weiter
zum nächsten Strauß
 

Wilde Rosen 2
 

 
51.

Herz, mein Herz hat keinen Winter,
Herz hat alle Fenster offen!
Schaut hinaus in lauter Frühling,
Liebe blüht und Gruß und Hoffen!

Herz, mein Herz hat keinen Winter,
Herz fliegt leicht durch Berg und Tal,
Bäume blühen, Bäche klingen,
Überall ist Duft und Strahl!

Herz, mein Herz hat keinen Winter,
Neue Rosen Herz schon bringt,
Neues Bangen, neues Wünschen,
Und die Lerche: "L i e b e" singt!

Herz, mein Herz hat keinen Winter,
Herz hat Lenz und Sonnenschein,
Neue Sehnsucht, neues Wandern,
Frühling, Frühling muß es sein!

Herz, mein Herz hat keinen Winter,
Herz hat jetzt schon seinen Mai,
Sie sprach freundlich, sie sprach zärtlich,
Schwalb' und Frühling flog herbei!

   52.

Die Erde liegt im Winterschlafe,
Träumt Sonnenlicht und Frühlings-Räume,
Träumt alte Zeiten, neue Wünsche,
Träumt Wiesengrün und Blütenbäume.

Der Frühling kommt, ihr Herzgeliebter!
Er weckt sie mit dem Kuß der Wonne,
Was sie geträumt, das tritt in's Leben,
Licht, Blumen, Wäldergrün und Sonne!

Mein Herz auch träumt im langen Winter
Vom Frühling und vom Wiedersehen,
Von ihrem Blick, von ihrem Lächeln,
Vom Suchen, Finden, Kommen, Gehen!

Die Erde träumt von Freud' und Rosen,
Denn sicher steigt ihr Frühling nieder; —
Mein Herz jedoch träumt Leid und Dornen,
Weil es nicht weiß, ob sie kommt wieder!

   53.

Ist's denn so? Ist's wirklich wahr?
Abschied nimmst Du, altes Jahr? —
Halten kann ich Dich wohl nit,
Nimm mir nur die Lieb' nicht mit!
Geh' mit Gott, Du liebes Jahr!

Kommst Du wirklich schon fürwahr,
Neues, unbekanntes Jahr? —
Kommt nur Lieb' an Deiner Hand,
Werden wir gleich gut bekannt;
Grüß' Dich Gott, Du liebes Jahr!

Welche Wünsche bring' ich dar,
Dir, mein Herz, zum neuen Jahr? —
Was Du wünschest, treffe ein,
Was Dich liebet, bleibe Dein,
Dein nur noch ein tausend Jahr!

  54.

Der Frühling behütet die Rose am Strauch,
O Frühling, behüte die Rose mir fein!
Die Rose behütet die Liebe dann auch,
O Rose! behüte die Liebe mir fein!
Die Liebe behütet das Lied in der Brust,
O Liebe! behüte die Lieder mir fein!
Doch Liebchen zu hüten sind Lieder zu schwach,
Die Liebchen sind leider zu flott!
Und hütest Du, Liebchen, Dich selber nicht —! — ach!
Dann, Liebchen, behüte Dich Gott!

   55.

Es ist kein Vöglein so klein,
Es hat ein warm Federlein!
Es ist kein Fischlein so klein,
Es hat ein frisch Wasserlein!
Es ist kein Blümchen so klein,
Es hat sein Teil Sonnenschein!
Es ist kein Sternchen so klein,
Ein Stückchen Himmel ist sein!
Es ist kein Betwort so klein,
Es läßt die Seele gedeih'n!
Es ist kein Herzchen so klein,
Ein Bißchen Lieb' fällt hinein!
Es ist kein Argwohn so klein,
Er bringt die Lieb', Angst und Pein!
Es ist kein Liedlein so klein,
Es rührt ein Herzchen von Stein!

   56.

Geht sie rechts, so geh ich links,
Sitzt sie hier, so sitz' ich dorten; —
Doch weiß sie's, daß ich ihr zu lieb'
Bin und bleib' an allen Orten.

Sieht sie her, so seh' ich fort,
Sieht sie fort, so schau' ich 'nüber; —
Und doch trägt ihr so Wunsch als Wort
Blick und Blick herüber!

Wann es kam und wo und wie,
Daß wir so herzeinig?
Das weiß nur ich, das weiß nur sie,
Das weiß Liebe nur alleinig.

Aug' und Auge sprechen sich,
Brauchen Wort' und Briese,
Herz und Herz vereinigt sich,
Und wenn's Meer dazwischen liefe!

   57.

Gestern war ich tief betrübt,
Heute bin ich glücklich!
Wenn man liebt und wird geliebt,
Kommt das augenblicklich.

Gestern war sie feindlich kalt,
Heute ist sie huldig;
Wenn man liebt und wird geliebt,
Trägt man das geduldig.

Erst gekos't und dann gegrollt,
Kuß dann zur Versöhnung,
Wenn man liebt und wird geliebt,
Wird das zur Gewöhnung!

Heut' mit ihr durch Tal und Wald,
Morgen stets im Zimmer,
Wenn man liebt und wird geliebt,
Liebt man d'rum nicht schlimmer!

Heut' gefällt ihr jedes Lied,
Morgen ist sie wählig,
Wenn man liebt und wird geliebt,
Wird man dabei selig!

   58.

Mein Auge brennt mir heute sehr,
Es ist zum Glück das linke,
D'rum hoff' ich, daß ich heute noch
Sie sehe und ihr winke.

Mein Ohr klingt heut' mir wundersam,
Es ist zum Glück das rechte,
Das heut' sie zärtlich von mir spricht,
Ich sicher wetten möchte!

Die Hand auch heute prickelt mir,
Es ist zum Glück die linke,
Ein Briefchen krieg ich heute noch,
Aus dem ich Nektar trinke.

Mein Herz klopft heut' als ob sie käm',
Es ist zum Glück das rechte,
Denn wenn's kein rechtes Herz mehr wär'
Sie's gar nicht haben möchte!

   59.

Hast mir heut' ein Röschen gegeben,
Das du dir vom Busen genommen;
Das fing des Nachts an zu zittern, zu beben,
Das Röschen hat Heimweh bekommen;
Sag' süßes Kind, sag' mir's bei Zeiten,
Darf ich das Röschen heim begleiten?

   60.

O, lächle nicht so freundlich,
So huldvoll mich nicht an; —
Mich macht es doch noch trüber,
Noch schmerzlich stiller dann!

O, heb' Dein Aug' voll Himmel
Nicht auf zu mir so klar,
Mein Herz wird dann noch dunkler
Als es schon früher war!

Sprich nicht so weich, so huldig,
Mein Evangelium!
Mir scheint dann Alles wortlos,
Das ganze Weltall stumm!

Und wenn Du gehst vorüber,
Kehr' rückwärts nicht den Blick;
Die Sehnsucht zieht mich mächtig,
Und doch bleib' ich zurück!

Die Rose, die ich schickte,
Trag' nicht an Deiner Brust;
Mein Herz ist der Verwaisung
Sich dann erst recht bewußt!

Man heilt die kranken Herzen
Mit solchen Mitteln nicht,
Mit Schonung und mit Achtung,
Mit Mitleid im Gesicht.

Es hat bei Herzenswunden
Mir ein Verband geglückt;
Das Herz, das sie geschlagen,
Wird fest daraufgedrückt!

   61.

Die Rose Abends neigt das Haupt,
Ihr Blatt fällt sterbend von dem Strauch; —
Ein "Lebewohl!" an Tag und Licht
Ist noch der Rose letzter Hauch!

Die Sonne sinkt vom blauen Thron,
Sie scheidet langsam aus dem Tal; —
Eine "gute Nacht!" an Flur und Wald
Liegt noch in ihrem letzten Strahl!

Die Schwalbe zieht vom Dach und Nest
Nach Süd zum warmen Sommertag; —
"Auf Wiederseh'n!" zu Stadt und Dorf
Sagt noch ihr letzter Flügelschlag!

Die Holde geht Mittags nach Haus.
Zu Ende ist für heut' mein Glück; —
"Ein Morgen, Morgen wieder!" sagt
Mir noch ihr süßer, letzter Blick!

   62.

Ohne Mantel um die Schultern
Geh' nicht in Regen und in Wind,
Ohne die Liebe im Herzen
Geh' nicht in's Leben, mein Kind!

Ohne Feuer aus dem Herde
Bleib' nicht in Kälte und Frost,
Ohne erwärmende Worte
Gib keinen Brief auf die Post!

Ohne Wort von Glaub' und Hoffnung
Geh' in das Grab nicht von hie,
Ohne Versprechen im Blicke
Trenne vom Liebsten Dich nie!

Ohne Dank und frommen Segen
Esse nicht Fleisch und nicht Fisch,
Ohne Erhebung der Seele
Setz' Dich nicht schreibend zu Tisch!

Ohne brennend helle Farben
Male nicht Feuer, nicht Licht!
Ohne die Flamme im Busen
Lese kein Liebesgedicht!

   63.

In der Erde, nicht gar tief,
Lag ein Veilchen lang und schlief;
Frühling schickt den Sonnenstrahl:
"Veilchen! steh' doch auf einmal!
Es ist schon spät! 's ist schon Zeit!
Zieh' an Dein blauseiden Kleid,
Gott hat Dir geschenkt den Duft,
Daß Du hauchst in die Luft!"
Veilchen eilt vom Gras herfür,
Stellt sich hin vor grüne Tür',
Schickt den Duft, von Gott beschert,
Jedem zu, der ihn begehrt.
Doch kaum hat's die Flur geschmückt,
Wird's von Bettelkind gepflückt,
Bettelkind macht Sträußchen daraus,
Flehend streckt's die Händchen aus:
"Bin verwais't, verarmt, allein,
Bitt' um eine Gabe klein!" —
Und das Veilchen im Bouquet,
In dem grünen Blatt so nett,
Nimmt mein Herz sich ganz geschwind,
Schickt Dir's mit dem Wort vom Kind:
"Bin verwais't, verarmt, allein!
Bitt' um eine Gabe klein!"

   64.

Ich lieb' Dich nur wenig, sagst Du,
Ob ich an Dich denke, fragst Du, —
Vielgeliebtes Weib, wie magst Du
Mir so unvertrauend sein? —

Oft zu Tränen traurig scheinst Du,
Antwort und Bescheid verneinst Du, —
Vielgeliebte Huldin, meinst Du,
Daß ich nicht klag' und wein'?

Deine Schritte abseits lenkst Du,
Deine klaren Augen senkst Du, —
Vielgeliebte Seele, schenkst Du
Gar kein Mitleid meiner Pein?

Nicht das kleinste Zeichen nickst Du,
Nicht das kleinste Zeichen schickst Du, —
Vielgeliebte Huldin, blickst Du
Nie mehr auf den Liebsten Dein?

Wär' ich bei Dir, wüßt' ich's,
Schwieg' Dein Aug', so küßt' ich's,
Vielgeliebtes Herz, und müßt' ich's
Zahlen mit dem Herzblut mein!

   65.

Winzig klein ist das Rezept,
Das Rezept der Liebe,
Meine Holde bat mich d'rum,
Daß ich's niederschriebe.

Aller Liebe Grundgesetz,
Will zuerst ich nennen;
Wolle liebenswürdig sein,
Und Du wirst es können!

Eh' ein and'res Herz Du suchst,
Suche erst das Deine,
Ob es liegt am rechten Ort,
Ob's gebaut für Eine.

Eh' Du Andern ew'ge Treu'
Schwören willst und schreiben,
Schwör' vor allen Dingen erst,
Selbst Dir treu zu bleiben!

Wenn Du Liebe kommen siehst,
Geh' ihr still entgegen,
Sprich nicht viel und schwör' nicht viel,
Schweigen nur bringt Segen.

Wenn Du wahre Liebe willst,
Lieb' Du wahr nur immer,
Wenn Du Glauben blind verlangst,
Zweifle selber nimmer!

Wenn Du willst ein grünes Blatt,
Bringe selbst kein falbes,
Wenn Du willst ein ganzes Herz,
Schenke selbst kein halbes!

   66.

Hütet euch, die junge Knospe
Mit den Nägeln auszukratzen,
Und das Blatt heraus zu zerren,
Eh' die Rose sie macht platzen.

Hütet euch, das Herz der Liebsten
Zu bestürmen, zu bedrängen,
Eh' die Fülle ihrer Liebe
Selber macht die Knospe sprengen.

Hütet euch, des Mundes Knospe
Um die Blume anzusprechen,
Eh' sie selbst, in süßer Fülle,
Strebt im Kusse aufzubrechen.

Hütet euch, ihr scheues Schweigen
Allzufrühe zu erschließen,
Eh' vom seligen Geständnis
Herz und Lippen überfließen.

   67.

Ihr Herz, es ist ein Stein,
Nichts kann ihr Herz erweichen,
Mein Herz, es ist ein Stahl,
So fest und ohne Gleichen,

Und als mein Herz am ihrigen
Nur ein Mal hat geschlagen,
Kam zusammen Stahl und Stein,
Gab's Funken, nicht zu sagen!

   68.

Wer das Feuer hat getrunken
Aus des Sonnengottes Schale,
Wem in's Auge flog der Funken
Von dem Blitz - und Jovisstrahle:

Ist mit ew'ger Glut beteiligt,
Gleich dem Feuerbusch der Wüste,
Den in Flammen Gott geheiligt,
Als ihn Moses fromm begrüßte.

Seine Flamme brennt nicht nieder
An dem Docht der Zeit und Uhren,
Braucht nicht immer Nahrung wieder,
Gleich gewöhnlichen Naturen.

Ew'ges Flammen, Singen, Lieben,
Gestern, morgen, so wie heute,
Ihm werden Jahr' nicht angeschrieben
Nach dem Kerbholz and'rer Leute,

Flackert ab nicht bis zur Sohle,
Wie die andern Menschenkerzen,
Nie zur ausgebrannten Kohle
Werden wahre Dichterherzen;

Wie in Glut, aus der sie stammen,
Ewig leben Salamander,
Leben stets in seinen Flammen
Lied und Liebe mit einander!

   69.

Der Nachbar schläft, der Vater schläft,
Wer schläft, der schläft für sich;
Das Töchterlein allein nur wacht,
Allein es wacht für mich,
So haben wir zusamm' gewacht,
Die Schläfer alle ausgelacht
Wohl tausend und eine Nacht!

Der Mensch löscht seine Kerzen aus;
"Wünsch' angenehme Ruh'!"
Da schleich' ich mich zum Stübchen hin,
Laß' vor der Tür' die Schuh';
Dann klopf ich an, so sacht', so sacht',
Und sachte ward mir ausgemacht,
Schon tausend und eine Nacht!

Der Wächter schreit stets vor dem Haus:
"Bewahr' das Feu'r und Licht!"
Indessen brennt's darinnen schon,
Der Wächter sieht das nicht;
Die Flamme hab' ich mitgebracht,
Die Liebste hat sie angefacht
In tausend und einer Nacht!

"Der Morgen kommt, es kräht der Hahn,
So geh', so geh', ich bitt' Dich d'rum!" —
— Sei still, sei still, ich geh' ja schon,
Es kräht kein Hahn darum!
Herr Kikeriki, nicht ungeschlacht,
Sonst wird er morgen abgemacht
Für tausend und eine Nacht!

Ein Märchen bringt mir jede Nacht,
Das währt bis Morgens spat,
Ich bin der Sultan Schach -Riar
Und sie ist Sherazad,
Und immer ist sie d'rauf bedacht,
Für neue Märchen noch voll Pracht
Zu tausend und einer Nacht.

   70.

Ich hab' ein Schwert, ein scharfes,
Es heißt "das Wort!" klar wie ein Spiegel,
Ich hab' ein Pferd, ein edles,
Heißt "Pegasus" und hat Flügel!

Ich hab' ein Reich, ein gewalt'ges,
Heißt "Traumreich," seine Brunnen springen;
Ich habe eine Welt voll Wunder,
Heißt "Tonwelt," ihre Wälder klingen!

Ich hab' ein Meer, ein wundertiefes,
Heißt "Lieb'," hoch seine Wellen schlagen;
Ich hab' auch meinen eig'nen Himmel,
Der Himmel heißt: — das darf ich nicht sagen!

   71.

Ich sehne mich nach Ruhe,
Nach Ruh' um jeden Preis;
Nach Ruh' am stillen Orte,
Und oben d'rauf ein Reis.

Ich sehne mich nach Ruhe,
Ich bin so müd', so matt!
Ich bin des Hörens, Sehens,
Ich bin des Redens satt!

Ich sehne mich nach Ruhe,
Auf weichem Erdenpfühl;
Wo's traulich ist und stille,
Wo's heimlich ist und kühl!

Ich möcht' mein Auge schließen,
Weil noch Dein Bild d'rin lacht;
Und es hinunternehmen
Als Grablicht in die Nacht!

   72.

Mond, der zärtlich gute Vater,
Mit dem blassen Angesichte,
Führt die Sterne, seine Kinder,
Abends aus, beim Mondenlichte.

Und sie seh'n den Teich im Garten,
Und er scheint sie einzuladen,
Und sie werfen sich herunter,
Um im klaren Teich zu baden.

Und am Ufer lag ich nächtlich,
Sah die Kinder in den Wellen,
Wie sie Kindermutwill' treiben,
Plätschern, auf - und unterschnellen;

Morgens kam die Mutter Sonne,
Glaubt zu Hause sie zu finden,
Und die Kinder aus dem Teiche
Geh'n nach Hause und verschwinden.

Und ich sehn' mich nach den Kindern,
Mit gar mächtigen Gewalten,
Und ich möcht' hinein mich stürzen,
Um die Kinder festzuhalten!

   73.

Wer nie in seinen Kindertagen
Von Mutterlippen ward geküßt,
Von Mutterhänden ward geleitet,
Weiß nicht was "Zärtlichkeit" wohl ist!

Wem nie ein Weib in süßer Liebe,
Zu tausend Mal geküßt die Hand,
Der hat das höchste Glück der Liebe,
Der Liebe Demut nicht erkannt!

Wer nie sein Glück ganz hingegeben
Für die, so ihm am Herzen lag,
Der weiß nicht, was in Opferstunden
Ein Herz zu geben wohl vermag!

Wer nie die Träne hat getrunken,
Die der Geliebten Aug' entsank,
Der weiß es nicht, daß es auf Erden
Gibt solchen süßen Wehmutstrank!


Wer nie in seinen Lebenstagen
Ein lieblich-blühend Kind geherzt,
Der hat für seinen Zukunftswinter,
Erinn'rungs-Frühling! Dich verscherzt!

Wer nie im Herbste seiner Sonnen
Ein Blümchen Liebe hat gepflückt,
Der weiß nicht, wie dem späten Wand'rer
Ein gastlich Licht das Herz entzückt!

   74.

Lange bat mein sehnend Auge
Dich um einen einz'gen Blick,
Endlich kam mein bettelnd Auge
Froh mit Einem schnell zurück!

Und es haben diese Bettler
Mir von Glück gebracht ein Teilchen,
Bringt doch meist ein Kind, das bettelt,
Uns im Lenz das erste Veilchen!

   75.

Das Glück hab' ich in der Jugend versäumt,
Die Tat hab' ich in Sehnsucht verträumt,
Die Lieb' hab' ich im Wahne verfehlt, —
Was bleibt noch, das die Brust mir beseelt?!

Der Durst ward mir mit Wermut gestillt,
Der Geist ward mir vom Drucke zerknillt,
Das Herzblut ward mir vom Undank belohnt,
Was wär's noch, das im Herzen mir wohnt?!

Den Schmerz hab' ich in Tagen probiert,
Die Träne hab' ich nächtlich studiert,
Die Welt hab' ich verächtlich erkannt, —
Was hat vor mir noch Wert und Bestand?!

Der Lenz hat mir Erziehung entstellt,
Den Sommer hat Verrat mir vergällt,
Mein Herbst ist karg an Obst und an Wein, —
Wie wird mein Winter jetzund wohl sein?! —

Verzeih'mir, Winter, freundlicher Greis!
Steh'st vor der Tür', im Haupthaar so weiß;
Dem Herzen bringst Du, willkomm' zu sein,
Der Liebe letztes Röschen herein!

Mein letztes Röschen, lieblich und blaß,
Wie Blum' aus Eis am Fenster von Glas!
Die Winterrose kommt und erscheint,
Und wenn sie geht, die Scheibe dann weint!

O Ros', die mir den Winter versüßt,
Sei fromm, sei tief, sei zärtlich begrüßt,
Blüh' nur noch heut', schon morgen vielleicht
Wirst Du als Ros' des Grab's mir gereicht!

   76.

Die Sonne scheint, ringsum ist Licht,
Die Räume alle funkeln,
Ich such' die Holde, find' sie nicht,
Und lebe so im Dunkeln!

O Sonne, was scheinst Du?!

Mein Auge füllt mit Tränen sich,
Vor Bangen und vor Sehnen,
Doch sie bleibt ferne wissentlich
Und sieht nicht meine Tränen!

O Auge, was weinst Du?!

Mein Herz, es tut mir bitter weh',
Sie will davon nichts wissen;
Ist das wohl eine Panacée,
Wenn schon das Herz zerrissen?

O Herzweh, was meinst Du?!

   77.

Der Sturm ras't, das Schiff zertrümmert
Und bald begräbt's der Wasserschoß;
Der Schiffer steht gefaßt und ruhig,
Und stolz ergeben in sein Los!

Schreibt nur ein zärtlich Wort den Seinen,
Gibt's Blatt in eine Flasche dann,
Und wirft's in's Meer, vielleicht an's Ufer
Treibt's eine wilde Welle an.

Im Sturm des hoben Lebensmeeres
Denk' ich nur Dein, in dumpfer Klaus',
Bedeck' dies Blatt mit süßen Worten,
Und werf' es in die Welt hinaus!

Bedecke es mit Sehnsuchtsgrüßen,
Bedecke es mit Küssen heiß,
Mit Zärtlichkeiten, Schmeichelnamen,
Und schick' es schmerzlich auf die Reis'!

Vielleicht daß eine Zufalls-Welle
Das Blatt vor Deine Füße spielt,
Und Du erfährst, daß auch im Kerker
Mein Herz nur Sehnsucht nach Dir fühlt!

   78.

"Leb' wohl!" sprach ihre Augenwimper,
So wehmutsreich herabgesenkt;
"Leb' wohl!" sprach ihr Blick, ihr langer,
Vom lautern Sehnsuchtstau getränkt;
"Leb' wohl!" ich sag' dir bang: Ade!
Denn Scheiden und Meiden tut weh!"—

"Leb' wohl!" sprach die stille Träne,
Durch die ich leidend zu ihr sah;
"Leb' wohl!" sprach mein schmerzlich Lächeln,
Bei dem das Weinen mir war nah';
"Leb' wohl!" mein Süßherzlieb, Ade!
Ja, Scheiden und Meiden tut weh!"—

"Leb' wohl!" sprach ein leises Zucken
An ihrer Lippen rotem Rand;
"Leb' wohl!" sprach des Hauptes Neigung
Unmerklich hin, wo fern ich stand;
"Leb' wohl!o leb' wohl und Ade!
O Scheiden und Meiden tut weh!"—

"Leb' wohl!" sprach die Hand, die weiße,
Die sie von Ferne mir noch wies;
"Leb' wohl!" sprach die weiße Rose,
Die sie im Gehen fallen ließ;
"Leb' wohl!" sagt' die Rose, "Ade!
Ach, Scheiden und Meiden tut weh!"—

"Leb' wohl!" o leb' wohl, Geliebte!
Leb' wohl und lieb' wohl, Holde mein,
Denn liebt man nur wohl, kann Trennung
So schmerzlich und so bitter sein;
Dem Herzen tut nicht beim "Ade"
Dann Scheiden und Meiden so weh!"

   79.

Vom Sehen kommt das Lieben,
Vom Lieben kommt das Wähnen,
Vom Wähnen kommt das Hoffen,
Vom Hoffen kommt das Sehnen!

Vom Sehnen kommt das Suchen,
Vom Suchen kommt das Bangen,
Vom Bangen kommt das Wünschen,
Vom Wünschen kommt Verlangen!

Vom Sehen kommt denn Alles!
Die Freuden und die Wehen!
Vom Sehen kommt die Sehnsucht,
Denn Sehnsucht sucht zu sehen!

Denn Sehnsucht sucht zu sehen,
Zu suchen und zu gehen;
Zu sehen, was sie quälet,
Zu suchen Leid und Wehen!

D'rum hütet Euch vor Sehen!
Vom Sehen kommt das Leiden!
Doch ich möcht' lieber sterben,
Als sie zu seh'n vermeiden!

   80.

Ich hab' den Zweig gebrochen,
Wo wir zuerst vereint,
Von Mund zu Mund gesprochen,
Was Herz vom Herzen meint.

Wie war der Baum so blühend,
Wie war der Zweig so reich,
Wie war Dein Blick so glühend,
Wie war Dein Wort so weich!

Ich stand am Baume wieder,
Er sieht mich traurig an,
Der Zweig hängt kahl hernieder,
Kein einzig Blatt daran!

Ich hab' den Zweig gebrochen
Vom Baum, der uns vereint,
Hab' zu dem Zweig gesprochen,
Hab' auf den Zweig geweint.

Wie ich geweint, gesprochen,
Der Zweig blieb doch stets leer.
Ein Zweig, ein Herz gebrochen,
Treibt keine Blätter mehr!

   81.

Bettelnd steh' ich vor dem Sommer,
Der mir, ach, so schnell vergangen,
Einen Tag nur, eine Stunde
Wieder von ihm zu erlangen!

Kränze glühender Verheißung
Trugen seine Sonnenstunden,
Glücksgefüllte Zukunftsblumen
Waren um sein Haupt gewunden.

Liebesblumen, Zukunftskränze
Ließ im Fliehen er entfallen,
Und der Herbst, der sie gefunden,
Bringt die Dornen nur von Allen.

Unerfüllt läßt die Verheißung
Mir der Sommer, der Entfloh'ne,
Von den Blumen, von den Kränzen
Bleibt mir nur die Dornenkrone!

   82.

Kleine Hyacinthen-Glocken,
Die an Deinem Herzen blühten,
Und vom eig'nen Glück erschrocken
Liebetrunken d'rob erglühten,

Habe ich am andern Morgen
Angeblickt in Sehnsuchtsschwelgen,
Und es lag ein Pfeil verborgen
In den zarten Purpurkelchen!

Jede Spitze von den Pfeilen
War von süßem Gift getränket,
Daß die Wunden niemals heilen,
Wenn sie Amor hat gelenket!

Als aus ihrem kleinen Becher
Alle Pfeile auf mich flogen,
Die in diesem Blumenköcher
Fühlten Deines Herzens Wogen,

Blaßten ab die Hyacinthen,
Und ihr Duften war verloren,
Und der Glocken Flammentinten
Welkten an der Brust der Horen!

Und sie leiden jetzt unsäglich,
Sehnen sich zu Dir zurücke,
Reden mir nun stündlich, täglich,
Von dem süßen, süßen Glücke,

Als sie Dir am Herzen ruhten
In des Tanzes süßer Stunde,
Deines Herzens Ebb' und Fluten,
Spürten auf dem heil'gen Grunde;

Heimweh fühlen sie voll Schmerzen,
Und ich fühl's mit ihnen eben,
Heim heißt leben Dir im Herzen,
Weh heißt ferne von Dir leben!

   83.

"Das Herz ist gestorben,
Die Welt ist leer!" —
Das empfind' ich eben
Wie Keiner mehr!

Mein Herz ist gestorben,
Doch hat's nicht Ruh',
Ihm drückte die Holde
Das Aug' nicht zu!

Mein Herz ist gestorben,
Nicht sprachlos schier,
In letzter Sekunde
Sprach's noch von ihr!

Mein Herz ist gestorben,
Es starb so schwer;
Wird sie ihm erweisen
Die leiste Ehr'?!

Mein Herz ist gestorben,
Doch geht's noch um;
Und wandelt allstündlich
Um sie herum!

Mein Herz ist gestorben,
Die Welt ist leer,
Ach, wenn's nur im Herzen
So voll nicht wär'!

Das Herz kann nicht sterben,
Die Welt wird nicht leer;
So lange die Sehnsucht
Blüht kreuz und quer!

Das Herz kann nicht sterben,
Die Welt wird nicht leer,
So lange die Lieder
Geh'n hin und her!

   84.

Ich möcht' Dich was fragen,
Doch zage ich schier,
Doch muß ich es fragen:
"Was liebst Du an mir?"

Was wirst Du erwiedern?
Ich weiß wohl schon was;
Du wirst mir erwiedern:
"Weiß Liebe denn das?"

Nein! Liebe weiß nimmer
Warum und Woher;
D'rum frag ich Dich nimmer,
Und lieb' Dich noch mehr!

Und liebe Dich morgen
Wie gestern so sehr,
Und tausend Mal morgen
Wie heut' und noch mehr!

   85.

Der Himmel liebt die schöne Erd',
Wie sagt er ihr's von ferne?
Er sendet ihr in jeder Nacht
Als Liebeswort die Sterne!

Die Erde liebt den Himmel hoch,
Wie sagt sie's ihm, tief unten?
Sie kleidet ihre Liebeswort'
In Blumen ein, in bunten.

Der Äther liebt die Blüten sehr,
Wie sagt er's ihnen allen?
Er läßt die Tränen seiner Lieb'
Als Tau auf sie nur fallen!

Du bist mein Himmel, meine Erd',
Du bist auch meine Blüte,
Erlaub' daher, daß Dir mein Lied
Ster, Blum' und Träne biete!

   86.

Ob sie mich liebt? Ich frage sie nicht!
Und fragte ich sie, sie sagte es nicht;
Und sagte sie es, so glaubte ich's nicht;
Und glaubte ich's auch, so geständ' ich es nicht!
Denn was uns die Götter als Wunder bescheren,
Das sollen die Menschen nur schweigend verehren!

   87.

Wer will forschen, wer will fragen,
Wer da mehr liebt von uns Beiden?
Wer kann's wissen, wer kann's sagen,
Wer da tiefer fühlt die Leiden?
Wer will raten, wer entscheiden,
Wer beim Suchen und Vermeiden
Mehr an Sehnsucht fühlt und Zagen?

Wer will künden, wer will deuten,
Was wir sprechen mit den Blicken?
Wer will hadern, wer will streiten,
Daß wir süße Wort' uns schicken?
Ob es kann das Herz erquicken,
Wenn wir heimlich zu uns nicken,
Wer ergründet das zu Zeiten?

Wer will suchen und erspähen,
Wie zwei Flammen sich vermählen?
Wie sie in einander wehen,
Wie sie ihre Bahnen wählen?
Wie sie nie den Weg verfehlen?
Wer kann's sagen und erzählen,
Wie zwei Herzen sich verstehen?

   88.

Wieso ich sie gefunden?
Wieso ich sie gesucht?
Das war im Buch des Schicksals
Voraus schon eingebucht;
Wo Herz und Herz sich wählen,
Sich finden und vermählen,
Trifft Gottes Spruch nur ein,
Und Niemand kann erzählen,
Warum es muß so sein!

Warum ich nach ihr sehe?
Warum nach mir sie sieht?
Warum ich nach ihr gehe?
Und was sie zu mir zieht?
Warum mit Allgewalten
Magnete mächtig schalten,
Nur Gott weiß das allein,
Und Niemand kann entfalten,
Warum es muß so sein!

Warum der Quell der Lieder
Für sie allein bloß rauscht?
Warum die Holde wieder
Nur meinen Liedern lauscht? —
Wenn Nachtigallen schlagen,
Dann lauschen ihren Klagen
Die Rosen in dem Hain,
Und Niemand darf da fragen,
Warum es muß so sein!

Warum das Herz mir klopft,
Wenn ihrer man erwähnt?
Warum mein Auge tropfet.
Wenn kommt, die ich ersehnt? —
Es tritt die Flut, die schwere,
Dann ein im hohen Meere,
Wenn kommt der Mondenschein;
Gibt's Jemand, der's erkläre,
Warum es muß so sein?!

   89.

Warum ich lieb' Dich ganz allein?
Warum nur Du mein Sonnenschein?
Warum nur Du mein Augenlicht?
Herrin mein! Ich weiß es nicht!

Ob Du nicht einen Andern liebst?
Dein Herz an einen Andern gibst?
Ob Niemand Dir zur Seele spricht?
Herrin mein! Ich denk' das nicht!

Ob Du mit meiner Lieb' Geduld?
Ob Du mir je schenkst Deine Huld?
Ob Du mir neigst Dein Angesicht?
Herrin mein! Ich hoff' das nicht!

Ob Dich beleidigt meine Lieb'?
Ob Spott Du treibst mit meinem Trieb?
Ob Hohn für Lieb' Dir scheint wie Pflicht?
Hohe Herrin! Ich fürcht' es nicht!

Ob meine Lieb' erlöschen kann?
Ob ich Dich je vergessen kann?
Ob von Dir je schweigt mein Gedicht?
Herrin mein! Das glaub' Du nicht!

   90.

Frag' am Zweig das grüne Blatt,
Das im Sturm gezittert hat,
Das vom Regen naß noch ist,
Frag' es nur zur jetz'gen Frist,
Ob es wünschte, klar und nett,
Daß es nicht gewittert hätt'?

Frag' den Demant, der vom Schacht
Durch Gewalt ward losgemacht,
Durch Gewalt und Hieb und Streich,
Bis er jetzt an Licht ist reich,
Frag' ihn, ob er's wünscht in Tat,
Daß kein Schmerz ihm je genaht?

Frag' den Pelikan anitzt,
Der die Brust sich aufgeschlitzt,
Daß mit seinem Herzensblut
Sich erhalte seine Brut,
Frag', ob er es wünschte sehr,
Daß kein Blut gekommen wär'?

Frag' Dein liebend Herz, das klopft,
Wenn Dein Auge leise tropft,
Wenn die Wang' noch tränenfeucht,
Frag' Dein Herz, das dann so leicht,
Ob der Wunsch in ihm erscheint:
Hätt' mein Aug' nur nicht geweint!?

   91.

Wer will der Liebes-Bote sein?
Der "Stern" will Liebes-Bote sein.
Dem Stern glaubt man die Botschaft nicht
Er blinzelt schelmisch, wenn er spricht;
Der Stern des Nachts nur wandern mag,
Ich brauch' den Boten auch bei Tag!

Wer will der Liebes-Bote sein?
Die "Rose" will der Bote sein.
Der Rose trau' den Brief nicht an,
In's Blatt guckt frei ihr Jedermann;
Die Rose nur am Tage wacht,
Ich brauch' den Boten auch bei Nacht!

Wer will der Liebes-Bote sein?
Die "Lerche" will der Bote sein.
Der Lerche wird nichts anvertraut,
Sie schmettert jedes Wort so laut;
Die Lerche Morgens Zeit nur hat,
Ich brauch' den Boten früh und spat.

Wer will der Liebes-Bote sein?
Das "Bächlein" will der Bote sein!
Das Bächlein läuft wohl wunderschnell,
Doch plaudert es an jeder Stell';
Der Frost heißt bald das Bächlein steh'n,
Mein Bote muß auch Winters geh'n.

Wer will denn Liebes-Bote sein?
Ich selber will der Bote sein.
Ich selber geh' bei Tag und Nacht,
Wenn's heiß ist und wenn's Eis auch macht;
Ich selber richt' am besten aus,
Was meine Lieb' ihr schickt in's Haus.

Was ist der Liebe Boten-Lohn?
Ein Kuß! Ein Kuß! Das weiß man schon.
Doch wenn die Lieb' sich selber schickt,
Wird mit dem Lohn nicht so geknickt:
Ein Kuß? Mein Herz, was fällt Dir ein?
Es müssen mind'stens hundert sein!

   92.

O, sagt mir's doch, Ihr Liebesleut',
Wann ist zum Lieben recht die Zeit? —

Wann Blümchen blühen allenthalben,
Die Störche kommen und die Schwalben,
Wann's grünt und duftet weit und breit,
Dann ist zum Lieben recht die Zeit!

Wann Blumen welken, Blumen fallen,
Wenn Wolken zieh'n und Nebel wallen,
Wenn's fröstelt, nieselt, rieselt, schnei't,
Dann ist zum Lieben recht die Zeit!

Wenn's hell in dem Kamine flammt,
Die Leuchter flackern allesamt,
Der Ofen warme Strahlen streut,
Dann ist zum Lieben recht die Zeit!

Wann's Lämpchen flackert matt und schwach,
Wann man nur tappt sich in's Gemach,
Wann pechschwarz wird die Dunkelheit,
Dann ist zum Lieben recht die Zeit!

Wann's Herz ist voll von Freud' und Lust,
Wann Frohsinn einzieht in die Brust,
Wann Geist und Sinn voll Heiterkeit,
Dann ist zum Lieben recht die Zeit!

Wann Weh in unsern Herzen ist,
Wann unser Auge überfließt,
Wann wir umstrickt von Weh und Leid,
Dann ist zum Lieben recht die Zeit!

Zum Lieben ist die rechte Zeit,
Wann rechte Liebe uns zur Seit',
Wann immer Liebchen ist bereit,
Ist stets zum Lieben recht die Zeit!

   93.

Es wandern viel Ströme,
Sie fallen in's Meer;
Das Meer wird nicht voller,
Die Ströme nicht leer!
Mein Herz strömt viel Liebe
In's Herz Dir so sehr;
Dein Herz wird nicht voller,
Mein Herz wird nicht leer!

Es fallen viel Sternlein
Vom Himmel zur Nacht;
Der Himmel bringt immer
Noch neue voll Pracht;
Ich hab' Dir viel Lieder
In Liebe gebracht;
Mein Herz hat mich immer
Mit neuen bedacht!

Aus tausend von Fragen
Gibt Echo Bescheid;
Und ist doch zur Antwort
Stets willig bereit;
Und fragst Du mal Tausend:
"Liebst Du mich noch heut'?"
Mein Herz stets erwiedert:
"Für ewige Zeit!" —

   94.

Der Gott, der Dich der Erde gab,
Gab Blumen ihr auch gerne,
Der Gott, der Dir das Auge gab,
Gab auch die Himmelssterne.

Und Blumen, die der Frühling rief,
Das Weltall zu erquicken,
Will ich als einen Herzensbrief,
Dir, schönste Blume, schicken.

Denn als ich sie hab' abgepflückt,
Da dacht' ich Dich zu sehen,
Nachdem ich sie an's Herz gedrückt,
Hieß ich zu Dir sie gehen.

Denn nicht auf Erz und Marmor glatt
Will ich mein Dichten schreiben,
Aus einem kleinen Blumenblatt
Soll es Dein eigen bleiben.

Das Blatt wird feucht, das Blatt wird naß,
So wird mein Aug' von Tränen;
Das Blatt wird welk, das Blatt wird blaß,
So wird mein Herz von Sehnen.

Doch Blumen wirst Du Frische seh'n,
Sie kommen jährlich wieder,
Ich aber werd' von hinnen geh'n,
Leg' mich auf ewig nieder.

Dann nimm die Rosen, die ich gab
Als Brief mit rotem Siegel,
Und leg' sie still mir auf das Grab
Als Leichenstein am Hügel;

Denn dieses Briefes Inhalt sei
Zur Grabschrift mir gegeben:
Hier liegt ein Herz voll Lieb' und Treu',
Im Tode wie im Leben:

   95.

Noch ein beblümtes Liebesblatt!
O zankt d'rum nicht mit mir!
Denn wenn der Baum viel Blätter hat,
Was kann er denn dafür?!

Noch ein klein Blümchen, zart bewegt,
Vom Herzgrund abgepflückt!
So lang das Herz ein Blümchen trägt,
So lang sei's ihr geschickt!

Und noch ein Lied, das sie verschönt!
Noch ein Gedichtchen klein!
So lang die Harf' im Busen tönt,
Soll's auch geharfnet sein!

Was wär' Gesang, was Dichterkunst,
Was Lied und Saitenspiel,
Wenn ich nicht säng' um ihre Gunst,
So lang es mir gefiel!

   96.

Gesucht fürwahr hab' ich sie nicht,
Doch hab' ich sie gefunden,
Nun fand ich sie, und such' sie nun
Umsonst zu allen Stunden!

Was suchst Du sie, Du töricht Herz,
Beim Zufall, bei dem blinden?
So kehr' nur bei Dir selber ein,
Da wirst Du sie schon finden!

Denn Jene, die Du außen suchst,
Ist kalt und streng und feindlich;
Ihr Abbild doch, das in Dir lebt,
Ist mild und hold und freundlich!

Begegnest Du ihr in der Welt,
Wird sie die Augen senken,
In Dir jedoch ihr Konterfei
Wird süßen Blick Dir schenken!

Sprichst Du mit ihr in Wirklichkeit,
Ist ihre Antwort düster,
Ihr Schatten-Ich in Dir jedoch
Hat Red'und süß Geflüster!

D'rum suche in der Welt sie nicht,
Such' nicht in allen Winden
Denn nur in Lied und Phantasie
Wird's wahr: "Wer sucht wird finden!"

   97.

Als ich zuerst sie hab' erblickt,
Da ward mein Herz mir ganz zerstückt;
Doch fragt ihr mich indessen,
Ob ich dies Sehen möcht' vergessen?
So wird des Herzens Antwort sein:
Dies Seh'n vergessen? O nein! o nein!

In ihrem Blick voll feuchter Glut
Lag tötend Gift für Sinn und Blut;
Doch fragt, ob ich vergessen will
Den Pfeil so scharf, den Pfeil so still?
So wird des Herzens Antwort sein:
Den Blick vergessen? O nein! o nein!

Ihr Lächeln von dem holden Mund
Warf Wahnsinn in des Denkens Grund;
Doch fragt Ihr, ob dies Lächeln hold
Mein Herz auch gern vergessen wollt'?
So wird des Herzens Antwort sein:
Ich? es vergessen? O nein! o nein!

Daß ich sie lieb' in Innigkeit,
Ist meines Lebens bitt'res Leid;
Doch fragt mein Herz, ob es vergessen mag
Dies Liebeleid nur einen Tag?
So wird des Herzens Antwort sein:
Vergessen Lieb' und Leid?
O nein! o nein! o nein!

   98.

Gestern hab' ich sie geseh'n,
Und noch heut' faß ich mich nimmer,
So ist oft zu End' der Traum,
Und das Herz klopft uns noch immer!

Gestern traf mich erst ihr Blick,
Und noch heut' bin ich geblendet,
So erschreckt noch dann das Aug',
Wenn der Blitz schon längst geendet.

Gestern hörte ich ihr Wort,
Und noch heut' bin ich durchdrungen,
So noch bebt im Ohr der Ton,
Wenn die Hora längst verklungen!

   99.

Eine Knospe, dornenlose,
Gab ich still der wilden Rose,
In dem Knospenkelche tief
Lag ein Liebesgruß und schlief;
Wie die Holde in der Nacht
Aus dem süßen Schlaf erwacht,
Sieht sie, wie beim Mondenlicht
Um er wandelt, singt und spricht;
Singt und spricht von Lieb' und Treu'
Und von Herzleid Allerlei,
Wie mein Sinnen und mein Sein
Nur ihr angehört allein, —
Süß erschreckt ruft sie ihm zu:
"Laß, o Gruß! mein Herz in Ruh'!"
Ausgeweckt vom Namen fällt,
Fällt er und erwacht
Wieder in dem Kelchesschacht.

  100.

In mir lebt eine Melodie,
Sie tönt stets fort in meinem Innern,
Vergessen konnte ich den Wohllaut nie,
Doch konnt' ich mich auch nicht erinnern,
War es ein Spinnerlied, ein Wiegensang,
Es tönte lieb und tönte bang,
Es war nicht Flöt', nicht Nachtigall,
Nicht Ständchen und nicht Wiederhall;
Es klang so weich, so süß und bittervoll,
Daß mir das Herz fast überquoll! —

Als sie mir sprach das erste Wort,
Sie, der mein Herz, mein' Lieb' gehören,
Da glaubte ich, entzückt, sofort
Die süße Melodie zu hören!
Die Melodie hab' ich erkannt,
Das "hohe Lied" wird es genannt,
Es ist das Lied der Jugendzeit,
Das Lied der Lieb' und Minnigkeit,
Und dieses Lied ward in mir wach,
Als sie das erste Wort mir sprach!



nach oben