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Quelle:

Saphir Moritz Gottlieb

Wilde Rosen
neue Auswahl

Wien und Leipzig 1857
Verlag von Eduard Hügel


Es kam ein deutscher Dichter
Nach Frankreich's Kaiserstadt,
Der gar nichts zur Empfehlung
Als seine Leier hat.

Er trat mit dieser Leier
Ganz schüchtern bei dir ein;
Du sprachst voll Geist und Hulden!
"Sie soll willkommen sein!"

In Dank und tiefster Demut
Der Dichter Dir jetzt bringt,
Das Beste, was seit Jahren
Aus seiner Leier klingt.

Wien im Oktober 1857
M.G.Saphir

 


Wilde Rosen 1

 

  
1.

Ihr, der holden Blume Gottes,
Will ich alle Lieder weihen,
Trotz des Hohnes, trotz des Spottes,
Des sie sich von ihr erfreuen!

Wie die Saaten, die da schliefen,
Werden wach beim Ruf der Sonnen,
Wie die Quellen aus den Tiefen
Schießen auf in Frühlingswonnen,

Wie der Sterne gold'ne Lettern
Tauchen aus des Himmels Bogen,
Wie der Duft aus Nelkenblättern
Lichtwärts zieht in vollen Wogen;

So, wenn ich die Holde sehe,
So, wenn ich der Holden denke,
So, wenn in der Holden Nähe
Ich mich ganz in Lieb' versenke,

Wird mein Fühlen zu Gedanken,
Und Gedanken werden Lieder,
Und der Lieder Wurzelranken
Werden zu Gedanken wieder!

Streuen möcht' ich Liederkränze,
Streuen möcht' ich süße Sänge,
Streuen möcht' ich ew'ge Lenze
Wo ich nur zu ihr gelänge!

Malen möcht' ich Freudensprüche
Überall, wohin sie blicket,
Säen möcht' ich Wohlgerüche,
Wo sie hin den Atem schicket.

Mit der Linken, mit der Rechten,
Möcht' ich sie auf Rosen betten,
Möcht' ihr Märchenschnüre flechten,
Und aus Sternen Spang' und Ketten!

Möchte Scherz- und Rätselspiele
Tag und Nacht für sie ersinnen,
Möchte ihres Zimmers Diele
Mit Gedichten überspinnen.

Möchte, wenn ich von der Erden
Scheide, mich in's Grab versenkend,
Selbst ein kleines Klaglied werden,
Das sie sänge, mein gedenkend!

Grüßt mein Lied den Schwalben-Reigen,
Der den nahen Lenz verkündet,
Und es sollte schüchtern schweigen,
Wenn den Frühling selbst es findet?

Blume, Frühling, Morgenröte,
Laß' von meinem Lied Dich grüßen!
Grüßen? — Nein! wie zum Gebete
Will ich singen, Dir zu Füßen!

   2.

Hast Du den Flieder versäumt,
So seh' die Rose glüh'n,
Hast Du die Rose verträumt,
So seh' die Lilie blüh'n.

Kommst Du zur Lilie zu spät,
So blüht der Mohn dir doch,
Wird Dir der Mohn auch verweht,
Die Aster bleibt Dir noch.

Hast Du die Lerche verhört,
So lausch' der Nachtigall;
Ist nur das Ohr nicht zerstört,
Gesang wohnt überall!

Hat Morgen Gold nicht im Mund,
Der Abend auch ist hold,
Ist nur Dein Herz recht gesund,
Bringt jede Stunde Gold!

Fandst Du als Jüngling kein Herz,
Bringt Alter eins Dir geführt,
Rührt heute Sie nicht Dein Schmerz,
Wird morgen Sie gerührt.

Wenn Glut das Herz nur durchweht,
Der Geist nur grünt und blüht,
Ist keine Stunde zu spät
Für Liebe und für Lied!

    3.

Wenn Ihr kein Freund von Rosen seid,
Der Frühling kommt dennoch,
Wenn Vogelsang Euch gar nicht freut,
Die Nachtigall singt doch!

Tut auch das Licht dem Auge weh,
Die Sonne scheint dennoch,
Schaut Ihr auch gar nicht in die Höh',
Der Himmel schaut Euch doch!

Und wenn Sie auch mein Lied nicht hört,
Mein Lied gilt Ihr dennoch,
Und wenn Sie auch den Tod mir gibt,
Mein Leben ist Sie doch!

    4.

Ich saß und sann und lauschte
Dem Blättergeist im Baum,
Ein Feenmärchen rauschte,
Durch Zweig' und Blütensaum;

Ich hörte Kinder sprechen,
Ich hörte Bräute fleh'n,
Ich hörte Jugendfreunde
Wie nahe Geister geh'n;

Ich hörte Schwäne singen,
Ich hörte Glockenschall,
Ich hörte Nixen tanzen
Im Saale von Kristall;

Ich hörte Engel beten
Bei Harf- und Psalterspiel,
Ich hörte Blumen läuten
Auf silberweißem Stiel;

Ich saß und sann und lauschte
Dem Blätterspiel im Baum,
Als ich es fassen wollte,
Zerfloß es wie ein Traum!

   5.

Gebirg' ist stark, das Eisen durchdringt's,
Das Eisen ist stark, das Feuer bezwingt's,
Das Feuer ist stark, das Wasser es hemmt,
Das Wasser ist stark, der Mensch es doch dämmt,
Der Mensch ist stark, der Tod nieder ihn weht,
Der Tod ist stark, die Lieb' ihm widersteht,
Bin ich einst tot und Asche bereits,
Ich liebe, Holde, Dich noch jenseits!

    6.

Morgen bringt ein Heer von Mühen,
Doch der Abend rückt sie ferne,
Tag bringt Glut und wilde Flammen,
Doch die Nacht bringt milde Sterne!

Unmut bringt ein Feld voll Dornen,
Frohsinn bringt uns Blumenbeete,
Zweifel bringt ein Heer voll Schlangen,
Doch der Glaube bringt Gebete!

Lüfte bringen Blitz und Geier,
Doch das Wasser Perl' und Schwäne,
Erde bringet Sorg' und Schmerzen,
Doch der Himmel bringt die Träne!

Schönheit bringt gemalte Blumen,
Liebreiz bringt den Himmel nieder,
Liebesglück bringt Rausch und Taumel,
Liebesschmerz bringt Sang und Lieder!

    7.

Frühlingsschein hab' ich getrunken
Und gebadet mich in Lust,
Aus dem Herzen sprangen Funken,
Flügel wuchsen meiner Brust;

Wie im Opferbrande rauchte,
Flammte hoch der Lüste Flor,
Eine Götterinsel tauchte
Aus dem blauen Meer empor.

Lieder hat mein Ohr vernommen,
Doch die Sänger sah ich nicht,
Rufe hört' ich zu mir kommen,
Ohne Ahnung, wer sie spricht;

Und in dieser Zauberstunde
Trat die Holde vor mich hin,
Wie aus heiliger Rotunde
Einer Gottheit Priesterin!

Wie in Priesterbinde leuchtet
Ihre Stirne hoch und rein,
Und ein hehres Naß befeuchtet
Ihres Auges Sternenschein.

In des Augenblickes Dauer,
Als sie kam und ging und schwand,
Lag Entzücken, Taumel, Trauer,
Kälte, Schauer, Frost und Brand!

Als sie hinschwand in die Ferne,
Ward die Frühlingswelt zu Staub,
Und der Glanz geträumter Sterne
Ward der Wirklichkeit zum Raub!

   8.

Moses sah den Busch in Flammen,
Und der Busch blieb unversehrt,
Und er hat die Wunderflamme
Tief im Staube dann verehrt.

Wenn ein Herz in Liebesflammen
Ihr entbrennen seht fortan,
Und das Herz lebt fort in Flammen,
Betet fromm und schweigend an.

Werft Euch nieder auf die Erde,
Und die Schuhe ziehet aus,
Denn der oberste der Götter
Spricht aus diesem Brand heraus.

    9.

Wie der Busch einst stand in Flammen,
Und sich dennoch nie verzehrte,
Weil er brannte für ein Wesen
Als das Einz'ge Hochverehrte;

So auch steht mein Herz in Flammen,
Unverzehrt in Glut und Feuer,
Weil's erbrannt ist für ein Wesen
Einzig, heilig, hoch und teuer!

   10.

Ich hab' sie gesehen am Morgen,
Als Baum und Blume erwacht,
Doch schöner als Tag und Aurore
Hat strahlend ihr Antlitz gelacht.

Ich hab' sie gesehen am Abend,
Als Sterne den Himmel bekränzt,
Doch heller als Sterne und Hesper
Hat lieblich ihr Auge geglänzt!

Ich hab' sie gesehen im Garten,
Als Blumen und Rosen erglüht,
Doch holder als Kinder der Flora
Ihr rosiger Mund war erblüht!

Ich hab' sie gesehen im Saale,
Umflutet von Pracht und von Licht,
Doch reiner als Lichter und Flammen
Erstrahlte ihr reizend Gesicht!

Ich hab' sie gesehen beim Beten,
Als fromm auf den Knieen sie lag,
Da erst hat mein Herz es empfunden
Wie Schönheit das Höchste vermag!

   11.

Oft seh' ich Deinen süßen Blick
Sich in mein Aug' versenken,
Wie Taucher in das tiefe Meer,
Wenn Perlen sie d'rin denken.

O tauch' Dich in mein Auge nur,
Du wirst den Schatz ergründen,
Du wirst die schönste Perle d'rin,
Du wirst Dein Bildnis finden.

   12.

Wie ein Zauberbuch, ein dunkles,
Liegt ihr Auge aufgeschlagen,
Und mich treibt der Geist der Liebe,
Seine Zeichen zu befragen,

Zu befragen, zu beschwören,
Die geheimnisvollen Zeilen,
Voll von unenthüllten Rätseln,
Voll von Schlangen, Blitzen, Pfeilen,

Doch das Wort, dem sie gehorchen,
Diese Geister in dem Buche,
Dieses Wort kann ich nicht finden,
Wie ich sinne auch und suche.

Ist's ein Gott, der sie geschrieben,
Daß der Mensch sie nicht enthülle?
Ist's ein Dämon, der sie malte,
Auf daß wilde Glut uns fülle?

Nein, ein Gott hat diese Zeichen
In dem Buche ausgegossen,
D'rum, wenn sie das Auge schließet,
Ist mein Himmel mir verschlossen!

   13.

Dein Haar ist schwarz, Dein Auglied schwarz,
Und weiß sind Deine Wangen,
Da steht es ja schon schwarz aus weiß,
Nach Dir geht mein Verlangen!

Dein Aug' ist Glut, Dein Blick ist Glut,
Und kalt ist Dein Betragen,
Wie kann doch solche Flammenglut
Aus kaltem Innern schlagen?

Dein Mund ist süß, Dein Laut ist süß,
Und bitter Deine Worte,
Wie fließt doch solche Bitternis
Aus holder Rosenpforte?

Mein Leid rührt Dich, mein Lied rührt Dich,
Ich selbst kann Dich nicht rühren;
O Leid voll Lied, o Lied voll Leid,
Wohin soll das noch führen?!

   14.

O Aug', so schwarz und doch so licht,
O Aug', so hell und doch so dunkel,
Du trägst in Dir die Wunder all',
Die man erzählt von dem Karfunkel!

Denn wem Dein Schein in's Auge fällt,
Der Wunderschein, zum ersten Male,
Der steht erschreckt, er schließt das Aug',
Geblendet von dem Wunderstrahle.

Und wenn Dein Strahl zum zweiten Mal
Trifft, mit dem Glanz, dem freundlich feucht,
Der fühlt durch all' sein Wesen geh'n
Ein inneres Erglüh'n und Leuchten!

Und wem die Götter Dich geschenkt
Zu eigen ganz und für immer,
Dem nahen sich die Erdensünd',
Der Erde finst're Geister nimmer!

Und wer Dich nur betrachtet lang,
Und sich versenkt in Deine Fluten,
Dem ist's, als ob in Deinem Grund
Viel tausend kleine Lieder ruhten.

Mit jedem Blick Dir in das Aug'
Lockt er ein Lied vom hellen Grunde,
D'rum kaum ich Dich nur hab' erschaut,
So gibt ein Liedchen davon Kunde!

   15.

Ja, schön ist ihre Locke,
Doch schöner ist das Haupt,
Dem ich die dunkle Locke
Zur guten Stund' geraubt.

Ihr Brief ist gar so lieblich,
Doch lieblicher die Hand,
Die Hand, die ihn geschrieben,
Als Amor bei ihr stand!

Das Busenband ist reizend,
Das sie verlor im Geh'n,
Doch reizender die Stelle,
Wo ich's zuerst geseh'n!

Ihr Bild ist wie ein Engel,
Doch engelhafter sie,
Ihr Bildnis ist getroffen,
Sie selber treff' ich nie!

Ihr Herz ist mir verschlossen,
Verschloß'ner noch ist sie,
Zum Herzen wüßt' ich Schlüssel,
Doch zu ihr selber nie!

   16.

Schön ist sie, wenn sie herzinnig
Grüßet und das Antlitz neigt,
Schön, wenn sie verständnis-sinnig
Und bedeutsam lächelnd schweigt;

Schön ist sie, wenn sie in Ferne
Wandelt in des Waldes Grund,
Schön sind ihre sanften Augen,
Schön ihr süßgeformter Mund;

Schön ist sie, schön, wenn sie weinet,
Schön, wenn Freude sie verklärt,
Schön ist sie, wenn sie verneinet,
Schöner noch, wenn sie gewährt;

Doch am schönsten ist sie betend,
Sonntags in dem Gotteshaus;
Vor das Gnaden-Bildnis tretend
Zieht das Betbuch sie heraus.

Schönheit, Fülle, Reiz des Leibes
Sah ich nimmer zu der Zeit,
Nur den höchsten Reiz des Weibes:
Ein Gesicht in Frömmigkeit.

Gott zum Preis und Gott zum Ruhme,
Prangt der Frauen volle Blüt',
Reiz des Leibes ist die Blume,
Und der Duft: e i n  r e i n  G e m ü t'!

   17.

Es fiel auf grüne Matten
Ein Stern herab zur Nacht,
Er lag gehüllt in Schatten,
Bis daß die Erd' erwacht.

Und als der Tag jetzunder
Ließ seine Fahne weh'n,
Da ward das helle Wunder
Von aller Welt geseh'n.

Die Lerche fragte flötend:
Wo kommt dies Lichtbild her?
Die Rose meint errötend,
Sie sei jetzt Ros' nicht mehr!

Die Schmetterlinge wagten
An diesen Glanz sich nicht,
Die Nachtigallen zagten
Mit ihrem Liebgedicht.

Und aus dem Stern zur Stunde
Wird schnell ein rosig Weib,
Hat Perlen zart im Munde,
Und leuchtend ist ihr Leib!

Ihr Haar ist reich und prächtig,
Ihr Lächeln ist wie Wein,
Ihr Auge tief und mächtig,
Es sieht wie Nordlicht d'rein!

Ich ging an grünen Borden,
Da nahm ich plötzlich wahr,
Den Stern, der Frau geworden,
Die Frau, die Stern erst war.

Ein heiliger Liebeskönig
Dem Stern stets nach ich zieh',
Wohin? das frag' ich wenig,
Zum Heil führt sicher sie!

   18.

Aus dem Leib nahmst Du mir mein Herz,
Was hast Du mit dem Herzen gemacht?
Aus dem Herz nahmst Du mir mein Lied,
Wo hast Du das Lied hingebracht?

Aus dem Kopf nahmst Du das Denken mir,
Und doch denkst Du meiner nicht!
Aus dem Schlaf die Träume Du nahmst,
Weil ein jeder von Dir nur spricht.

Du nahmst mir viel, Du nahmst mir All's!
Gesang und Lied, Gedanken, Traum;
Und gabst dafür nur wenig mir,
Und gabst mir Hoffnung kaum:

Doch was Du gabst, wie wenig auch,
Es ist des Lebens gold'ner Baum,
Denn aus dem Zweig der Hoffnung blüht
Gesang und Lied, Gedanken, Traum.

   19.

Sei gegrüßt, mein Edelfalke,
Mit dem Aug' so hell und klar,
Blickst Du, Falke, mir in's Auge,
Blickst Du mir in's Herz fürwahr!

Sei gegrüßt, mein Reh des Waldes,
Stolzen Schrittes, leicht bewegt;
Ebenmaß tritt mir entgegen,
Wenn Dein Schritt zu mir Dich trägt.

Sei gegrüßt mein Schilf am Strande,
Mit dem Leib' so schlank und fein,
Neigst Dich, beugst Dich, zartgeschmeidig
Schließt mein treuer Arm Dich ein.

Sei gegrüßt, Du Hebronstaube,
Mit dem Blicke sanft und fromm,
Bring' im Mund ein Liebesblättchen,
Süße Taube, komm' o komm'!

Sei gegrüßt, Juwel der Frauen,
Demant mir und Edelstein,
Schreibe in die Herzensscheibe
Deinen Namen mir hinein.

Und der Name wird da bleiben,
Bis zur letzten Lebensfrist,
Bis im Tode mit dem Namen
Auch das Herz gebrochen ist.

   20.

O, Herz, mach' alle Türen auf,
Es kommt ein Gast, ein lieber;
O, Lieb', kehr' ein, eh's Abend wird,
O, Lieb', geh' nicht vorüber.

Ich will Dich kleiden in Seidenkleid,
Aus buntem Lied gewoben;
Will Dir bereiten Liebesmahl,
Den Trank auch sollst Du loben;

Will Dir bereiten Lagerstätt'
Aus frischen wilden Rosen;
Und will Dich singen in den Schlaf
Mit Schmeichelwort und Kosen.

O, Lieb', weil Du noch einmal kamst,
Bevor mein Tag geht nieder,
D'rum sei gesalbt mit Lieder-Öl
Dir Haupt und Brust und Glieder!

   21.

Der Zephir, der des Morgens weht,
Der hat die Rose gepflegt,
Der Westwind, der des Tags dann geht,
Der hat die Rose bewegt.

Der Südwind, der des Mittags geht.
Der hat die Rose geneigt,
Der Ostwind, der des Abends geht,
Der hat die Rose gebeugt.

Der Sturmwind, der zu Nachten geht,
Der hat die Rose geknickt;
So ward die Ros' g e b r o c h e n wohl,
Doch ward sie nie g e p f l ü c k t!

   22.

Als ich betrübt und leidvoll war,
Und Weh im Herzen lag,
Hab' ich geweint und stets geweint.
Geweint bei Nacht und Tag.

Als ich beglückt und selig war,
Als ich mit Dir vereint,
Als ich an Deinem Anblick hing,
Hab' wieder ich geweint!

Wie ist es doch so wunderbar
In einer Menschenbrust;
Wie gleich sind oft im Leben doch
Der Schmerz und auch die Lust!

   23.

In ihrem Auge tief,
Da lag ein Stern und schlief,
Weil's Aug' sie zugemacht;
Da küßt' ich ihr das Augenlied,
Sie schlägt es auf und sieht,
Da war der Stern erwacht!

Und als nun wach der Stern war,
Da schaut er aus dem Aug' so klar,
So wundervoll mich an:
"Weil Du gestört hast meinen Schlaf,
So sei's fortan zu Deiner Straf'
Um Deinen Schlaf getan!" —

Schließ' ich nun Nachts das Auge zu,
Der Stern erscheint, gibt keine Ruh',
Bis Morgenrot erwacht!
Gewiß des Himmels Ausspruch ist:
"W e r  j e m a l s  e i n e n  S t e r n  g e k ü ß t,
F ü r  d e n  g i b t' s  k e i n e  N a c h t!"

   24.

Eine blaue Himmelsdecke
Hat uns Gott hier für das Leben,
Eine grüne Erdendecke
Für den Tod uns auch gegeben.

In die blaue Lebensdecke
Stickt er seine lichten Sterne,
Daß der Mensch hier auf der Erde,
Höh're Lichter kennen lerne;

In die grüne Todesdecke
Stickt er jährlich frische Rosen,
Daß sie von dem Auferstehen
Sprechen zu den Glaubenslosen.

Sterne steh'n in Deinen Augen,
Blumen in dem Antlitz eben;
Bist mir Himmel, bist mir Erde,
Hier und dort mir Tod und Leben!

   25.

Ich möchte Dir sagen so gerne,
Daß ich Dich liebe!
Wie soll ich Dir sagen von ferne,
Wie ich Dich liebe?
D'rum bitt' ich dort oben die Sterne:
Sprecht Ihr von Liebe!

Ich möchte Dir schreiben zwei Zeilen,
Voll nur von Liebe!
Ich möchte geh'n tausend von Meilen,
Dir nur zu Liebe,
D'rum bitt' ich die Blumen, zu eilen
Zu Dir hin in Liebe!

Ich möchte Dir küssen die Wange,
Zärtlich in Liebe!
Ich möchte Dir Halsband und Spange
Schenken in Liebe!
D'rum bitt ich den Blick, daß er hange
An Dir in Liebe!

Ich möchte viel Perlen Dir senden,
Rein wie die Liebe.
Ich möchte Dir dichten Legenden,
Heilig wie Liebe!
D'rum sing' ich, das Herz Dir zu wenden,
Lieder der Liebe!

   26.

Ich pflücke die Rosen, die prangend
Am Rosenstrauch steh'n,
Die Rosen sie fragen mich bangend:
Für wen, ach, für wen? —
Nicht weiß ich's für wen und nicht weiß ich wofür,
Doch alle die Rosen, die Rosen von mir,
Geh'n Alle, geh'n Alle, geh'n Alle zu ihr!

Ich denke und sinne mit süßem Behagen
An dies und an das;
Da kommen die Leute und fragen;
An was denkst? an was? —
Ich weiß es wohl selbst nicht, kann's sagen nicht Dir,
Jedoch die Gedanken, die Gedanken von mir,
Geh'n Alle, geh'n Alle, geh'n Alle zu ihr!

Ich schreibe viel Briefchen herzinnig,
Bald groß und bald klein;
Da fragen dann viele so sinnig:
An wen soll das sein? —
Ich schrieb' sie nicht euch und ich schrieb' sie nicht ihr.
Doch alle die Briefchen, die Briefchen von mir,
Geh'n Alle, geh'n Alle, geh'n Alle zu ihr!

Ich dichte und singe viel Lieder,
Bald froh und bald bang;
Da kommen und fragen sie wieder:
Wem gilt Dein Gesang? —
Ich weiß nicht wohin wohl das Echo sie führ',
Doch alle die Liedchen, die Liedchen von mir,
Geh'n Alle, geh'n Alle, geh'n Alle zu ihr!

O Rosen und Briefchen und Lieder,
O hört' meine Bitt'!
Geht einst zu der Holden ihr wieder:
So nehmt mich doch mit; —
Ihr Alle geht zu ihr bei offener Tür',
"Du Armer allein!" — so sag' ich zu mir, —
"Geh'st niemals, geh'st niemals, geh'st niemals zu ihr!"

   27.

Meine Lieb' ist eine Biene,
Schwärmend um die wilde Rose,
Süßen Liederhonig sammelnd
Aus dem Antlitz, makellose.

Eine Bien' ist meine Liebe,
Und ihr Stachel fuhr mit Schmerzen
In die Brust mir, in die Seele,
Unter Singen, unter Scherzen.

Und ich fühle, daß nur sterbend
Dieser Schmerz vergehen werde,
Liebesscherz und Bienenstiche
Heilt die Handvoll kühle Erde!

   28.

Einen Tag nur in der Woche
Darf ich hoffen, sie zu sehen,
Dieser Tag kommt glanzvoll, strahlend,
Alle Andern farblos gehen.

Eine Stund' in diesem Tage
Ist sie mir nicht ganz so ferne;
Dieser süßen Stund' zu Liebe
Harr' ich lange Tage gerne!

Zwei Minuten dieser Stunde
Sind gegönnt mir, ihr zu sagen
All'mein Denken, Fühlen, Sehnen,
Hoffen, Wünschen, Bangen, Klagen!

Und in diesen zwei Minuten
Hält Verstummen mich gebunden,
Ihr mein Herz zu offenbaren,
Voll von Dornen, Blut und Wunden.

   29.

Der Edelstein liegt tief im Schacht,
In ihm kein Licht, kein Flimmern,
Er liegt gehüllt in dumpfer Nacht;
Wie kann er da auch schimmern?

Doch wenn der Lichtstrahl auf ihn fällt,
Dann fängt er an zu strahlen,
Daß Mensch und Erd' und Himmelszelt
In seinem Schein sich malen.

Ich bin der Stein, Du bist das Licht,
Das Licht, das mich getroffen,
Nun strahlt und funkelt mein Gedicht
Von Liebe und von Hoffen!

   30.

Ich möchte singen ein wildes Lied,
Ein Lied mit Helm und Sporn,
Ich möchte zieh'n ein Schwert, das glüht,
In Grimm, in Wut und Zorn!

Ich möchte donnern ein Hochgedicht
Aus Glut und Mut gereimt,
Ich möchte sprechen wie Ätna spricht,
Wenn er von Lava schäumt.

Ich möchte weh'n ein brennend Wort
An vieler Menschen Ohr,
Daß es auflodere also fort
In's off'ne Menschenohr!

Ich möchte singen ein Ständchen toll
Der schlafbefang'nen Zeit,
So daß die Schläferin glauben soll,
Das Weltend' sei nicht weit!

Da zeigt sich die Geliebte mir,
Das wilde Lied wird zahm,
Es will zu ihr und es strebt zu ihr
In Lieb und Leid und Gram.

Der Zorn verstummt und der Groll wird mild,
Der Grimm wird Zärtlichkeit,
Was ich gestrebt, was ich gewillt,
Liegt hinter mir so weit!

Die Welt erscheint mir so wunderschön,
Die Menschen lieb und gut,
Ich möcht' mit Allen zusammen geh'n
Und teilen Herz und Blut.

Ein Herz, das liebt, das hegt keinen Groll,
Denn Lieb' ist all' sein Schatz,
Ein Herz, das immer von Lieb' ist voll,
Hat für nichts anders Platz!

Du, süßes Weib, machst zur Süßigkeit
Die Bitternis in mir,
Das "wilde Lied," es wird jeder Zeit
Zur "wilden Rose" Dir!

   31.

Wilde Stunden, böse Tage
Hab' zuweilen ich im Leben;
Wo ich bin den finstern Mächten,
Den Dämonen Preis gegeben!

Bald des Hasses Geierflügel
Um das Haupt mir nächtlich rauschen,
Bald der Rache wilde Geister
Auf des Herzens Pulse lauschen!

In meinem Denken fühl' ich Schlangen
Wie im weichen Moose wühlen,
Und mein Fühlen und Empfinden
Möcht' in Feindes Blut ich kühlen!

Mit dem Himmel möcht' ich rechten,
Zerren an der Erde Adern,
Mit den Menschen blutig streiten,
Mit der Hölle höhnisch hadern!

Da erscheint der Lichtesbote,
Die geliebte "wilde Rose,"
Und die bösen finstern Geister
Schwinden in das Wesenlose!

Engelzuruf, Freudensgrüße,
Frühgebete um mich klingen,
Friedenstauben grüne Blätter
In das Herz mir freundlich bringen!

Wie der See wird oft im Sturme
Plötzlich still und glatt und eben,
Wird, indem ich sie erblicke,
Still und klar mein stürmisch Leben!

   32.

Ich besitz' ein Blatt der Holden,
Wie hab' ich das Blatt bekommen?
Sie hat mir es nicht gegeben,
Ich hab' ihr es nicht genommen.

Auf dem Blatte steht ihr Name,
Hat für mich sie ihn geschrieben?
Ist das Blättchen mit dem Namen
Ungefähr im Buch geblieben?

Nein, fällt doch kein Blatt vom Baume,
Wenn's dem Himmel nicht beliebe,
Und so fiel dies Blatt mir sicher
Aus dem Himmel ihrer Liebe.

Ein Rosenstrauch ganz einsam steht,
Mit Duft er rings die Lüfte füllt,
Wenn Ihr zurück die Äste biegt,
Der Rosenstrauch — ein Grab verhüllt!

Von wilden Rosen steht ein Strauch,
Man pflückt die Rosen heiter ab;
Wer durch die Zweige tiefer blickt,
Sieht ein verfallen Herzensgrab!

   34.

Ich ging an ihrem Garten hin,
Die Tür' zu dem Garten verschlossen;
Doch standen blühend die Bäume da,
Von Hermelin übergossen;
Und leise lispelte der Flieder:
"S i e  k o m m t  n u n  b a l d  w i e d e r!"

Ich stieg über's Gitter leise hinein,
Gleich einem nächtlichen Diebe;
Ich fragte die Bäume, ob es möglich kann sein,
Daß sie, die Allerschönste, mich liebe?
Und leise lispelte der Hollunder:
"D i e  L i e b e  t u t  W u n d e r!"

Und traurig geh' ich ab und auf,
Es rauscht herab vom Wipfel,
Ich schau in Sehnsucht weit hinweg
Wohl über der Berge Gipfel,
Da flüstert es still durch die Buchen:
"D u  m u ß t  s i e  s u c h e n!"

Ich lege mich sinnend dann in's Gras,
Um an die Geliebte zu denken,
Die Äste der Bäume wie treue Freund'
Sich nieder auf's Haupt zu mir senken,
Und leise flüstern die lieblichen Linden:
"D u  w i r s t  s i e  s c h o n  f i n d e n!"

Natur, Du bist ein liebliches Buch
Für Herzen, die dichten und lieben,
Orakel und Wunder sind hier und hier
Auf jegliches Blatt Dir geschrieben!

   35.

Die Rose steht einsam zur Nacht
Mit offenen Augen im Garten,
Sie stehet so einsam und wachet und wacht,
Den Liebsten, den Tag zu erwarten;
Und als der Geliebte im Strahlenkleid kam,
Sie küssend mit Tau und mit Flammen,
Erfaßt sie die Wonne, erfaßt sie die Scham,
Sie trinkt und bebt und sinket zusammen.

  36.

Viele holde, wilde Rosen
Lieblich zart und geisterblaß,
Zaubert mir die Nacht des Neujahrs
Zum Geschenk an's Fensterglas.

In den Stengel dieser Rosen
Schreib' ich Deinen Namen ein,
Und in seine weißen Blätter
Liedchen und Vergißnichtmein!

Morgen kommt und Strahl der Sonne,
Lied und Namen auch zergeht,
Und an Lied- und Namen- Stelle,
Eine helle Träne steht!

   37.

Die Ros' ist schön, doch ist sie schöner,
Wenn eine Trän' im Kelche glänzet; —
Die Hoffnung auch ist süß, doch süßer,
Wenn sie von Furcht wird rings begränzet.

Das Aug' ist hold, doch ist es holder
Wenn Scham die Wimper drüber senket;
Geständnis ist so süß, doch süßer,
Wenn halb vom Zagen es beschränket.

Das Morgenrot ist mild, doch milder,
Wenn es durch Blässe zart entglommen; —
Ein Kuß ist süß, doch ist er süßer,
Wenn unter Sträuben er genommen.

Die Sonn' ist hell, doch scheint sie heller
Seh'n wir durch Wolkenflor sie schreiten; —
Die Lieb' ist süß, doch ist sie süßer,
Wenn sie vermischt mit Bitterkeiten!

   38.

Die Rose, nicht die wilde, blasse,
Die sich bescheiden hält an Hecken,
Die Gartenrose, die gezierte
Begann die Lilie zu necken:

"Du farblos blasses, schmächtig Ding,
Dich ließ Natur ganz ohne Waffen,
Kein Dörnlein wurde Dir beschert,
Den Feind vom Halse Dir zu schaffen;

Mich schützt viel edler die Natur,
Mit Waffen hat sie mich umgeben,
Und wer mich brechen will vom Stamm,
Dem werden Dornen sich erbeben!"

D'rauf jene spricht: "Natur ist weis',
Sie goß die Glut in Deine Adern;
Die Waffe tut Dir wahrlich Not,
Denn Glut macht Blut und Blut macht hadern.

Mir gab sie feuerlosen Schnee,
Nicht Glut ließ sie vom Blatt mir blitzen,
D'rum gab sie mir auch Waffen nicht,
Mich wird die eig'ne Unschuld schützen!"

   39.

Einst ging die Blumenkönigin
Durch ihre bunte Schöpfung hin,
Um jede Blume, groß und klein,
Zum Liebes - Sinnbild einzuweih'n.
Zur Rose sprach sie: "sei das Bild
Von "Liebesglut," die nie gestillt;"
Der Lilie ward ein höh'rer Preis,
Denn "Unschuld" deutet an ihr Weiß;
Das Veilchen war am Besten d'ran,
"Bescheidenheit" nur zeigt es an;
Zur Sonnenwende sagte sie:
"Sei Du das Bild der "Sympathie."
Tulpe, stolz auf Schmuck und Kleid,
Ward Symbol der Eitelkeit,
So erteilt sie gut und wohl
Jedem Blümchen sein Symbol;
Nur ein Blümchen, blau und klein,
Stand im Gras versteckt, allein,
Und von Flora ungeseh'n,
Bleibt das arme Blümlein steh'n,
Bis es schüchtern, flüsternd spricht:
"Königin! vergiß mich nicht!"
Flora sieht das Blümchen an,
Das mit Demut angetan
Sanft und schmachtend zu ihr schaut;
Sagt dann zu dem Blümchen laut:
"Weil ich Dich im grünen Bett
Gar zu bald vergessen hätt',
Sage, Blümchen Du, sofort
Für das Herz das höchste Wort,
Was die Lieb' am liebsten spricht,
Sage nur: Vergißmeinnicht!"

   40.

Wilde Rose, taubegossen,
Hat die Äuglein noch geschlossen,
Steht im Grünen, früh am Tage,
Schlummernd in dem Knospen-Hage.
Kommt der Westwind herzufliegen,
Kommt der Westwind, sie zu wiegen:
"Schlumm're, schlumm're, kleine, lose
Waldestochter, wilde Rose;
Schmetterling steht auf der Lauer,
Überfliegt die Gartenmauer,
Wartet schon aus Dein Erwachen,
Um den Hof Dir gleich zu machen,
Wie Du kommst aus Deinem Schlummer,
Harret Deiner Liebeskummer!"
Wilde Rose, halb im Schrecken,
Fängt die Blättlein an zu strecken,
Reibt den Schlaf sich aus den Augen,
Tagesstrahlen einzusaugen,
Spricht zum Westwind, halb im Lachen:
"G'rade d'rum will ich erwachen!
Schmetterlinge nur und Rosen
Sind geschaffen, sich zu kosen;
Schmetterling und Rose, beiden
Fehlt die Zeit, sich lang zu meiden,
Lang sich schweigend zu betrachten,
Lang zu klagen, lang zu schmachten!
Schmetterling und Ros' zusammen,
Kurze Seufzer, kurze Flammen,
Kurzes Leben, kurze Sinne,
Kurzes Buhlen, kurze Minne,
Kurzes Wehren, kurzes Beben,
Kurz begehrt und kurz ergeben!" — —

Also hat die Ros' gesprochen,
Als sie Schmetterling gebrochen;
Also steht die Kunst zu lieben
Auf dem Rosenblatt geschrieben!

   41.

Unter allen Blumen mir zuwider,
Ist "brennende Lieb'" nur allein;
Laut und wild wie Gassenlieder,
Ihre Blätter "liebt mich!" schrei'n!

Auf dem Fenster, an der Hecke,
Auf der Treppe, vor dem Haus,
Steckt die ungenierte Kecke
Ihre rote Fahne aus.

Nebenan die weiße Rose,
Noch vom Tau des Morgens naß,
Wie sie da steht! gierdenlose!
Sinnig hold und reizend blaß.

Rot das ist ein Ding, ein dreistes,
Das von Sinnenflammen schreit,
Blässe ist die Farb' des Geistes,
Blaß ist der Gedanken Kleid!

Dir im blassen Angesichte,
Feenweib, von Gott geschmückt!
Steh'n Gedanken und Gedichte,
Die mein Auge durstig pflückt!

   42.

Eine Kirche ist die Erde,
Und die Berge sind Altäre,
Finken, Lerchen, Nachtigallen
Sind die frommen Priester-Chöre!

Und die Blumen sind die Knaben,
Die, im weiß und roten Kleide,
Weihrauch senden in die Lüfte
Aus dem Kelch von Blätterseide.

Blau' und weiße Glöcklein läuten,
Daß die Kirche man betrete,
Und die Himmelschlüßlein öffnen
Uns den Himmel zum Gebete!

Und der Himmel ist die Kanzel,
Allwo predigt laut der Glaube,
Von dem Lichte, von der Allmacht
Für die Hörer tief im Staube.

Und des Herzens reine Liebe
Ist die fromme, stille Messe,
Und das Hoffen ist der Segen,
Den das Herz gar nie vergesse!

   43.

Den Wald nur kann ich lieben,
Der Wald ist recht mein Ort,
Im Walde steht geschrieben
Manch' grünes Rätselwort.

Im Walde, so im düstern,
Da wird's in mir erst licht,
Ich hör' die Zweige flüstern,
Ich hör' das Blatt, das spricht.

Ich liege, um zu lauschen,
Wie durch der Bäume Weh'n,
Wie durch der Blätter Rauschen
Verschied'ne Stimmen geh'n.

Aus hohen Wipfelräumen
Tönt eine Stimme her,
Als ob's in schweren Träumen
Ein Herz voll Sorgen wär'.

Doch durch die tiefern Äste,
Da geht ein Klingen mild,
Wie aus dem Blätterneste
Des Sprossers Klage quillt;

Viel tausend süße Lieder
Von Sehnsucht, Lieb' und Schmerz,
Sie sinken dann hernieder,
Und sinken in mein Herz!

Da pfleg' ich sie in Wehmut,
Tauch' sie in Tränen ganz,
Und flechte sie in Demut
Der Lieblichen zum Kranz!

   44.

Es steht ein  r o t e r  See in Feuergluten,
In ihm ergießen sich viel wilde Flammen,
Bald lacht der Spiegel seiner hellen Fluten,
Bald rinnen wild und lodernd sie zusammen;
In seiner Tiefe wohnen bei einander
Delphin und Unhold, Nix und Salamander.

Viel tausend Klippen, Wirbel, Felsenriffe
Droh'n dem, der diesen See will kühn befahren,
Doch Mut und Hoffnung senden ihre Schiffe
Zur See, in Stille und in Sturm'sgefahren —
Und zu durchschiffen ihn auf Abenteuer,
Ersteht doch ein Columbus stets, ein neuer.

Und auf des roten Sees tiefem Grunde,
Allwo entspringt der Wogen Wunderquelle,
Sieht man, wenn klar der See, zur stillen Stunde,
Den Schatz von Perlen in der Muschelzelle;
Und wer zum Grund des See's will niedertauchen,
Verschließ' den Mund und wage kaum zu hauchen.

— Kennst Du den "roten See?" —Es ist das  H e r z,
Mit seiner Ebb' und Flut aus Lust und Schmerz!

   45.

Wie Elfenbein liegt da ein See, ein kleiner,
Geebnet wie ein Teich am Frühlingsmorgen,
So glatt, so rein, kein Lilienblatt ist reiner;
Doch unter seiner Decke, still verborgen,
Arbeiten ungesehen stille Mächte,
Zum Glück und Weh' der menschlichen Geschlechte!

Was unter dieses Sees Silberspiegel
Geheime Kräfte wundersam ersinnen,
Drückt auf dem See, ein unverkennbar Siegel,
Sich ab, mit seinem ersten Urbeginnen;
Was innen lebt an Stärke und an Schwäche,
Das malt er ab aus seiner Oberfläche:

Bald kräuselt sich der See, die weißen Wogen
Geh'n hoch, in Furchen falten sich die Wellen;
Und bald, von düstern Wolken überflogen,
Verdunkeln sich die sonst so klaren Stellen,
Und wenn er ruhig scheint, als ob er schliefe,
Ringt eine Welt sich oft aus seiner Tiefe!

— Kennst Du den "weißen See," den silberblanken
Die  S t i r n e  ist's, das Weltmeer der Gedanken!

   46.

Es ruht ein  b l a u e r  See in engen Grenzen,
Doch weithin strahlt sein magisches Gefunkel,
Wie Morgenhimmel bald erscheint sein Glänzen,
Und bald wie Abendhimmel, düsterdunkel;
Doch sind in diesem Himmel, in dem klaren,
So Tag als Nacht die Sterne zu gewahren!

Und was der "weiße See" als ein Geheimnis
Verschließt, wie Perlen in den Austerzellen,
Das spricht der "blaue See" aus ohne Säumnis,
Das plaudern aus die vielberedten Wellen;
Verraten vorlaut vom Geschwätz der Wogen,
Wird der Gedanke schon an's Licht gezogen!

Und wenn im "roten See" die Quellen bluten
Von wilden Freuden und von wilden Wehen,
Da sieht den "blauen See" man überfluten,
Weil beider Quellen ineinander gehen;
Wenn voll der "rote See" zum Überfließen,
Dann muß der blaue magisch sich ergießen!

— Kennst Du den "blauen See" und seine Kunde?
Das  A u g e  ist's, mit seinem Sternengrunde!

   47.

Was ich zum Jahr' Dir bringen soll?
Ich bring' Dir einen Becher voll,
Den setz' an Deine Lippen;
Mein Herz, das soll der Becher sein,
Mein Blut, das ist der rote Wein,
Trinkst Du den Becker auch nicht rein,
Wirst Du davon doch nippen!

Was bring ich Dir zum Jahrsgebrauch?
Ich bring' Dir einen Rosenstrauch,
Den stecke Dir an's Mieder;
Der Rosenstrauch ist meine Lieb',
Viel tausend Rosen sie schon trieb,
Die ich für Dich als Liedchen schrieb,
Und Frische bringt sie wieder!

Was bring' ich Dir zur Huldigung?
Ich bring' Dir einen Jüngling jung,
Der fünfzig Jahr geschrieben!
Und mit dem Jüngling mein' ich mich,
Der jung geworden ist durch Dich,
Sein Herz blüht wieder wunderlich;
Dein Werk, das mußt Du lieben!

   49.

Wie lang der Mensch wohl leben könnte,
Wenn ohne Luft er müßte leben?
Wie lang der Mensch wohl leben könnte,
Wenn ihm zur Welt kein Licht gegeben?

Ich weiß es nicht, doch glaub' ich: lange,
Ja lange kann's der Mensch ertragen,
Dieweil ich leb', ich sah sie nicht
In langen, langen, langen Tagen!

   50.

Wie ist so schnell ein Jahr verschwunden?
Ich weiß es!
Ich hab' ein liebend Herz gefunden,
Ein heißes;
Ich sah sie an und sah mich um,
Da war das Jahr herum!

Im Lenz hab' ich die Süße
Umgarnet,
Sie erst durch Blick und Grüße
Verwarnet;
Ich sang von Lieb', ich sang vom Mai,
Da war der Lenz vorbei!

Den Sommer hab' ich im Suchen
Versäumet,
Ihn unter Lindenbaum und Buchen
Verträumet:
Ich sann und riet, wo sie denn sei,
Der Sommer war vorbei!

Es zog der Herbst die Schwalben
Von dannen,
Die Freuden allenthalben
Zerrannen;
Ich schrieb der Lieder mancherlei,
Da war der Herbst vorbei!

So geh'n die Jahre schnelle
Hinüber,
Geh'n dunkel bald, bald helle
Vorüber;
Doch was da komm' und was da sei,
Mit Lieb' ist's nie vorbei!



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