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Wilde Rosen 3
 


95.

Wenn ein Baum will nicht mehr blühen,
Wenn die Blätter von ihm scheiden,
Muß man in sein Mark ihm Wunden,
Wunden in das Herz ihm schneiden.

Und der Baum erwacht durch Wunden
Aus der Stumpfheit seiner Kräfte,
Und durch Schmerz ersteht er wieder
Zu dem blühenden Geschäfte.

Weil ich ohne alle Blüten
Stehe in des Lebens Mitte,
Schnitt das Schicksal in mein Leben
Tiefe Wunden, tiefe Schnitte.

Darum treiben neue Blüten
Aus dem Schmerz, dem namenlosen,
Und die Wunden sind das Blutbeet
Aller meiner wilden Rosen!

96.

Redet laut nicht, wo die Liebe
Liegt in ihrem leisen Schlummer,
Tretet sachte auf das Grabmal,
Wo begraben Liebeskummer!

Denn die Liebe hört im Schlafe,
Und erwacht vom Lüftebeben,
Und die Liebe fühlt im Tode
Jede Mahnung an ihr Leben!

Hat sie auch das Aug' geschlossen,
Sieht sie durch die Augenlieder,
Habt ihr sie in Sarg geleget,
Hebt sie still den Deckel wieder,

Wenn ein Ahnen, wenn ein Mahnen
Ihrer Wonnen sie erreichet,
Wenn ein Luftbild, wenn ein Schatten
Ihrer Schmerzen sie umschleichet.

Glaubte selbst, daß tief im Herzen
Leise schliefe meine Liebe,
Ging um dieses Herz ganz sachte,
Daß sie ungestörter bliebe.

Saß an meinem Herzen leise,
Und bewachte ihren Schlummer,
Sprach nicht mit vergangenen Wonnen,
Sprach nicht mit dem jetz'gen Kummer.

Plötzlich floß ihr süßer Name
Durch der Lüfte klare Welle,
Und erwacht war schnell die Liebe
Und ihr Aug' war falkenhelle,

Und sie sprach mir so wie früher
Viel von ihrem Grame wieder,
Und sie goß mir so wie früher
In das Herz viel Klagelieder.

97.

Wenn die Sonne ist am Abend
Lächelnd sterbend hingesunken,
Sieht ihr Luna nach mit Blicken
Die von Schmerz und Liebe trunken;

Und der Stern der Liebe funkelt
Ihr noch nach mit reinem Glanze,
Und er harret, lieblich leuchtend,
Bis sie kommt im Morgenglanze.

Meine Sonne auch ging unter,
Lächelnd noch im Abwärtssinken,
Und mein Lieben steht am Himmel,
Ihren Abglanz noch zu trinken;

Und der Stern der ew'gen Liebe,
Hoffnung, mit dem süßen Schimmer,
Strahlt allein an meinem Himmel,
Harret ihres Aufgangs immer.

98.

Liebe, ja, du bist die Sonne!
Kamst mir aus dem Meer von Tränen,
Weiltest einen Tag voll Stürme,
Und versankst in's Meer von Tränen.

Liebe, ja, du bist die Sonne!
Wirst bedeckt so mannigfaltig,
Von Nacht und Mond und von der Erde,
Und von Wolken, vielgestaltig;

Dennoch strahlst du jeden Morgen
Wie ein Held nach Siegerschlachten,
Und ich blicke auf zum Himmel,
Um zu beten, zu betrachten!

99.

Liebesschmerzen sind wie Bienen,
Flattern summend um die Herzen,
Flattern, schweben, kommen wieder
Mit dem Stich voll heißer Schmerzen.

Während sie so stechend flattern
In des Herzens offne Zelle,
Legen sie den Liederhonig
In des Stachels Wundenstelle.

100.

Weiß denn nicht voraus die Rose,
Schlummernd noch im Schoß der Erde,
Daß im Leben sie von Dornen
Stachelreich empfangen werde? —

Weiß denn nicht voraus die Rose,
Eh' sie noch der Erd' entsprossen,
Daß im Leben ihrer harren
Reif und Nebel, Blitz und Schlossen? —

Weiß denn nicht voraus die Rose,
Daß sie muß am Strauche sterben,
Oder daß sie rauhe Hände
Fühllos brechen und verderben? —

Weiß denn nicht voraus die Rose,
Die an schöner Brust uns blendet,
Daß sie wird hinweggeworfen,
Wenn der Ball und Tanz geendet?

Dennoch dringt sie aus der Erde,
Dennoch eilt sie in das Leben,
Dennoch drängt sie's, Duft und Farbe
Allen Stürmen preis zu geben;

Dennoch schwillt's in ihren Adern,
Und sie sprengt die Knospen-Spangen,
Dennoch aus der grünen Kammer
Treibet sie ein süß Verlangen.

So auch weiß voraus die Liebe,
Eh' sie treibt aus tiefem Herzen,
Daß im Leben ihrer warte
Nur ein Dornenkranz von Schmerzen:

So auch weiß voraus die Liebe,
Eh' den stummen Mund sie sprenget,
Daß die Zukunft voller Schlossen
Über ihrem Haupte hänget;

So auch weiß voraus die Liebe,
Eh' sie spricht in lauten Klagen,
Daß die Lüfte sie an Felsen
Und an taube Ohren tragen.

Dennoch treibt sie aus dem Herzen
Ihre ungeteilten Flammen,
Und sie schlagen unauslöschlich
Über Glück und Leid zusammen;

Dennoch bricht sie aus dem Herzen,
Ohne Zagen, ohne Zittern,
Eilt entgegen, unbeschirmet,
All den Stürmen und Gewittern!

Dennoch hat sie ihre Kränze
Nur der Einzigen bereitet,
Wie sie auch mit stolzem Schritte,
Sie zertretend, d'rüberschreitet!

101.

Hundert wilde Rosen sind gesprossen
Aus den Ritzen meiner Herzenswunden,
Und ich band sie ihr zum Liederkranze
In des Wundenfiebers heißen Stunden.

Jede dieser hundert wilden Rosen
Treibt an seinem zarten Stengel wieder
Hundert and're kleine Rosenknospen,
Hundert and're Knospen kleiner Lieder.

Denn so tief sind diese Herzenswunden,
Daß ihr Boden bleibet unergründlich,
Und so heiß das Blut in diesen Wunden,
Daß es wilde Rosen treibet stündlich.

Doch die Liebe zählt nicht ihre Tränen,
Ihre Küsse nicht, nicht ihre Lieder,
Und ich sollte diese Rosen zählen
Die aus Wunden sprossen zehnfach wieder?!

Ungezählt, wie süßes Liebeswünschen,
Ungezählt, wie süßes Liebesträumen,
Pflück' ich ihr zum Kranze wilde Rosen
Aus des Herzens rosenvollen Räumen!

102.

Tausend Schmerzen fühl' ich stündlich,
Ungestüm an's Herz mir schlagen:
"Laß' hinaus uns in das Leben,
Gib uns Wort zu lauten Klagen!" —

Und ich kleide sie in Töne,
Hülle sie in weiche Worte,
Und sie ziehen, weinend, klagend,
Aus des Herzens offner Pforte.

Denn ein Schmerz erträgt sich leichter,
Gibt im Wort er von sich Kunde,
Und die Luft, sie kann nicht heilen,
Aber kühlen doch die Wunde!

Nur ein einz'ger Schmerz, ein großer,
Bleibt im Herzen mir verschlossen,
Er begehrt nicht Luft und Worte
Wie die andern Schmerzgenossen;

Sitzt allein, vom Krampf gefesselt,
Und zum Knäul zusammgezogen,
Hat sich an den Herzenswänden
Stumm und durstend festgesogen.

Wie ein Krebs, mit scharfen Scheren,
Sitzt er in des Herzens Krone,
Schneidet ein mit kaltem Blute,
Schneidet ein mit kaltem Hohne.

Und ich möchte seinen Namen
Meinem Schatten selbst nicht nennen,
Und den eigenen Gedanken
Es verwehren, ihn zu kennen!

Wie der Mann mit Eisen-Maske,
Seinen eig'nen Laut behütend,
Sitzt er in dem Herzgefängnis,
An sich nagend, lautlos wütend!

103.

Zum Geburts- und Namenstage
Des geliebten holden Kindes,
Ist es süß, sich auszusinnen
Neuen Reiz des Angebindes;

Sei's ein Bildchen, sei's ein Blümchen,
Sei's ein Kreuzchen, klein und golden,
Sei's ein Blättchen, das beschrieben
Mit dem Namenszug der Holden;

Sei's ein Buch, das zart gebunden,
Und die Stelle, die sich eignet,
Durch ein kleines Rosenblättchen
Eingeleget und bezeichnet! —

Solches süßes Liebesinnen
Raubten mir die Unglückssterne,
Steh' an solchen gold'nen Tagen
Weit von ihr und einsam ferne!

Nur des Nachts steh' ich am Fenster,
Wo die Holde liegt im Schlummer
Bet' empor mit heißen Tränen:
"Gott behüte dich vor Kummer!"

104.

Ich besitz' ein Blatt der Holden,
Wie hab' ich das Blatt bekommen?
Sie hat mir es nicht gegeben,
Ich hab' ihr es nicht genommen.

Auf dem Blatte steht ihr Name,
Hat für mich sie ihn geschrieben?
Ist das Blättchen mit dem Namen
Ungefähr im Buch geblieben?

Nein, fällt doch kein Blatt vom Baume,
Wenn's dem Himmel nicht beliebe,
Und so fiel dies Blatt mir sicher
Aus dem Himmel ihrer Liebe!

105.

Winter bringt ihr Tanz und Freuden,
Winter bringt mir Weh und Kummer,
Kurze Tage, lange Sehnsucht,
Lange Nächte, kurzen Schlummer!

Lange Nächte wie die Riesen,
Lange Nächte wie Gespenster,
Jagen mich aus Bett und Schlummer,
Zerren mich an alle Fenster.

Wagen rollen, Wagen rasseln,
Jagen hin und her zum Balle,
Und ich seh' im Geist sie prangen,
Reizgeschmückt, in hoher Halle.

Seh' umgeben sie von Gecken,
Von der hirnversagten Rotte,
Die sie macht zu ihrer Göttin,
Und den Tanz zu ihrem Gotte.

Seh' sie fliegen durch die Kreise,
Bald mit Jenen, bald mit Diesen,
Seh' sie durstig in sich schlürfen,
Huldigungen, fad' erwiesen!

Frische Rosen auf den Wangen,
Blumen in dem Haar, dem losen,
Scheinen wehmutsvoll zu fragen:
"Denkst du nicht der wilden Rosen?"

106.

Abends treiben weiß und eisig,
Wilde Rosen aus den Scheiben,
Die ans Fenstern und aus Herzen
Glut und Frost verbunden treiben!

Schlingen um das Glas die Stengel,
Wie die sehnsuchtsvollen Arme;
Legen an das Glas das bleiche
Antlitz, wie im Liebesharme.

Und ich gehe, sie zu pflegen,
Sie mit Tränen zu begießen,
Bis, von meinem Schmerz gerühret,
Sie in Tränen selbst zerfließen!

107.

Wie der Busch einst stand in Flammen,
Und sich dennoch nie verzehrte,
Weil er brannte für ein Wesen,
Als das Einz'ge, Hochverehrte;

So auch steht mein Herz in Flammen,
Unverzehrt in Glut und Feuer,
Weil's entbrannt ist für ein Wesen,
Einzig, heilig, hoch und teuer!

108.

Wie ich Gott verehre innig,
Nicht nur wenn er Glück mir sendet,
Wie ich liebend zu ihm schaue,
Wenn er Weh und Schmerz mir sendet;

Wie ich aus dem Staub' ihn liebe,
Und vergeh' in stiller Demut,
Wenn er zürnet, und mich heimsucht
Mit des Lebens tiefster Wehmut;

Wie ich dennoch vor ihm knie,
Und in Tränen zu ihm bete,
Wie er auch, in weiser Fügung,
Meine Erdensaat zertrete;

Wie ich stets, gestärkt im Glauben,
Seinen Namen halt' geheiligt,
Wenn er auch mit Leid und Trübsal
Mich zur Stunde hat beteiligt;

So verehr' ich sie, die Hohe,
Nicht nur wenn sie mir gewogen,
So verehr' ich sie, die Reine,
Selbst wenn Zorn ihr Aug' umzogen.

So auch lieb' ich sie mit Inbrunst,
Nicht nur wenn sie Lieb' mir spendet,
Selbst wenn sie das Haupt, das fromme,
Grollend, zürnend von mir wendet.

So mein Beten und mein Singen
Ist geweiht der Engelgleichen,
Mag sie auch von Gunst und Hoffnung
Nicht den kleinsten Strahl mir reichen.

So auch, weinend, auf den Knien,
Lieg' ich stets, an sie zu denken,
Mag sie auch so Herz als Auge
Unerbittlich von mir lenken!

109.

Zarte Früchte, Rosenknospen,
Will man lange frisch sie hegen,
Muß in Essig und in Säure
Und in Salze man sie legen.

Zarte Neigung, Liebesknospe,
Bleiben frisch für's ganze Leben,
Werden sie mit Hohn und Kränkung
Und mit Stachelwort umgeben!

110.

Reich an Schmerzen ist die Liebe,
Und an Leiden, die uns quälen;
Wer vermag es, sie zu nennen?
Wer vermag es, sie zu zählen?

Schmerzlich ist es, heiß zu lieben
Und nicht finden Gegenliebe;
Schmerzlich ist's, geliebt zu werden,
Wenn man ohne Hoffnung bliebe!

Schmerzlich ist es, von der Teuren
In die Ferne fort zu gehen,
Schmerzlich ist's, in ihrer Nähe
Weilen, und sie doch nicht sehen!

Schmerzlich ist es, von der Holden
Bitterlich verkannt sich wissen,
Schmerzlich ist es, jedes Mittel
Zur Erklärung stets vermissen!

Schmerzlich ist es, zu erfahren,
Daß man unserthalb sie kränket;
Schmerzlich ist's, wenn Haß und Bosheit
Unserthalb mit Gift sie tränket!

Schmerzlich ist's, wenn sie aus Kummer
Lustbarkeit und Feste meidet,
Schmerzlich ist's, wenn sie als Opfer
Sich zu Fest und Balle kleidet!

Doch das Schmerzlichste der Schmerzen,
Tief in's Herz und Leben schneidend,
Ist: die Teure krank zu wissen,
An Gefühl und Körper leidend,

Und bei ihr nicht weilen können,
Sorgsam, pflegsam, wachsam immer,
Horchend auf des Odems Wehen,
Spähend nach des Blickes Schimmer!

Fragend alle Augenblicke:
"Herz, mein Herz, willst etwas haben?"
Stets beschäftigt, sie zu warten,
Sie zu pflegen, sie zu laben;

Ihren Schlummer zu bewachen,
Ihren Pulsschlag abzuzählen,
Ihren Seufzern abzulauschen,
Was im Traume sie mag quälen;

Ihr den Labtrunk selbst zu reichen,
Selbst das Kissen recht zu legen;
Denn so sanft, wie Hand der Liebe,
Kann Verwandten-Hand nicht pflegen!

Ferne sein, wenn krank die Teure,
Ferne zittern, ferne beben,
Ist der höchste Schmerz der Liebe,
Ist der höchste Schmerz im Leben!

111.

Glockenblumen in dem Garten
Heben aufwärts blaue Becher,
Angefüllt mit süßem Taue,
Morgenwein für frühe Zecher!

Erster Becher! Nektarreicher!
Will auf Einen Zug dich leeren,
Meiner Holden, meiner Süßen,
Meiner Hertha hoch zu Ehren!

Wie dein Tau, so rein und helle,
In dem Kelch und auf den Dolden,
Ist das Herz der Vielgeliebten,
In der Brust, der lieblichholden!

Zweiter Becher! Tropfenvoller!
Sei auf Hertha's Gunst getrunken,
Die, wie Tau in deine Blätter,
Ist vom Himmel mir gesunken!

Dritter Becher! Frischgefüllter!
Sei geleert auf Hertha's Treue,
Weil du öffnest deine Blätter
Einmal nur und nicht auf's Neue!

Vierter Becher! Funkelheller!
Laß' auf Hertha's Gruß dich nippen,
Weil dein Herz tönt wie die Glocke,
Und doch schweigsam deine Lippen!

Fünfter Becher! Zu den Vieren
Sei gefügt, der allerletzte,
Sei gebracht der letzten Träne,
Die um mich ihr Auge netzte!

Wie die Strahlen schöner Tage,
Die den Tau vom Blatte saugen,
Mögen Strahlen schöner Tage
Trocknen ihre nassen Augen!

Wie du, tauberaubt, den Becher,
Leer und welk dann senkst zur Erde,
Umgestürzt und ohne Inhalt,
Wünschend, daß es Abend werde;

Senk' ich auch mein Haupt zur Erde,
Da mir Tau und Sonn' genommen; —
Morgen, Mittag sind vorüber,
Abend ist's, und Nacht wird kommen!

112.

Glaubt ihr weil sie mein nicht achtet,
Weil sie mein gedenkt nicht wieder,
Sei versiegt auch meine Liebe,
Sei versiegt der Quell der Lieder?

Ist denn Lieb' ein töricht Mädchen,
Das zur Gegenlieb will gehen,
Wie zum Spiegel, um sich selber
Rückgestrahlt aus ihr zu sehen?

Liebe ist ein sinnig Mädchen,
Blumen in die Fluten streuend!
Zwischen Träumen, zwischen Wachen
Dieses Spiel nur stets erneuend!

Ob die Flut ihr lieblich Bildnis
Liebempfänglich wiederstrahle,
Ob kein Zug von ihrem Wesen
Auf der kalten Flut sich male,

Streut sie ihre Blumen alle
Dennoch in die Fluten nieder,
Singet sie den blauen Wogen
Dennoch ihre schönsten Lieder,

Weil ein Zauber sie befangen.
Sehnend in die Flut zu schauen,
Weil ein Reiz, ganz unbegriffen,
Wohnet in den Wasserauen!

Meine Lieb' ist solch ein Mädchen
An dem Strome der Gefühle,
Lugend in die Zaubertiefe,
Schmachtend nach der frischen Kühle;

Und so streut sie ihre Blumen
Alle in die Fluten nieder,
Und sie singt den kühlen Wogen
Alle ihre schönsten Lieder!

113.

Krank am Körper, krank am Herzen,
Bin im Hause ich verschlossen;
Schmerz und Klage, Leid und Sehnsucht
Meine einzigen Genossen!

Schmerz und Klage, Leid und Sehnsucht
Gehen mit mir auf und nieder;
Schlafen eng mit mir im Bette,
Und erwachen mit mir wieder.

Schmerz und Klage, Leid und Sehnsucht
Nehmen sich zu jeder Stunde
Träume, Märchen und Gedichte
Von der Holden aus dem Munde!

Schmerz und Klage, Leid und Sehnsucht,
Weilet stets in meiner Nähe,
Daß die Teure, Vielgeliebte,
Euch bei sich nur niemals sähe!

114.

Schmeichelwort und frische Kränze,
Lob und Preis und Huldigungen,
Süße Briefchen, goldberändert,
Zierlich ineinandgeschlungen,

Sinn'ge Gaben und Devisen,
Und Gedichtchen, zart empfunden,
Kühlen wohl, doch heilen nimmer
Meines Herzens tiefe Wunden.

Schmeichelwort war einst mir teuer,
Weil ich's ihr könnt' wiederbringen,
Frische Kränze nahm ich gerne,
Ihr sie in das Haar zu schlingen;

Süße Briefchen las ich gerne,
Weil an sie dabei ich dachte,
Und Gedichtchen schrieb' ich gerne,
Weil ich ihr sie neckend brachte!

Lob und Preis und Huldigungen
Waren mir willkommen immer,
Weil auf sie von ihrem Lichte
Fiel zurück der schönste Schimmer!

Nun mein Garten ist verwüstet,
Und gestürzt die Blumenhallen,
Nun mein Lieben ist zerschnitten,
Nun mein Leben ist zerfallen,

Nun was sollen Huldigungen
Einem Dasein, das getötet?
Nun was soll der bleichen Wange
Frischer Kranz vom Licht gerötet?!

Nun was sollen Schmeichelworte
Einem toten, tauben Herzen?
Nun was sollen süße Briefchen
Einer Brust voll bitt'rer Schmerzen?!

115.

Schmerz und Lieb' sind selt'ne Freunde,
Nähren beide sich vom Herzen,
Süßer Schmerz nährt bitt're Liebe,
Süße Lieb' nährt bitt're Schmerzen.

Schmerzenslieb' ist darum wonnig,
Weil sie ihrem Liebeszecher
Wehmutsüßen Gram kredenzet
Selbst im vollen Wermutsbecher.

Liebesschmerz ist darum wonnig,
Weil er hält, im Salz der Tränen,
Ewig frisch das Liebeleben,
Liebelust und Liebesehnen!

116.

Auch der Haß ist eine Speise,
Die ein Herz kann reich ernähren;
Will ihr Gott die Lieb' nicht lassen,
Mög' er ihr den Haß gewähren.

Möge sie im tiefsten Herzen
Mich so tödlich, feindlich hassen,
Gleich als ob ihr Haß an Größe
Meine Lieb' zurück wollt lassen!

Mög' sie alle tiefen Qualen,
Die um's Herz sich stets mir winden,
Als die süßesten Gefühle
In der tiefsten Brust empfinden!

Mög' sie alle meine Tränen,
Heiß geweint in öden Nächten,
Sich als lebensfrohe Perlen
In die goldnen Locken flechten!

Mög' sie alle Schmerzenslieder,
Aus der Seele mir geschnitten
Lächelnd hören, wie ein Märchen
In der lust'gen Kinder Mitten!

Dann erst sind mir Schmerz und Tränen
Und die Lieder hochwillkommen,
Weil sie meiner ewig Teuern
Doch zu Lust und Freuden frommen!

117.

Auf dem Lilienblatt der Wangen
Stehen Züge, holdverschlungen,
Wundersame Hieroglyphen,
Von dem tiefsten Sinn durchdrungen;

Runen sind es, mag'sche Zeichen,
Von dem blinden Gott geschrieben,
Vom Geheimnis stiller Sehnsucht,
Und vom Gram und Leid im Lieben.

Und der Hieroglyphen-Schlüssel,
Der sie löst zur süßen Stunde,
Liegt im See von ihren Augen,
In dem tiefen, blauen Grunde!

Tränen sind die Runenschlüssel,
So die Wunderschrift erschließen,
Doch sie brauchen kann nur Jener,
Dem die Tränen liebend fließen!

Weil sie fließen mir die Tränen,
Weil die Tränen mein gewesen,
Kann ich in den Wunderzügen
Wie im offnen Buche lesen!

118.

An dem stillen Fest der Gräber,
Ferne von dem Grab der Meinen,
Konnt' ich nur ein Grab besuchen,
Nur an einem Grabe weinen!

Auf dem Grabe meiner Liebe
Lag ich, voll von bittern Schmerzen,
Auf den heißen Wangen brannten
Tief entglomm'ne Trauerkerzen!

Einen Kranz von wilden Rosen,
Einen Totenkranz voll Lieder,
Einen Kranz voll Tränenperlen
Legt' ich auf das Grab dann nieder!

In mir liegt das Grab der Tränen,
Als ein ew'ger Schmerzengeber,
Und ich fei're all mein Leben,
Gramerfüllt, ein Fest der Gräber!

119.

Wilde Rosen, wilde Rosen
Stehen üppig am Gehege,
Kommen freundlich, mich zu grüßen,
Rechts und links auf meinem Wege.

Kommen weiß und rot gekleidet,
Wie die Kinder froh gegangen,
Mich als ihren Liederfürsten
Untertänig zu empfangen.

Wie sie grüßen, wie sie nicken!
Wie sie sich so lieblich neigen!
Und mich treibt es, aus dem Wagen
Zu den Kindern auszusteigen.

Grüß' euch vielmal, wilde Rosen,
Grüß' euch vielmal, liebe Kinder;
War euch immer hold gewogen,
Bin es jetzo auch nicht minder.

Hab' euch in der Brust getrau,
Als ich Liebesglück gesungen,
Hab' euch in der Brust getragen,
Als mein Lied von Weh erklungen.

Seht mich nicht mehr an so fragend,
Und begehrt mehr keine Lieder;
Nur den Rosen kommt ein Frühling,
Doch den Dornen keiner wieder.

Weil nun von den wilden Rosen
Nur die Dornen mir geblieben,
Hat der Frühling keine Lieder
Aus dem Dornenstrauch getrieben!

120.

Um mich schlagen Nachtigallen
Unter Blätterhallen;
Um mich ziehen Schmetterlinge
Ihre Blumen-Ringe;
Um mich murmeln kühle Bäche
Ihre Schlaf-Gespräche;
Nur ich sitze ohne Worte
An dem Zauberorte,
Denn die Knospe, lichtumflossen,
Frisch vom Tau begossen,
Will mir nicht entgegenblühen,
Nicht dem Netz entfliehen;
Will nicht Liebesblume werden,
Mir nicht Blume werden!

121.

Baum fragt nicht, ob seine Früchte
Je gewinnen Lieb und Dank!
Rose fragt nicht, ob die Bienen
Loben ihren süßen Trank,
Demant fragt nicht, ob sein Funkeln
Anerkennt die finstre Welt!

Sonne fragt nicht, ob ihr Strahlen
Wird erkannt vom Himmelszelt!
Und mein Herz mit seiner Liebe,
Und mein Lied mit seinem Sang,
Fragen keines, ob von Beiden
Eines sich ihr Herz errang!

122.

Weiter geh' ich, immer weiter,
Bin dir dennoch ewig nah,
Wo den Himmel ich erblicke,
Da bist du auch wieder da!

Welt ist groß für and're Leute,
Dem, der liebt, dem ist sie klein,
Denn nur da, wo seine Liebe,
Da ist seine Welt allein!

123.

Der See!
Der See!
Im Herzen steht ein See,
Und ruht der See, zur guten Stund,
Sieht man hinab bis auf den Grund,
Der See ist klar, der See ist rein,
Der Himmel scheint so hell hinein,
Und wer dem See sich anvertraut
Sein eig'nes Bildnis in ihm schaut,
Denn "Liebe" wohnt, die holde Fee,
Im See,
Im See!

Der See!
Der See!
Im Herzen steht ein See,
Und wenn der See ist sanft bewegt,
Von Wunsch und Sehnsucht angeregt,
Dann dunkelt sich die Flut gemach,
Die Wellen murmeln leise: ach!
Das Bild, das man den Wellen gab,
Das gleitet bebend auf und ab,
Wie hoch und tief die Well' auch geh'
Vom See,
Vom See!

Der See!
Der See!
Im Herzen steht ein See,
Und wenn ein Sturm den See zerschäumt,
Wenn jede Welle hoch sich bäumt,
Wenn wild die Flut an's Ufer schlägt,
Die tote Lieb' an's Ufer trägt,
Und aus des Herzens offnem Spalt,
Die Tiefe gähnet, öd' und kalt,
Dann wohnt der Schmerz, dann wohnt das Weh
Im See,
Im toten See!

124.

Wenn du willst den Schatz der Liebe
Heben dir zur süßen Stunde,
Mußt du schweigen, mußt die Zunge
Fest vermauern in dem Munde!

Keine Seele darf dir helfen!
Keine Seel' den Weg dir bahnen,
Keine Seele dich ermuntern,
Keine Seel' den Schatz nur ahnen!

Keine Flamme darf dir leuchten,
Als die beiden Augensterne,
Die da brennen, äthergeistig,
Ob dem Schatz im Herzenskerne!

Darfst nicht horchen, darfst nicht lauschen,
Wenn du hörst ein hämisch Flüstern,
Denn es hausen die Dämonen,
Wo ein Schatz ist, bös und lüstern!

Wie du hörst auf fremde Worte,
Wie ein Wort dir flieht vom Munde,
Ist der Schatz sogleich versunken,
Und verschwunden in dem Grunde;

Und die schwarzen Erdengeister
Schlagen auf ein Hohngelächter,
Denn es sind die bösen Geister
Jedes Erdenschatzes Wächter!

125.

Eine Götterstadt der Liebe,
Aufgebaut von Amors Händen,
Ausgeschmückt mit Tempelhallen,
Götterbilder an den Wänden,

Ein Pompeji voller Wunder,
Voll von Tempeln und Altären,
Stand in meinem vollen Herzen,
Wogend, wie ein Feld voll Ähren!

Unter ausgebrannter Lava,
Unter Asche, fest verkittet,
Liegt sie jetzt, mit all' den Göttern
Und den Tempeln tief verschüttet!

Und der Schmerz, der forschbegier'ge,
Gräbt nun nach zu jeder Stunde,
Wühlet nach versunk'nen Göttern
In dem asch'bedeckten Grunde!

Deckt sie auf die Arabesken,
Mit den Blumen, mit den Kränzen,
Frischt sie auf die Wandgemälde,
Mit den luft'gen Horentänzen,

Gräbt herum in den Ruinen,
Nach zerstückten Götterresten,
Nach den Trümmern von Gefäßen,
Einst bestimmt zu Götterfesten.

Schmerz ist so mein Totengräber,
Der, anstatt sie einzugraben,
Ist beschäftigt, all' die Bilder
Aus dem Tode auszugraben!

126.

Wilde Rose, wilde Rose,
Du allein gebenedeite,
Du nur bist von all' den Blumen,
Du allein die Unentweihte!

Nur durch falsche Glut getrieben,
Sah ich alle Blumen prangen,
Sind in Falschheit auferzogen,
Sind in Falschheit aufgegangen!

Falsche Hitze, die sie färbte,
Falsche Farben, die sie schmücken,
Falsche Düfte, die sie buhlend
In die gold'nen Säle schicken!

Sah sie prangen, Ros' und Nelke,
Und die Blumen aller Sorten,
Auf den Bällen, auf den Sälen,
Und auf allen off'nen Orten,

In den Haaren, an dem Busen,
Gleißen, prunken, kokettieren,
Eine Stunde blenden, locken,
Duft und Farbe dann verlieren!

Du nur, fromme, wilde Rose,
Bist kein Kind der Treibhausdünste,
Und die Röte deiner Wangen,
Ist nicht Glut der Glashauskünste!

Weil du sittlich, rein, bescheiden,
All' den Winter bliebst am Stengel,
Wecket dich mit süßem Kusse
Frühling nun, der Blumenengel!

Weil du weiltest, unbetastet,
Züchtiglich an fernen Hecken,
Kommt der keusche Gott des Tages,
Aus dem Schlummer dich zu wecken;

Und er gießt die reinsten Strahlen
Dir in's Herz und auf die Wangen,
Und er schickt die reinsten Weste,
Dich mit Grüßen zu empfangen,

Und er schickt die schärfsten Dornen,
Schützend stets dich zu umschließen,
Und er läßt die schönsten Lieder
Seiner Sänger dich genießen!

127.

Als ich reis'te fort von hinnen,
Vorwärts aus dem Heimatsschranken,
Flogen rückwärts Wunsch und Sehnsucht,
Flogen rückwärts die Gedanken.

Als ich weilte in der Fremde,
Zogen mich zu Heimatsschranken,
Unablässig, unermüdlich,
Wunsch und Sehnsucht und Gedanken.

Als ich sehnend wiederkehrte
Rückwärts zu den Heimatsschranken,
Flogen vorwärts Wunsch und Sehnsucht,
Flogen vorwärts die Gedanken!

Geht nicht von mir, Wunsch und Sehnsucht
Geht nicht von mir, ihr Gedanken!
Wo ihr hinwollt, wo ihr hineilt,
Sind versperrt die Herzensschranken!

128.

Keinen Frühling hatte mein Liebe,
Keinen Lenz mit zarten Blättern,
Plötzlich kam des Sommers Schwüle,
Überreich an Blitzeswettern.

Keine Herbstzeit hatte meine Hoffnung,
Sah sie langsam nicht erblassen;
Sie begrub der Winter plötzlich
Unter Schnee und Eisesmassen.

Liebes-Sommer nur und Hoffnungs-Winter
Sind des Herzens Jahreszeiten,
Und ich muß durch Eis und Flammen
Schweigend hin zum Grabe schreiten!

129.

Wenn der wilden Rose Blätter
Abgefallen und verblichen,
Steht die Hagebutte trauernd
Um den Reiz, der ihr entwichen.

Sehnsuchtsglühend, tieferglommen,
Dunkelflammend ist ihr Wesen,
Denn sie denkt voll Glut der Stunde,
Wo sie Rose ist gewesen! —

Wenn der Lieb' in meinem Herzen
Auch die Blätter sind entfallen,
Steht sie dennoch, dunkelglühend,
In des Herzens tiefsten Hallen.

Sehnsuchtsglühend, tieferglommen,
Dunkelflammend ist ihr Wesen,
Denn sie denkt voll Glut der Stunde,
Wo die Blätter frisch gewesen!

130.

Es glühet in dem dunkeln Laube
Vor ihrem Fenster die Zitrone,
In kalten Lüften bebt und zittert
Die Tochter glühendheißer Zone.

D'rob lacht vom nächsten Rebenhügel
Die kleingekörnte, junge Traube,
"Mir ist heiß genug die Sonne"
Spricht sie, "in meinem zarten Laube."

— "Dem Staube nah," spricht die Zitrone,
Geschaffen ird'schen Durst zu letzen,
Genügen dir auch matte Strahlen,
In Fieberglut dich zu versetzen;

Ich aber wohn' im höchsten Lichte;
Im klarsten Äther großgezogen,
Bedarf ich heißer Sonnenstrahlen,
Und glutdurchströmter Ätherwogen!" —

Viel laue Herzen auch gedeihen,
Im matten Strahl gleich von Opalen,
Ein Dichterherz will Azurfluten,
Und Ätherglut, und Sonnenstrahlen! —

131.

Nacht ist duftschwül angebrochen,
Zauberisch, mit blassen Wangen,
Eingehüllt im Silberschleier,
Und geschmückt mit Sternenspangen.

Stolz, mit dunkelgrünen Kronen,
Stehen Bäume in der Runde,
Sprechen heimlich viel von Liebe,
Von der Dichtkunst gold'ner Kunde.

Blumen stehen wie die Kinder
Ihnen lauschend still zu Füßen,
Zweige neigen sich zuweilen,
Sie zu küssen, sie zu grüßen.

Und ich sitze in der Mitte,
Zwischen Träumen, zwischen Wachen,
Höre Trauerlieder weinen,
Höre Brautgesänge lachen.

Denn verzaubert ist der Garten,
In den Blättern wohnen Feen,
Lieder wohnen in den Blumen,
Märchen wohnen in den Seen.

Doch ein Wunder, schön und reizend,
Wohnt im weißen Hause drinnen,
Über dieses Wunder muß ich
Ewig denken, dichten, sinnen.

132.

Nur die Wolken, die ganz niedrig,
Wandern schnelle und vergehen;
Doch je höher schwebt die Wolke,
Desto länger bleibt sie stehen! —

Nur die niedern Erdenschmerzen
Ziehen fort nach kurzer Dauer;
Ewig schwebt an uns'rem Himmel
Höchster Schmerz und höchste Trauer!

133.

Auf saphirner, blauer Woge
Schifft der Schwan des Mondes sachte,
Sanft errötet dann die Wolke,
Denkend, daß er übernachte.

Doch der Schwan muß weiter ziehen,
Und mit schmerzlichem Behagen
Weicht die Wolke still zur Seite,
Und vergeht in leisen Klagen.

Und dem Monde stets zur Seite,
Der die Ruhe nimmer findet,
Schifft die blasse Liebeswolke,
Bis er westwärts ganz verschwindet.

Dann ergießt sie ihre Tränen,
Auf die dunkle Erdenaue,
Daß der Tag, der Tränenspötter,
Ihr verweintes Aug' nicht schaue.

134.

Nennet nur nicht Frühling
Dieses schöne Angesicht;
Ist nicht Liebe in dem Herzen,
Ist im Antlitz Frühling nicht!

Nennt ihr Sterne diese Augen,
Diesen blauen Lichtkristall?
Ohne Liebe sind es Steine,
Seelenloser Ätherball!

Nennt ihr Rosen diese Wangen,
Diesen zarten Blumenkreis?
Ohne Liebe sind's Tapeten,
Schön gestickt mit Rot und Weiß!

Nennt ihr Anmut dieses Lächeln,
Dieser Lippen Wunderspiel?
Ohne Liebe ist's Mechanik,
Toter Linien leeres Spiel!

Nennt ihr Wohllaut diese Worte,
Dieser Töne Zauberlust?
Ohne Liebe ist's ein Echo
Aus der hohlen Felsenbrust!

Wo nicht Lieb' ist, ist nicht Frühling,
Schönheit nicht und Seele nicht,
Körper ist es, Bein und Adern,
Hand und Fuß und Angesicht,

Augenapfel, Augenlieder,
Ohne Lust und ohne Schmerz,
Doch im Bildnis wohnt kein Leben
Und im Busen liegt kein Herz!

135.

Wenn der Hammer auf der Glocke
Ruhet noch vom schweren Schlage,
Tönt nur dumpf die Schwergetroff'ne,
Tönt nur dumpf die tiefe Klage.

Später erst, nachdem der Hammer,
Von der Glocke sich erhoben,
Sendet sie die weichsten Klänge
In die Lüfte und nach oben.

Wenn der Schlag vom Weh der Liebe
Frisch noch liegt auf unsern Herzen,
Tönen dumpf und stumpf nach innen
Seine Klagen, seine Schmerzen.

Spät erst, wenn des bittern Schlages
Schwerer Fall das Herz gelichtet,
Tönt es aus die Schmerzenslieder,
Frühern Leiden spät gedichtet!

136.

Eine Blume sah ich blühen,
Küßte sie und brach sie nicht;
Sprach: "Ade, du süße Blume!"
Und verhüllte mein Gesicht.

Kam am andern Morgen wieder,
Und die Blume war verblüht,
Schmetterling hat sie getötet,
Ihr die Äuglein ausgeglüht.

"Schmetterling, du bunter Bursche,
Suchst von gestern deine Braut?
Über Nacht ist sie gestorben,
Ohne Klage, ohne Laut."

Und die Blume sah ich liegen,
Küßte sie und brach sie nicht,
Sprach: "Ade, du bitt're Blume!"
Und verhüllte ihr Gesicht.

137.

Tausend Sterne hat der Himmel,
Schenk', o Himmel! mir nur Einen,
Daß ich ihn auf ihrem Pfade,
Lichtverbreitend, lasse scheinen!

Tausend Engel wohnen d'roben,
Einen einz'gen hätt' ich gerne,
Daß er wache ihr zur Seite,
Wenn ich selber ihr bin ferne.

Tausend Becher hat die Lethe,
Einen wünscht' ich nur, bescheiden,
Ihn der Holden darzureichen,
Wenn sie denkt vergang'ner Leiden.

Tausend Sprachen spricht die Liebe,
Wenn ich doch nur eine wüßte,
Die so innig, die so wonnig,
Daß ihr Herz sie rühren müßte!

Tausend Grabplätz' hat die Erde,
Könnt' ich einen nur erwerben,
Jene kleine Spanne Erde,
Ihr zu Füßen d'rauf zu sterben!

138.

Herzen haben gutes Wetter,
Herzen haben böses Wetter,
Wolken, Sonnenschein und Regen,
Stürme, Blitze, Donnerwetter.

Herzen haben Schauer, Hagel,
Wolkenbrüche und so weiter,
Und magnet'sche Kraft darinnen
Als bewährte Wetterleiter.

Herzen haben Wetterwinkel,
Wieg' und Kessel wilder Triebe,
Dieses böse Wetterwinkel
Ist: die Liebe, böse Liebe!

139.

Kopf und Herz sind Glock' und Weiser,
In dem Werk der Menschen-Uhr,
Geht das Herz auch immer leiser,
Tönt der Kopf geschwinder nur!

Und vom Kopf tönt's laut wie Glocken
"Meiner Liebe bin ich frei!"
Wie der Herzschlag auch in Stocken
Und in Schmerz geraten sei.

Hab' nach langen, langen Tagen,
Gestern plötzlich sie erblickt,
Und mein Herz fing an zu schlagen,
Und zu pochen wie zerstückt;

Ist's nun wahr, was du gesprochen?
Fragt das Herz zum Kopf hinauf.
Ich regier', und d'rauf zu pochen
Hör ich liebend niemals auf!

140.

Blumen blühen, wachsen, sprießen
Auf der freien Sonnenflur,
Wie sie öffnen sich und schließen,
Werden sie zur "Blumenuhr."

Meine Blumenuhr hienieden
Ist ihr Herz nur ganz allein,
Was für Stunde mir beschieden
Zeiget diese Uhr, so klein.

Wenn es offen mich begrüßet,
Zeigt's die schönste Stunde hier,
Wenn's die Blätter grausam schließet,
Schlägt die letzte Stunde mir!

141.

Eine weiße, eine rote
Rosenknospe prangten Beide,
Eng gebettet in ein Sträußchen,
Auf dem Ball, an ihrem Kleide,

Neigten an den holden Busen
Süß verschämt das Haupt hernieder,
Hörten, was ihr Herz gesprochen,
Und erzählten mir es wieder.

Weiße Knosp' mit Silberzungen
Sagte mir, wie sie gesehen,
In dem unschuldvollen Herzen,
Selber sich als Abbild stehen.

Rote Knosp' mit Purpurlippen
Sagte mir, wie sie vernommen
An den hohen Herzensschlägen,
Daß in Lieb' sie sei entglommen.

Und Reseda, die inmitten
Beider Knospen war gegeben,
Sagte mir, wie still in Sehnsucht
Stillem Gram sie sei ergeben!



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