weiter
 


Wilde Rosen 2

 


 
48.

Heißt es leben, wenn im Herzen
Der Geliebten man nicht lebt?
Heißt es tot sein, wenn im Herzen
Der Geliebten man doch lebt?

Heißt es nah sein, wenn ihr Sehnen
Fort von uns in's Weite eilt?
Heißt es fern sein, wenn ihr Sehnen
Selbst von ferne bei uns weilt?

Eh' ich lebe solches Leben,
Eh' ich nah' bin solcher Näh',
Bringt mir wahrlich solches Totsein,
Solche Ferne minder Weh!

49.

Schmerzlich ist es stumm zu sitzen,
An des Freundes Sterbebette,
Doch ein Trost ist's, wenn wir wissen,
Was der Kranke gerne hätte.

Doch zu sitzen an dem Lager
Eines Kind's, in stiller Kammer,
Ist ein größ'res Weh, denn sagen
Kann es nichts von seinem Jammer.

Solch ein Kind ist meine Liebe,
Trat erst aus des Lebens Pforte,
Ist nun krank und schmerzlich leidend,
Doch sein Schmerz hat keine Worte!

50.

Hohe Herrin, dir zu dienen
Bin ein Knecht ich und Serviler,
Dein Leibeigner, Untergebner,
Bin dein Sklav', dein Zitherspieler.

Holde Herrin, dir gehorchen,
Dünkt mir süßer als Regieren,
Weil mich deiner Liebe Ketten
Mehr als Kron' und Szepter zieren.

Schöne Herrin, dir zu folgen
Als dein Schatten allerwegen,
Dünkt mir edler, als nach eignem,
Freiem Willen mich bewegen.

Kluge Herrin, selbst dein Bannstrahl,
Der mich weis't in weite Ferne,
Glänzt mir schöner als die Strahlen
Aller andern Frauensterne.

Süße Herrin, auch die Sorge,
Dein Begegnen auszuweichen,
Ist so süß in ihren Mühen,
Daß sie nicht hat ihres Gleichen.

Einz'ge Herrin, auch dein Wille,
Daß ich deiner soll vergessen,
Ist so heilig, daß ich suche,
In's Gedächtnis, ihn zu pressen;

Und dieweil ich Tag und Nächte
Denke d'ran, dein nicht zu denken,
Muß ich grad, nach deinem Willen,
Tag und Nacht nur dein gedenken!

51.

Ich pflückte ein Vergißmeinnicht
Für sie, am schmalen Wiesenrand,
Doch als ich vor der Holden stand,
Vergaß ich das Vergißmeinnicht!

Das Blümchen sprach: "erinn're dich,
Wozu du liebend mich gepflückt!" —
Ich aber schwieg und stand entzückt,
Vergaß Vergißmeinnicht und mich!

52.

Unter herbstlich stillen Wolken
Ziehen stille Nachtigallen,
Ziehen hin zu schönern Zonen,
Wo die Lüfte milder wallen;

Doch in jenen schönern Zonen
Denken sie an Heimatsblüten,
Und sie können in der Fremde
Weder singen, weder brüten.

Unter gold'nen Frühlingswolken
Kehren wieder Nachtigallen,
Und aus ihren kleinen Kehlen
Tausend zarte Lieder schallen.

Unter meines Lebens Wolken
Zogen meine Nachtigallen
Fort aus meinem Liebesfrühling,
Mit den jungen Liedern allen;

Würden sie auch suchend ziehen
Zu den allerschönsten Frauen,
Würden sie doch so nicht singen,
Nicht in's Herz sich Heimat bauen;

Denn sie sind gewohnt zu nisten
Nur in ihrer Schönheitsblume,
Denn sie sind gewohnt zu singen
Nur allein zu ihrem Ruhme.

Kehren gold'ne Frühlings-Wolken
Meiner Liebe einstens wieder,
Kommen auch die Nachtigallen,
Und die hellen Siegeslieder!

53.

Hütet euch, die junge Knospe
Mit den Nägeln aufzukratzen,
Und das Blatt heraus zu zerren,
Eh' die Rose sie macht platzen.

Hütet euch, das Herz der Liebsten
Zu bestürmen, zu bedrängen,
Eh' die Fülle ihrer Liebe
Selber macht die Knospe sprengen.

Hütet euch, des Mundes Knospe
Um die Blume anzusprechen,
Eh' sie selbst, in süßer Fülle,
Strebt im Kusse aufzubrechen.

Hütet euch, ihr scheues Schweigen
Allzu frühe zu erschließen,
Eh' vom seligen Geständnis
Herz und Lippen überfließen.

54.

Das Glas, aus dem dein Wohl ich hab' getrunken
Hab' ich zerbrochen dann auf immer;
Geweihet war's, und einer andern Lippe
Spend' einen Tropfen Wein es nimmer;

Mein Herz, aus dem du Liebe hast getrunken,
Hast du gebrochen auch auf immer,
Gebrochen bleib's, und einer andern Seele
Spend' einen Tropfen Lieb' es nimmer!

55.

Gibt es einen echten Maler,
Der nicht liebt das All der Farben,
Rote, grüne, weiße Blätter,
Blaue Blümchen unter Garben? —

Gibt es einen echten Sänger,
Der nicht liebt das All der Klänge,
Schilfgeflüster, Glockentöne,
Und die tausend Waldgesänge? —

Gibt es einen echten Bergmann,
Der nicht liebt das All der Erze,
Gold und Taubstein, Licht und Schwaden,
Und der Gnomen düst're Scherze? —

Gibt es einen echten Menschen,
Der nicht liebt das All der Kinder,
Ihr Erstaunen und ihr Lallen,
Und ihr süß Geschwätz nicht minder?

Gibt es eine echte Liebe,
Die nicht liebt das All vom Lieben,
Liebeleid und Liebewonnen,
Und der Liebe böse Sieben? —

Gibt es eine echte Liebe,
Die nicht liebt das All im Herzen,
Hoffen, Wähnen, Wünschen, Fürchten,
Und das reiche Nest der Schmerzen? —

Weil ich liebe so mein Lieben,
Weil ich liebe meine Schmerzen,
Weiß ich's, daß die echte Liebe
Wohnt in meinem reichen Herzen.

56.

Wem die Kugel sitzt im Körper,
Der wird nimmermehr gesunden,
Schien es uns auch, als ob heilten
Und vernarbten seine Wunden.

Bei dem kleinsten trüben Wölkchen
Fühlt er seine Schmerzen wieder;
Bei der allerg'ringsten Mahnung
Zieht ein Weh durch seine Glieder.

Wem der Pfeil im Busen sitzet,
Jener Pfeil mit gift'gen Spitzen,
Jener Pfeil mit Widerhaken,
Die im Herz des Herzens sitzen;

Jener Pfeil mit Flammenzacken,
Jener Pfeil so blank gegliedert,
Jener Pfeil der heißen Liebe.
Unverstanden, unerwiedert;

Wer wie Gras nach Tau und Regen,
Nach der Einzigen geschmachtet,
Und bleibt dennoch ungeliebet,
Unbeweinet, unbeachtet;

Wer so wie ein Regentropfen
Einsam fällt aus seinem Himmel,
Wird gestürzt zur düstern Erde
Aus dem vollen Lichtgewimmel;

Der wird nimmermehr gesunden,
Der bleibt krank und wund für immer,
Wird zuweilen Lind'rung finden,
Doch genesen wird er nimmer!

Ewig wird ein bitt'res Mahnen
Seine Freuden selbst begleiten,
Wird selbst seinen schönsten Stunden
Wie ein Geist zur Seite schreiten;

Selbst wenn er im Drang nach Liebe
An ein Herz sich einst wird neigen,
Wird der Schmerz, der ewig wache,
Frisch aus seinem Herzen steigen!

57.

Wenn ein Mädchen noch so heimlich
In dem Busen trägt ein Veilchen,
Es verrät sich doch den Leuten,
Weil es aushaucht duft'ge Teilchen.

Solch ein Veilchen ist die Liebe,
Tief versteckt in Busens Sehnen,
Sie verrät sich doch den Leuten,
Weil sie ausströmt stille Tränen.

Solch ein Veilchen ist die Wehmut,
Tief versteckt im Sänger-Herzen,
Sie verrät sich doch den Leuten,
Weil sie austönt ew'ge Schmerzen!

58.

Rose wünscht ihr Knospenleben
Noch einmal zurück zu träumen,
Und die Frucht, sie denkt sich gerne
Noch als Blüte an den Bäumen.

Perle selber, die so prächtig
Schlummert in den Muschelhallen,
Sieht sich gern als Tropfen Taues,
Wie vom Himmel sie gefallen.

Liebe auch, die off'ne Rose,
Träumt zurück ihr Knospenleben,
Wie sie zagte, wie sie wagte,
Wie sie aufbrach nur mit Beben.

Liebe auch, die Frucht des Herzens,
Denket an ihr Blütenwesen,
Wie so duftig, wie so zaghaft,
Wie so zitternd es gewesen.

Liebe auch, des Busens Perle,
Sieht als Träne sich noch gerne,
Wie sie fiel mir in die Seele
Aus dem holden Augensterne!

59.

Wenn man den Magnet belastet
In dem magischen Geschäfte,
Ziehen stärker seine Pole,
Steigen höher seine Kräfte.

Wenn die Liebe wird belastet
Vom Geschick, mit Schmerz und Tränen,
Wird erhöhet nur ihr Lieben,
Wird gesteigert nur ihr Sehnen!

60.

Hätt' ein Bildnis ich der Holden,
Nur den Schatten ihrer Züge,
Hieße ich den tiefen Jammer,
Selbst mich täuschend, gerne Lüge!

Hätte ich aus ihrem Haare,
Eine Locke, eine kleine,
Dünkt' ich mich in meinem Schmerze,
Nicht so einsam und alleine!

Hätte ich von ihrer Arbeit
Nur das kleinste Angedenken,
Würde das doch süße Labung
In das öde Herz mir senken.

Hätte ich von ihren Händen
Eine Silbe nur geschrieben,
Wäre sie als Schmerzgefährte
In dem Elend mir geblieben.

Hätte sie in einem Buche
Nur ein Blättchen je vergessen,
Würde ich in stillen Stunden
Süßen Balsam aus ihm pressen!

Weil sie aber nichts von Allem,
Nichts von Allem mir gegeben,
Muß mein Lieben und mein Leiden
Einzig vom Gedächtnis leben!

61.

Lieb' hat eine wilde Tochter,
Selbstgezeugt und selbstgeboren,
Selbstgesäugt und großgezogen,
Sich zur Kränkung selbstbeschworen.

Lieb' hat eine wilde Tochter
Die ihr folgt auf jedem Schritte,
Die in Dornensaat verwandelt
Ihrer Mutter Blumentritte.

Lieb' hat eine wilde Tochter,
Wehe wen sie hält umfangen,
Eifersucht, mit Geierkrallen!
Eifersucht mit Natterzangen!

Gift wird ihm aus Wein und Schlummer,
Und sein Zucker schmeckt ihm sauer,
Seine Erde hat nicht Blumen,
Und sein Himmel ist kein blauer!

Seine Nacht hat keine Sterne,
Und kein Frührot seine Tage,
Seine Tränen keine Kühlung,
Keinen Anklang seine Klage,

Seine Ruhe kein' Erquickung,
Keine Täuschung seine Träume,
Seine Hoffnung, seine Wunsche
Keine hellen Purpursäume!

An der Kette, auf der Lauer
Lebt er ewig, unter Zittern,
Rüttelt ewig an den Worten,
Küssen, Schwüren, wie an Gittern!

Lieb' hat eine wilde Tochter!
Wer der Mutter sich ergeben,
Der verschreibt auch ihrer Tochter
Schlaf und Traum und Blut und Leben!

62.

Ein Rosenblatt und eine Träne,
Die sanft dem Aug' entglitt,
Gab Gott der stummen Liebe
Und sagte: "sprich damit!"

Da nahm die Rosenblätter
Für Sich beglückte Lieb',
Der unbeglückten Liebe
Nichts als die Träne blieb.

D'rum spricht sie nur in Tränen
Was sie so denkt und meint,
D'rum hab' ich ganze Bücher
Im Stillen schon geweint!

63.

Lustig nennen sie mein Wesen,
Weil ich bunte Dinge schreibe!
Der Humor in meinem Herzen
Ist nur eine bunte Scheibe.

Nach hinaus schaut es ganz helle
In des Lichtes bunten Farben,
Und es flattert durch einander
In dem Spiel der lust'gen Farben.

Doch hinein schaut durch die Scheibe,
In des Herzens öde Hallen,
Da ist's öd' und tot und finster,
Und der Altar ist zerfallen!

64.

Wenn ein Bildnis von der Mauer
Ohne Anlaß fällt zur Erde,
Geht die Sage, daß sein Urbild
Schnell darauf auch sterben werde.

Weil mein Bildnis dem Gedächtnis
Der Geliebten ist entfallen,
Hoff' ich, daß sein traurig Urbild
Bald auch wird zu Grabe wallen!

65.

Eine Aloe am Ufer
Hat die Knospen ausgestreckt,
Wie ein großer Kandelaber
Der die Lichter aufgesteckt.

Große weiße Blumen dringen
Aus dem grünen Knospensprung,
Leuchten wie die Zauberflammen
Magisch durch die Dämmerung.

Wenn uns diese seltne Pflanze
Duft und Licht auf einmal bot,
Endet sich ihr schönes Leben,
Ihre Blüte ist ihr Tod!

Ihres Lebens schönste Stunde
Nahet mit dem Tod heran,
Und sie zündet ihre Blüten
Nur an ihrem Grabe an.

So auch treibt mein Herz nur sterbend
Lieder voll von Licht und Duft,
Die dann als geweihte Kerzen
Brennen an der Liebe Gruft!

66.

Eine Blume steht hoch oben
Auf dem steilen Felsenrücken,
Und mich faßt ein innig Sehnen,
Diese Blume mir zu pflücken: —

— "Schöne Blume, lichtumflossen,
Steig' von deiner Burg hernieder!
In dem Tale ruft die Liebe,
In dem Tale rufen Lieder.

Holde Blume, laß den Äther,
Einsam ist's in hohen Zonen;
Menschen wollen unter Blumen,
Blumen unter Menschen wohnen!

Süße Blume, komm' herunter,
Deine Reize laß' dir deuten,
Und vergönn' mir deiner Blätter
Süßes Rätsel auszubeuten." —

— "Teurer Sänger, kann nicht kommen,
Kann mein Haupt nur still dir neigen,
Denn ein Fels hält mich gefangen
In den tiefsten Wurzelzweigen.

Teurer Sänger, kann nicht kommen,
Licht und Duft kann ich nur senden,
Freier Bote ist der Äther
Über Berg und Felsenwänden.

Teurer Sänger, kann nicht kommen,
Doch mit Denken an dir hangen,
Denn mein Herz schwebt hoch im Freien,
Wie mein Fuß auch ist gefangen!" —

Und die Blume bleibt verwaiset
Einsam auf dem Felsen stehen,
Und der Sänger bleibt im Tale,
Unverwandt empor zu sehen.

Bis die Blume ist verblichen,
Bis die Blätter ihr entfallen,
Bis sie auf das Grab des Sängers,
Felsentfesselt, niederwallen!

67.

Frost ist gar ein lieber Gärtner,
Freundliches hat er im Sinn',
Zaubert Blumen mir allnächtlich
An die Fensterscheiben hin!

Traum ist gar ein süßer Gärtner,
Der es herzlich mit mir meint,
Weil mit meines Daseins Blume
Jede Nacht er mir erscheint!

Doch mit erstem Morgenstrahle
Lassen beide ihren Ort,
Von den Fenstern, von den Augen
Nehmen sie die Rosen fort!

Ach, die Blume, die ich träume,
Ist ja Blume selbst aus Eis,
Eis'ger Frost hält sie gefesselt,
Und mein Herz ist liebeheiß!

Und die Blumen an dem Fenster
Hat Natur ja nur geträumt,
Als sie schlafend daran dachte,
Daß der Frühling lange säumt!

68.

Ein Buch ist jedes Mädchenherz
Mit gar geweihten Lettern,
Die meisten Männer lesen's nicht,
Sie wollen bloß d'rin blättern.

Sie schlagen wie der Wirbelwind
Die Blätter um in Reihe,
Verstehen nicht ein Sprüchlein d'rin,
Nicht einen Vers voll Weihe.

Ich aber hab' ihr Herzensbuch
Mit Andacht ganz durchlesen,
Und bin nach jedem neuen Blatt
Noch zärtlicher gewesen.

Da schlägt das Schicksal mir das Buch
Urplötzlich aus den Händen, —
Was weiter kommt, das muß ich nun
Aus dem Gedächtnis enden!

69.

Im gefärbten, bunten Glase
Steht der Strauß verblichen da,
Der mit seinen schönsten Farben
Unlängst noch die Holde sah.

In dem finstern, dunklen Herzen
Steht noch frisch die Rose da,
Die ich schmerzlich schon seit langen,
Langen Monden nicht mehr sah.

Täglich wird mit frischen, Wasser
Wohl das bunte Glas gefüllt,
Täglich wird mit frischen Tränen
Auch benetzt das Herzensbild.

Doch die Blumen, sie verwelken,
Nur das Bild bleibt ewig hell,
Weil der Träne Wunderwasser
Ist geschöpft vom Lebensquell!

70.

Klagend, weinend saß ich einsam
An des alten Jahres Bahre,
Klagend, weinend, sitz' ich einsam
An der Wieg' vom neuen Jahre.

Und das alte Jahr hat keine
Meiner Schmerzen mitgenommen,
Mit dem neuen doch sind neue,
Neue Schmerzen mitgekommen.

Dank' euch vielmal, alte Schmerzen!
Dank' euch vielmal auch, ihr neuen!
Daß ihr bliebet, daß ihr kamet,
Soll euch wahrlich nicht gereuen!

Will euch pflegen, will euch warten,
Wie der Orient die Gäste;
Mit euch teilen und euch geben,
Was ich hab', das Allerbeste!

Will euch waschen, will euch baden
Mit den Tränen, die mich letzen,
Will am Morgen und am Abend
Euch mein Herz zur Speise setzen!

Will mit Sang den Tisch euch würzen,
Ganz nach morgenländ'scher Weise,
Will die Laute klagend spielen,
Daß euch munde jene Speise.

Eßt euch satt, ihr neuen Schmerzen,
Eßt euch satt nur auch ihr alten,
Weil nur Schmerzen treu mir blieben,
Will ich treu an Schmerzen halten!

71.

Wenn ich dir in's klare Auge
Manchmal sinnend, sehnend seh',
Finde ich darin geschrieben
Einen Liebesbrief voll Weh!

Wenn ich deine Lilienwange
Geistigblaß und leidend seh',
Seh' ich in den Lilien schlafen
Ein geduldig, heilig Weh!

Wenn ich dann dein schmerzlich Lächeln
Um den Mund, den holden, seh',
Seh' ich d'rin ein Liebesmärchen
Voller Leid und voller Weh!

Wenn ich dann in's Herz, das reine,
In das klare Herz dir seh',
Seh' ich d'rin die Weberschiffchen,
Die stets weben dir dies Weh'!

Wenn ich dann voll Schmerz mir selber
In das Herz, das wunde, seh',
Find' ich Brief und Märchen wieder,
Und dich selbst und all dein Weh!

72.

Wilde Rosen stehen enge,
Dichtgedrängt in meinem Herzen,
Wohl gepflegt vom heißen Boden,
Frisch getränkt vom Tau der Schmerzen.

Wilde Rosen dir entgegen
Blühen, glühen und vergehen;
Milde Lieder dir entgegen
Klingen, singen und verwehen.

Meine Lieder, meine Rosen,
Wenn du sie gehört, gesehen,
Wollen beide gar nichts Andres,
Als verklingen, als vergehen!

73.

Ein Meer kenn' ich, ein uferloses,
Nicht Klippen hat's, nicht Felsenriffe,
Zum Ruh'bett werden seine Wogen,
Und sicher trägt's Millionen Schiffe.

Der Himmel ist's, Millionen Sterne
Sind wie die Schiffe d'rin erschienen.
Und um die Schiffe zieh'n Trabanten,
Gleich hellen, singenden Delphinen.

Und abwärts, an des Meeres Saume,
Da steigt an jedem Abend, prächtig,
Des Mondes Leuchtturm aus den Fluten,
Und flammet warnend da allnächtig.

Und über dieses Meer zu flüchten,
Gibt Glaub' und Hoffnung sich're Kähne,
Sie spannen aus die weißen Segel,
Und ziehen hin wie fromme Schwäne.

O Liebe komm! die Kähne winken,
Sie tragen gern' betrübte Seelen;
Das Meer ist klar! die Fluten lächeln!
Der Leuchtturm läßt den Weg nicht fehlen!

In diesen Kähnen laß' uns wohnen,
Auf dieses Meer laß' uns vertrauen,
Wir wollen glauben, wollen hoffen,
Bis wir durch's Meer das Jenseits schauen!

74.

In dem Berge kochen Flammen,
Glut in seinem Eingeweide,
Außen scheint er fröhlich, lachend,
Angetan mit grünem Kleide,

Glühend gärt's in seinem Innern,
Mark und Knochen zu verglasen,
Außen sprießen tausend Blumen
In dem Schmelz vom frischen Rasen.

Wird das Feuer dann so mächtig,
Daß es ausbricht hell in Flammen,
Sammeln sich zum schönen Schauspiel
Tausend Menschen bald zusammen;

Denken nicht an all die Qualen
Die der Berg in sich empfindet,
Wie er unter Stöhnen, Ächzen,
Unter Schmerz und Brand sich windet.

Und vom Nervensaft des Lebens,
Von dem Mark der Eingeweide,
Aus der Lava, machen tändelnd
Sie sich köstliches Geschmeide. —

— In mir wühlen ew'ge Flammen,
In mir sieden rote Quellen,
Außen beut mein buntes Leben
Manche lustig schöne Stellen.

Wird die Glut mir gar zu mächtig
Schlägt sie aus mit wildem Tosen,
Brechen wild die roten Flammen
Sprühend aus in wilden Rosen.

Und der Leser pflückt die Rosen,
Freu't sich ihres Farbenspieles,
Ihrer Blätter zarten Glätte,
Und des schlankgebauten Stieles,

Denkt nicht, daß die Rosen alle
Sind gefärbt im Blut vom Herzen,
Daß ihr Duft ist nur ein Seufzer,
Ausgepreßt von ew'gen Schmerzen.

75.

Die Sonne steigt von ihrem blauen Throne,
In's ferne Weltmeer kühlend sich zu baden,
Auf grünen Bergen hat der gold'nen Krone,
Sie, wie auf samtnen Kissen, sich entladen;
Von Berg zu Berg' zieht sie die Purpurschleppe
Voll Glut hinab die große Hügeltreppe. —

Die Rose aber, voll vom Liebesdrange,
Nach ihrer Tagesfürstin still gewendet,
Fühlt nichts von ihrem stillen Niedergange,
Nicht daß ihr Tag-und Liebes-Traum sich endet;
Dieweil in ihrem offnen Kelch noch immer
Der Abglanz ruht von ihrer Sonne Schimmer!

So will mein Herz es nimmer sich gestehen,
Daß meine Sonn' vom Himmel ist gesunken,
Es fühlt den Strahl noch leuchtend in sich stehen,
Den es aus ihrem Antlitz hat getrunken;
Es steht die Nacht hindurch im Dämmerschauer,
Und träumt im Dunklen von des Tages Dauer!

76.

Eifersüchtig, eifersüchtig
Ist das braune Weib: die Nacht,
Weil der Tag, ihr Ehegatte,
Von ihr ging in seiner Pracht.

Eifersüchtig, eifersüchtig
Ist das braune Weib, die Nacht,
Darum sind die tausend Flammen
Ihr im Busen angefacht.

Eifersüchtig, eifersüchtig
Ist das braune Weib, die Nacht,
Darum hält mit tausend Augen
Sie um Erd' und Himmel Wacht!

Eifersüchtig, eifersüchtig
Ist die Liebe, wie die Nacht,
Schlaflos, ruhlos, wie die Mutter
Die ein krankes Kind bewacht.

Eifersüchtig, eifersüchtig
Ist die Liebe, wie die Nacht,
Hat im Busen tausend Flammen,
Glühend, zehrend angefacht.

Eifersüchtig, eifersüchtig
Ist die Liebe, wie die Nacht,
Ihre tausend Augen halten
Über Erd' und Himmel Wacht.

Eifersüchtig, eifersüchtig
Ist die Liebe, wie die Nacht,
Darum geht sie lauschend, spähend,
Eingehüllt in Trauertracht!

77.

In die Erd' kann ich nicht steigen,
Um zu holen gold'ne Stangen,
In das Meer kann ich nicht tauchen,
Edle Perlen zu erlangen.

Doch in's Herz der Auserkornen
Stieg ich, wie ein Bergmann, nieder,
Holte mir den Schatz, den gold'nen,
Singend meine Bergmanns-Lieder!

Doch ich tauchte in die Augen,
In die blauen, sinnig tiefen,
Um die Perlen mir zu holen,
Die am klaren Boden schliefen.

Goldesgräber, Perlenfischer,
Und doch dürftig ohne gleichen!
Bei dem Golde, bei den Perlen,
Muß ich darben und erbleichen!

78.

Frühling kommt, mit gold'nen Strahlen
Klopft er an die Bäume an,
Und es wird dem Strahlen-Jüngling
Blatt und Blüte aufgetan.

Frühling kommt, mit gold'nen Strahlen
Klopft er an der Berge Tür,
Berg und Fels erschließt die Türen,
Quell und Bergstrom stürzt herfür.

Frühling kommt, mit gold'nen Strahlen
Klopft er an die Herzen fein,
Und die Herzen alle jubeln,
Rufen jauchzend: "nur herein!"

Frühling kommt, mit gold'nen Strahlen
Klopft er an mein trauernd Herz,
Doch mein Herz, es sagt dem Frühling
"Wandle, Frühling, weiterwärts!"

Einen Frühling sah ich blühen,
Der so hold zur Erde sank,
Daß mein Herz aus jedem Gräschen
Nektar und auch Lethe trank.

Einen Frühling sah ich blühen,
Jedes Blümchen ein Gedicht,
Jedes Rosenblatt ein Spiegel
Von der Holden Angesicht!

Einen Frühling sah ich blühen,
Jeder Kelch war ein Pokal,
Jede Blume eine Vase,
Und der Liebe Opferschal';

Jedes Gras ein sel'ger Trinker,
Süß das Haupt vom Tau beschwert,
Jeder Strauch ein Minnesänger,
Jedes Blatt ein Opferherd!

Jener Frühling ist verschwunden;
Und mit jenem Frühling schwand
Auch der schöne Liebesfrühling
Der in meinem Herzen stand.

Viele Frühling' werden kommen
Für die ewige Natur,
Doch die Liebe und die Herzen
Haben einen Frühling nur!

Einen Frühling hat die Liebe,
Einen Frühling hat das Herz,
Darum sagt mein Herz dem Frühling:
"Wandle, Frühling, weiterwärts!"

79.

Viel Gedanken steh'n verworren,
Dicht in mir, gleich einer Wildnis,
Bauen sich zum dunklen Tempel
Um ihr heilig Götterbildnis!

Jeder Zweig von den Gedanken,
Jedes Blatt an diesen Zweigen
Sich dem süßen Götter-Bildnis
In gewohnter Demut neigen.

Leises Rauschen, leises Flüstern
Geht durch die Gedanken-Bäume,
Lieder sind's begrab'ner Tage,
Lieder sind's begrab'ner Träume!

Nie durch die Gedanken-Wildnis
Fällt in mich ein Strahl der Sonne.
All mein Licht empfang' ich einzig
Von dem Antlitz der Madonne!

Täglich werden die Gedanken
Immer dichter, immer wilder;
Täglich wird das Götter-Bildnis
Immer sanfter, immer milder!

Täglich werden meine Klagen
Immer lauter, schmerzensreicher;
Täglich macht des Bildes Zauber
Meine Lieder wehmutsreicher.

Und so lieg' ich vor dem Bilde,
In der Wildnis von Gedanken,
Kniend, seufzend, betend, weinend,
Ohne Weichen, ohne Wanken!

80.

Viele wandeln breite Straßen
Durch die Liebe, durch das Leben,
Zwischen freundlichen Alleen,
Weg und Pfad sind glatt und eben;

Berge sinken, Steine weichen,
Strom und Abgrund haben Brücken,
Und das Ziel, es scheint sich selber
Ihnen fröhlich nah' zu rücken. —

Mir nur sind im Leben, Liebe,
Angewiesen rauhe Stege,
Keine Hand, die nur ein Steinchen
Räumt von meiner Pilgerwege!

Einsam, dunkel, steinbesäet
Führt mein Weg mich durch das Leben,
Windet sich durch Nessel-Saaten,
Nicht ein Blümchen wächst daneben!

So auch geht mein Pfad der Liebe
Zwischen Dornen, zwischen Nesseln,
Lichtlos geh' ich, ohne Führer,
Nach mir schleppend schwere Fesseln!

Dennoch dring' ich qualvoll, rastlos,
Über Stein und Fels und Moose,
Denn es blühet zwischen Dornen
Eine holde wilde Rose;

Eine Rose, wunderlieblich,
Wie der Mond in Sommernächten,
Rings umzäunt von rauhen Hecken,
Die mit Stacheln sie umflechten.

Und ich sinke, herzzerrissen,
Blutend bei der Rose nieder,
Hauche durch die Rosenblätter
Sehnend aus die letzten Lieder.

Wilde Rose neigt sich nieder,
Mit dem Haupt, dem sehnsuchtsblassen,
Denn die Rosen wollen lieben
Wenn die Dornen wollen hassen!

Wilde Rose neigt sich nieder,
Auf mich fällt der Tau vom Blatte,
Und ich sterb' im süßen Wissen,
Daß sie Tränen für mich hatte!

81.

Frühling kommt, der holde Jüngling!
Kommt mit seinem Zauberstabe,
Bringet Jedem eine Blume,
Bringet Jedem eine Gabe.

Bringet Jedem eine Blüte,
Bringet Jedem eine Wonne,
Diesem einen Teil des Lichtes,
Jenem eine ganze Sonne!

Mir nur bringt der böse Frühling
Keine Blumen, keine Blüten,
Keine Strahlen, keine Sonnen,
Gar nichts bringt er mir zu bieten.

Doch die Rose, die im Winter,
Ich von Nahem konnte schauen,
Führt der Frühling fort von hinnen,
Führt sie fort in ferne Auen.

Nur der Winter ist mein Frühling,
Weil er meine Rose bringet,
Und der Frühling ist mein Winter,
Weil er mir die Ros' entringet.

Holder Winter! gold'ner Jüngling!
Lieder sing' ich dir zum Ruhme!
Komm', du süßer Sonnenjüngling!
Komme mit der schönsten Blume!

Und ich wandle dir entgegen,
Mit dem Klang von Feierglocken,
Denn du bringst die wilde Rose
Im Gefolg' der weißen Flocken!

82.

"Wilde Rose, süße Freundin.
Siehst du Abends, hoch im Blauen,
Gold'ne Lettern niederschauen,
Und den Brief, den reich besternten?
Briefe sind's des Weitentfernten!" —

— "Trauter Freund, du Rosengärtner,
Siehst du nicht auf Blumenblättern
Zartverzog'ne Farbenlettern,
Und die Schrift, so klar und sinnig?
Briefe sind's von mir, ganz innig." —

"Schöne Rose, reizumflossen,
Hörst du nicht in Morgenröten
Nachtigallen schmerzlich flöten
Durch die grünen Blatterwände?
Grüße sind's, die ich dir sende!" —

— "Trauter Freund, du Fernverbannter,
Hörst du's Abends leise rauschen,
Wenn die Lüfte alle lauschen.
Und in Blüten still sich freuen?
Grüße sind's des Vielgetreuen!" —

"Holde Rose, leidensreiche,
Fühlst du nicht ein Ahnen, leise,
Wenn der Schwan die Totenkreise
Singend durch die Wellen ziehet?
Sterbelied ist's, das zu dir fliehet!" —

— "Trauter Freund, du Todessänger,
Fühlst du dich nicht wehbefangen,
Weht um deine nassen Wangen
Oft ein Hauch wie Geisterschauer?
Ist mein Sterbegeist voll Trauer!" —

83.

Wie an Blumen Schmetterlinge
Schlafend hängen nach dem Regen,
Duftbetäubt, gewittertrunken,
Träumen, und sich nicht bewegen;

So auch hingen lang die Lieder
Träumend mir am vollen Herzen,
Duftbetäubt von süßer Liebe,
Lebensmüd' von bittern Schmerzen.

Nun mein Herz ist neu ergriffen,
Nun mein Herz ist neu erschüttert,
Nun mein Herz ist neu durchstürmet,
Daß sein Kelch erbebt und zittert;

Sind erwacht die tausend Wünsche
Und die Lieder aus den Träumen,
Und sie flattern durch die Lüfte,
Kreise ziehend in den Räumen.

Tragen auf dem Fittig wieder
Gold'nen Schmelz von Liebeswähnen,
Tragen wieder auf dem Fittig
Eine gold'ne Welt in Tränen.

84.

In Wüstenei ein Steinbild einsam steht,
Gefesselt, eingeschnürt, die starren Glieder,
Doch, wenn der erste Lichtstrahl es berührt,
Da tönt es aus die schönsten Lieder;

Und wenn der Lichtstrahl wieder untergeht,
Da tönt das Steinbild lieblich klingend wieder
Mag seine Sonne kommen oder scheiden,
Sein Mund erschließet sich zum Lied bei Beiden.

Ein Steinbild steh' ich in der Wüstenei,
Und teilnamlos an allen Freudendingen,
Da stieg die Lebenssonne mir empor,
Im Herzen fühlte ich ein süßes Klingen;

Nun sank die Lebenssonne mir herab,
Und Klagelieder sich der Brust entringen:
Mag meine Sonne kommen oder gehen,
Fühl' ich im Herzen Lieder auferstehen.

85.

Frühling kam, und wilde Rosen
Wandelten auf grünen Wegen,
Frühling kam, und wilde Rosen
Schossen fragend mir entgegen,

Neckten mich mit grünen Fingern,
Neckten mich mit roten Lippen,
Steckten wie die Wurzelmännchen
Ihren Kopf aus Strauch und Klippen.

Sah'n mich an mit klugen Augen,
Und begehrten Wort und Rede,
Und die Dörnchen alle zupften
Mich am Wege, wie zur Fehde: —

— "Hat in deinen offnen Busen
Sich kein Frühling denn ergossen?
Sind in deinem Herzensgarten
Wilde Rosen nicht gesprossen?" —

— "Wilde Rosen, eurem Herzen,
Kommt ein neuer Frühling immer,
Neuer Tau von Wolken-Lippen,
Und vom Himmel neuer Schimmer;

Aber mir kam dieser Frühling
Ohne Tau und ohne Schimmer,
Darum bracht' er wilde Dornen,
Aber wilde Rosen nimmer!"

86.

Abends stand ich wie ein Steinbild,
Eingeschnürt in Dämmerungen,
Die der Abend und die Bäume
Schleierhaft um mich geschlungen.

Sah die Holde, in dem Garten,
Sich zu Blumen lieblich neigen,
Und wie Gold in Jaspisblättern
Flog ihr Haar in grünen Zweigen.

Und sie schwebte leicht vorüber,
Ahnte nimmer meine Nähe,
Und mir schien's im Abenddunkel
Als ob Morgenrot ich sähe.

Bei dem Licht der kleinen Lampe
Konnt' ich dann in's Zimmer sehen,
Sah sie in das Zimmer treten,
Sah sie hin und wieder gehen.

Sich vom Boden aufwärts ringend,
Legten ihre grünen Hände,
Bäumchen, die am Hause standen
An die lichten Fensterwände.

Um das Fenster schwebten Blumen,
Gleich wie Lieder ohne Worte,
Wie die Geister meiner Lieder
Festgebannt am Liebesorte.

Und so stand ich, zwischen Träumen,
Zwischen Sinnen schmerzlich ringend,
Bis der Morgen war erschienen,
Seine frischen Rosen bringend.

Dann trat ich mit süßer Sehnsucht
Aus der baumumhüllten Tiefe,
Pflückte von erwachten Zweigen
Eine Handvoll grüner Briefe,

Warf sie an das Fenster, wo sie
Beim Erwachen sie wird sehen; —
Doch sie wird sie nicht begreifen,
Doch sie wird sie nicht verstehen! —

87.

In dem Teiche wachsen Blumen,
Silbern wie verwünsch'ne Schwäne,
Schwimmen mit dem blassen Antlitz
Sehnsuchtsvoll um Schifferkähne.

Wurzeln nicht im festen Boden,
Wurzeln bloß in feuchten Wellen,
Wie sie auch das Haupt, das klare,
Gerne zu dem Strand gesellen.

Und so sollst du meine Lieder
Nur als Wasserblumen wähnen,
Weil sie leben nur in Zähren,
Weil sie wurzeln nur in Tränen!

88.

Dornenwunden, spricht die Sage,
Die man von der Ros' empfangen,
Schmerzen, bluten nur so lange,
Bis die Sonn' ist untergangen.

Meines Lebens einz'ge Sonne
Ist für mich in Nacht entschwunden,
Dennoch bluten, brennen, schmerzen
Immer meine Dornenwunden!

89.

Wer den Blitzstein bei sich führet,
Heißt es in den Wundersagen, —
Den schon einst der Blitz geschleudert,
Wird vom Blitz nicht mehr erschlagen;

Er darf wandern unter Wettern,
Unter tausend wilden Blitzen,
Keiner wird ein Haar ihm sengen,
Keiner wird die Haut ihm ritzen.

Weil ich trage stets im Herzen
Jenen Blitz, der mich getroffen
Aus dem Himmel ihrer Augen,
Darf ich wohl dasselbe hoffen:

Ich darf wandeln unter Blitzen,
Die aus tausend Augen fallen
Keiner wird in's Herz mir schlagen
Von den tausend Blitzen allen!

90.

Poesie sucht' ich im Leben,
Leben gab davon nicht Kunde;
Poesie sucht' ich in Büchern,
Blätter waren's, leer im Grunde;

Poesie sucht' ich in Sternen,
Fand nichts als vergold'te Lettern;
Poesie sucht' ich in Blumen,
Sah von Prosa sie entblättern.

Poesie sucht' ich im Sange
Tiefbetrübter Philomele,
Hörte nichts als die Register
Einer Orgel in der Kehle.

Plötzlich kam ans dunklen Tannen
Mir ein Frauenbild entgegen,
Wie ein Morgentraum, der lebend
Wandelt über Blütenregen;

Und so ist sie mir erschienen:
Poesie mit Zauberschwingen;
Poesie ist nur im Lieben,
Und nur Lieben lehrt uns Singen!

91.

Oben stand ich auf dem Berge,
Unter mir das Tal, das kleine,
Das wie eine grüne Muschel
Meine Perle barg, die reine.

Sah sie wandeln in dem Garten,
Unter duftig-schwülen Bäumen,
Bald im Schatten dunkler Gänge,
Bald in freibesonnten Räumen.

Vielmal rief ich ihren Namen,
Doch die Lüfte, die hier wallten,
Fanden gar so süß den Namen,
Daß sie sich den Schall behalten.

Pflückte Blätter von den Bäumen
Und beschwerte sie mit Grüßen,
Hoffend, daß ein Zephir kräus'le
Glücklich sie zu ihren Füßen.

Doch kein einz'ges von den Blättern
Sah bei ihr ich angelangen,
Blieben hier und dort in Dornen,
In Gesträuch und Klippen hangen.

So gelangt auch nie zur Holden
Lied und Klage meiner Lippen,
Bleiben hängen auf dem Wege,
An des Lebens Dornen, Klippen!

92.

Habt ihr einen Baum betrachtet,
Durch sein ganzes Sein und Leben?
Von dem ersten Keimen, Sprossen,
Bis zu seines Gipfels Beben?

Wie er aufschlagt erst das Auge,
Schamhaft aus der grünen Rinde;
Wie er mit den Flatterlocken
Aufschießt gleich dem süßen Kinde?

Wie er als ein schöner Jüngling
Ausstreckt seine jungen Glieder?
Wie er treibet duft'ge Blüten,
Wie ein Dichterherz treibt Lieder?

Wie er dann, als Mann, von Früchten
Alle Äste sich läßt beugen?
Menschen labt in seinem Schatten,
Sänger birgt in seinen Zweigen?

Wie als Greis dann ist sein Scheitel,
Blätterlos und ohne Säfte,
Und die Zweige niederhängen,
Wie die Arme ohne Kräfte?

Wie, wenn auch der Stamm verdorrte,
Doch die Wurzel frisch geblieben,
Die den Baum mit seinen Zweigen,
Blatt und Blüten hat getrieben;

Wie sie zeugt, von euch berühret,
Ewig noch ein frisches Leben,
Wie sie, von dem Beil getroffen,
Frische Säfte euch wird geben? —

— Solch ein Baum ist meine Liebe,
Die gegrünt im Hoffnungsgrunde,
Die gewachsen ist in Sonnen,
Die geblüht in schöner Stunde;

Die gepflegt in ihren Zweigen
Hat ein Heer von Nachtigallen,
Der nun jetzund alle Blätter,
Alle Blüten sind entfallen;

Die entlaubt von jeder Hoffnung,
Die, — vom Blitzstrahl nicht zersplittert,—
Dennoch stehet, schmucklos, leblos,
Abgestorben und verwittert!

Doch die Wurzel dieser Liebe,
Die so reich einst war an Schmerzen,
Lebt noch, tausendfach verschlungen,
Ewig frisch in meinem Herzen;

Fühlet, noch so zart berühret,
Wehmut, Leid und Liebes-Sehnen,
Und vergißt, wenn ihr sie ritzet,
Immer noch den Strom von Tränen!

93.

Sah sie sitzen in der Oper,
Und sie schien mir blaß und leidend,
Sinnend senkte sie das Auge,
Meinen Anblick schmerzlich meidend.

Töne rauschten, Töne schollen,
Und sie sangen gold'ne Lieder,
Doch aus meinem heißen Auge
Fielen Tränen leise nieder.

Und ich mußte mir die Augen
Mit der hohlen Hand verhüllen,
Denn ich fühlte, daß von neuem,
Sie sich stets mit Tränen füllen.

Still saß ich und unbeweglich,
Durfte kaum das Haupt bewegen,
Denn es tropfte auf die Brüstung
Leis' herab der Tränenregen.

Als die Träne war versieget,
Konnt' ich einmal nach ihr schauen,
Und sie hob den Wimpervorhang
Von dem Aug', dem ätherblauen.

Als ich diesen Wimpervorhang
In die Höh' sah langsam gehen,
War ein Trauerspiel, ein großes,
In dem Auge ihr zu sehen.

94.

Nimm mich auf, du öder Garten,
Und ihr Bäume, ganz entblättert;
Nimm mich auf, verlass'ne Hütte,
Und du, Laube, jetzt entgöttert!

Steht ihr sinnend, traurend, klagend,
Weil die Holde euch verlassen?
So auch sinnend, traurend, klagend,
Will ich schmerzlich euch umfassen!

Dieser Boden ist geheiligt,
Und geweiht sind diese Bäume,
Denn hier lebte meine Liebe,
Und hier weilten meine Träume.

Und hier wiegten meine Wünsche
Alle sich in grüner Wiege,
Und hier übten meine Lieder
Alle sich zum Sängersiege!

Und hier klang die Äolsharfe,
Die ich trug im süßen Busen,
Angeweht und zart durchschüttelt
Von dem Götterhauch der Musen.

Und hier liegen auch begraben,
In der blätterlosen Halle,
Meine Liebe, meine Träume,
Meine Wünsche, alle, alle!

Und die Bäume und die Büsche,
Und die Sträuche und Gestrüppe,
Und der Tannen und der Erlen
Bleiche, knöcherne Gerippe,

Stehen wie die Trauer-Urnen,
Stehen wie die Leichensteine,
Kalt und schweigend an dem Grabe
Wo ich heiß und innig weine!

Nur am Haus, am Teich, im Garten,
An der Laube auf und nieder,
Wandeln wie die düstern Schatten
Alle Geister meiner Lieder;

Denn sie wollen mit der Liebe
Lautlos in das Grab nicht gehen,
Wollen um das Grab stets wandern,
Bis die Lieb' wird auferstehen!



nach oben