.

36.

Wo über stiller Erde,
Die Regenwolke hängt,
Da fühlt sich jede Seele
Gar wunderlich beengt;

Wo über stiller Lippe
Ein nasses Auge wohnt,
Da wird vom tiefen Wehe
Kein fühlend Herz verschont!

Ich sah den Mund, den stillen,
Das nasse Aug' der Liebe,
Ist das nicht Schmerz genug schon,
Auf daß er ewig bliebe?

37.

Wenn ich manchmal hab' getrunken
Einen Becher Ungarwein,
Mußte stets der erste Tropfen,
Auf ihr Wohl getrunken sein;

Jetzt trink' ich den Tränenbecher,
Einsam still in meinem Haus,
Bring' bei jedem bittern Tropfen
Weinend auch ihr Wohlsein aus.

38.

Morgens steckt man eine Rose,
Blühend, duftend, halbenthüllt,
An sein Herz, das, wie die Rose,
Ist mit Glut und Tau gefüllt.

Abends wird zum Dolch die Rose,
Nicht ein farbig Blättchen bleibt,
Bloß der Stengel seine Dornen
In den off'nen Busen treibt. —

An dem Morgen meiner Liebe
Pflückte "wilde Rosen" ich,
Abends setzten mit den Dornen
In mein Herz sie blutig sich.

Und in meinem Herzen lieb' ich
Diesen wilden Dornenstrauch,
Weil ich liebte seine Rosen,
Lieb' ich seine Dornen auch!

39.

Wenn ich wollte singen,
Wie das oft geschieht,
Sah ich ihr in's Auge,
Und es ward ein Lied!

Wenn die Brust ich fühlte
Von Groll und Haß geschwellt,
Da sah ich ihr in's Auge,
Und liebte alle Welt!

Wenn ich mit mir selber
Voll Unmut hab' gegrollt,
Da sah ich ihr in's Auge,
Und ward mir wieder hold!

Nun aber kann ich nimmer
Ihr in das Auge seh'n,
Um Singen, Lieben, Glauben
Ist's nun auch ganz gescheh'n!

40.

Der Frühling flog von dannen,
Und wie er fortgeflogen,
Hat er von meinem Busen
Die schönste Ros' gezogen!

Nachtigall flog von dannen,
Und wie sie fortgeflogen,
Hat sie das Lied der Liebe
Mir aus der Brust gezogen!

Die Hoffnung flog von dannen,
Und wie sie fortgeflogen,
Hat sie den letzten Schimmer
Mir aus der Brust gesogen!

O Leben flieh' von dannen,
Dein Inhalt ist verflogen,
Du hast um Rose, Lorbeer
Und Myrthe mich betrogen!

41.

Das Schicksal ist ein Arzt,
Ein großer Anatom,
Denn es zerschnitt mein Herz
Im vollen Lebensstrom.

Zerschnitt es bloß darum,
Damit die Menschheit seh'
Sein allertiefstes Leid,
Sein allertiefstes Weh.

Damit die Menschheit lern',
Wie so ein Herz leicht bricht,
Wenn es mit Inbrunst liebt,
Und findet Liebe nicht!

42.

Da oben wandern Sterne,
Sie wandern ohne Zaudern,
Da unten wandern Flüsse,
Sie wandern und sie plaudern!

Dazwischen wandern Wolken,
Sie wandern und sie klingen,
Mit ihnen wandern Vögel,
Sie wandern und sie singen.

Die Sterne und die Flüsse,
Wie sie so singend wandern,
Die Vögel und die Wolken,
Sie eilen hin zu andern.

Ich aber wand're einsam,
Und einsam ist mein Singen,
Mein Singen und mein Wandern
Kann mich zu Niemand bringen.

Ich wand're und ich singe
Allein in meiner Stube,
Ich singe und ich wand're
Ganz einsam in die Grube.

43.

Um das Haupt von teuren Toten,
Auf der schwarzbehängten Bahre,
Flechten wir die schönsten Rosen,
Um die Schläfe, in die Haare.

An die Brust, die nicht mehr atmet,
Um die Wang', die nicht mehr glühet,
Legen wir die reichste Rose,
Die im vollen Leben blühet.

Meine Liebe ist die Tote,
Meine Liebe ist die Leiche,
Der ich nun die letzten Rosen
In das Grab hinunter reiche.

Lieblich liegt die schöne Leiche
Mit geschloß'nen Hoffnungsaugen,
Die von Glück- und Liebes-Tagen
Keinen Strahl mehr in sich saugen.

Lieblich liegt die schöne Leiche,
Blühendschön, als ob sie schliefe,
Und es dünket mir zuweilen,
Daß sie meinen Namen riefe.

Und ich will nun Rosen flechten,
Um die schöne, teure Leiche,
Rosen um die Brust ihr flechten,
Um das Haupt, das lockenreiche;

Wilde Rosen, abgebrochen
Im gebroch'nen, wilden Herzen,
Wilde Rosen, blaß und leidend,
Aufgeschossen unter Schmerzen;

Wilde Rosen, nicht verzärtelt
Unter prunkenden Genossen,
Wilde Rosen, wild gewachsen,
Und von Tränen nur begossen.

Will sie meiner Liebes-Leiche
Flechten um die blassen Glieder,
Will sie legen auf die holden
Und geschloss'nen Augenlieder;

Will sie legen auf den Busen,
Auf das Herz, das schon erkaltet,
Will sie drücken in die Hände,
Die im Tode sich gefaltet.

Und die Leiche, so geschmücket,
Und bedeckt mit wilden Rosen,
Will ich herzen, will ich küssen,
Will ich unter Tränen kosen.

Bis zu Ende ist mein Leben,
Und zu Ende ist mein Lieben,
Und mein Herz die allerletzte
Wilde Rose hat getrieben!

44.

Grub in Sand ich ihren Namen,
Ward verweht er bald vom Winde;
Schnitt' in Baum ich ihren Namen,
Wuchs darüber neue Rinde.

Schrieb in Wasser ihren Namen,
Welle litt nicht, daß er bleibe;
Schliff in's Fenster ihren Namen,
Und ein Luftstoß brach die Scheibe.

Schnitt in's Herz mir ihren Namen,
Wo die süßen Schläge pochen,
Und der Name wird nicht brechen
Bis das Herz ist mit gebrochen!

45.

Ein Stern war mir mein Lied
Im Herzen aufgegangen,
Als ich zuerst sie sah,
Von süßem Reiz umfangen.

Zur Blume ward mein Lied,
Als ich ihr durfte nahen,
Mit seinem zarten Duft
Die Liebste zu umfahen.

Zur Perle ward mein Lied,
Ich durfte es in Reihen,
Zur Zier des schönen Haupts,
Der Anmutsvollen weihen.

Zur Waise ward mein Lied,
Es hatte sie verloren,
Und suchte klagend nun,
Nur sie, die es geboren.

Zum Echo ward mein Lied,
Nur ferne, und mit Beben,
Kann es den Klageton
Der Holden wiedergeben.

Zum Seufzer ward mein Lied,
Der sich der Brust entringet,
Und sich als Lotusblum',
Zu seiner Liebe schwinget.

Zum Schwane wird mein Lied,
Es schwimmt in eig'nen Tränen,
Und singt den Sterbesang
Vom Abschied und vom Sehnen!

46.

Schenkt der Himmel eine Träne,
Ist's, daß sie zum Heil uns werde,
Denn sie wird zum hellen Demant
Fällt sie in den Schoß der Erde.

Denn sie wird zur hellen Perle,
Fällt sie in des Weltmeers Schoße;
Denn sie wird zum süßen Ambra,
Fällt sie in den Kelch der Rose.

Solche Träne ist die Liebe,
Die der Himmel uns geschenket,
Und sie wird zum hellen Demant,
Wenn sie in die Brust sich senket.

Und sie wird zur schönsten Perle,
Die der Schöpfung je entronnen,
Wenn sie fällt vom klaren Himmel,
In das Meer der Lebenswonnen.

Doch sie wird zum reinsten Ambra,
Wenn sie fällt in Dichterherzen,
Duft und Lied wird aus der Träne,
Duft und Lied und süße Schmerzen!

47.

Zu ihren Fußen sank herab ein Blatt,
Es war vom Glanz und Schein der Sonne satt;
Zu ihren Füßen sank dahin mein Herz,
So satt von ihrem Glanz, so satt vom Schmerz.

Sie hebt das Blatt empor mit zarter Hand,
Sie legt es in ein Buch mit Blumen allerhand!
Doch nicht in's Buch, nicht in ihr Herz hinein,
Legt meine Liebe sie als Zeichen ein.



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