Erste und letzte Gunst
Als wir uns jung und unverhofft gefunden,
Von Blüten überschneit im Wonnemai,
Hat unser süß berauschtes Herz empfunden,
Daß ohne Liebe hier kein Leben sei.
Du gabst die erste Gunst; kein Widerstreben, —
Und meine Lippe sog der Seele Kuß,
Da wars die Zeit uns Schatten in das Leben,
Und um die Wonne tauschten wir Verdruß.
Die Jugend schwand, nicht weiser ward das Alter,
Die Sehnsucht floh, die Hoffnung selbst entwich,
Nun fleht die Rose zum verblich'nen Falter:
Als letzte Gunst, mein Freund, verlasse mich!
Ohne Liebe
Ohne Liebe! armes Leben,
Ohne Freude, ohne Qual!
Keinen Lohn für alles Streben
Gibt der langen Monden Zahl!
Bleiern lasten die Sekunden
Auf des Busens öder Nacht,
Keine Seele zahlt die Stunden,
Bis der Abendstern erwacht.
Gleich den kühlen Salamandern
Frierst du in des Mittags Glut,
Und von einem Tag zum andern
Suchst du das ersehnte Gut.
Um dein feuchtgeweintes Lager
Schleicht die träge Zeit herum,
Deine Sehnsucht härmt sich hager,
Doch die Mitternacht ist stumm.
So enteilen dir die Tage,
Deinem Herzen unbewußt,
Und du fühlst des Lebens Plage,
Aber nicht des Lebens Lust.
Endlich müde solcher Kette
Findet dich ein früher Tod,
Und an deinem Sterbebette
Weinet sich kein Auge rot!
Welteinklang
Der Schöpfung sonnenhelle Sphären
Durchdringt die Harmonie;
Im Meergewog', in Taueszähren
Gleich herrlich waltet sie.
Sie stürmt im Tosen der Orkane,
Und löst sich auf in Schaum;
Sie schwingt des Schattens Dämmerfahne
Um manchen Blumenraum.
Sie rauscht in dunklen Eichenblättern,
Durchströmt vom Abendwind;
Der Sterne gold'ne Rätsellettern
Ihr offenkundig sind.
Sie zieht mit dichten Kranichzügen
Lenzsuchend über's Meer,
Sie läßt sich auf- und niederwiegen
Ein wirbelnd Mückenheer.
Sie tränkt im lauen Sommerregen
Den durst'gen Wiesenplan;
Die Quellen rauschen ihr entgegen,
Sie ist ihr Ozean.
In Klüften schimmern Edelsteine,
In Höhen Wolkengold;
Ihr bringt die ganze Weltgemeine
Den unbewußten Sold.
Und ich, ich könnte fühllos schauen
Die Weltenharmonie,
Und sänke nicht mit Wonnegrauen
Stillbetend in das Knie? —
Ich fühlte nicht im warmen Busen,
Was Welt und Himmel eint;
Mir hätte blickend gleich Medusen
Natur das Herz versteint?
O nein, ich möchte weinend beten,
Und vor das Angesicht
Des Schöpfers liebeatmend treten,
Doch sagen kann ich's nicht.
Nur fühlen kann ich, wie die Güte,
Gespendet sonder Frist,
Der Menschheit höchste Kronenblüte,
Des Daseins Segen ist;
Dieselbe Güte, die als Sonne
Erstarrte Fluren wärmt,
Und jubelt zu des Glückes Wonne,
Und mit dem Leid sich härmt.
Doch soll ich eitle Rede stammeln?! —
Das Wort ist kalt, ist tot —
Ich will die Welt im Auge sammeln,
Im tiefsten Herzen — Gott!
Ein Gleichnis
Goldig flattert dort der Falter,
Kaum der Puppe noch entschwebt,
Einen Maitag mißt sein Alter
Und bald hat er ausgelebt.
Kommt ein Junge frisch gesprungen.
Und begierig ruht er nicht,
Bis den Armen er bezwungen,
Bis er ihm die Schwingen bricht.
Grollen kann ich dir nicht Knabe,
Wie auch mein Gefühl empört,
Denn es ist der Jugend Gabe,
Daß sie unbedacht zerstört.
Uns zu Quälern auserlesen
Reifere an Jahren sind,
Kindlich sind sie nie gewesen,
Aber grausam wie ein Kind.
Denn ein stilles Glück erdrücken,
Eine Seele, lieb und zart.
Mit Bewußtsein zu zerpflücken,
Ist erwachs'ner Menschen Art.
Versöhnung
Die Rose blüht, lau weht des Lenzes Hauch,
Der Falter schaukelt sich am Blütenstrauch;
Mit gleichem Rechte wuchert dort die Nessel —
Natur ist gütig, kennt nicht Wahl noch Fessel.
Es rauscht der Quell und mächtig wogt der Strom,
Das Kirchlein faßt die Andacht, wie der Dom;
Nur Menschen sind gelaunt, zu unterscheiden,
Und messen mit dem Zirkel Lust und Leiden.
Der Hügel wölbt sich sanft, es ragt der Berg,
Wie riesig auch, ist jener doch kein Zwerg,
Und um der Firnen Gipfel Stürme tosen,
Jndes am Hügel duften frische Rosen.
Die Jugend schwindet in der Jahre Flucht,
Zerstäubt die Blüte, bitter oft die Frucht,
Die Träne fällt der Freude, der verlornen,
Doch tücht'ge Waffen sind des Herzens Dornen.
Des Lebens Inhalt: Prosa und Gedicht,
In tiefster Seele ruht das Gleichgewicht;
Wenn Gram und Jubel dich nicht unterjochen,
Dann mag dein Puls im vollen Takte pochen.
Getrost; verzage nicht, der nächste Tag
Mag leuchten und bescheinen, was er mag;
Mit Seelenkraft verschwistert sich Gewöhnung,
Und siegend kränzt den Kämpfer die Versöhnung.
Am Sylvesterabend
Drei flügelschnelle Stunden
Noch bis auf Mitternacht,
Dann ist ein Jahr entschwunden.
Ein neues auferwacht.
Im alten hat's genug,
Gedonnert und gesandt,
Und was uns sonst begegnet,
Ist nur Alltäglichkeit.
So ist es stets gewesen,
So wird es immer sein,
Wir stäupen alte Besen
Und flechten neue ein.
Es starben viele Leute,
Die Andern leben noch,
Aus Mädchen wurden Bräute,
Es zog der Mann im Joch.
Zu Ochsen wurden Rinder
Und fraßen Heu und Stroh,
Zu Menschen wurden Kinder,
Und lernten wie und wo.
Die Gecken waren zierlich,
Die Dummen waren grob,
Gescheite stets manierlich —
Wer wundert sich darob?
Und Strome Blutes flossen
Für Freiheit und für Recht,
So stolz sie auch vergossen,
Der Lohn war immer schlecht.
Verpönt ist nackte Wahrheit,
Nur bei der Wollust nicht,
Umnachtet Lebens Klarheit,
Ein Märchen die Geschicht'.
Die Hoffnung ist betrüglich,
Der Glaube schlecht bestellt,
Die Lieb' ist unbesieglich,
Bevölkernd alle Welt.
Drum glaub' und hoffe wenig,
Und liebe nur recht viel,
Denn warst du auch ein König,
Es bleibt dein letztes Ziel.
Und bist du einst gestorben,
Was liegt denn auch daran,
Hast wenig, viel erworben,
Dein Erbe bringt es an.
So sei mir Jeder Zeuge,
Daß ich die Welt verstand,
Und werft bei dieser Neige
Die Gläser an die Wand.
Der letzte Baum
Es steht ein Baum auf der Heide,
Der letzte einer dichten Schar,
Die kürzlich noch die Augenweide,
Das Labsal von Geschlechtern war.
Die andern sanken unterm Beile,
Der nimmersatten Industrie;
Damit auf dieser Erde weile
Auch nicht ein Schatten Poesie.
Seht, wie mit Raum und Zeit sie geizen!
Dort eilt dahin auf Flügelroß;
Den Bauch des Ungetüms zu heizen,
Sank hin der letzte grüne Sproß.
Geplündert trauern Berg und Hügel
Hernieder auf das flache Land;
Entfalte, Sturm die Riesenflügel,
Du findest keinen Widerstand.
Denn was von klangerfüllten Hainen
Der Dichter singt, vom dunklen Wald,
Wird bald dem Enkel Fabel scheinen,
Ein längst verschollnes Märchen bald.
Der Vögel Chor ist eingefangen;
Wozu ein Zweig, wozu ein Ast!?
Dort schwirrt die Lerche hinter Spangen,
Die sonst erklomm den Äther fast.
Der Adler doch am sichern Horste,
Der Freiheit freiester Vasall,
Schaut nieder zum gefällten Forste
Vom nie erstieg'nen Felsenwall.
Hier streckt sich breit der Rübenacker,
Dort wuchert der Kartoffel Blatt;
Das jätet und das schaufelt wacker,
Sie wissen — solches Kraut macht satt.
Und wenn am Rain mit zarter Blüte
Ein Blümchen schüchtern hebt das Haupt —
"Was willst du hier? daß Gott behüte!
Hinweg, was hier den Platz uns raubt!"
O Baum, der gleich verklungner Märe
Von Poesie erzählt der Welt,
Gestatte, daß des Dichters Zähre
Auf deine nackten Wurzeln fällt.
Vielleicht, daß wenn nach sel'gen Träumen
Sein Auge sprengt des Schlummers Tor,
Ihn dann begrüßt aus frischen Bäumen
Ein neuer Nachtigallen-Chor.
Sei nicht dumm!
Kurzen Sommer blüht die Blume,
Denn das Schöne währt nicht lang,
Schwach Gedächtnis bleibt vom Ruhme,
Jubel schwindet und Gesang.
Blumen welken, Mädchen altern,
Folgsam ewigem Gesetz,
Jugend bannt man nicht mit Psaltern,
Und die Dauer bleibt Geschwätz.
Deshalb wollen wir zur Neige
Schlürfen jeden Augenblick;
Blau der Himmel, grün die Zweige,
Sei nicht dumm und preis das Glück!
Gartenwildnis
So gern betritt mein Fuß die grüne Wildnis,
Des eignen Lebens allzu wahres Bildnis;
Von Unkraut überwuchert Pfad und Weg,
Zerstört der Zaun, das Bächlein sonder Steg.
Da blüht verspätet noch die dunkle Rose,
Die Nachtviole und die Herbstzeitlose;
Vermählend zart den Sommer mit dem Mai,
Als ob der Zeiten Wandel Lüge sei.
Der Epheu rankt, am Boden kriecht die Nessel,
Die Sträucher grünen sonder Scher' und Fessel,
Kein Frevler pflückt die Blume, heischt die Frucht,
Kein Schifflein schaukelt in des Teiches Bucht.
So harmlos blüht hier Alles! kein Begehren
Will, was da knosp't, genießen und verzehren —
Ein Urwald scheint's fast, wo des Menschen Fuß
Nie hingetragen Leiden und Genuß.
Hier nistet sicher Meise, Fink und Häher,
Kein Vogelsteller droht der Brut, kein Späher;
Das Vöglein flattert flügge aus dem Nest
Und feiert im Gezweig sein Wiegenfest.
Wie süß — zu wandeln hier! so hinzudämmern,
Vernehmend nur des eignen Herzens Hämmern,
Versenken sich in tiefster Seele Grund,
Voll Duft und Klang, wenn schweigend auch der Mund!
Wie selig, Nichts zu suchen, Nichts zu wollen,
Die Schatten des Erlebten auszurollen.
Und ohne Reue, ohne Gram und Haß
Den Abend schau'n, des Taues Perlennaß!
O grün Asyl, du meines Daseins Spiegel,
Vergangenheit wie Zukunst birgt der Riegel,
Hier spricht der Mensch allein mit seinem Gott,
Verschollen scheint die Liebe — wie der Spott.
Ist's möglich, so das Sein hinwegzuwischen,
Und Hoffen und Vergessen zu vermischen?
Wohin, mein Geist, verirrt sich deine Bahn,
Ein Punkt im uferlosen Ozean?
Still, sammle dich, du wirst dich sicher finden.
Flamm' auf, Gestirn! die Schatten müssen schwinden,
Die aus des Lichtes Pfaden dich verbannt —
Das Rätsel ist gelöst, hast du's genannt!
So nenn' es denn, dir ruft's im eignen Innern,
Nicht Sklave ist's von Zukunft und Erinnern!
Urwüchsig sprießt es in des Busens Schacht,
Zum Lichte strebend, flucht es seiner Nacht.
Still! wecke nicht die Täuschung auf vom Traume,
Und schüttle roh die Früchte nicht vom Baume,
Verhülle liebreich dieses Abgrunds Gruft,
Woraus der Freude Todesurteil ruft.
Nein — nein! Er sei — der Vorhang sei zerrissen
Von deiner eignen Seele Finsternissen!
Schau hin, des Jugendwahns zerstörte Welt —
Auf Trümmer blickt des Wolkenhimmels Zelt!
Lieb' erntet Haß, Verrat belohnt Vertrauen,
Zerstörung führt die Kelle schon beim Bauen;
Der Glaube ruft den Zweifel selbst zu Gast,
Und Frieden tauft sich eine Spanne Rast.
Die Freundschaft Lüge — Eigennutz ihr Bruder,
Zum Hafen nicht, zum Wirbel treibt das Ruder,
Dich sengt der Sand, dich schlingt das tiefe Meer,
Und aus der Rose Duftschoß droht der Speer.
Das Wissen eitel, strebt es nicht zum Ganzen;
Die Zukunft birgt sich unter Nebelschanzen,
Für Schweiß kein Lohn, für Sehnen fern das Ziel,
Die Nacht kein Tröster und der Tag kein Spiel.
Genug der Bilder, magst du dich ermannen,
Und scheuche die Gespenster all' von dannen,
Nimm hin den frischen Tropfen Lebenstau,
Und wieder wird der Seele Himmel blau.
Das Glück, du selbst; doch mußt du nicht verkennen,
Was Menschen sonst verketzernd wohl verbrennen,
Sie fühlen sich so eng in ihrem Haus,
Die Seele darbt, die Sinne — Saus und Braus.
Vergiß, vergib, ein Krösus sei im Hoffen
Und grüne mutig fort, vom Blitz getroffen,
Und sind zersplittert deine Äste stark,
So flüchte in der Wurzel tiefstes Mark.
Du selbst — o sei dir Tat die goldne Lehre,
Wert, daß dein Sein sich göttlich drin verkläre!
Du schaffst die Welt, und deiner Seele Kraft
Erhöht die Lust und sprengt des Leides Haft.
So teile wohlgemut des Lebens Wogen,
Von Frührotschein, Gewitternacht umzogen,
Und sprich, gepanzert mit der Weisheit Schild:
Heran! ich steh' dir, Leben, mild und wild!
Vergessenheit
O schmerzlich Los, dem Jegliches verfallen.
Die schönste Tat, die herrlichsten der Lieder,
Im Chor der Weltenstimmen zu verhallen.
Der durch Geschlechter stürmet auf und nieder,
Und von Vergessenswogen willd ergriffen,
Ins Meer der Dunkelheit hinabzuschiffen!
Der Schmetterling, der eben sich geschaukelt
Auf Blüten, liegt zertreten uns zu Füßen;
Die Mücke, die im Sonnenlicht gegaukelt,
Sie hat ein Windstoß in die Flut gerissen;
Der Sänger Lied, das erst in tausend Zungen
Den Wald durchtönt, ist spurlos hingeklungen.
Die Blumen, die mit Duft und Schmelz entzückten,
Sie neigen ihre Kelche in der Runde;
Die Blätter, die des Waldes Wipfel schmückten,
Sie taumeln, wild durchstöbert aus dem Grunde;
Der Wolken morgendliche Rosengluten
Verlöschten bald in trüben Nebelfluten.
Die schneebedeckten Häupter hoher Firnen —
Ein warmer Nachthauch hat sie kahl geschmolzen,
Und jener Felsenwände Riesenstirnen,
Ein Sturzbach hat sie tief gefurcht, die stolzen;
Die Wolke, die den Donner schien zu künden.
Verlor sich bald in feuchten Wiesengründen.
So sagen uns von längstvergang'nen Zeiten
Der Wüste weitverstreute Prachtruinen,
Wie fruchtlos sei der Menschen Tun und Streiten,
Zu hemmen der Geschicke Schneelawinen;
Einst eine Hand, die altersschwach gezittert,
Sie hat der Tempelhallen Bau erschüttert.
Und wie der Sturmwind in den Wäldern blättert
Und wimmert durch der nackten Zweige Blöße,
Und wie die Eiche liegt dahingeschmettert,
Ein Leichnam jüngst emporgeragter Größe,
So liegen hingestreckt die Erdgeschlechter,
Es starb der Tugend Freund und ihr Verächter.
Mit stolzen Taten pranget die Geschichte,
Wir sehen nicht die tiefverborg'nen Hebel,
Der Sänger samt dem göttlichen Gedichte,
Er hüllte sich in dämmerhafte Nebel,
Und scheint aus seines Ruhmes Sonnenwagen,
Der Zeiten Wandel bitter anzuklagen.
Doch alles wäre freudig zu verschmerzen;
Nur Eines nicht! — daß ewig unverdrossen
Die Lüge strebt, die Wahrheit zu verschwärzen,
Der Schmutz die Reinheit schleppt in seine Gossen,
Und vor der Selbstsucht hocherhab'nem Gotte
Du knien mußt, daß man dich nicht verspotte.
Nur nicht, daß längst zum schalen Märchen worden
Der Freundschaft Brudertrost und Himmelssegen;
Nur nicht, daß auch des höchsten Wertes Orden
Sich an die Brust des Eigennutzes legen;
Nur nicht, daß in dem wüsten Weltgetriebe
Sich lächerlich gemacht die reinste Liebe!
Meine Grabschrift
Viel genossen, viel gelitten,
Und das Glück lag in der Mitten;
Viel empfunden nichts erworben,
Froh gelebt und leicht gestorben.
Fragt nicht nach der Zahl der Jahre
Kein Kalender ist die Bahre.
Und der Mensch im Leichentuch,
Bleibt ein zugeklapptes Buch.
Darum Wand'rer zieh' doch weiter,
Denn Verwesung stimmt nicht heiter.
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